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"Wenn alles rund laufen würde, bräuchten wir keine Integrationspolitik"

In den 50 Jahren seit dem Anwerbeabkommen mit der Türkei wurde nicht alles richtig gemacht, sagt Armin Laschet (CDU). Als Beispiel nannte er mangelnde Sprachkenntnisse türkischer Kinder. Diese Defizite müssten nun "mit großen Kraftanstrengungen" beseitigt werden - "da sind beide Seiten gefordert".

Armin Laschet im Gespräch mit Christian Bremkamp |
    Christian Bremkamp: Vor 50 Jahren schlossen Deutschland und die Türkei ein Anwerbeabkommen. Hunderttausende Gastarbeiter kamen nach Deutschland und holten später auch ihre Familien nach. Heute bilden die Türken die größte Gruppe der hier lebenden Ausländer. Schon seit Wochen gibt es Feierlichkeiten zu diesem Jubiläum, Höhepunkt heute ein Festakt in Berlin. Am Telefon begrüße ich jetzt den früheren Integrationsminister von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet. Er ist heute stellvertretender Fraktionschef der CDU im Düsseldorfer Landtag. Guten Tag, Herr Laschet.

    Armin Laschet: Guten Tag, Herr Bremkamp.

    Bremkamp: Zunächst mal die Frage: Sind Sie auch Fan von Mesut Özil?

    Laschet: Ja, bin ich und er ist ein typisches Beispiel eigentlich dafür, der Generation, die jetzt in Deutschland angekommen ist. All die vor ihm, die Sahins und Altintops, in Deutschland geboren, haben wie selbstverständlich für die türkische Nationalmannschaft gespielt, und Mesut Özil hat gesagt, nein, ich bin hier geboren, das ist mein Land, und er ist ein Vorbild für viele junge Leute, die heute groß werden und die sehen, wenn du dich anstrengst, kannst du in Deutschland sogar in die Nationalmannschaft gehen. Also man soll das auch psychologisch für junge Leute gar nicht unterschätzen, was Mesut Özil da macht, und dass er Tore schießt, ist umso besser.

    Bremkamp: Da fragt man sich doch, wenn Sie gerade vom Vorbild Özil sprechen und sagen, es hat sich ja einiges getan, warum dann Erdogan diesen kritischen Seitenhieb gerade heute gewagt hat.

    Laschet: Welchen kritischen Seitenhieb meinen Sie?

    Bremkamp: Erdogan hat ja gesagt, es läuft nicht alles rund in der Integrationspolitik in Deutschland, da muss mehr getan werden. Das war schon eine ziemliche Breitseite gegen die Regierung.

    Laschet: Ich würde das nicht so sagen. Natürlich läuft nicht alles rund, denn wenn alles rund laufen würde, bräuchten wir keine Integrationspolitik, bräuchten wir keinen nationalen Integrationsplan und würde auch Herr Sarrazin mit seinen Büchern nicht so viel Erfolg haben. Also es gibt noch Defizite. Wir haben in diesen 50 Jahren seit dem Anwerbeabkommen auch sehr viel verschlafen, übrigens auf beiden Seiten, und dass wir das jetzt mit großen Kraftanstrengungen aufholen, mit Sprachförderung schon in den Kindergärten, mit Ganztagsangeboten, damit Kinder unabhängig von den Eltern auch einen sozialen Aufstieg schaffen können, da ist noch viel zu tun. Und wenn man das beschreibt, würde ich das mal nicht als Seitenhieb bezeichnen, und auch die Türkei musste lernen, dass sie die Menschen nicht quasi als Vertreter des eigenen Landes im Ausland ansehen, sondern dass sie sagen, die sind heute deutsche Staatsbürger, und Herr Erdogan sagt ja auch inzwischen, es ist wichtig, dass jeder Deutsch spricht, wenn er hier eine Chance haben will.

    Bremkamp: Aber wie erklären Sie sich das, dass Herr Erdogan das in einem Zeitungsinterview gerade an dem heutigen Tag noch mal verbreiten lässt? Freundlich war das ja nicht.

    Laschet: Ja, aber es war ehrlich und ich meine, er ist so. Die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft ist ja nun auch eine in Deutschland umstrittene. Das, was er zur Sprache sagt, das wirkt manchmal bizarr, als wenn Politiker Eltern vorgeben könnten, was die Sprache ist. Also die Sprache, die die Eltern sprechen, vermitteln sie den Kindern auch, und danach ist es wichtig, dass man auch Deutsch spricht. Und wenn die Eltern zu Hause Deutsch sprechen, dann ist das gut. Wenn sie aber schlechtes Deutsch sprechen? Mir hat beispielsweise Cem Özdemir mal erzählt, sein Vater ...

    Bremkamp: Der Chef der Grünen!

