Das Intime, Eingeschworene und der etwas holprige Charme, den der Open Mike noch zu Zeiten versprühte, als man sich bei grauem Novemberwetter im Kulturzentrum einer Ostberliner Plattenhaussiedlung traf, ist bei der 21. Ausgabe, nunmehr die zweite im Neuköllner Heimathafen, einer zunehmenden Professionalisierung gewichen. Nicht nur die Räume sind repräsentativer und das Publikum noch zahlreicher geworden.
Der Open Mike hat sich auch längst auf alle medialen Kanäle ausgeweitet, twittert und bloggt, ist präsent auf Facebook und der eigenen Website. Literatur findet schon lange nicht mehr nur in Büchern statt und auch in den Texten, die die 20 Autoren am Wochenende vorstellten, war viel von SMS, Google-Treffern und Facebook-Fotos die Rede. Die Jury vergab einen der drei Preise schließlich an den 33jährigen Autor Jens Eisel für einen Text, der sich ganz und gar in den Niederungen der unmittelbaren Realität bewegt, wie Juror Ulrich Peltzer betonte.
"Wir glauben, dass die Lebenserfahrung des Autors ihn befähigt, Probleme und Realitäten ohne Sentimentalität und aufgesetztes Mitleid in eine Narration zu übersetzen, die klassischer Manier welthaltig ist und Protagonisten eine Stimme gibt, die normalerweise keine haben."
Jens Eisels Text namens "Glück" beschäftigt sich mit dem Alltag eines bosnischen Migranten zwischen den Kasinos auf der Hamburger Reeperbahn. Der Autor, der nach seiner Schlosserausbildung einige Jahre in der Diakonie auf Sankt-Pauli mit Alkoholikern und Obdachlosen arbeitete, präsentierte diesen Stoff sprachlich ebenso prägnant wie unprätentiös - und dabei äußerst wirkungsvoll.
"Manchmal gewann er, aber verglichen mit den Einsätzen waren die paar Euros ein Witz, und meistens verspielt er das Geld noch am selben Abend in einer der Automatenspielhallen auf der Reeperbahn. Seine Frau war ihm weggelaufen, er schuldete einer Menge Leute Geld, er hatte sein Auto verkauft, seinen Job verloren, und manchmal kam es ihm so vor, als wäre das Glück sein persönlicher Gegner. Aber all das hinderte ihn nicht daran weiterzumachen."
Wirklich lesenswerte Texte, so klagten die Lektoren, die zuvor aus 682 Einsendungen 20 Autoren für den Jury-Wettbewerb ausgesiebt hatten, gab es in diesem Jahr nur wenige. Da war quälend oft von den seelischen Befindlichkeiten junger Menschen zu hören, die auf Flexibilität, sprich Vorläufigkeit, und Mobilität, sprich Entwurzelung, getrimmt werden. Da ging es immer wieder um unverbindliche Liebe und vor allem um Sexualität als höchst instabiles Persönlichkeitsmerkmal: Geschlechtsumwandlungen, versteckte Homosexualität, lesbische Liebe mit Plastikpenissen. Auch die Zwänge der schönen neuen Arbeitswelt scheinen Unsicherheit, Sinnsuche und eine diffuse Versagensangst zu verbreiten, wie man in eindrucksvollen Texten von Karl Wolfgang Flender und Artur Dziuk erfuhr. Ein weiterer Preis ging an den ukrainisch-stämmigen Schweizer Dmitrij Gawrisch, der in seiner irrwitzigen Geschichte "Schaukelgestühl ganse en bräune" als einer der wenigen Autoren echte sprachliche Experimente wagte.
"Und zwar habe ich vor einem Jahr einen Text geschrieben über die Ukraine auf Deutsch. Und die Sprache, in der die Figuren sprechen, wäre Ukrainisch oder Russisch. Ich habe aber nur Deutsch zur Verfügung, das heißt, ich muss den russischen Klang, die Bedeutung ins Deutsche übertragen. Und das war für mich vielleicht der Beginn einer Suche, was Sprache ist und wie sich Sprachen ineinander transportieren können.
Von politischer Rebellion oder konkretem gesellschaftlichem Veränderungswillen war beim Open Mike 2013 kaum eine Spur zu finden. Die Verletzbarkeit der Wahrnehmung in einer Zeit der Entideologisierung, der Identitäten per Benutzernamen, Logins, Google und Kurznachrichten, und die Suche nach neuen Rollen- und Sinnmodellen standen im Vordergrund. Der Gedichtzyklus "Halb Taube halb Pfau" der 29-jährigen Autorin Maren Kames, die den Lyrik- und Publikumspreis erhielt, spiegelte genau diese Suche wider.
