Lesja, 18 Jahre alt, kann nur in Andeutungen von dem erzählen, was sie erlebt hat. Von einem Albtraum, der für sie Wirklichkeit geworden ist. Vier Monate lang war das hübsche Mädchen aus der Ukraine eine lebende Ware – eine Zwangsprostituierte in einem Duisburger Bordell. Skrupellose Menschenhändler hatten das Mädchen nach Deutschland gelockt. Angeblich sollte sie in einer Lagerhalle Obst sortieren und dabei mindestens 150 Dollar im Monat verdienen – bei freier Verpflegung und Unterkunft. Tatsächlich wurde sie, kaum hinter der deutschen Grenze, an einen Zuhälter verkauft. Täglich musste sie mindestens einen Freier bedienen. Geld bekam sie dafür nicht. Lesjas Schicksal teilen jährlich Abertausende von jungen Frauen aus Osteuropa. Die Europäische Kommission geht von 120.000 Frauen und Kindern aus, die pro Jahr von Ost- nach Westeuropa verkauft werden. Die Internationale Organisation für Migration beziffert die Opfer sogar auf eine Million Personen jährlich. Seit der Wende hat nach offiziellen Angaben alleine eine halbe Million Ukrainerinnen das Land verlassen – und viele von ihnen dürften im Ausland sexuell ausgebeutet worden sein.
Der Plakat-Text, den Natalija Asarowa vorliest, ist deutlich: "Arbeit im Ausland angeboten", steht da. "Berufserfahrung keine Voraussetzung. - (Aber:)Du bezahlst mit deiner Würde, deiner Gesundheit und deiner Freiheit." Die Zeichnung auf dem Plakat zeigt ein junges Mädchen, das in einem Käfig sitzt. Natalia Asarowa zeichnet für diese Warnung verantwortlich. Sie hat vor drei Jahren des Zentrum "Frau hilft Frau" gegründet, in Shytómir, einer Kleinstadt im Westen der Ukraine.
Lesja, das Mädchen, das in Duisburg gefangen gehalten wurde, kommt aus einem Dorf in der Nähe von Schitómir. Das Zentrum "Frau hilft Frau" besucht sie regelmäßig. Lesja kann bestätigen, dass die Mahnung auf dem Plakat nicht übertrieben ist.
Auf unsere Tränen nahm dort niemand Rücksicht. Es kam vor, dass wir uns weigerten, zur Arbeit zu gehen, oder uns anders schminken wollten als gewünscht. Sogar dafür bekamen wir Prügel. Dann mussten wir uns sowieso viermal umschminken, weil die Tränen alles verwischten.
Damit sind die Schläge gemeint, die Lesja von den Zuhältern einstecken musste. Nicht viel besser erging es ihr mit den Freiern.
Auch die behandelten uns nicht wie Menschen. Da waren solche dabei, die einen richtig durch die Mühle drehten. Hinterher kannst du nicht mehr laufen, dann kriechst du nach Hause. Und manche nahmen uns nur, um uns zu verhöhnen und zu demütigen. Die ließen einfach ihre Wut an uns aus.
Lesjas Peiniger achteten darauf, dass bei ihr zu Hause niemand Verdacht schöpfte. Wenn sie in der Ukraine anrief, standen sie neben dem Telefon und diktierten ihr die Sätze.
Im Frauenzentrum von Shytómir bekommen die Mädchen eine zweite Chance. Sie könne sich auf einen neuen Beruf vorbereiten, Computerkurse belegen und Englischstunden nehmen. Zwölf Mädchen sitzen eifrig an ihren Rechnern und erlernen die Grundlagen eines Textverarbeitungsprogramms. Über 1800 haben bislang an diesen Kursen teilgenommen.
In Shytómir läßt sich gut nachvollziehen, warum unter den in Deutschland aufgegriffenen Zwangsprostituierten Ukrainerinnen inzwischen die größte Gruppe stellen. Zum einen ist der Westen zum Greifen nahe. Die Schleusung ist für die Menschenhändler nicht schwierig. Und die Opfer glauben, dass sie in einer halbwegs vertrauten Kultur arbeiten werden. Der andere Grund für die Vielzahl ukrainischer Prostituierter wird sichtbar, wenn man ukrainische Dörfer besucht - wie zum Beispiel rund um Shytómir. Die Arbeitslosigkeit liegt hier im Durchschnitt bei 45 Prozent, die Jugendlichen haben keine Zukunfts-Perspektive. Lesja hat eigentlich nur schlechte Erinnerungen an ihr Dorf, das etwa 20 Kilometer von Shytómir entfernt ist:
Die Kolchose zahlt den Arbeitern selten Geld aus. Fast alle Jugendlichen trinken. Es gibt dort auch nichts anderes zu tun, als zu trinken. Nun, da sind auch diejenigen, die noch nicht heruntergekommen sind. Sie würden sicher zum Arbeiten ins Ausland fahren, wenn sie so ein Angebot hätten. Aber die anderen sind zu nichts mehr zu gebrauchen. Sie arbeiten ein bisschen schwarz, besaufen sich und schlagen sich dann im Klub gegenseitig die Fresse ein.
