Archiv


Wenn das Internet süchtig macht

Psychologie. - Nicht nur Drogen, Alkohol und Tabak führen in die Abhängigkeit, sondern immer öfter auch Glückspiel, Fernsehen und vor allem das Internet. In Berlin berieten Experten, wie Mediensüchtigen geholfen werden kann.

Von Wolfgang Noelke |
    In der von der Caritas betriebenen Berliner Beratungsstelle für Glücksspieler tauchen immer häufiger so genannte Mediensüchtige auf, meistens durch monatlich sehr hohe Handyrechnungen total verschuldete Jugendliche, weiß der Sozialarbeiter Jannis Wlachojiannis. Die hohen Rechnungen entstünden nicht durch Telefonieren, sondern oft durch SMS:

    "Was ich auch immer wieder feststelle, dass auch gerade junge Leute, Menschen aus der virtuellen Welt oder die sie vielleicht über das Internet kennengelernt haben, mit denen sie Handynummern ausgetauscht haben und nur noch per Handy kommunizieren, dass die dann auch ganz schnell als Freunde oder als Freundin wahrgenommen werden. Die schreiben ihrem wahren Freund oder Freundin, aber die hatten die Leute noch nie gesehen im wahren Leben. Und da verschwimmen halt gewisse Dinge und das wird sehr problematisch, dass sie das Gefühl bekommen, das ist das wahre Leben und das sind ihre wahren Freunde, die sie aber noch nie gesehen haben."

    Kennengelernt haben sich die verschuldeten SMS-Partner meist in Internet- Netzwerken. Die Erlebnisse dort, so der Sozialarbeiter, seien viel positiver als in der Realität:

    "In den virtuellen Welten ist es ja wesentlich einfacher, Erfolg zu bekommen, ein gutes Gefühl zu bekommen, Respekt zu bekommen und Anerkennung zu bekommen, vielleicht einen netten Flirt zu bekommen, als im wahren Leben. Im wahren Leben wird man viel häufiger enttäuscht oder hat irgendwie Misserfolge. Die gehören natürlich zum wahren Leben dazu. Das ist auch wichtig, dass Menschen und gerade auch junge Menschen diese Erfahrung machen. Die Gefahr besteht natürlich darin, wenn Sie diese positive Belohnung nur noch in der virtuellen Welt machen, fällt es denen aber immer schwerer, im realen Leben klar zu kommen. Das ist ein großes Problem."

    Denn der Reiz muss immer stärker werden, um bei dem Betroffenen dasselbe Glücksgefühl hervorzurufen. Die Betroffenen beschäftigen sich zum Schluss nur noch mit dem Sucht auslösenden Medium. Das wäre medizinisch kaum ein Unterschied zu Drogenabhängigen, sagt Professor Jobst Böning, Vorsitzender der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, DHS:

    "Wenn ohne eine Psychodroge, also ohne einen Suchtstoff, ein Verhalten als angenehm erlebt wird, dass aber auch exzessiv verstärkt wird, belohnungshaft wirkt, dann werden diese Regelkreisnetzwerke genauso angestoßen, dann wird genauso Dopamin im Hirn, im Nucleus accumbens ausgestoßen, dann wird auf andere zirkuläre Schaltkreise im Hirn zugegriffen. Man lernt so etwas. Und ich selber arbeite seit 20 Jahren mit dem Begriff des Suchtgedächtnisses: dass das Gehirn die Erfahrung, wie es sein Suchtverhalten gespeichert hat, wirklich zu einem Programm, bis zu einem Gedächtnis lernt, ähnlich wie wir das von einem Schmerzgedächtnis wissen oder von einem Angst- oder Furchtgedächtnis. Und diese auch molekulare Veränderung im Gehirn ist das Übel, dass das Gehirn dies auch wieder nicht vergisst."

    Dr. Wolfgang Bergmann vom Institut für Kinderpsychologie und Lerntherapie in Hannover vermisst die Medienkompetenz der Familienangehörigen. Nur mit Interesse könnten sie betroffene Jugendliche pädagogisch in deren Entwicklung begleiten:

    "Das ist ein radikaler Kulturwechsel, vergleichbar mit der Erfindung des Buchdrucks, des Beginns der Autonomie des freien Bürgers. Jetzt wird das abgeschafft: die Industrie, mit ihren festen Normen, mit Pünktlichkeit, Gehorsam wird abgeschafft. Der menschliche Geist erlöst sich eigentlich mindestens in seinen Phantasien und Kommunikation, im Austausch des Wissens, er löst sich von der Realitätsbindung. Er überspringt Zeit und Raum. Er versinkt in einem Mikrokosmos und befreit sich und verschwindet im Universalen. Das sind ungeheure geistige und schöpferische Möglichkeiten, die sich durch diese Technologie eröffnen..."

    ... und den Betroffenen wenigstens in der virtuellen Welt eine Omnipotenz verleihen, auf die sie nicht mehr verzichten möchten und die sie in der realen Welt nicht finden. Verlässlichkeit und klare Regeln, ähnlich, wie in den Gilden der Spielewelten wären im realen Leben die besten Therapieansätze, sind sich die Wissenschaftler einig. Sonst bleiben noch viele Fragen offen, auch ob jede exzessive Arbeit am Computer Sucht gefährdend sei, sagt DHS Vorsitzender Böning:

    "Was wir an intelligenten Fragenstellungen noch gar nicht bisher reflektiert haben, daran sehe ich den großen Vorteil dieses Kongresses. Auch die Fragen, leisten die Jugendlichen nicht auch durch Beherrschung dieser Medien etwas Außergewöhnliches? Sind die nicht professionell und sind sie nicht sogar kreativ in diesem Bereich? Was man ihnen auf keinen Fall zum Vorwurf machen sollte. Die sollten bloß geachtet werden in dieser Leistung. Bloß, es muss die Rückkopplung mit ihrer Familie, mit ihrem Berufsfeld sein. Es darf nicht ausschließlich ihre virtuelle, auf Dauer gepflegte Leistung im Chat bleiben."