Karin Fischer: Wenn die deutsche Gesellschaft älter, weniger und bunter wird, ist Vergreisung der Städte eines der bösen Worte, die dazu fallen können. Aber es gibt eben auch die Hoffnung auf die Entwicklung einer neuen, einer grünen und sozialen Stadt. Walter Siebel ist emeritierter Soziologe der Universität Oldenburg. Er hat sich Zeit seines Lebens mit Stadtsoziologie und der Zukunft des Wohnens beschäftigt. Herr Siebel, was verbinden Sie als Stadtplaner und Soziologe mit dem demografischen Wandel - eher Chancen oder eher große Probleme?
Walter Siebel: Sicherlich beides. Ich würde nicht sagen Riesenprobleme, aber natürlich Probleme. Wenn die Bevölkerung zurückgeht, und wenn sie altert, so bedeutet das für eine Gesellschaft, die sich in 150 Jahren industrieller Urbanisierung dran gewöhnt hat, mit Wachstumsprozessen zu leben und über ökonomisches Wachstum gleichsam alle Probleme lösen zu wollen, natürlich einen Einschnitt, mit dem sie außerordentlich schwer umgehen kann.
Fischer: An welcher Front sind sozusagen die Stadtplaner im Moment in der Hinsicht aktiv?
Siebel: Wir haben uns daran gewöhnt, Stadtentwicklung als einen Wachstumsprozess zu begreifen, und dementsprechend sind die Leitbilder und die Instrumente und übrigens auch das Finanzsystem der Gemeinden auf Wachstum ausgerichtet. Wenn eine Gemeinde einen Einwohner verliert, egal ob Baby oder Berufstätiger oder einen Rentier, so verliert sie im Durchschnitt pro Jahr 1500 Euro an Zuweisungen und Steuern. Das heißt, unter den gegebenen finanziellen Bedingungen gehen den Gemeinden gerade in dem Moment die finanziellen Mittel aus, wo sie die Tatsache einer rückläufigen Bevölkerung für etwas nutzen könnten, was in den letzten 100 Jahren Stadtplanung immer Ziel der Planung war, nämlich ein von weniger Dichte, von weniger Enge beengtes städtisches Leben zu ermöglichen. Alle Leitbilder des Städtebaus zielten auf Entdichung, auf Entflechtung, auf mehr privaten und öffentlichen Raum für die einzelnen Stadtbewohner. Das Eigentümliche ist, dass jetzt, wo auf gleichsam natürliche Weise sich die Chance für die Realisierung solcher Leitbilder jetzt nicht nur am Stadtrand und in Suburbia ergibt, sondern auch in den Innenstädten, man dazu neigt, das als Katastrophe zu bezeichnen.
Fischer: In der Tat haben Sie ein Stichwort genannt, über das jetzt jahrelang gesprochen wurde, nämlich die Zersiedelung der Städte. Dazu gehörte das Einkaufszentrum auf der grünen Wiese, aber eben auch die Einfamilienhauskolonie am Stadtrand, die Stadt franzte irgendwie aus, man brauchte einfach immer mehr Raum. Seit einiger Zeit bemerkt man aber doch das Gegenteil: Gerade junge Familien wollen wieder zurück in die Stadt, weil die Infrastruktur dort besser ist, auch ältere Menschen haben dort eine bessere Versorgung mit Arzt und Apotheker, wie es immer heißt. Welche Tendenzen sehen Sie voraus, wie sieht die Stadt in 50 Jahren aus?