Der zentrale Platz von Horódzkje, einem Dorf bei Shytómir. - Aus einem Haus dringt Musik aus einem Transistorradio, ein junger Bursche zieht einen mit Holz beladenen Handwagen vorbei. Der Platz ist nicht mehr als die Kreuzung zweier Wege, ohne Asphalt und mit tiefen Schlaglöchern. Hühner spazieren an einer Gruppe älterer Menschen vorbei, die sich um einen Stand mit Brot und Haushaltswaren versammelt haben. Sie sind aufgebracht: Die niedrige Rente von 15 Euro, das bewegt sie – und dass sie, die Alten, alleine im Dorf übriggeblieben sind.
Die Rente, sie bringen sie uns einfach nicht. Jetzt haben wir den 18., und wir haben nichts, wovon wir Brot kaufen könnten. Ich bin extra hierher gekommen, um Lebensmittel zu kaufen. Gut, dass die Verkäuferin eine von uns und außerdem meine Bekannte ist. Da kann ich meine Schulden anschreiben lassen. Unsere Jugendlichen fahren überall hin, um Geld zu verdienen. Nach Polen und noch viel weiter, wohin es sie auch immer verschlägt. Einer von zwei bei uns arbeitet im Ausland – das sind keine Einzelfälle, sondern so sieht unser Leben aus.
Dass die Jugendlichen aus Horódzkje wegziehen, ist kein Wunder. Das Dorf mit seinen 500 Seelen ist zwar idyllisch gelegen – am Ortseingang ein kleiner See, die Häuschen schlängeln sich einen kleinen Hügel hinauf. Aber von möglichen Arbeitsplätzen liegt es weitab entfernt. Der nahe Steinbruch ist längst verödet. Und die Verbindung zur nächsten Straße ist eine löchrige Schotterpiste, acht Kilometer durch den Wald. Doch, es gebe noch ein paar Jugendliche hier, sagen die Alten. Ira gehört zu ihnen, gerade tritt sie aus der Tür, in lockerer Sportkleidung und mit einem Transistorradio in der Hand. Sie hat muskulöse Oberarme, ihr Gesicht ist mit Sommersprossen übersäht. Erst schüchtern, dann aber doch ein bisschen freier und selbstbewußter erzählt sie von ihrem Leben in Horódzkje. Über die Hälfte ihrer Klassenkameraden seien inzwischen schon weggezogen, sagt sie.
Wir arbeiten, um uns gerade so am Leben zu halten. Wir gehen in den Wald, sammeln Heidelbeeren und Pilze, die wir dann verkaufen. Mehr kann man hier nicht tun. Jetzt rettet uns der Sommer, aber im Winter sitzen die Leute zu Hause und denken nach, wie sie überleben sollen. Fast alle Jugendlichen ziehen weg. Auch ich möchte das Dorf verlassen, entweder um zu arbeiten oder zu lernen – so weit weg wie möglich. Mir wäre jede Arbeit recht.
So weit wie möglich weg aus ihrem Dorf. - Aber vor einem Angebot im Ausland hätte Ira dann doch Angst. Sie hat davon gehört, dass Menschenhändler in ihrer Gegend unterwegs sind. Aber ob das Märchen seien oder die Wahrheit, das wisse sie auch nicht so genau. Die Mädchenhändler sind allen gut gemeinten Aufklärungskampagnen immer einen Schritt voraus. Früher hatten sie einfach in Zeitungsannoncen mit angeblich gut bezahlter Arbeit im Westen gelockt - bis die ukrainische Polizei vor drei Jahren begonnen hat, gegen diese vermeintlichen Arbeitsvermittlungen vorzugehen. Heute setzen die Händler deshalb auf die persönliche Kontaktaufnahme. Junge Frauen, gut gekleidet, gehen in Diskotheken, sprechen die Mädchen an und schwärmen von ihrem komfortablen Leben im Westen. Lesja wurde auf eine noch subtilere Art geworben. Eine Freundin von ihr machte sie mit einem Mädchen bekannt, das in Deutschland angeblich sein Glück gefunden hatte: Die Arbeit in der Lagerhalle sei einfach, es gebe Freizeit und dort lebten schon viele aus der Region. Was Lesja nicht ahnte: Das Mädchen war selber Opfer der Menschenhändler geworden. Sie hoffte, sich durch die Anwerbung freizukaufen. Irina Babjenko aus dem Frauenzentrum "Frau hilft Frau" in Shytómir bestätigt, dass Ortsansässige den Menschenhändlern sehr häufig zuarbeiten.
Es gibt Menschen, die lieber verhungern als die Hand aufzuhalten. - Und es gibt solche, die ihre eigene Schwester, ihre Mutter verkaufen, nur um an Geld zu kommen. Meistens sind die Werber aus dem gleichen Ort wie die Opfer. Häufig sind es Frauen, die selber Opfer waren. Sie kommen nach zwei Jahren zurück und werben ihrerseits neue Mädchen an.