    Laschet: Ja, der Chef der Grünen. Der hat mir erzählt, sein Vater spricht kein gutes Deutsch. Und es ist gut, dass sein Vater, sagt er, nicht mit ihm Deutsch gesprochen hat, denn dann hätte er ja schlechtes Deutsch gelernt. Also hat sich der Vater bemüht, dass das Kind früh in den Kindergarten kam, in der Schule gut Deutsch lernt, und nun spricht Cem Özdemir sein Deutsch mit schwäbischer Prägung und er spricht gutes Türkisch. Und ich glaube, das gilt für ganz viele Kinder. Also das ist nun nichts für Politiker, dass sie nun den Eltern vorschreiben, was sie sprechen sollen. Politiker müssen darauf dringen, dass jeder Deutsch spricht, wenn er in die Schule kommt, wenn er im Kindergarten ist, und deshalb ist das eine etwas bizarre Diskussion, die Erdogan da angestoßen hat.

    Bremkamp: Aber Probleme gibt es, die kann man nicht wegdiskutieren, es läuft nicht alles glatt. Welche Seite muss denn mehr tun? Integration ist ja keine Einbahnstraße.

    Laschet: Ja, da sind beide Seiten gefordert. Eltern muss man abverlangen, dass sie sich um die Bildungschancen ihrer Kinder kümmern, dass sie sorgen, dass die Kinder früh in den Kindergarten gehen, mit anderen Kindern zusammen kommen, und dass sie dann auch ihrer Schulpflicht nachkommen. Die Berichte, dass es da auch schon mal Störungen gibt, dass bei bestimmten Klassenfahrten oder Ähnlichem die Kinder nicht mitfahren dürfen, das ist nicht akzeptabel. Und andererseits müssen wir in unserem eigenen Interesse als deutscher Staat dafür sorgen, dass jeder jede Chance hat, denn wir sind eine älter werdende Gesellschaft. Wir haben immer weniger Kinder und in den großen Städten in Deutschland haben schon 50 Prozent der Kinder im Kindergarten eine Zuwanderungsgeschichte. Die müssen in 20 Jahren unser Land tragen, wenn meine Generation, die in den 60er-Jahren geborenen, in den Ruhestand geht. Deshalb ist Integration auch in unserem Interesse und da müssen beide Seiten dran mitarbeiten.

    Bremkamp: Herr Laschet, als Gastarbeiter gekommen, nun leben viele Menschen mit türkischen Wurzeln seit Jahrzehnten mit und unter uns. Sie haben eben vom Staat, vom deutschen Staat gesprochen. Was sollten denn wir ganz normale Otto Normalbürger im täglichen Miteinander tun, damit das Zusammenleben besser funktioniert?

    Laschet: Mein Eindruck ist, dass die Menschen untereinander schon viel weiter sind, als es die Politik war. Wir haben beispielsweise in den Betrieben schon in den 70er-Jahren erlebt, dass Solidarität am Arbeitsplatz, egal welcher Herkunft man war, von den Gewerkschaften sehr in den Mittelpunkt gestellt wurde. Die Kirchen haben großen Erfolg durch ihre Wohlfahrtsverbände an gelungener Integrationspolitik. Und wichtig wäre es, dass man sich begegnet, dass man auch dem anderen zuhört und dann auch merkt, dass Zuwanderung eine Bereicherung sein kann, weil sich der Blick erweitert. Mein Eindruck ist, dass das viele Unternehmen inzwischen merken. Wenn sie einen Mitarbeiter haben, der Deutsch spricht und Türkisch spricht und vielleicht noch Englisch gelernt hat, dann ist das gerade in einer globalisierten Welt ein Vorteil. Und das bedeutet natürlich auch: Abschottungen, Parallelgesellschaften, die schaden genau diesem Interesse und da muss man alles tun, das abzubauen.

    Bremkamp: Müssten vielleicht auch die beiden Länder, Deutschland und die Türkei, enger zusammenrücken. Ich kenne das aus meinem Familien- oder besser gesagt Freundeskreis, da sind türkischstämmige Freunde drunter. Die sagen, wenn wir in die Türkei fahren, dann sind wir immer noch diese deutschen Türken, wir sind nicht richtig da Türken und hier nicht richtig Deutsche. Könnte man da noch irgendwas intensivieren? Sie waren ja gerade in der Türkei.

    Laschet: Ja! Ich glaube, wenn sie heute in die Türkei kommen, merken sie, dass das ein boomendes Land ist. Die haben ein Wirtschaftswachstum von acht bis neun Prozent, große Märkte vor sich. Viele hier geborene Türkeistämmige gehen im Moment zurück in das Land ihrer Großeltern. Das ist für Deutschland übrigens ein Problem, dass die gut Qualifizierten zurückgehen. Um die müssen wir werben. Und wenn man das zusammen machen kann, wenn man beispielsweise in den neu entwickelnden Demokratien in Nordafrika als Deutsche und Türken zusammen auftritt, Türkei mit ihrer besonderen Affinität zur Region, Deutsche mit ihren Kenntnissen, dann kann das auch der deutschen Wirtschaft sehr nützen. Und je enger die Wirtschaft der beiden Länder miteinander verkoppelt ist, umso besser für beide. Ich glaube, da sind noch eine Menge Perspektiven da. Und die vielen Millionen Menschen, die inzwischen hier Teil unseres Landes sind, sind die idealen Brückenbauer, das voranzubringen.

    Bremkamp: Der frühere NRW-Integrationsminister Armin Laschet war das. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Laschet: Bitte schön.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.