Siebel: Also einer der wesentlichen Gründe für den Auszug von Menschen nach Suburbia ist eine bestimmte Lebensweise, nämlich die Lebensweise in der Zwei-Generationen-Familie. Und es gibt immer mehr Erwachsene, die während ihres ganzen Lebens in diese Form des Lebens gar nicht mehr einsteigen, die ihr Leben lang alleine leben oder kinderlos bleiben. Die Stadt war immer der Ort für Menschen mit nicht familialen Lebensweisen. Suburbia ist ein Ort für die Familie. Alte Menschen verbringen drei Viertel ihrer wachen Zeit in der Wohnung und der näheren Wohnumgebung. Das heißt, allein aufgrund der Alterung der Bevölkerung, also des demografischen Wandels, wird die Relevanz des Wohnquartiers für das Wohlbefinden, für die Lebensqualität außerordentlich zunehmen. Und wir unterteilen diese lange Phase des Alters in drei Phasen: einmal das autonome Alter, dann das unterstützungsbedürftige Alter und zum Schluss das pflegebedürftige Alter. Und das heißt, dass man ein sehr differenziertes, sehr flexibel an diese verschiedenen Stufen des Alters anpassungsfähiges System sozialer Dienstleistungen braucht, damit man den dominanten Wunsch alter Menschen sicherstellen kann, nämlich in der gewohnten Umgebung alt zu werden.
Fischer: Lassen Sie uns, Herr Professor Siebel, kurz noch über die Chancen reden. Ich habe ganz am Anfang die grüne Stadt erwähnt, man könnte auch die Kleinteiligkeit hervorheben, die eventuell wieder in den Städten möglich ist, wenn Suburbia keine Zukunft mehr hat - wie sehen Sie das?
Siebel: Zunächst mal kann man sagen, dass sich jeder Mensch wünscht, alt zu werden, und dass es ein Segen ist, dass wir in unserer Gesellschaft so lange leben können. Und dass der Rückgang der Bevölkerung ein Ziel leichter erreichbar macht, was immer Ziel des Städtebaus in den letzten 100 Jahren gewesen ist, nämlich mehr Platz für Menschen zu haben. Es gibt zwei Inbegriffe von Lebensqualität, das heißt, das ist nämlich Zeit zu haben und Raum zu haben. Das Problem sind die Finanzen. Worüber man zu wenig in der Öffentlichkeit redet, ist, dass die Probleme des demografischen Wandels sich überlagern mit den Problemen der sozialen Spaltung und der Tatsache, dass wir etwa aufgrund der Veränderung der Berufsbiografien, der Zunahme prekärer Beschäftigung, Langzeitarbeitslosigkeit und so weiter wir ein massives Problem von Altersarmut haben werden. Tatsache, dass es immer mehr Menschen geben wird, die im Alter auf Sozialhilfe angewiesen sein werden, weil sie aufgrund ihrer Arbeitsbiografie nicht genügend Rentenansprüche haben ansammeln können.
Walter Siebel: Sicherlich beides. Ich würde nicht sagen Riesenprobleme, aber natürlich Probleme. Wenn die Bevölkerung zurückgeht, und wenn sie altert, so bedeutet das für eine Gesellschaft, die sich in 150 Jahren industrieller Urbanisierung dran gewöhnt hat, mit Wachstumsprozessen zu leben und über ökonomisches Wachstum gleichsam alle Probleme lösen zu wollen, natürlich einen Einschnitt, mit dem sie außerordentlich schwer umgehen kann.
Fischer: An welcher Front sind sozusagen die Stadtplaner im Moment in der Hinsicht aktiv?
Siebel: Wir haben uns daran gewöhnt, Stadtentwicklung als einen Wachstumsprozess zu begreifen, und dementsprechend sind die Leitbilder und die Instrumente und übrigens auch das Finanzsystem der Gemeinden auf Wachstum ausgerichtet. Wenn eine Gemeinde einen Einwohner verliert, egal ob Baby oder Berufstätiger oder einen Rentier, so verliert sie im Durchschnitt pro Jahr 1500 Euro an Zuweisungen und Steuern. Das heißt, unter den gegebenen finanziellen Bedingungen gehen den Gemeinden gerade in dem Moment die finanziellen Mittel aus, wo sie die Tatsache einer rückläufigen Bevölkerung für etwas nutzen könnten, was in den letzten 100 Jahren Stadtplanung immer Ziel der Planung war, nämlich ein von weniger Dichte, von weniger Enge beengtes städtisches Leben zu ermöglichen. Alle Leitbilder des Städtebaus zielten auf Entdichung, auf Entflechtung, auf mehr privaten und öffentlichen Raum für die einzelnen Stadtbewohner. Das Eigentümliche ist, dass jetzt, wo auf gleichsam natürliche Weise sich die Chance für die Realisierung solcher Leitbilder jetzt nicht nur am Stadtrand und in Suburbia ergibt, sondern auch in den Innenstädten, man dazu neigt, das als Katastrophe zu bezeichnen.