In der ukrainischen Hauptstadt Kiew gibt es seit zweieinhalb Jahren ein Frauenzentrum, an das sich Mädchen nach ihrer Rückkehr aus dem Ausland wenden können. Es gehört zur Internationalen Organisation für Migration. Über 200 Opfer von Menschenhandel sind hier bislang betreut worden. Bezahlt wird das Zentrum aber nicht etwa vom ukrainischen Staat, sondern von der schwedischen und von der amerikanischen Regierung. Die Psychologin des Zentrums, Natascha, will ihren vollen Namen nicht nennen – sie hat Angst vor der Mafia der Menschenhändler. Für sie steht an erster Stelle die Behandlung der körperlichen Folgen der Zwangsprostitution bei den Rückkehrerinnen.
Achtzig Prozent unserer Patientinnen kommen mit Krankheiten in die Ukraine, die auf dem Geschlechtsweg übertragen wurden. Elf Mädchen waren mit dem HIV-Virus infiziert, zwölf mit Syphilis. Einige Mädchen haben ein schlimmes Schädeltrauma. In einem besonders schlimmen Fall wurde ein Mädchen so sehr auf den Kopf geschlagen, dass sie das Augenlicht und das Gehör verlor. Manche Mädchen wurden auch mit Gegenständen geschlagen. Zum Beispiel als eine von ihnen fliehen wollte und es zu einem Kampf kam. Sie hatte gebrochene Beine, hinkt und wird vermutlich nie wieder richtig laufen können.
Bis zu drei Monate nach ihrer Rückkehr können die Frauen im Kiewer Zentrum bleiben, bevor sie wieder auf sich selbst gestellt sind. Nach einer Untersuchung durch eine Gynäkologin werden sie, sollte es notwendig sein, ins Krankenhaus überwiesen. Danach beginnt die psychologische Behandlung – keine leichte Aufgabe für Natascha. Denn Zwangsprostituierte werden in der Regel gefangen gehalten und dürfen ihre Unterkunft nicht ohne Aufsicht verlassen. Weil sie in der Regel auch die ausländische Sprache nicht verstehen, steigert sich ihr Gefühl isoliert zu sein.
Die meisten der Frauen haben schwerwiegende psychische Probleme. Das hängt damit zusammen, dass sie sich schmutzig und erniedrigt fühlen und nicht wissen, wie sie das Erlebte später zu Hause erzählen sollen. Sie haben Depressionen und kein Selbstwertgefühl mehr. Sie glauben, dass sie überhaupt keine Zukunft mehr haben.
Außer in Kiew gibt es noch zwei weitere Reintegrationszentren in der Ukraine – das aber reicht bei weitem nicht. Den meisten der betroffenen Frauen bleibt nichts anderes übrig als direkt nach Hause zurückkehren, in ihr Dorf oder in ihre Kleinstadt. Dort geht derLeidensweg oft weiter. Denn in ihren Heimatgemeinden gelten die Mädchen als unrein und sie werden nicht selten als Huren beschimpft. Katerina Tscherepacha vom Kiewer Büro der Hilfsorganisation "La Strada" kennt die komplizierte Gesellschaftsstruktur in der osteuropäischen Provinz ganz genau:
Wenn das Mädchen in die Heimat, zu seiner Familie zurückkehrt, wird es zunächst mit dem Unverständnis der Eltern und Geschwister konfrontiert. Die wissen ja in der Regel nicht, was mit der Frau passiert ist – und sie selbst erzählt nur ungern darüber. Nun, meistens wird bekannt, warum das Mädchen so lange im Westen war. Dann kommt es vor, dass sich alle von ihm abwenden und ihm noch Vorwürfe gemacht werden. Besonders bei Fällen in kleinen Städten oder in Dörfern weiß schnell jeder Bescheid. Die Geschichte geht von Mund zu Mund, häufig werden dabei manche Details übertrieben herausgestellt. Das bedeutet für das Mädchen natürlich ein zusätzliches Trauma.
Bei vielen Frauen kommt hinzu, dass sie durch ihre Ausbeutung einen Hass auf Männer entwickelt haben. Mit der in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch weit verbreiteten traditionellen Rolle der ukrainischen Frau – als Mutter und Herrin des Hauses – können sie sich kaum mehr identifizieren. Unter diesen Umständen fällt es noch schwerer, in der Heimat ein neues Leben zu beginnen. Die Staaten Osteuropas haben das Problem des Frauenhandels lange ignoriert. Irina Babjenko vom Frauenzentrum "Frau hilft Frau" in Shytómir:
Noch vor drei Jahren hat man uns noch nicht mal zuhören wollen. Was habt ihr, hieß es, das Problem gibt es nicht. Die einfachen Leute wussten nicht Bescheid. Und die staatlichen Stellen haben uns nicht einmal empfangen. Für die war alles in bester Ordnung. Dann, nach und nach, begannen die Menschen, zu uns zu kommen. Sie flüsterten beinahe: Die Tochter meiner Nachbarin ist im Ausland verschwunden, bitten helfen sie uns.
