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Wenn der Gerichtssaal zum Boulevard wird

Die Rolle der Öffentlichkeit bei Strafprozessen ist enorm und teilweise umstritten. Und nicht erst seid der Debatte um den NSU-Prozess. Darum haben Wissenschaftler und Praktiker an der Uni Trier über Medien und Berichterstattung diskutiert.

Von Ludger Fittkau |
    Das Strafrecht ist ein scharfes Schwert. Strafverfahren entscheiden über das Schicksal von Menschen. Deshalb gibt es die Unschuldsvermutung. Die Antwort auf die Frage, ob jemand schuldig oder unschuldig ist, gibt erst die Hauptverhandlung vor Gericht. Vorher müssen auch Massenmedien mit einem Menschen, gegen den ermittelt wird, schonend umgehen. Sie dürfen ihn nicht an den Pranger stellen. Eine Vorverurteilung ist zu vermeiden. Das ist die Theorie.

    Die Praxis sieht oft anders aus. Das stellte bei der Tagung der Uni Trier der Jurist Norbert Gatzweiler klar, Honorarprofessor an der Uni Köln:

    "Das Verfahren gegen Herrn Kachelmann ist das wohl erschütternste Beispiel für aus den Fugen geratene Medienberichterstattung in unserem Land. Von Anfang an ist in diesem Verfahren nicht nur die Unschuldsvermutung mit Füßen getreten worden. Schwerwiegende Fehlentscheidungen, eine kaum noch nachvollziehbare Einseitigkeit der ermittelnden Staatsanwaltschaft, eine über weite Strecken immer deutlicher werdende Vorfestlegung des Gerichtes, jeweils in deutlicher Kombination mit lancierten Medienberichten haben jede Chance einer Prozessführung, die dem Fair-Trial-Prinzip hätte gerecht werden können, von Anfang an zunichte gemacht."

    Das Fair-Trial-Prinzip. Das ist ein Recht auf ein faires Verfahren, wie es etwa in Artikel 6 der "Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und der Grundfreiheiten" festgeschrieben ist.

    Vor allem, wenn es um Prominente geht, ist Fairness bei den Ermittlungen kaum noch möglich. Kamerateams lauern vor Privatvillen, weil durchgesickert ist, dass ein bekannter Manager festgenommen wird. Fotografen drücken ab, wenn ein Fernsehstar in Handschellen zum Verhör vorgeführt wird. Per Twitter werden die Namen derjenigen, gegen die ermittelt wird, in Sekundenschnelle in der digitalen Welt verbreitet. Am nächsten Tag sind sie in großen Lettern auf Seite Eins der Boulevard-Medien zu lesen.

    Polizeibehörden oder Staatsanwälte haben daran ihren Anteil. Sie füttern die Öffentlichkeit bereits in frühen Ermittlungsphasen mit Details, die zu Vorverurteilungen führen, kritisiert Norbert Gatzweiler, Strafverteidiger und Lehrender an der Kölner Universität:

    "Entgegen der landläufigen Meinung sind es Pressemitteilungen von Polizei und Staatsanwaltschaften bis hin zu Pressekonferenzen der Strafverfolgungsbehörden bereits im Ermittlungsverfahren, zum Beispiel aus Anlass spektakulärer Verhaftungs- oder Durchsuchungsaktionen, die in teilweise verheerender Weise Vorverurteilungscharakter gewinnen, die betroffenen Mitbürger in oft irreparabler Weise stigmatisieren und über Monate, wenn nicht Jahre dem Kreuzfeuer ebenso massiver wie einseitiger und sachlich oft nicht gerechtfertiger Kritik aussetzen."

    Horst Hund, Generalstaatsanwalt im pfälzischen Zweibrücken, wies die Kritik an der Medienarbeit der Ermittlungsbehörden in seinem Vortrag zurück. Hund selbst leitete jahrelang die Medienstelle der Koblenzer Staatsanwaltschaft und musste etwa Presseerklärungen zum Stand der Ermittlungen im Nürburgring- Finanzskandal herausgeben.

    Damit habe er lediglich die Vorgaben des Pressegesetzes erfüllt, das den Medien ein weitgehendes Recht auf Information einräume, so Hund. Wenn die Wissenschaft einen anderen Umgang mit Medien im Strafgerichtsverfahren anmahne, dann sei diese Forderung nicht an die Ermittler, sondern an den Gesetzgeber zu richten, forderte Horst Hund. Aus seiner Sicht sei es durchaus notwendig, über neue rechtliche Begrenzungen für die Öffentlichkeit in Strafverfahren nachzudenken. Vor allem durch die oft atemlose Schnelligkeit der Online-Medien sei eine Informationskontrolle durch die Prozessbeteiligten kaum noch möglich, berichtete der Staatsanwalt aus der Praxis seiner Medienstelle:

    "In einem Fall brauchte eine meiner Medieninformationen über meine News-Mail im Internet ganze 18 Minuten bis zur Veröffentlichung in einer Online-Zeitung. Und dann ging es Schlag auf Schlag. Über Google kann man diese Entwicklung sehr, sehr schön beobachten. Eine Nachricht als erstes Medium auf den Markt zu bringen, scheint das wichtigste Ziel zu sein. Für eigene Recherchen oder auch einen einfachen Faktencheck ist häufig kein Raum mehr. Manche Sachverhalte, die ich aus den Akten gut kannte, habe ich in den Mediendarstellungen kaum wiedererkannt."

