"Im Prinzip kommt das nicht gerade täglich. Aber drei, vier, fünfmal in der Woche kommt das bestimmt immer hoch. Es ist das Erlebnis des Bombardements von Dresden, vielleicht mein allererstes Erlebnis, was ich behalten habe. Das war für mich so eindrucksvoll Böse, dass man das einfach immer wieder durchleben muss."
Klaus Fischer war dreieinhalb Jahre alt, als Dresden am 13. und 14. Februar 1945 bombardiert wurde.
"Ich wachte als kleiner Junge nachts um zwei war das, ich habe das hinterher nachgeprüft, auf. Und das Haus brannte am Eingang und da mussten wir raus aus dem brennenden Hausflur und die Tante hatte mich auf dem Arm und ich höre noch die Frage. Jetzt müssen wir springen. Da war ein brennender Bombentrichter vor der Haustür. Wenn ich nicht springe, verbrennen wir, wenn ich reinfalle verbrennen wir auch und wenn wir es schaffen, dann leben wir noch. Und dann springe ich mit der Tante und das passiert nun eigentlich sehr oft in Gedanken."
Die Schilderungen des 67 Jahre alten Mannes sind typisch für eine posttraumatische Belastungsstörung: Die Betroffenen müssen sich immer wieder unfreiwillig an ein Ereignis erinnern. Sie versuchen Situationen zu vermeiden, die sie zu dem Erlebten zurückbringen, stehen unter Druck, dass bei ihnen selbst im Blut Stress nachweisbar ist und schotten sich emotional ab, um das Trauma nicht noch einmal erleben zu müssen. Schätzungen sprechen davon, dass etwa jedes 20. Kind, das in Deutschland den zweiten Weltkrieg miterlebte, Symptome solch einer posttraumatischen Belastungsstörung kennt.
"Der entscheidende Punkt bei diesen Wieder-Erinnerungen ist, dass ihnen die Färbung der Vergangenheit fehlt. Das heißt es ist für die Betroffenen, obwohl das Kriegsende 60 Jahre her ist, so, als ob sie das Trauma erneut wieder erleben müssen."
Philipp Kuwert, Psychologe und Arzt von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Greifswald. Er gehört der Forschergruppe Lebenstagebuch.de an. Sie bietet Kriegskindern einen geschützten therapeutischen Rahmen, sich an Erfahrungen im zweiten Weltkrieg zu erinnern.
"Es gibt keine nachgewiesen wirksame Behandlung traumatisierter Älterer. Das war der Impuls, überhaupt etwas in diesem Bereich zu machen und dann eine Behandlung zu entwickeln auf Grund von klinischen Erfahrungen und vorheriger Forschungsergebnissen zur Behandlung psychischer Traumata im Alter."
Christine Knaevelsrud vom Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer. Zwar ist vor allem durch die Holocaustforschung bereits seit einigen Jahrzehnten bekannt, wie auch kleine Kinder durch lebensbedrohliche Ereignissen lebenslang traumatisiert sein können und die Folgen davon an die nächsten Generationen weitergeben werden. Doch dieses Wissen führte sowohl in der Wissenschaft als auch in der Therapie 60 Jahre lang nicht dazu, auch die Kinder aus dem Land der Verursacher des Krieges als Opfer anzuerkennen. Ihr Schicksal blieb tabuisiert.
"Das sieht man bei den Patienten selber, die große Schwierigkeiten haben zu sagen, ich habe damals gelitten, ich wurde als Kind vergewaltigt oder misshandelt, weil sie das immer wieder relativieren. Ich weiß, was wir Deutschen anderen angetan haben. Und trotzdem lebe ich 60, 70 Jahre mit dem Trauma. Das ist eine spezifisch deutsche Geschichte der kollektiven Schuld sozusagen, dass das auch für die Einzelnen schwierig ist anzuerkennen: Auch wenn es diese Schuld gab. Es ist trotzdem wichtig das Leid und die Geschichten der Einzelnen anzuerkennen."