Vor allem auf Druck westlicher Staaten hat sich die Ukraine in den letzten drei Jahren fast schon zum Musterknaben unter den osteuropäischen Staaten gemausert. Im Innenministerium gibt es jetzt eine spezielle Abteilung für den Kampf gegen den Menschenhandel, die Polizisten werden in England von Scotland Yard geschult und an die Schulen werden Videoclips zur Information und Vorbeugung verteilt. In der Ukraine existiert inzwischen endlich ein Gesetz gegen den Menschenhandel. Über 400 Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet, aber bislang erst 14 Beschuldigte vor Gericht gebracht. Die Überführung der Täter ist schwierig. Die gut organisierten Gruppen sind - nicht zuletzt wegen ihrer internationalen Zusammenarbeit - der Polizei weit voraus. Und für eine Verurteilung muss die ganze Kette von der Anwerbung der Mädchen bis zu ihrem Verkauf nachgewiesen werden. Außerdem zeigen nur wenige der Opfer ihre Peiniger bei der Polizei an. Sie haben Angst, die Menschenhändler könnten sich an ihnen oder ihrer Familie rächen. Cordula Wohlmuther von der OSZE-Repräsentanz in Kiew weiß, dass diese Furcht nicht unbegründet ist.
Wenn man jetzt zum Beispiel ein Opfer in der Ukraine hat. Und die Nicht-Staatliche Organisation weiß von dieser Person und macht diesem Opfer den Vorschlag, mit der ukrainischen Polizei zu sprechen, dann wird dieses Opfer von Haus aus einmal sagen: Nein. A – weil das Opfer sicher kein Vertrauen hat in die Polizei. B – weil sie vielleicht als Prostituierte gearbeitet hat und Prostitution hier in der Ukraine verboten ist und man das einfach nicht wieder aufarbeiten will mit einer polizeilichen Struktur hier. Die ukrainische Polizei ist leider verrufen, korrupt zu sein. Und das ist sie bestimmt auch.
Die meisten der in Deutschland aufgegriffenen Zwangsprostituierten sind legal in die Bundesrepublik eingereist, das heißt: mit einem gültigen Visum. Für die Menschenhändler ist es kein Problem, fingierte Einladungen an die jungen Frauen zu besorgen. Zu diesem Zweck haben sich in Deutschland zahlreiche Scheinfirmen gegründet. Noch sicherer ist es, die Einladungen von Privatpersonen zu kaufen. Deutschstämmige Aussiedler oder deren Angehörige zum Beispiel sind nach Polizeierkenntnissen bei solchen Geschäften mehrfach auffällig geworden. Für manche Beobachter stellt sich nach wie vor die Frage, ob die Botschaften der EU-Staaten in den osteuropäischen Ländern die Visa-Vergabe zur Einreise in den Westen nicht strenger, mindestens aber effektiver kontrollieren sollten. Ein Anruf bei der einladenden Person etwa könnte häufig genügen, um diese auf mögliche Widersprüche hin zu überprüfen. Die deutsche Botschaft in Kiew lehnte - nach Rücksprache mit dem Auswärtigen Amt in Berlin -ein Gespäch zu diesem Thema ab. Der Hintergrund ist offensichtlich ein laufendes Gerichtsverfahren wegen Schleusung, das zur Zeit in Köln anhängig ist. Im Verlauf dieses Prozesses wird das Auswärtige Amt erklären müssen, wie es im Jahr 2001 zu sage und schreibe fast 300.000 Visumserteilungen in Kiew gekommen ist. Lange hatte sich das Auswärtige Amt in Berlin dagegen gesperrt, seine Mitarbeiter vor dem Gericht aussagen zu lassen. Erst massive Drohungen des Gerichts brachten Joschka Fischers Ministerium dazu, dem Kiewer Botschaftspersonal eine Aussagegenehmigung vor den Kölner Richtern zu erteilen. Kennern der Szene scheint es nur schwer vorstellbar zu sein, dass der Deutschen Botschaft in Kiew die massenhaften Reiseaktivitäten aus der Ukraine entgangen sein könnten. Diejenigen, die an der Basis gegen den Menschenhandel arbeiten, sehen trotz aller anzuerkennenden Bemühungen pessimistisch in die Zukunft. Cordula Wohlmuther von der OSZE:
Man darf eines nicht vergessen: Solange das Wirtschaftsproblem in der Ukraine nicht gelöst ist, und solange so viele arme Menschen in den ländlichen Regionen leben werden, die keine Hoffnung auf ein besseres Leben haben und Hoffnung auf ein bisschen Einkommen, werden wir immer wieder Opfer in unseren westlichen zivilisierten Ländern finden. Die Menschen, und das muss man verstehen, müssen einfach gehen, um irgendwo Geld zu verdienen. Und das ist, glaube ich, auch die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, der Ukraine genau in dem Bereich – also wirtschaftliche Stärkung – behilflich zu sein. Nur, wenn wir da Erfolg haben werden, werden wir nicht mehr das Problem des Menschenhandels haben.