    Schlechtes journalistisches Handwerk sei allerdings nicht primär ein rechtliches Problem, merkte Hans Leyendecker von der "Süddeutschen Zeitung" an. Bei der Tagung der Trierer Uni referierte er über die Rolle des Gerichtsreporters im Strafprozess. Leider gebe es nur noch wenige qualifizierte Gerichtsreporter in der deutschen Medienlandschaft, konstatierte Leyendecker:

    "Die Journalisten, die sich für Gerichtsreportagen interessieren oder für sie eingesetzt werden, darüber gibt es eine Untersuchung, sind in der Regel die letzten Rädchen im Getriebe einer Lokalredaktion. Wir reden immer so über Kachelmann und so die großen Fälle, die die Republik bewegen und wer da wo auf welcher Seite aufmarschiert. Aber wenn man sich den Alltag anguckt, guckt so in die Regionalblätter und sieht, wer da schreibt, dann ist man sehr oft in so einem Bereich das man sagt, es schreiben entweder die Alkoholiker oder diejenigen, die gerade begonnen haben in diesem Beruf."

    Heute seien es überdies Sparzwänge, die Tageszeitungen daran hindern, Gerichtsreporter auszubilden und systematisch einzusetzen, damit eine faire Berichterstattung möglich sei, so Leyendecker. Das Publikum und auch viele Journalisten verfügten deshalb oft nicht über die nötigen juristischen Kenntnisse, um wirklich zu verstehen, was in einem Strafprozess passiere:

    "Was dort geschieht, interessiert die Öffentlichkeit nicht nur, weil die Urteile dort im Namen des Volkes gesprochen werden. Viele Leser sind von Risiken und Abgründen, den Unglücksfällen des Lebens fasziniert, aber sie verstehen die Abläufe oft nicht und das galt und das gilt auch für meinen Berufsstand."

    Aber eben auch für viele Juristen, die in verschiedenen Rollen am Strafverfahren beteiligt sind. Eine der Kernfragen der Tagung der Uni Trier lautete: Was ist ohne Gesetzesänderungen möglich, um ein faires Strafverfahren auch unter den verschärften Bedingungen der Internet-Öffentlichkeit zu gewährleisten? Während der Ermittlungen entscheidet in der Regel die Staatsanwaltschaft, welche Informationen sie herausgibt und welche nicht. Horst Hund, Generalstaatsanwalt im pfälzischen Zweibrücken plädiert dafür, gerade in einer frühen Phase des Ermittlungsverfahrens äußerst sparsam mit Informationen umzugehen - vor allem zum Schutz des Beschuldigten:

    "Auf allzu viel Verständnis der Medien darf man übrigens in dieser Phase nicht rechnen. Gerade zu Beginn der Ermittlungen ist das Medieninteresse enorm hoch. Unser Informationsstand hingegen nicht selten unsicher. Verlangt werden die blutigen Einzelheiten und der Hinweis auf blutige Ermittlungen wird nicht gern gehört. Während des laufenden Ermittlungsverfahrens hätten die Medien gerne fortlaufend und ständig Informationen. Dem darf eine Staatsanwaltschaft nicht entsprechen. Zurückhaltung ist geboten bei ständigem Nachfragen während des Laufs der Ermittlungen. Ich hätte beim Nürburgring jeden Tag eine Presseinformation rausgeben können, wenn es nach den Medien gegangen wäre. Ständige Wasserstandsmeldungen während des Ermittlungsverfahrens können die Beschuldigtenrechte über Gebühr beeinträchtigen."

    Doch auch mit dem Beginn einer Hauptverhandlung müsse der Respekt vor einem Angeklagten gewahrt bleiben, so der Tenor der Tagung. Hans Leyendecker erinnerte noch einmal an einen Leitsatz des berühmten Nachkriegs-Gerichtsreporters Gerhard Mauz. Die Medien mahnte Mauz, im Strafverfahren die Beobachterrolle nicht zu verlassen und sich niemals ganz mit einer Partei gemein zu machen. Die Ziele für den Berichterstatter aus dem Strafprozess müssen bescheiden bleiben, fordert Leyendecker - Mauz zitierend:

    "Er kann vielleicht erreichen, dass der eine oder andere seine gefestigte Meinung einmal von außen betrachtet, um sie herumgeht und prüft, ob sie nicht gar zu fest, ob sie nicht möglicherweise erstarrt ist und ein wenig Bewegung braucht. Das muss Journalismus versuchen."