Mit der Schreibtherapie "Lebenstagebuch.de" erhalten die Kriegskinder von einst die Möglichkeit, das Geschehene aufzuschreiben, zu bearbeiten und dadurch in ihr Leben zu integrieren. Die Wissenschaftler und Therapeuten nutzen für ihr Angebot Ansätze von gut evaluierten Schreibtherapien und kombinieren diese mit einem neuen Medium, dem Internet. Mit Onlinetherapien begleitet das Zentrum für Folteropfer seit zehn Jahren weltweit Patienten. Neu ist es, diesen Ansatz nun gezielt mit Patienten im Rentenalter zu erproben. Ein Fragebogen zu Beginn des Kontaktes erlaubt, die Traumatisierung der Patienten einzuschätzen und zu überprüfen, ob der Onlinekontakt und das Schreiben für sie und ihre Lebenssituation angemessen erscheinen. Anschließend werden die Studienteilnehmer mit individuellen Emails aufgefordert, ihr Leben in sieben Lebensphasen zu rekonstruieren. Oft zum ersten Mal schildern sie ausführlich das traumatische Erlebnis, um es noch einmal emotional zu durchleben und nicht nur sachlich zu erklären oder zu verdrängen.
"Ich wusste als Kind und später, wenn ich einen Rappel gekriegt habe, da kriegte ich von Mutter die Entschuldigung, lasst den Kleinen mal in Ruhe, der hatte seine Erfahrungen in Dresden. Und in meinen Beziehungen, musste ich mit mir selber klar kommen. Da gab es dann niemanden mehr, der mir da irgendwie geholfen hätte. Es war auch nicht ableitbar, dass das solche Auswirkungen hat aus solchen Ereignissen."
Das Problem ist, das die Betroffenen sehr häufig in dem Moment stoppen in der Erzählung, wenn die entscheidenden Details kommen sollten, weil sie es niemand zumuten möchten. Das führt aber dazu, dass sie niemals die Erfahrung machen können, dass die erneute Erzählung des Traumatas in dem gleichen Maße wie in der damaligen belastenden Situation wie damals von Gefühlen überschwemmt werden, die sie nicht kontrollieren können. Dadurch bleibt vor der Therapie, wie wir das nennen, das Trauma abgespalten.
Philipp Kuwert zeigt in einer anderen Studie, dass es die von einem Trauma Betroffenen entlastet, in ihrem sozialen Umfeld oder in der Gesellschaft als Opfer anerkannt zu sein. Darauf mussten traumatisierte Kriegskinder mehr als 60 Jahre warten. Schuld und Scham und die Erziehung als Kriegskinder, "hart wie Kruppstahl" sein zu müssen, ließen die heute 70 und 80 jährigen ihrerseits jahrzehntelang schweigen. Dieses Verstummen hat für Patienten aus den neuen Bundesländern häufig noch eine besondere Färbung. Da in der DDR die Sowjetarmee ungebrochen als Befreier geehrt wurde, verbot es sich beispielsweise, über die erlittene sexuelle Gewalt zu sprechen.
Kuwert: "Nehmen sie eine Patientin, die eine Kriegsvergewaltigung als Kind übrigens erlitten hat mit 7 Jahren, die da erstmal nüchtern drüber schreibt. Erst durch die Reaktion der Therapeutin, die da noch mal nachfragte, widmen sie noch einmal den entscheidenden Momenten der Traumatisierung zu, wie ging ihnen da in dem Moment, was war das Schlimmste./ Und beispielsweise bei dieser Patientin war das keinesfalls die Vergewaltigung, die Penetration, sondern das sie danach als siebenjährige ins Bett eingenässt hat, und dadurch eine enorme Scham vor den Eltern hatte. /Und erst als die Studientherapeutin diese Scham mit der Patientin durchgearbeitet hat, kam es zu einer deutlichen Besserung der posttraumatischen Symptome."
Knaevelsrud: "Ich glaube auch da hilft es, erstmal eine visuelle Anonymität zu haben. Das heißt nicht von Anfang an jemand zu haben und ins Gesicht zu blicken und zu sagen, das und das und das ist mir passiert damals, sondern das erstmal schreiben zu können und auch ein stückweit dieses Schutzschild dieser visuellen Anonymität zu haben."
Dabei sind Therapien für Ältere noch immer unüblich. Nur ein Prozent der von den Kassen bezahlten Behandlungen richten sich an Menschen über 60 Jahren. Gerade denen scheint der Ansatz einer internetgestützten Schreibtherapie entgegen zu kommen. Patient und Therapeut müssen nicht zur gleichen Zeit am selben Ort sein und auch weniger mobile Senioren können einbezogen werden, bemerkt Christine Knaevelsrud.
