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Wenn das Dach der Welt schmilzt...

Klima.- Wie genau wirkt sich die globale Erwärmung auf die Gletscher aus? Dass sich diese Frage nicht einheitlich beantworten lässt, zeigt nun eine Studie in der Fachzeitschrift "PNAS". Darin wurden drei Gletscher im Himalaja über Jahrzehnte beobachtet.

Von Tomma Schröder |
    Gletscher sind ständig in Bewegung und verändern ihr Gesicht innerhalb kurzer Zeit. Koji Fujita hat das unzählige Male beobachtet. Der japanische Wissenschafter erforscht bereits seit über einem Jahrzehnt die Gletscher des Himalajas.

    "In die Berge zu gehen ist eine der wichtigsten Motivationen für meine Arbeit. Es ist unheimlich spannend, zu sehen, wie die Gletscher sich verändern. Man besucht ein und denselben Ort, und das Landschaftsbild ist ein völlig anderes als beim vorangegangenen Besuch."

    Das ist zunächst einmal nicht ungewöhnlich. Doch obwohl es bei den oft schwer zugänglichen Himalaja-Gletschern an Daten fehlt, ist auch klar: Einige Gletscher verändern sich nicht nur, sie sind vielmehr dabei zu verschwinden. Um besser zu verstehen, welche Gletscher wie stark von der globalen Erwärmung betroffen sind, haben Koji Fujita und seine Kollegen von der Nagoya Universität in Japan drei Gletscher in Nepal über lange Zeit beobachtet. Seit den 70er-Jahren ermitteln sie mithilfe von GPS-Geräten und Winkelmessgeräten Veränderungen in der Höhe und der Masse der Gletscher.

    "Wir berechnen, wie viel Schnee der Gletscher ansammelt und wie viel Masse er durchs Schmelzen wieder verliert. Daraus können wir die Massebilanz und die Gleichgewichtslinie berechnen. Diese Gleichgewichtslinie ist ein sehr wichtiger Parameter für den Gletscher. Sie unterteilt ihn in ein Nährgebiet, in dem Schnee angesammelt wird, und in ein Zehrgebiet, in dem Schnee und Eis abgetragen werden. Wenn diese Gleichgewichtslinie höher liegt als der Gletscher selbst, dann hat er keine Chance, weiter Schnee anzusammeln. So ein Gletscher wird mit der Zeit verschwinden."

    Zwei der drei untersuchten Gletscher in Nepal droht dieses Schicksal. Sie befinden sich in einem recht feuchten Gebiet. Aufgrund einer mit maximal 5600 Metern eher geringen Höhe, sind diese Gletscher der Erwärmung stärker ausgesetzt als Gletscher weiter oben, weil hier immer häufiger mit Regen anstelle von Schnee zu rechnen ist. Sobald die Gleichgewichtslinie über 5600 Meter steigt, werden die Gletscher keine weiteren Schnee- und Eismassen mehr aufbauen können.

    Der dritte untersuchte Gletscher hingegen ist mit bis zu 6200 Metern ein gutes Stück höher gelegen und befindet sich zudem in einem eher trockenen Gebiet. Er wird, so die Prognose von Koji Fujita, zwar auch an Masse verlieren, aber bestehen bleiben. Der japanische Glaziologe zieht aus diesen Ergebnissen vor allem einen Schluss: Das Schicksal der Gletscher müsse ganz individuell für jeden einzelnen Fall berechnet werden.

    "Ich habe gesagt, dass die beiden Gletscher in dem feuchten Klima verschwinden werden. Gleichzeitig gibt es in dem gleichen Gebirgsmassiv andere Gletscher, deren Nährgebiet höher gelegen ist. Der untersuchte Gletscher AX 010 zum Beispiel, der verschwinden wird, liegt ganz in der Nähe des Mount Everest. Hier gibt es Gletscher, die auf einer Höhe von 7800 Metern beginnen. Ein solcher Gletscher hat ein riesiges Nährgebiet, selbst wenn die Gleichgewichtslinie nach oben geht. Also unsere Messungen sind natürlich richtig, aber wir verstehen gleichzeitig, dass wir mit einer solch kleinen Stichprobe nicht die Entwicklung aller Himalaja-Gletscher erklären können."

    Dafür wären sehr viel mehr Daten nötig: Die Entwicklung der Temperatur, der Niederschlagsrate, die Höhe der Gletscher sowie die Entwicklung der Gleichgewichtslinie, oberhalb derer ein Gletscher bestehen kann, müssten für jeden einzelnen Gletscher berechnet werden. Und das sind im Himalaja immerhin um die 6500. Koji Fujita fordert daher eine Art Inventur für das asiatische Hochgebirge. Bisher gebe es vor allem Daten über die leichter zugänglichen Gletscher in geringer Höhe. Die seien zwangsläufig stärker vom Klimawandel betroffen, erklärt der Glaziologe. Er sieht darin auch einen Grund, warum die Aussagen über die Zukunft der Himalaja-Gletscher oft so verheerend und übertrieben ausgefallen sind. Über den Fehler im IPCC-Bericht von 2007, der das Ende der Himalaja-Gletscher auf das Jahr 2035 datierte, kann Koji Fujita dagegen nur lachen. Immerhin, so der Japaner, habe er aber dank dieses Fehlers nun jede Menge Aufmerksamkeit für seine Arbeit.

    "Alle wollen wissen, was mit den Himalaja-Gletschern passiert. Aber außer mir hat niemand eine Antwort auf diesen Himalaja-Gletscher-Skandal."