Fischer: In der Tat haben Sie ein Stichwort genannt, über das jetzt jahrelang gesprochen wurde, nämlich die Zersiedelung der Städte. Dazu gehörte das Einkaufszentrum auf der grünen Wiese, aber eben auch die Einfamilienhauskolonie am Stadtrand, die Stadt franzte irgendwie aus, man brauchte einfach immer mehr Raum. Seit einiger Zeit bemerkt man aber doch das Gegenteil: Gerade junge Familien wollen wieder zurück in die Stadt, weil die Infrastruktur dort besser ist, auch ältere Menschen haben dort eine bessere Versorgung mit Arzt und Apotheker, wie es immer heißt. Welche Tendenzen sehen Sie voraus, wie sieht die Stadt in 50 Jahren aus?
Siebel: Also einer der wesentlichen Gründe für den Auszug von Menschen nach Suburbia ist eine bestimmte Lebensweise, nämlich die Lebensweise in der Zwei-Generationen-Familie. Und es gibt immer mehr Erwachsene, die während ihres ganzen Lebens in diese Form des Lebens gar nicht mehr einsteigen, die ihr Leben lang alleine leben oder kinderlos bleiben. Die Stadt war immer der Ort für Menschen mit nicht familialen Lebensweisen. Suburbia ist ein Ort für die Familie. Alte Menschen verbringen drei Viertel ihrer wachen Zeit in der Wohnung und der näheren Wohnumgebung. Das heißt, allein aufgrund der Alterung der Bevölkerung, also des demografischen Wandels, wird die Relevanz des Wohnquartiers für das Wohlbefinden, für die Lebensqualität außerordentlich zunehmen. Und wir unterteilen diese lange Phase des Alters in drei Phasen: einmal das autonome Alter, dann das unterstützungsbedürftige Alter und zum Schluss das pflegebedürftige Alter. Und das heißt, dass man ein sehr differenziertes, sehr flexibel an diese verschiedenen Stufen des Alters anpassungsfähiges System sozialer Dienstleistungen braucht, damit man den dominanten Wunsch alter Menschen sicherstellen kann, nämlich in der gewohnten Umgebung alt zu werden.
Fischer: Lassen Sie uns, Herr Professor Siebel, kurz noch über die Chancen reden. Ich habe ganz am Anfang die grüne Stadt erwähnt, man könnte auch die Kleinteiligkeit hervorheben, die eventuell wieder in den Städten möglich ist, wenn Suburbia keine Zukunft mehr hat - wie sehen Sie das?
Siebel: Zunächst mal kann man sagen, dass sich jeder Mensch wünscht, alt zu werden, und dass es ein Segen ist, dass wir in unserer Gesellschaft so lange leben können. Und dass der Rückgang der Bevölkerung ein Ziel leichter erreichbar macht, was immer Ziel des Städtebaus in den letzten 100 Jahren gewesen ist, nämlich mehr Platz für Menschen zu haben. Es gibt zwei Inbegriffe von Lebensqualität, das heißt, das ist nämlich Zeit zu haben und Raum zu haben. Das Problem sind die Finanzen. Worüber man zu wenig in der Öffentlichkeit redet, ist, dass die Probleme des demografischen Wandels sich überlagern mit den Problemen der sozialen Spaltung und der Tatsache, dass wir etwa aufgrund der Veränderung der Berufsbiografien, der Zunahme prekärer Beschäftigung, Langzeitarbeitslosigkeit und so weiter wir ein massives Problem von Altersarmut haben werden. Tatsache, dass es immer mehr Menschen geben wird, die im Alter auf Sozialhilfe angewiesen sein werden, weil sie aufgrund ihrer Arbeitsbiografie nicht genügend Rentenansprüche haben ansammeln können.