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Weniger ist mehr

Medizin. - Stammzellen gelten als vielversprechende Werkzeuge für Forschung und spätere Anwendung. Inzwischen lassen sie sich auch ohne ethische Regelverletzung herstellen, doch bereiten sie Medizinern immer noch wegen ihrer Teilungsfreudigkeit Kopfschmerzen, denn die kann in Tumoren enden. Zwei Arbeitsgruppen aus Nordrhein-Westfalen haben jetzt Wege gefunden, die Vermehrung der Stammzellen zu drosseln. Der Wissenschaftsjournalist Michael Lange berichtet im Gespräch mit Jochen Steiner.

Michael Lange im Gespräch mit Jochen Steiner | 23.03.2012
    Steiner: Herr Lange, es gab ja schon vorher Verfahren, um Zellen zu reprogrammieren. Was ist denn neu an den vorgestellten Erkenntnisse?

    Lange: Neu ist in der Tat, dass einige Zellen gezielt in einen anderen Zelltyp verwandelt werden können, und nicht wie bisher - bisher was war es möglich, die Hautzellen einer Maus zu entnehmen und daraus eine Nervenzelle zu machen. Jetzt kann man aber auch bestimmte Gehirnzellen daraus machen. Und zwar Gehirnstammzellen, das heißt also Gehirnzellen, die sich weiterentwickeln können, die sich vermehren lassen. Die konnte man auch schon herstellen, aber das war bisher nur auf Umwegen möglich, indem man zunächst einmal richtige Stammzellen, Alleskönnerstammzellen, so genannte pluripotente Stammzellen machte, und die dann wieder weiter entwickelte zu Gehirnstammzellen. Also sozusagen: Man hat einen Umweg abgekürzt. Man kommt hier auf dem direkten Weg zu den multipotenten Gehirnstammzellen.

    Steiner: Was ist der nächste Unterschied zwischen den pluripotenten und den multipotenten Stammzellen?

    Lange: Also pluripotente Stammzellen können in alle Zelltypen sich weiterentwickeln, wie Sie eben gesagt haben, zum Beispiel Leberzellen, Nervenzellen, Hautzellen. Die können wirklich alles. Sie werden auch umgangssprachlich als Alleskönnerzellen bezeichnet. Die multipotenten, die können zwar viel, multi, aber die können nicht alles. Die Möglichkeiten sind beschränkt, zum Beispiel diese Gehirnstammzellen sind solche multipotenten Zellen. Die können zu verschiedenen Zellen im Gehirn heranreifen, zu Nervenzellen oder auch zu den so genannten Gliazellen, oder bei den Blutzellen zu verschiedenen Typen von Blutzellen. Aber die Möglichkeiten sind beschränkt

    Steiner: In welchen Bereichen der Medizin könnten denn diese multipotenten Stammzellen zum Einsatz kommen?

    Lange: Sie können eigentlich bei vielen Krankheiten eingesetzt werden. Ganz einfach deshalb, weil sie sich an dem Ort, an dem sie eingesetzt werden, zum Beispiel das Gehirn, an verschiedene Situation anpassen können. Zum Beispiel könnten Sie bei Parkinson die Zellen ersetzen, die nicht mehr genügend Botenstoff Dopamin bilden, bei Alzheimer können sie ganz andere Zellen ersetzen oder bei der Multiplen Sklerose. Das heißt diese Zellen sind vielseitig einsetzbar. Sie sind aber nicht so aktiv, dass da eine Tumorgefahr entsteht, weil sie sich nicht mehr so schnell teilen. Sie teilen sich zwar im Labor, man kann sie vermehren, aber die Tumorgefahr ist deutlich reduziert und deshalb lassen sich bei vielen Krankheiten einsetzen.

    Steiner: Zwei Arbeitsgruppen waren ja aktiv bei der Forschung, in Münster und in Bonn. Haben die denn gleichzeitig denselben Weg gefunden?

    Lange: Nein, das waren völlig unterschiedliche Ansätze. Das Ziel, das ist tatsächlich das gleiche und auch das gleiche haben sie im Grunde genommen erreicht. Das Team um Hans Schoeler vom Max-Planck-Institut für molekular Biomedizin in Münster hat einen neuen Botenstoff entdeckt, Brn4, Und die Bonner Arbeitsgruppe von der Universität Bonn hat einen Faktor verwendet, den man schon kannte, das ist ein Faktor, der die Hautzellen gezielt in Richtung Gehirnstammzellen lenkt. Das ist das Oct4, das setzt man auch ein, um diese pluripotenten Stammzellen zu erzeugen. Aber man hat sozusagen die Entwicklung zurück zur Pluripotenz mittendrin abgebremst und hat gesagt: Ihr werdet nicht mehr ganz so jung, sozusagen, so vielseitig. Wir starten diese Entwicklung und stoppen sie dann verfrüht. Und das Ergebnis war dann tatsächlich das gleiche. Und so hat man jetzt zwei Wege zur Verfügung. Im Moment lässt sich noch nicht abschätzen, welche für die Praxis der bessere ist. Aber beide bezeichnen neue Wege für die Stammzellzüchtung.

    Steiner: Apropos Praxis. Wann könnte es denn soweit sein, dass die Stammzellen für Patienten zur Verfügung stehen?

    Lange: Da müssen noch einige wichtige Probleme gelöst werden. Zum Beispiel wird das zur Zeit mit Genen gemacht, das heißt, diese Faktoren werden als Gene eingebracht und in den Zellen selbst produziert. Das heißt, da ist Gentechnik im Spiel, das will man in der Medizin nicht. Das heißt, diese Faktoren müssen durch Proteine ersetzt werden. Ja, und dann sind die üblichen Sicherheitsfragen zu klären, die in der Medizin auch immer sehr lange dauern. Also bis zur Anwendung ist noch weit, sicherlich mindestens zehn Jahre.