"Gleichzeitig muss man sagen: Es ist ein anderes Setting und es ist häufig weniger breit in den Effekten, die es auslöst. Das heißt im Endeffekt wird ganz viel aus einem selber aufgefüllt an Informationen, die man von dem anderen nicht hat. Ich glaube, dass das was Positives ist, was einem erlaubt, sehr stark störungsorientiert zu arbeiten. Das heißt es geht gar nicht darum, was noch außen passiert, sondern sich wirklich sehr fokussiert darauf zu konzentrieren, worum es in der Therapie geht. Das heißt in dem Fall wirklich die Behandlung von traumatischen Erinnerungen. Und das ist auch etwas, was viele Patienten beschreiben oder in den Kommentaren danach uns rückmelden. Ich hätte nie gedacht, dass ich das schaffe. Das heißt dieses Bewusstsein, ich hatte eine Begleiterin, Unterstützerin, aber ich habe das geschafft. Ohne meinen Text wäre das nicht möglich gewesen."
Bisher 60 Frauen und Männer um die 70 Jahre folgten der Einladung, ihre Erinnerungen als ein Lebenstagebuch aufzuschreiben. Manche Patienten schildern, dass sie 60 Jahre lang mit den peinigenden Erinnerungen leben. Andere verdrängten das Geschehen und kümmerten sich um Beruf und Familie. Dies aber funktioniert oft nicht länger, wenn ein Partner stirbt oder durch den Umzug in ein Altersheim die Bilder von Krieg und Vertreibung wieder aufleben. Für alle ehemaligen Kriegskinder aber spielt eine Rolle, im dritten oder gar vierten Lebensalter so etwas wie eine Lebensbilanz ziehen zu wollen.
Klaus Fischer fand mit dem Eintritt in das Rentenalter endlich die Zeit und auch den emotionalen Freiraum, sich seiner Vergangenheit zuzuwenden und auch die darin verborgenen Ressourcen zu sehen.
"Ich konnte diese Ergebnisse für mich noch mal zusammenfassen, als erstes, es ist passiert. Du musst damit leben und du kannst dich auch damit nicht immer entschuldigen, wo du einen Freibrief hast für gewisse Reaktionen des Lautwerdens. Und dann konnte ich mich von einem gewissen Selbstmitleid trennen. Und dann muss ich auch sagen, es war für mich eine wunderbare Fügung, dass ich jemand hatte, der sich um mich gekümmert hat. Das war meine Tante. Ohne sie wäre ich wahrscheinlich verbrannt und das sitzt ganz tief drin."
Eine neue Haltung gewann Klaus Fischer zu seinem Leben, eine neue Bereitschaft auch, sich auf seine Beziehungen einzulassen. Von den 60 Teilnehmern, die sich bisher für die etwa ein viertel Jahr dauernde Therapie anmeldeten, brachen nur vier Patienten die Behandlung ab - sehr wenig, im Vergleich zu sonst bei Therapien üblichen Abbruchsraten von 30 Prozent.
Drei Monate nach Abschluss der Therapie weisen die Wissenschaftler nach, dass die Patienten weniger unter Angst, Schlaflosigkeit, Panikattacken und Hoffnungslosigkeit leiden. Sie erobern sich das Gefühl zurück, ihr Leben in der Hand zu haben und sind nicht länger von tief sitzenden, unbeherrschbaren Affekten getrieben. Von dieser Heilung für die Kriegskinder profitieren oft auch die Kriegsenkel und deren Kinder, betont die Psychologin Christine Knavelsrud:
"Selbstverständlich spielt das in der Therapie eine Rolle, dass Patienten denken in der Therapie darüber nach, inwiefern ihre Kinder etwas davon mitbekommen haben und auch in der Therapie Momente des Bereuens haben und Momente des Innehaltens, weil sie sehen, ich konnte in dem Moment nicht weicher sein zu meinen Kindern. Ich konnte diese Härte, die ich mir selbst gegenüber hatte, meinen Kindern gegenüber nicht aufheben/ dass hat zur Folge, dass die Kinder sich an die Eltern auch nicht so nah gebunden haben. Aber das ist häufig auch etwas, was erst so explizit angesprochen wird in der Therapie/und das ist auch schon ein wichtiger Aspekt, dass sie es für sich selber erkennen und in der Folge mit ihren Kindern erstmalig darüber reden können, warum diese Härte in einer bestimmten Lebensphase für sie lebenswichtig war."
