Archiv


Wenn die Koralle erzählt

Klimaforschung. - Als die jüngste Eiszeit zu Ende ging, brachen auf vielen Kontinenten große Eisschilde zusammen - und der Meeresspiegel begann rapide zu steigen - um bis zu 15 Metern. Würde das heute passieren, auf einer Welt mit mehr als sechs Milliarden Menschen, wäre die Katastrophe perfekt.

Von Dagmar Röhrlich | 16.04.2009
    Der Klimawandel läuft: Auf Grönland schwinden die Gletscher, in der Antarktis zerfällt das Schelfeis, das Meer wird wärmer und dehnt sich aus. Die Folge ist klar: Der Meeresspiegel steigt. Die Frage ist nur, wie schnell:

    "Wir müssen dringend erfahren, ob der Klimawandel das Eis Grönlands und der Antarktis langsam abschmelzen lässt, oder ob es in den nächsten 200 Jahren zu einem Kollaps des Eises und damit zu einem katastrophalen Meeresspiegelanstieg kommt."

    Paul Blanchon von der Universidad Nacional Autonoma de Mexico in Cancun. Um das Risiko einer "Sintflut" abschätzen zu können, hat er fossile Korallenriffe untersucht, die heute auf der Yucatan-Halbinsel in Mexiko mehrere Meter über dem Meer zu finden sind. Der Datierung zufolge sind sie rund 121.000 Jahre alt - stammen also aus der Eem-Warmzeit, der letzten Warmzeit vor der unseren:

    "Mit Hilfe dieser Riffe haben wir nach Anzeichen für einen sprunghaften Anstieg des Meeresspiegels während der Eem-Warmzeit gesucht. Damals war die Welt rund zwei Grad wärmer als heute, der Meeresspiegel war erheblich höher und es gab viel weniger Eis auf der Erde, aber die Yucatan-Halbinsel war bereits eine Halbinsel. Das macht sie zum idealen Ort, um herauszufinden, was der menschengemachte Klimawandel in unserer eigenen Warmzeit anrichten kann."

    In den Steinen von Yucatan entdeckten die Wissenschaftler zwei fossile Riffdächer, also das, was einmal dem horizontalen Teil eines Riffs entsprochen hat. Die entstehen auf Höhe des mittleren Meeresniveaus, das sich deshalb mit ihrer Hilfe rekonstruieren lässt:

    "Das erste fossile Riffdach haben wir drei Meter über dem heutigen Meeresspiegel gefunden, das spätere war weiter landeinwärts und noch einmal zwei Meter höher. Dann haben wir uns diese beiden Riffdächer näher angeschaut. Wir erkannten, dass der Meeresspiegelanstieg rasant war: Für die zwei Meter hat er nur ein oder zwei Korallengenerationen gebraucht, also etwa 50 Jahre: Das macht fünf Zentimeter pro Jahr. So ein Anstieg funktioniert nicht mit einfachem Abschmelzen der Gletscher, dazu müssen die Eisschilde kollabieren."

    Zwei Meter in 50 Jahren - wie sicher ist diese Berechnung? Sehr, erklärt Paul Blanchon: Schließlich seien die Riffbewohner über die vergangenen 121.000 Jahre die gleichen geblieben. Die modernen Wachstumsraten ließen sich also problemlos übertragen:

    "Damit haben wir den ersten klaren Hinweis, dass es während der Eem-Warmzeit einen katastrophalen Meeresspiegelanstieg gegeben hat. Dieser Anstieg war um eine Größenordnung höher als alles, was wir während der vergangenen 50 Jahre erlebt haben. Es hat also Ärger gegeben."

    Der Geologe ist von diesem schnellen Meeresspiegelanstieg vor 121.000 Jahren überzeugt. Allerdings wird diese Studie kontrovers aufgenommen. Das Problem ist die Datierung der beiden Riffe. Sie gelang nur beim jüngeren. Auf das Alter des Älteren schlossen die Forscher aufgrund der Wachstumsraten und aus Vergleichen mit sehr gut datierten Riffen von den Bahamas. Ein anderer Kritikpunkt: Mit nur einem Punkt auf der ganzen Welt ist die Datenbasis für eine weitreichende Aussage etwas dünn. Dem stimmt Blanchon zu:

    "Wir müssen nun andere Gebiete dieser Art untersuchen, etwa in Westaustralien. Wenn wir auch anderswo sehen, dass in der fraglichen Zeit ein Riff abstirbt und das neue etwas weiter landeinwärts und höher gelegen weiter wächst, können wir uns mit jedem neuen Fundort sicherer sein. Bislang haben wir aber nur diesen ersten Hinweis."

    Vorhersagen, dass es einen solchen katastrophalen Anstieg geben wird, könne er nicht, betont er außerdem. Aber das Risiko, das besteht.