In Shytómir kommt Lesja jetzt regelmäßig zur psychologischen Betreuung. Mit berufsvorbereitenden Kursen hat sie noch nicht begonnen. Sie will sich erst einmal ausruhen. Dennoch: Bei ihr ist neue Hoffnung zu spüren, sie hat wieder Ziele in ihrem Leben.
Ich wollte schon immer eine gute Arbeit finden und heiraten. Wie eben alle Mädchen hoffen, dass sie einmal ihrem Prinzen auf dem weißen Ross begegnen. Ich halte an diesem Traum fest, egal, was passiert. Ich setze alle meine Kräfte dafür ein, dass ich trotz allem noch ein gutes Leben haben werde.
Der Plakat-Text, den Natalija Asarowa vorliest, ist deutlich: "Arbeit im Ausland angeboten", steht da. "Berufserfahrung keine Voraussetzung. - (Aber:)Du bezahlst mit deiner Würde, deiner Gesundheit und deiner Freiheit." Die Zeichnung auf dem Plakat zeigt ein junges Mädchen, das in einem Käfig sitzt. Natalia Asarowa zeichnet für diese Warnung verantwortlich. Sie hat vor drei Jahren des Zentrum "Frau hilft Frau" gegründet, in Shytómir, einer Kleinstadt im Westen der Ukraine.
Lesja, das Mädchen, das in Duisburg gefangen gehalten wurde, kommt aus einem Dorf in der Nähe von Schitómir. Das Zentrum "Frau hilft Frau" besucht sie regelmäßig. Lesja kann bestätigen, dass die Mahnung auf dem Plakat nicht übertrieben ist.
Auf unsere Tränen nahm dort niemand Rücksicht. Es kam vor, dass wir uns weigerten, zur Arbeit zu gehen, oder uns anders schminken wollten als gewünscht. Sogar dafür bekamen wir Prügel. Dann mussten wir uns sowieso viermal umschminken, weil die Tränen alles verwischten.
Damit sind die Schläge gemeint, die Lesja von den Zuhältern einstecken musste. Nicht viel besser erging es ihr mit den Freiern.
Auch die behandelten uns nicht wie Menschen. Da waren solche dabei, die einen richtig durch die Mühle drehten. Hinterher kannst du nicht mehr laufen, dann kriechst du nach Hause. Und manche nahmen uns nur, um uns zu verhöhnen und zu demütigen. Die ließen einfach ihre Wut an uns aus.
Lesjas Peiniger achteten darauf, dass bei ihr zu Hause niemand Verdacht schöpfte. Wenn sie in der Ukraine anrief, standen sie neben dem Telefon und diktierten ihr die Sätze.
Im Frauenzentrum von Shytómir bekommen die Mädchen eine zweite Chance. Sie könne sich auf einen neuen Beruf vorbereiten, Computerkurse belegen und Englischstunden nehmen. Zwölf Mädchen sitzen eifrig an ihren Rechnern und erlernen die Grundlagen eines Textverarbeitungsprogramms. Über 1800 haben bislang an diesen Kursen teilgenommen.
In Shytómir läßt sich gut nachvollziehen, warum unter den in Deutschland aufgegriffenen Zwangsprostituierten Ukrainerinnen inzwischen die größte Gruppe stellen. Zum einen ist der Westen zum Greifen nahe. Die Schleusung ist für die Menschenhändler nicht schwierig. Und die Opfer glauben, dass sie in einer halbwegs vertrauten Kultur arbeiten werden. Der andere Grund für die Vielzahl ukrainischer Prostituierter wird sichtbar, wenn man ukrainische Dörfer besucht - wie zum Beispiel rund um Shytómir. Die Arbeitslosigkeit liegt hier im Durchschnitt bei 45 Prozent, die Jugendlichen haben keine Zukunfts-Perspektive. Lesja hat eigentlich nur schlechte Erinnerungen an ihr Dorf, das etwa 20 Kilometer von Shytómir entfernt ist:
Die Kolchose zahlt den Arbeitern selten Geld aus. Fast alle Jugendlichen trinken. Es gibt dort auch nichts anderes zu tun, als zu trinken. Nun, da sind auch diejenigen, die noch nicht heruntergekommen sind. Sie würden sicher zum Arbeiten ins Ausland fahren, wenn sie so ein Angebot hätten. Aber die anderen sind zu nichts mehr zu gebrauchen. Sie arbeiten ein bisschen schwarz, besaufen sich und schlagen sich dann im Klub gegenseitig die Fresse ein.
Der zentrale Platz von Horódzkje, einem Dorf bei Shytómir. - Aus einem Haus dringt Musik aus einem Transistorradio, ein junger Bursche zieht einen mit Holz beladenen Handwagen vorbei. Der Platz ist nicht mehr als die Kreuzung zweier Wege, ohne Asphalt und mit tiefen Schlaglöchern. Hühner spazieren an einer Gruppe älterer Menschen vorbei, die sich um einen Stand mit Brot und Haushaltswaren versammelt haben. Sie sind aufgebracht: Die niedrige Rente von 15 Euro, das bewegt sie – und dass sie, die Alten, alleine im Dorf übriggeblieben sind.