Klaus Fischer war dreieinhalb Jahre alt, als Dresden am 13. und 14. Februar 1945 bombardiert wurde.
"Ich wachte als kleiner Junge nachts um zwei war das, ich habe das hinterher nachgeprüft, auf. Und das Haus brannte am Eingang und da mussten wir raus aus dem brennenden Hausflur und die Tante hatte mich auf dem Arm und ich höre noch die Frage. Jetzt müssen wir springen. Da war ein brennender Bombentrichter vor der Haustür. Wenn ich nicht springe, verbrennen wir, wenn ich reinfalle verbrennen wir auch und wenn wir es schaffen, dann leben wir noch. Und dann springe ich mit der Tante und das passiert nun eigentlich sehr oft in Gedanken."
Die Schilderungen des 67 Jahre alten Mannes sind typisch für eine posttraumatische Belastungsstörung: Die Betroffenen müssen sich immer wieder unfreiwillig an ein Ereignis erinnern. Sie versuchen Situationen zu vermeiden, die sie zu dem Erlebten zurückbringen, stehen unter Druck, dass bei ihnen selbst im Blut Stress nachweisbar ist und schotten sich emotional ab, um das Trauma nicht noch einmal erleben zu müssen. Schätzungen sprechen davon, dass etwa jedes 20. Kind, das in Deutschland den zweiten Weltkrieg miterlebte, Symptome solch einer posttraumatischen Belastungsstörung kennt.
"Der entscheidende Punkt bei diesen Wieder-Erinnerungen ist, dass ihnen die Färbung der Vergangenheit fehlt. Das heißt es ist für die Betroffenen, obwohl das Kriegsende 60 Jahre her ist, so, als ob sie das Trauma erneut wieder erleben müssen."
Philipp Kuwert, Psychologe und Arzt von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Greifswald. Er gehört der Forschergruppe Lebenstagebuch.de an. Sie bietet Kriegskindern einen geschützten therapeutischen Rahmen, sich an Erfahrungen im zweiten Weltkrieg zu erinnern.
"Es gibt keine nachgewiesen wirksame Behandlung traumatisierter Älterer. Das war der Impuls, überhaupt etwas in diesem Bereich zu machen und dann eine Behandlung zu entwickeln auf Grund von klinischen Erfahrungen und vorheriger Forschungsergebnissen zur Behandlung psychischer Traumata im Alter."
Christine Knaevelsrud vom Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer. Zwar ist vor allem durch die Holocaustforschung bereits seit einigen Jahrzehnten bekannt, wie auch kleine Kinder durch lebensbedrohliche Ereignissen lebenslang traumatisiert sein können und die Folgen davon an die nächsten Generationen weitergeben werden. Doch dieses Wissen führte sowohl in der Wissenschaft als auch in der Therapie 60 Jahre lang nicht dazu, auch die Kinder aus dem Land der Verursacher des Krieges als Opfer anzuerkennen. Ihr Schicksal blieb tabuisiert.
"Das sieht man bei den Patienten selber, die große Schwierigkeiten haben zu sagen, ich habe damals gelitten, ich wurde als Kind vergewaltigt oder misshandelt, weil sie das immer wieder relativieren. Ich weiß, was wir Deutschen anderen angetan haben. Und trotzdem lebe ich 60, 70 Jahre mit dem Trauma. Das ist eine spezifisch deutsche Geschichte der kollektiven Schuld sozusagen, dass das auch für die Einzelnen schwierig ist anzuerkennen: Auch wenn es diese Schuld gab. Es ist trotzdem wichtig das Leid und die Geschichten der Einzelnen anzuerkennen."
