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Weniger Nebenwirkungen - Neue Wirkstoffe

Die Behandlung von Aids-Patienten hat sich in den vergangenen Jahren dank neuer Wirkstoffe entscheidend verbessert. Die Lebenserwartung trotz HIV-Infektion ist gestiegen, und die Medikamente sind verträglicher geworden. Forscher hoffen auf zwei Stoffe, mit denen auch resistente Viren bekämpft werden könnten.

Von Martin Winkelheide | 13.08.2006
    "Wir haben fantastische Fortschritte erzielt bei der Behandlung unserer Patienten. Immer neue Wirkstoffe kommen auf den Markt. Das ist wirklich ermutigend. In Europa, Kanada und den USA überleben Patienten sehr lange – trotz einer HIV-Infektion. Die Infektion ist nicht mehr automatisch ein Todesurteil, sie ist zu einer chronischen behandelbaren Krankheit geworden, "

    so Mark Wainberg von der McGill University Toronto in Kanada. Die Kombinationstherapie ist einfacher geworden. Im Idealfall müssen Patienten nur noch zwei oder drei Tabletten täglich einnehmen – statt zwanzig Tabletten wie noch vor zehn Jahren. Mit unangenehmen Nebenwirkungen müssen sie aber weiterhin rechnen. Diese reichen von Durchfällen, allergischen Hautreaktionen bis hin zu Gefühlsstörungen. Neuere Medikamente beeinträchtigen zumindest den Fettstoffwechsel weit weniger als viele klassische Aids-Medikamente.

    "Wer heute mit einer Therapie beginnt, bekommt kein Medikament mehr, das den Fettstoffwechsel stört. Die "Lipodystrophy" ist ein Problem von Patienten, die ältere Medikamente einnehmen. Vielleicht kommen sie aber mit denen trotzdem gut zurecht, weil es ihnen ansonsten gut geht. Vielleicht wollen sie ihre Behandlung nicht umstellen. Sie sollten aber mit ihrem Arzt darüber sprechen, ob sie bei ihren Medikamenten bleiben – oder doch zu neueren Präparaten wechseln."

    Viele Infizierte schlucken schon seit Jahren Medikamente gegen HIV. Ein Problem: Werden sie nicht regelmäßig genommen – aus Vergesslichkeit oder wegen der Nebenwirkungen - dann steigt das Risiko, dass die Viren resistent werden. Oft sind die Viren auch schon zu Beginn der Therapie resistent gegen einen oder mehrere Aids-Wirkstoffe. Deshalb entwickeln Pharmafirmen Wirkstoffe, die auf neuartige Weise das Aids-Virus daran hindern, sich zu vermehren. Die Wirkstoffe blockieren jeweils einen speziellen Schritt im Lebenszyklus des Virus. Bereits zugelassen ist der so genannte Fusionshemmer T20.

    Fusionshemmer sind kleine Moleküle, die sich an die Virushülle heften. Sie sollen so verhindern, dass das Virus an Zellen des Immunsystems andocken kann. Die Idee: kommt das Virus nicht in die Zelle hinein - kann es sich dort gar nicht erst vermehren. Der Nachteil: Fusionshemmer sind sehr teuer, weil ihre Herstellung aufwändig ist. Stephano Vella von den italienischen Gesundheitsinstituten in Rom.

    "Die Medikamente wirken sehr gut. Aber sie können nicht einfach als Tablette geschluckt werden. Der Wirkstoff muss unter die Haut gespritzt werden. Deshalb reservieren wir die Fusionshemmer für Patienten, denen kaum eine Alternative bleibt. "

    Ähnlich wie die Fusionshemmer sollen die so genannten Co-Rezeptor-Blocker Immunzellen davor schützen, dass HIV in sie eindringt. Die Moleküle heften sich nicht an das Virus, sondern an die Zellen, die sie schützen sollen. Sie versperren - bildlich gesprochen - die Tür in die Zelle.

    "Das Aids-Virus ist clever. Sie versperren eine Tür in die Zelle hinein. Aber wer sagt Ihnen, dass das Virus nicht eine andere Tür benutzt? Das wissen wir gar nicht. Das müssen wir noch testen. "

    Tests an Tieren liefen viel versprechend - die ersten Studien an Menschen waren eher ernüchternd. John Mellors von der Universität Pittsburgh.

    " Es hat Rückschläge gegeben. Ich bin nach wie vor von dem Wirkprinzip überzeugt. Aber bei einigen Substanzen ist noch unklar, wie hoch sie dosiert werden müssen. Und ein Wirkstoff wird definitiv nicht weiter entwickelt - er ist zu giftig. Ich glaube aber nicht, dass das ein generelles Problem dieser Wirkstoffklasse sein wird. "

    Von Rückschlägen geprägt war auch die Entwicklung der so genannten Integrase-Hemmer. Das Aids-Virus kann sich nur vermehren, wenn es ihm gelingt, seine Erbinformation in das Erbgut der Zelle einzubauen. Zuständig für diesen Einbau ist ein kompliziertes Enzym: die "Integrase". Zehn Jahre lang haben Forscher an Molekülen gearbeitet, die das Enzym ausreichend stark hemmen und gleichzeitig gut verträglich sind. Dann gelang der Durchbruch. Zwei aussichtsreiche Stoffe werden zur Zeit auf ihre Wirksamkeit getestet. Sie könnten - vorausgesetzt, alles läuft reibungslos - schon 2007 auf den Markt kommen. Robin Isaacs vom US-amerikanischen Pharmakonzern Merck.

    "Unserer Ansicht nach sollten die neuen Integrase-Hemmer zunächst Patienten vorbehalten bleibe, deren Viren resistent sind gegen einen oder mehrere andere Wirkstoffe. Diese Menschen sollten nach Möglichkeit zuerst von dieser neuen wirksamen Therapie profitieren. Nach ein paar Jahren könnten dann auch Patienten mit Integrase-Hemmern behandelt werden, die mit ihrer Therapie beginnen. "

    Auch mit den Medikamenten, die Aids-Forscher heute entwickeln und testen, wird eine HIV-Infektion nicht heilbar sein. Aber die Auswahl wird größer. Mediziner können künftig zwischen 20 oder mehr Wirkstoffen wählen, um eine wirksame Kombination für ihre Patienten zusammenzustellen. Stephano Vella von den italienischen Gesundheitsinstituten in Rom sieht neue Möglichkeiten – und neue Herausforderungen.

    "Wir werden zwischen vielen Substanzklassen wählen können. Deshalb müssen wir jetzt unbedingt strategische Studien machen. Die Revolution in der HIV-Therapie, 1996, war nicht, dass wir neue Medikamente hatten. Sondern, dass wir wussten, wie wir sie einsetzen müssen. Das war das Entscheidende. Vielleicht haben wir bald 20 Medikamente oder mehr. Aber wir müssen wissen, wie wir sie am besten nutzen. Sonst könnten unsere neuen Waffen schnell stumpf sein. "