Die Rente, sie bringen sie uns einfach nicht. Jetzt haben wir den 18., und wir haben nichts, wovon wir Brot kaufen könnten. Ich bin extra hierher gekommen, um Lebensmittel zu kaufen. Gut, dass die Verkäuferin eine von uns und außerdem meine Bekannte ist. Da kann ich meine Schulden anschreiben lassen. Unsere Jugendlichen fahren überall hin, um Geld zu verdienen. Nach Polen und noch viel weiter, wohin es sie auch immer verschlägt. Einer von zwei bei uns arbeitet im Ausland – das sind keine Einzelfälle, sondern so sieht unser Leben aus.
Dass die Jugendlichen aus Horódzkje wegziehen, ist kein Wunder. Das Dorf mit seinen 500 Seelen ist zwar idyllisch gelegen – am Ortseingang ein kleiner See, die Häuschen schlängeln sich einen kleinen Hügel hinauf. Aber von möglichen Arbeitsplätzen liegt es weitab entfernt. Der nahe Steinbruch ist längst verödet. Und die Verbindung zur nächsten Straße ist eine löchrige Schotterpiste, acht Kilometer durch den Wald. Doch, es gebe noch ein paar Jugendliche hier, sagen die Alten. Ira gehört zu ihnen, gerade tritt sie aus der Tür, in lockerer Sportkleidung und mit einem Transistorradio in der Hand. Sie hat muskulöse Oberarme, ihr Gesicht ist mit Sommersprossen übersäht. Erst schüchtern, dann aber doch ein bisschen freier und selbstbewußter erzählt sie von ihrem Leben in Horódzkje. Über die Hälfte ihrer Klassenkameraden seien inzwischen schon weggezogen, sagt sie.
Wir arbeiten, um uns gerade so am Leben zu halten. Wir gehen in den Wald, sammeln Heidelbeeren und Pilze, die wir dann verkaufen. Mehr kann man hier nicht tun. Jetzt rettet uns der Sommer, aber im Winter sitzen die Leute zu Hause und denken nach, wie sie überleben sollen. Fast alle Jugendlichen ziehen weg. Auch ich möchte das Dorf verlassen, entweder um zu arbeiten oder zu lernen – so weit weg wie möglich. Mir wäre jede Arbeit recht.
So weit wie möglich weg aus ihrem Dorf. - Aber vor einem Angebot im Ausland hätte Ira dann doch Angst. Sie hat davon gehört, dass Menschenhändler in ihrer Gegend unterwegs sind. Aber ob das Märchen seien oder die Wahrheit, das wisse sie auch nicht so genau. Die Mädchenhändler sind allen gut gemeinten Aufklärungskampagnen immer einen Schritt voraus. Früher hatten sie einfach in Zeitungsannoncen mit angeblich gut bezahlter Arbeit im Westen gelockt - bis die ukrainische Polizei vor drei Jahren begonnen hat, gegen diese vermeintlichen Arbeitsvermittlungen vorzugehen. Heute setzen die Händler deshalb auf die persönliche Kontaktaufnahme. Junge Frauen, gut gekleidet, gehen in Diskotheken, sprechen die Mädchen an und schwärmen von ihrem komfortablen Leben im Westen. Lesja wurde auf eine noch subtilere Art geworben. Eine Freundin von ihr machte sie mit einem Mädchen bekannt, das in Deutschland angeblich sein Glück gefunden hatte: Die Arbeit in der Lagerhalle sei einfach, es gebe Freizeit und dort lebten schon viele aus der Region. Was Lesja nicht ahnte: Das Mädchen war selber Opfer der Menschenhändler geworden. Sie hoffte, sich durch die Anwerbung freizukaufen. Irina Babjenko aus dem Frauenzentrum "Frau hilft Frau" in Shytómir bestätigt, dass Ortsansässige den Menschenhändlern sehr häufig zuarbeiten.
Es gibt Menschen, die lieber verhungern als die Hand aufzuhalten. - Und es gibt solche, die ihre eigene Schwester, ihre Mutter verkaufen, nur um an Geld zu kommen. Meistens sind die Werber aus dem gleichen Ort wie die Opfer. Häufig sind es Frauen, die selber Opfer waren. Sie kommen nach zwei Jahren zurück und werben ihrerseits neue Mädchen an.
In der ukrainischen Hauptstadt Kiew gibt es seit zweieinhalb Jahren ein Frauenzentrum, an das sich Mädchen nach ihrer Rückkehr aus dem Ausland wenden können. Es gehört zur Internationalen Organisation für Migration. Über 200 Opfer von Menschenhandel sind hier bislang betreut worden. Bezahlt wird das Zentrum aber nicht etwa vom ukrainischen Staat, sondern von der schwedischen und von der amerikanischen Regierung. Die Psychologin des Zentrums, Natascha, will ihren vollen Namen nicht nennen – sie hat Angst vor der Mafia der Menschenhändler. Für sie steht an erster Stelle die Behandlung der körperlichen Folgen der Zwangsprostitution bei den Rückkehrerinnen.