Mit der Schreibtherapie "Lebenstagebuch.de" erhalten die Kriegskinder von einst die Möglichkeit, das Geschehene aufzuschreiben, zu bearbeiten und dadurch in ihr Leben zu integrieren. Die Wissenschaftler und Therapeuten nutzen für ihr Angebot Ansätze von gut evaluierten Schreibtherapien und kombinieren diese mit einem neuen Medium, dem Internet. Mit Onlinetherapien begleitet das Zentrum für Folteropfer seit zehn Jahren weltweit Patienten. Neu ist es, diesen Ansatz nun gezielt mit Patienten im Rentenalter zu erproben. Ein Fragebogen zu Beginn des Kontaktes erlaubt, die Traumatisierung der Patienten einzuschätzen und zu überprüfen, ob der Onlinekontakt und das Schreiben für sie und ihre Lebenssituation angemessen erscheinen. Anschließend werden die Studienteilnehmer mit individuellen Emails aufgefordert, ihr Leben in sieben Lebensphasen zu rekonstruieren. Oft zum ersten Mal schildern sie ausführlich das traumatische Erlebnis, um es noch einmal emotional zu durchleben und nicht nur sachlich zu erklären oder zu verdrängen.
"Ich wusste als Kind und später, wenn ich einen Rappel gekriegt habe, da kriegte ich von Mutter die Entschuldigung, lasst den Kleinen mal in Ruhe, der hatte seine Erfahrungen in Dresden. Und in meinen Beziehungen, musste ich mit mir selber klar kommen. Da gab es dann niemanden mehr, der mir da irgendwie geholfen hätte. Es war auch nicht ableitbar, dass das solche Auswirkungen hat aus solchen Ereignissen."
Das Problem ist, das die Betroffenen sehr häufig in dem Moment stoppen in der Erzählung, wenn die entscheidenden Details kommen sollten, weil sie es niemand zumuten möchten. Das führt aber dazu, dass sie niemals die Erfahrung machen können, dass die erneute Erzählung des Traumatas in dem gleichen Maße wie in der damaligen belastenden Situation wie damals von Gefühlen überschwemmt werden, die sie nicht kontrollieren können. Dadurch bleibt vor der Therapie, wie wir das nennen, das Trauma abgespalten.
Philipp Kuwert zeigt in einer anderen Studie, dass es die von einem Trauma Betroffenen entlastet, in ihrem sozialen Umfeld oder in der Gesellschaft als Opfer anerkannt zu sein. Darauf mussten traumatisierte Kriegskinder mehr als 60 Jahre warten. Schuld und Scham und die Erziehung als Kriegskinder, "hart wie Kruppstahl" sein zu müssen, ließen die heute 70 und 80 jährigen ihrerseits jahrzehntelang schweigen. Dieses Verstummen hat für Patienten aus den neuen Bundesländern häufig noch eine besondere Färbung. Da in der DDR die Sowjetarmee ungebrochen als Befreier geehrt wurde, verbot es sich beispielsweise, über die erlittene sexuelle Gewalt zu sprechen.
Kuwert: "Nehmen sie eine Patientin, die eine Kriegsvergewaltigung als Kind übrigens erlitten hat mit 7 Jahren, die da erstmal nüchtern drüber schreibt. Erst durch die Reaktion der Therapeutin, die da noch mal nachfragte, widmen sie noch einmal den entscheidenden Momenten der Traumatisierung zu, wie ging ihnen da in dem Moment, was war das Schlimmste./ Und beispielsweise bei dieser Patientin war das keinesfalls die Vergewaltigung, die Penetration, sondern das sie danach als siebenjährige ins Bett eingenässt hat, und dadurch eine enorme Scham vor den Eltern hatte. /Und erst als die Studientherapeutin diese Scham mit der Patientin durchgearbeitet hat, kam es zu einer deutlichen Besserung der posttraumatischen Symptome."
Knaevelsrud: "Ich glaube auch da hilft es, erstmal eine visuelle Anonymität zu haben. Das heißt nicht von Anfang an jemand zu haben und ins Gesicht zu blicken und zu sagen, das und das und das ist mir passiert damals, sondern das erstmal schreiben zu können und auch ein stückweit dieses Schutzschild dieser visuellen Anonymität zu haben."
Dabei sind Therapien für Ältere noch immer unüblich. Nur ein Prozent der von den Kassen bezahlten Behandlungen richten sich an Menschen über 60 Jahren. Gerade denen scheint der Ansatz einer internetgestützten Schreibtherapie entgegen zu kommen. Patient und Therapeut müssen nicht zur gleichen Zeit am selben Ort sein und auch weniger mobile Senioren können einbezogen werden, bemerkt Christine Knaevelsrud.