"Findest dich Sonntagsmorgen um acht bei den Haubentauchern an den Gestaden stierst
In die Schlieren säufst die Aussicht bis blindlings stehst knietief im Siel rings schluckst
Wasser vom Rand ab haust schlaff auf die Planken liegst aus da wie Pfandgut
Gestrandet auf deiner halbtauben Haut
Gelandet im halbgaren Licht hier
Genadelt, gerendert dirty
Verplempert im Tau und
Halb Taube halb Pfau
Halt das mal aus so
Ste(h)ts"
Literatur, so kann eine Bilanz des Open Mike lauten, braucht zwar nicht unbedingt große Themen, um zu berühren. Allerdings braucht sie mehr als ein diffuses, desillusioniertes Lamentieren. Und kann wiederum atemberaubend wirken, wenn sie eine neue, sehr eigene Form der verunsicherten Weltwahrnehmung transportiert.
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"Wir glauben, dass die Lebenserfahrung des Autors ihn befähigt, Probleme und Realitäten ohne Sentimentalität und aufgesetztes Mitleid in eine Narration zu übersetzen, die klassischer Manier welthaltig ist und Protagonisten eine Stimme gibt, die normalerweise keine haben."
Jens Eisels Text namens "Glück" beschäftigt sich mit dem Alltag eines bosnischen Migranten zwischen den Kasinos auf der Hamburger Reeperbahn. Der Autor, der nach seiner Schlosserausbildung einige Jahre in der Diakonie auf Sankt-Pauli mit Alkoholikern und Obdachlosen arbeitete, präsentierte diesen Stoff sprachlich ebenso prägnant wie unprätentiös - und dabei äußerst wirkungsvoll.
"Manchmal gewann er, aber verglichen mit den Einsätzen waren die paar Euros ein Witz, und meistens verspielt er das Geld noch am selben Abend in einer der Automatenspielhallen auf der Reeperbahn. Seine Frau war ihm weggelaufen, er schuldete einer Menge Leute Geld, er hatte sein Auto verkauft, seinen Job verloren, und manchmal kam es ihm so vor, als wäre das Glück sein persönlicher Gegner. Aber all das hinderte ihn nicht daran weiterzumachen."
Wirklich lesenswerte Texte, so klagten die Lektoren, die zuvor aus 682 Einsendungen 20 Autoren für den Jury-Wettbewerb ausgesiebt hatten, gab es in diesem Jahr nur wenige. Da war quälend oft von den seelischen Befindlichkeiten junger Menschen zu hören, die auf Flexibilität, sprich Vorläufigkeit, und Mobilität, sprich Entwurzelung, getrimmt werden. Da ging es immer wieder um unverbindliche Liebe und vor allem um Sexualität als höchst instabiles Persönlichkeitsmerkmal: Geschlechtsumwandlungen, versteckte Homosexualität, lesbische Liebe mit Plastikpenissen. Auch die Zwänge der schönen neuen Arbeitswelt scheinen Unsicherheit, Sinnsuche und eine diffuse Versagensangst zu verbreiten, wie man in eindrucksvollen Texten von Karl Wolfgang Flender und Artur Dziuk erfuhr. Ein weiterer Preis ging an den ukrainisch-stämmigen Schweizer Dmitrij Gawrisch, der in seiner irrwitzigen Geschichte "Schaukelgestühl ganse en bräune" als einer der wenigen Autoren echte sprachliche Experimente wagte.
"Und zwar habe ich vor einem Jahr einen Text geschrieben über die Ukraine auf Deutsch. Und die Sprache, in der die Figuren sprechen, wäre Ukrainisch oder Russisch. Ich habe aber nur Deutsch zur Verfügung, das heißt, ich muss den russischen Klang, die Bedeutung ins Deutsche übertragen. Und das war für mich vielleicht der Beginn einer Suche, was Sprache ist und wie sich Sprachen ineinander transportieren können.
Von politischer Rebellion oder konkretem gesellschaftlichem Veränderungswillen war beim Open Mike 2013 kaum eine Spur zu finden. Die Verletzbarkeit der Wahrnehmung in einer Zeit der Entideologisierung, der Identitäten per Benutzernamen, Logins, Google und Kurznachrichten, und die Suche nach neuen Rollen- und Sinnmodellen standen im Vordergrund. Der Gedichtzyklus "Halb Taube halb Pfau" der 29-jährigen Autorin Maren Kames, die den Lyrik- und Publikumspreis erhielt, spiegelte genau diese Suche wider.
"Findest dich Sonntagsmorgen um acht bei den Haubentauchern an den Gestaden stierst
In die Schlieren säufst die Aussicht bis blindlings stehst knietief im Siel rings schluckst
Wasser vom Rand ab haust schlaff auf die Planken liegst aus da wie Pfandgut
Gestrandet auf deiner halbtauben Haut
Gelandet im halbgaren Licht hier
Genadelt, gerendert dirty
Verplempert im Tau und
Halb Taube halb Pfau
Halt das mal aus so
Ste(h)ts"
Literatur, so kann eine Bilanz des Open Mike lauten, braucht zwar nicht unbedingt große Themen, um zu berühren. Allerdings braucht sie mehr als ein diffuses, desillusioniertes Lamentieren. Und kann wiederum atemberaubend wirken, wenn sie eine neue, sehr eigene Form der verunsicherten Weltwahrnehmung transportiert.
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