Achtzig Prozent unserer Patientinnen kommen mit Krankheiten in die Ukraine, die auf dem Geschlechtsweg übertragen wurden. Elf Mädchen waren mit dem HIV-Virus infiziert, zwölf mit Syphilis. Einige Mädchen haben ein schlimmes Schädeltrauma. In einem besonders schlimmen Fall wurde ein Mädchen so sehr auf den Kopf geschlagen, dass sie das Augenlicht und das Gehör verlor. Manche Mädchen wurden auch mit Gegenständen geschlagen. Zum Beispiel als eine von ihnen fliehen wollte und es zu einem Kampf kam. Sie hatte gebrochene Beine, hinkt und wird vermutlich nie wieder richtig laufen können.
Bis zu drei Monate nach ihrer Rückkehr können die Frauen im Kiewer Zentrum bleiben, bevor sie wieder auf sich selbst gestellt sind. Nach einer Untersuchung durch eine Gynäkologin werden sie, sollte es notwendig sein, ins Krankenhaus überwiesen. Danach beginnt die psychologische Behandlung – keine leichte Aufgabe für Natascha. Denn Zwangsprostituierte werden in der Regel gefangen gehalten und dürfen ihre Unterkunft nicht ohne Aufsicht verlassen. Weil sie in der Regel auch die ausländische Sprache nicht verstehen, steigert sich ihr Gefühl isoliert zu sein.
Die meisten der Frauen haben schwerwiegende psychische Probleme. Das hängt damit zusammen, dass sie sich schmutzig und erniedrigt fühlen und nicht wissen, wie sie das Erlebte später zu Hause erzählen sollen. Sie haben Depressionen und kein Selbstwertgefühl mehr. Sie glauben, dass sie überhaupt keine Zukunft mehr haben.
Außer in Kiew gibt es noch zwei weitere Reintegrationszentren in der Ukraine – das aber reicht bei weitem nicht. Den meisten der betroffenen Frauen bleibt nichts anderes übrig als direkt nach Hause zurückkehren, in ihr Dorf oder in ihre Kleinstadt. Dort geht derLeidensweg oft weiter. Denn in ihren Heimatgemeinden gelten die Mädchen als unrein und sie werden nicht selten als Huren beschimpft. Katerina Tscherepacha vom Kiewer Büro der Hilfsorganisation "La Strada" kennt die komplizierte Gesellschaftsstruktur in der osteuropäischen Provinz ganz genau:
Wenn das Mädchen in die Heimat, zu seiner Familie zurückkehrt, wird es zunächst mit dem Unverständnis der Eltern und Geschwister konfrontiert. Die wissen ja in der Regel nicht, was mit der Frau passiert ist – und sie selbst erzählt nur ungern darüber. Nun, meistens wird bekannt, warum das Mädchen so lange im Westen war. Dann kommt es vor, dass sich alle von ihm abwenden und ihm noch Vorwürfe gemacht werden. Besonders bei Fällen in kleinen Städten oder in Dörfern weiß schnell jeder Bescheid. Die Geschichte geht von Mund zu Mund, häufig werden dabei manche Details übertrieben herausgestellt. Das bedeutet für das Mädchen natürlich ein zusätzliches Trauma.
Bei vielen Frauen kommt hinzu, dass sie durch ihre Ausbeutung einen Hass auf Männer entwickelt haben. Mit der in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch weit verbreiteten traditionellen Rolle der ukrainischen Frau – als Mutter und Herrin des Hauses – können sie sich kaum mehr identifizieren. Unter diesen Umständen fällt es noch schwerer, in der Heimat ein neues Leben zu beginnen. Die Staaten Osteuropas haben das Problem des Frauenhandels lange ignoriert. Irina Babjenko vom Frauenzentrum "Frau hilft Frau" in Shytómir:
Noch vor drei Jahren hat man uns noch nicht mal zuhören wollen. Was habt ihr, hieß es, das Problem gibt es nicht. Die einfachen Leute wussten nicht Bescheid. Und die staatlichen Stellen haben uns nicht einmal empfangen. Für die war alles in bester Ordnung. Dann, nach und nach, begannen die Menschen, zu uns zu kommen. Sie flüsterten beinahe: Die Tochter meiner Nachbarin ist im Ausland verschwunden, bitten helfen sie uns.
Vor allem auf Druck westlicher Staaten hat sich die Ukraine in den letzten drei Jahren fast schon zum Musterknaben unter den osteuropäischen Staaten gemausert. Im Innenministerium gibt es jetzt eine spezielle Abteilung für den Kampf gegen den Menschenhandel, die Polizisten werden in England von Scotland Yard geschult und an die Schulen werden Videoclips zur Information und Vorbeugung verteilt. In der Ukraine existiert inzwischen endlich ein Gesetz gegen den Menschenhandel. Über 400 Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet, aber bislang erst 14 Beschuldigte vor Gericht gebracht. Die Überführung der Täter ist schwierig. Die gut organisierten Gruppen sind - nicht zuletzt wegen ihrer internationalen Zusammenarbeit - der Polizei weit voraus. Und für eine Verurteilung muss die ganze Kette von der Anwerbung der Mädchen bis zu ihrem Verkauf nachgewiesen werden. Außerdem zeigen nur wenige der Opfer ihre Peiniger bei der Polizei an. Sie haben Angst, die Menschenhändler könnten sich an ihnen oder ihrer Familie rächen. Cordula Wohlmuther von der OSZE-Repräsentanz in Kiew weiß, dass diese Furcht nicht unbegründet ist.