"Gleichzeitig muss man sagen: Es ist ein anderes Setting und es ist häufig weniger breit in den Effekten, die es auslöst. Das heißt im Endeffekt wird ganz viel aus einem selber aufgefüllt an Informationen, die man von dem anderen nicht hat. Ich glaube, dass das was Positives ist, was einem erlaubt, sehr stark störungsorientiert zu arbeiten. Das heißt es geht gar nicht darum, was noch außen passiert, sondern sich wirklich sehr fokussiert darauf zu konzentrieren, worum es in der Therapie geht. Das heißt in dem Fall wirklich die Behandlung von traumatischen Erinnerungen. Und das ist auch etwas, was viele Patienten beschreiben oder in den Kommentaren danach uns rückmelden. Ich hätte nie gedacht, dass ich das schaffe. Das heißt dieses Bewusstsein, ich hatte eine Begleiterin, Unterstützerin, aber ich habe das geschafft. Ohne meinen Text wäre das nicht möglich gewesen."
Bisher 60 Frauen und Männer um die 70 Jahre folgten der Einladung, ihre Erinnerungen als ein Lebenstagebuch aufzuschreiben. Manche Patienten schildern, dass sie 60 Jahre lang mit den peinigenden Erinnerungen leben. Andere verdrängten das Geschehen und kümmerten sich um Beruf und Familie. Dies aber funktioniert oft nicht länger, wenn ein Partner stirbt oder durch den Umzug in ein Altersheim die Bilder von Krieg und Vertreibung wieder aufleben. Für alle ehemaligen Kriegskinder aber spielt eine Rolle, im dritten oder gar vierten Lebensalter so etwas wie eine Lebensbilanz ziehen zu wollen.
Klaus Fischer fand mit dem Eintritt in das Rentenalter endlich die Zeit und auch den emotionalen Freiraum, sich seiner Vergangenheit zuzuwenden und auch die darin verborgenen Ressourcen zu sehen.
"Ich konnte diese Ergebnisse für mich noch mal zusammenfassen, als erstes, es ist passiert. Du musst damit leben und du kannst dich auch damit nicht immer entschuldigen, wo du einen Freibrief hast für gewisse Reaktionen des Lautwerdens. Und dann konnte ich mich von einem gewissen Selbstmitleid trennen. Und dann muss ich auch sagen, es war für mich eine wunderbare Fügung, dass ich jemand hatte, der sich um mich gekümmert hat. Das war meine Tante. Ohne sie wäre ich wahrscheinlich verbrannt und das sitzt ganz tief drin."
Eine neue Haltung gewann Klaus Fischer zu seinem Leben, eine neue Bereitschaft auch, sich auf seine Beziehungen einzulassen. Von den 60 Teilnehmern, die sich bisher für die etwa ein viertel Jahr dauernde Therapie anmeldeten, brachen nur vier Patienten die Behandlung ab - sehr wenig, im Vergleich zu sonst bei Therapien üblichen Abbruchsraten von 30 Prozent.
Drei Monate nach Abschluss der Therapie weisen die Wissenschaftler nach, dass die Patienten weniger unter Angst, Schlaflosigkeit, Panikattacken und Hoffnungslosigkeit leiden. Sie erobern sich das Gefühl zurück, ihr Leben in der Hand zu haben und sind nicht länger von tief sitzenden, unbeherrschbaren Affekten getrieben. Von dieser Heilung für die Kriegskinder profitieren oft auch die Kriegsenkel und deren Kinder, betont die Psychologin Christine Knavelsrud:
"Selbstverständlich spielt das in der Therapie eine Rolle, dass Patienten denken in der Therapie darüber nach, inwiefern ihre Kinder etwas davon mitbekommen haben und auch in der Therapie Momente des Bereuens haben und Momente des Innehaltens, weil sie sehen, ich konnte in dem Moment nicht weicher sein zu meinen Kindern. Ich konnte diese Härte, die ich mir selbst gegenüber hatte, meinen Kindern gegenüber nicht aufheben/ dass hat zur Folge, dass die Kinder sich an die Eltern auch nicht so nah gebunden haben. Aber das ist häufig auch etwas, was erst so explizit angesprochen wird in der Therapie/und das ist auch schon ein wichtiger Aspekt, dass sie es für sich selber erkennen und in der Folge mit ihren Kindern erstmalig darüber reden können, warum diese Härte in einer bestimmten Lebensphase für sie lebenswichtig war."