Der Pädagoge Manfred Folkers kauft sich selten neue Kleidung und die, die er besitzt, wäscht er mit der Hand. Er verzichtet auf eine Waschmaschine. Auch ein Smartphone besitzt er nicht, genauso wie der Ökonom Niko Paech, der vielen Dingen eine Absage erteilt hat - seine Stereoanlage und zwei Computer seien uralt, sein Fahrrad fährt er seit 21 Jahren.
"Ich bin einfach stur und konservativ und streng erzogen worden im Hinblick auf den Umgang mit Dingen und auch im Hinblick auf die Achtsamkeit, die Mann oder Frau den Dingen entgegenbringt. Denn wer den Planeten retten will, muss die Dinge retten vor frühem Verschleiß oder zu frühem Ersatz."
Für Paech ist das kein Verzicht, sondern die Befreiung von Überfluss. Er und Manfred Folkers nähern sich dieser Idee aus ökonomischer und aus buddhistischer Perspektive - und kommen zum gleichen Ergebnis – eine Kultur des Genug sei erstrebenswert. Es brauche eine suffiziente Gegenkultur. Beispiele gibt es längst: Tinyhäuser, Ökodörfer, solidarische Landwirtschaft. Noch fristeten solche Projekte ein Nischendasein, sie seien aber ein "Blick in die Nachwendezeit". In der dann gelten würde: "All you need is less".
Die Gierwirtschaft wieder abbauen
Der Buchtitel ist angelehnt an einen bekannten Beatlessong. Bei diesem sei es in erster Linie um den guten Umgang miteinander gegangen, nicht aber um die materielle Seite des Lebens, die Folkers und Paech in den Blick nehmen. Im Mittelpunkt der beiden Essays, ergänzt um ein Gespräch der Autoren, steht die Frage: Wie viel darf sich jeder und jede nehmen, ohne ungerecht zu leben? Die Antworten darauf sind klar, manchmal überspitzt, aber nie von oben herab,
"Denn mittlerweile ist der Mensch in vielfacher Hinsicht über das Ziel hinausgeschossen. Hat Maß und Mitte aus dem Blick verloren – und das, obwohl es der Menschheit auf umfassende Weise bekannt ist, wie das Leben auf der Erde funktioniert und was dieses Funktionieren gefährdet."
Das Dilemma sei nicht durch Naturgesetze entstanden, sondern durch den Umgang mit ihnen.
"Menschen waren fähig, das System der Gierwirtschaft aufzubauen. Deshalb sind sie – und nur sie – in der Lage, es auch wieder abzuschaffen."
Keine Verbote, sondern Selbstbeschränkung
Folkers und Paech setzen auf die Überzeugung des Einzelnen – und nicht auf Zwang durch politische Vorgaben. Das machen sie mehrfach deutlich – die Wirtschaftswissenschaft soll einen Plan B entwickeln – wer hier einen Vorschlag erhofft hat, wird enttäuscht. Und auch stellt sich beim Lesen immer wieder die Frage: Kann und muss die Politik nicht bestimmte Rahmen setzen, Ideen verbreiten, Vorgaben machen? Die Autoren verneinen. Manfred Folkers:
"Natürlich könnte man das chinesisch machen, von oben bestimmen, aber das ist nicht der demokratische Weg, das ist Sache der Überzeugung, die kann ich niemandem aufdrücken, sollte jeder selber entwickeln, mir hat die Buddha-Lehre geholfen."
Die Abhandlungen zur Lehre Buddhas sind sehr einfach gehalten – als erste Annäherung ausreichend – auch für all jene, die mit dieser Lehre gar nichts anfangen können. Im Mittelpunkt – ein zufriedeneres Ich – und das werde auch durch Suffizienz erreicht, ist sich Niko Paech sicher. Immer wieder betont er, dass es dabei nicht um Verzicht gehe, denn:
"Wie kann jemand auf etwas verzichten, was ihm nie zugestanden hat, weil es auf irreversibler Plünderung von Ressourcen beruht? Somit lässt sich Suffizienz auch als Rückgabe einer dreist angeeigneten Beute begreifen."
Er erläutert einleuchtend, warum es nicht reicht, nur auf ein Elektroauto zu setzen oder energieeffizient zu bauen – also ein Produkt durch ein nachhaltigeres zu ersetzen oder effizienter zu werden. Bei beidem handle es sich,
"nicht um Reduktion, Entsagung oder Selbstbegrenzung, sondern lediglich um eine Verlagerung der Nachfrage zu nachhaltigen Substituten. […] Beide Konzepte minimieren jegliche individuelle Verantwortung, indem die Zuständigkeit für Nachhaltigkeitsmaßnahmen zuvorderst an die technologische, ökonomische oder politische Entwicklung delegiert wird. Konsumenten wird lediglich abverlangt, die eigene Nachfrage auf andere (aber nicht weniger) Güter zu lenken."
Gelebter Idealismus trifft auf Wachstumslehre
Nur mit Reduktion ließen sich ökologische Grenzen einhalten – dafür brauche es eine Obergrenze für den materiellen Wohlstand. Hier zieht Niko Paech das Zwei-Grad-Ziel heran. Um dieses zu erreichen, dürfte jeder Mensch eine Tonne CO2-Äquivalente pro Jahr verbrauchen.
"Es geht schon darum, dass diejenigen, die am weitesten über ihre Verhältnisse leben, die höchste Reduktionslast haben."
Wichtig für Paech: Es handle sich nicht um eine Sollensethik, sondern um eine Strebensethik. Doch können ein paar wenige einen großen Wandel erreichen? Paech und Folkers sind Suffizienzpioniere, Role Models – und glauben daran, dass es irgendwann eine kritische Masse geben könnte:
"Ich bin der Überzeugung, dass mit jeder weiteren Krise der Anteil der Menschen einer modernen Gesellschaft zunimmt, die das Vertrauen in die Durchhaltbarkeit des Steigerungswahns verlieren und wenn die Politik sieht, dass auch wenn es nur eine Minderheit ist, doch eine starke Minderheit ist, die solche Lebenspraktiken umsetzt, dann kann sie den Mut haben, die Politik umzugestalten."
Doch die politische Reaktion auf die Corona-Krise zeigt: Noch geht es vor allem um Wachstum. Die meist zitierten Ökonominnen und Ökonomen predigen genau das. Die gesenkte Mehrwertsteuer soll den Konsum ankurbeln - wobei Niko Paech auch innerhalb der Wirtschaftswissenschaften ein Interesse an einem Plan B erkennt. Dennoch: Ein Umdenken in großem Stil – kaum sichtbar. Und deswegen halten die Autoren auch das für möglich: Es braucht erst die Katastrophe für einen Wandel.
Wie sie sich abwenden ließe - "All you need is less" skizziert einen Ausweg, der zwar manchmal utopisch wirkt – doch die Autoren zeigen längst, dass es geht.
Niko Paech, Manfred Folkers: "All you need is less. Eine Kultur des Genug aus ökonomischer und buddhistischer Sicht",
Oekom Verlag, 254 Seiten, 20 Euro.
Oekom Verlag, 254 Seiten, 20 Euro.