Wenn man jetzt zum Beispiel ein Opfer in der Ukraine hat. Und die Nicht-Staatliche Organisation weiß von dieser Person und macht diesem Opfer den Vorschlag, mit der ukrainischen Polizei zu sprechen, dann wird dieses Opfer von Haus aus einmal sagen: Nein. A – weil das Opfer sicher kein Vertrauen hat in die Polizei. B – weil sie vielleicht als Prostituierte gearbeitet hat und Prostitution hier in der Ukraine verboten ist und man das einfach nicht wieder aufarbeiten will mit einer polizeilichen Struktur hier. Die ukrainische Polizei ist leider verrufen, korrupt zu sein. Und das ist sie bestimmt auch.
Die meisten der in Deutschland aufgegriffenen Zwangsprostituierten sind legal in die Bundesrepublik eingereist, das heißt: mit einem gültigen Visum. Für die Menschenhändler ist es kein Problem, fingierte Einladungen an die jungen Frauen zu besorgen. Zu diesem Zweck haben sich in Deutschland zahlreiche Scheinfirmen gegründet. Noch sicherer ist es, die Einladungen von Privatpersonen zu kaufen. Deutschstämmige Aussiedler oder deren Angehörige zum Beispiel sind nach Polizeierkenntnissen bei solchen Geschäften mehrfach auffällig geworden. Für manche Beobachter stellt sich nach wie vor die Frage, ob die Botschaften der EU-Staaten in den osteuropäischen Ländern die Visa-Vergabe zur Einreise in den Westen nicht strenger, mindestens aber effektiver kontrollieren sollten. Ein Anruf bei der einladenden Person etwa könnte häufig genügen, um diese auf mögliche Widersprüche hin zu überprüfen. Die deutsche Botschaft in Kiew lehnte - nach Rücksprache mit dem Auswärtigen Amt in Berlin -ein Gespäch zu diesem Thema ab. Der Hintergrund ist offensichtlich ein laufendes Gerichtsverfahren wegen Schleusung, das zur Zeit in Köln anhängig ist. Im Verlauf dieses Prozesses wird das Auswärtige Amt erklären müssen, wie es im Jahr 2001 zu sage und schreibe fast 300.000 Visumserteilungen in Kiew gekommen ist. Lange hatte sich das Auswärtige Amt in Berlin dagegen gesperrt, seine Mitarbeiter vor dem Gericht aussagen zu lassen. Erst massive Drohungen des Gerichts brachten Joschka Fischers Ministerium dazu, dem Kiewer Botschaftspersonal eine Aussagegenehmigung vor den Kölner Richtern zu erteilen. Kennern der Szene scheint es nur schwer vorstellbar zu sein, dass der Deutschen Botschaft in Kiew die massenhaften Reiseaktivitäten aus der Ukraine entgangen sein könnten. Diejenigen, die an der Basis gegen den Menschenhandel arbeiten, sehen trotz aller anzuerkennenden Bemühungen pessimistisch in die Zukunft. Cordula Wohlmuther von der OSZE:
Man darf eines nicht vergessen: Solange das Wirtschaftsproblem in der Ukraine nicht gelöst ist, und solange so viele arme Menschen in den ländlichen Regionen leben werden, die keine Hoffnung auf ein besseres Leben haben und Hoffnung auf ein bisschen Einkommen, werden wir immer wieder Opfer in unseren westlichen zivilisierten Ländern finden. Die Menschen, und das muss man verstehen, müssen einfach gehen, um irgendwo Geld zu verdienen. Und das ist, glaube ich, auch die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, der Ukraine genau in dem Bereich – also wirtschaftliche Stärkung – behilflich zu sein. Nur, wenn wir da Erfolg haben werden, werden wir nicht mehr das Problem des Menschenhandels haben.
In Shytómir kommt Lesja jetzt regelmäßig zur psychologischen Betreuung. Mit berufsvorbereitenden Kursen hat sie noch nicht begonnen. Sie will sich erst einmal ausruhen. Dennoch: Bei ihr ist neue Hoffnung zu spüren, sie hat wieder Ziele in ihrem Leben.
Ich wollte schon immer eine gute Arbeit finden und heiraten. Wie eben alle Mädchen hoffen, dass sie einmal ihrem Prinzen auf dem weißen Ross begegnen. Ich halte an diesem Traum fest, egal, was passiert. Ich setze alle meine Kräfte dafür ein, dass ich trotz allem noch ein gutes Leben haben werde.