Saint-Leu ist ein beschauliches Altstadtviertel: pittoreske Klinkerbauten und Fachwerkhäuser, enge Gassen, gleich neben der gotischen Kathedrale von Amiens. Ausgerechnet hier hat im August eine Handvoll junger Leute eine Bürgerwehr organisiert: das "Komitee der Wachsamkeit von Saint-Leu" - gegründet via Facebook. Nadia Motillon, Vorsitzende eines Einwohnervereins von Saint-Leu, hat - wie die meisten Stadtteilbewohner - erst aus der Lokalpresse von der Initiative erfahren:
"Ich glaube, dass dieses Komitee mehr Probleme verursachen als lösen wird. Es stimmt zwar, dass es auch in Saint-Leu Kriminalität gibt, aggressive Übergriffe und Verstöße gegen die öffentliche Ordnung. – Aber das gibt es woanders auch. Wir fürchten, dass sich jetzt Einwohner mit Problemen auf dem Blog des Komitees melden, Leute öffentlich beschuldigt werden und sich die Sache dann hochschaukelt."
Erste Probleme gibt es bereits. Auf der Internetseite des Komitees wurde der Name eines vermeintlichen Diebes veröffentlicht, begleitet von rassistischen Hetzparolen und Drohungen. Die Lokalzeitung, der "Courrier Picard", der kritisch über die Bürgerwehr berichtet hatte, wurde von einer Flut rechtsradikaler Leserkommentare überschwemmt. Darunter Leserbriefe von den Gründern der Bürgerwehr, die ihre Aktion mit der angeblichen Untätigkeit der Politiker und Polizei in Amiens rechtfertigen. Zugleich scheuen die Organisatoren der Bürgerwehr die Öffentlichkeit, auf Interviewanfragen reagieren sie nicht.
Emilie Thérouin, stellvertretende Bürgermeisterin und verantwortlich für Kriminalitätsprävention, verteidigt sich: Rathaus und Polizei kämen ihren Pflichten nach; die Gründung der Bürgerwehr sei vielmehr die Folge einer Kampagne der Polizeipräfektur.
"Wir glauben, dass es mit einem Aufruf staatlicher Stellen zu tun hat. Die haben die Bürger aufgefordert, sich an der Kriminalitätsbekämpfung der Polizei zu beteiligen und wachsam zu sein. Auf allen Fernsehkanälen wurde gezeigt, wie sich Nachbarn organisieren, um selbst für Sicherheit zu sorgen."
Die selbst ernannte Bürgerwehr von Saint-Leu arbeitet jedoch weder mit der Polizei zusammen, noch gibt es Kontakte mit Lokalpolitikern des Viertels oder dem Rathaus. Besonders beunruhigend findet Thérouin, dass Mitglieder des Komitees bewaffnet sein sollen.
"Das haben sie in der Lokalzeitung behauptet, dass sie Tränengasbomben haben. Die gelten in Frankreich als Waffe der Kategorie 6. Schon der Besitz und erst recht der Einsatz sind verboten."
Doch Bürgerwehren, wie es sie in Amiens und einigen Gemeinden in Südfrankreich gibt, sind die Ausnahme. Die von der französischen Regierung lancierte staatliche Förderung der sogenannten citoyens vigilants – der wachsamen Bürger - entpuppt sich als Flop. Im Elsass etwa, wo seit 2010 mehrere Gemeinden an einem Modellversuch teilnehmen, Polizeipräfekturen und Bürgermeister auf Informationsveranstaltungen für das Bürgerengagement werben, ist das Interesse in der Bevölkerung gleich Null. Begriffe wie Hilfssheriffs, Denunziantentum machen die Runde. Viele fühlen sich erinnert an die Überwachungsmethoden während der nationalsozialistischen Besatzung.
Gegenwind kommt auch von Berufsverbänden der französischen Polizei. Mickaël Bucheron, Pressesprecher von UNSA-Police, Frankreichs größter Polizeigewerkschaft:
"Bei der Polizei wurden landesweit in den vergangenen Jahren vier- bis fünftausend Stellen gestrichen. Wir haben das Gefühl, dass die Lücken nun auf diese Weise aufgefüllt werden sollen. Wir halten das für ein riskantes Vorhaben. Übereifrige Freiwillige, die in ihren Vierteln patrouillieren, können schnell sich selbst und andere in Gefahr bringen. Wir fordern deshalb, dass mehr ausgebildete Polizisten eingestellt werden, die das Gesetz kennen, sich an die Vorschriften halten und – wie früher - vor Ort präsent sein können."
Die Chancen auf Neueinstellungen stehen schlecht. Zwar setzt die französische Regierung im angelaufenen Präsidentschaftswahlkampf weiterhin auf das populäre Thema Kriminalitätsbekämpfung. Der zuständige Innenminister Claude Guéant verspricht regelmäßig mehr Sicherheit und mehr Polizeieinsätze. Doch dabei verschweigt der Minister gern ein anderes Wahlversprechen der Regierung: den konsequenten Abbau der Beamtenstellen in ausnahmslos allen Bereichen, inklusive dem der Polizei.
"Ich glaube, dass dieses Komitee mehr Probleme verursachen als lösen wird. Es stimmt zwar, dass es auch in Saint-Leu Kriminalität gibt, aggressive Übergriffe und Verstöße gegen die öffentliche Ordnung. – Aber das gibt es woanders auch. Wir fürchten, dass sich jetzt Einwohner mit Problemen auf dem Blog des Komitees melden, Leute öffentlich beschuldigt werden und sich die Sache dann hochschaukelt."
Erste Probleme gibt es bereits. Auf der Internetseite des Komitees wurde der Name eines vermeintlichen Diebes veröffentlicht, begleitet von rassistischen Hetzparolen und Drohungen. Die Lokalzeitung, der "Courrier Picard", der kritisch über die Bürgerwehr berichtet hatte, wurde von einer Flut rechtsradikaler Leserkommentare überschwemmt. Darunter Leserbriefe von den Gründern der Bürgerwehr, die ihre Aktion mit der angeblichen Untätigkeit der Politiker und Polizei in Amiens rechtfertigen. Zugleich scheuen die Organisatoren der Bürgerwehr die Öffentlichkeit, auf Interviewanfragen reagieren sie nicht.
Emilie Thérouin, stellvertretende Bürgermeisterin und verantwortlich für Kriminalitätsprävention, verteidigt sich: Rathaus und Polizei kämen ihren Pflichten nach; die Gründung der Bürgerwehr sei vielmehr die Folge einer Kampagne der Polizeipräfektur.
"Wir glauben, dass es mit einem Aufruf staatlicher Stellen zu tun hat. Die haben die Bürger aufgefordert, sich an der Kriminalitätsbekämpfung der Polizei zu beteiligen und wachsam zu sein. Auf allen Fernsehkanälen wurde gezeigt, wie sich Nachbarn organisieren, um selbst für Sicherheit zu sorgen."
Die selbst ernannte Bürgerwehr von Saint-Leu arbeitet jedoch weder mit der Polizei zusammen, noch gibt es Kontakte mit Lokalpolitikern des Viertels oder dem Rathaus. Besonders beunruhigend findet Thérouin, dass Mitglieder des Komitees bewaffnet sein sollen.
"Das haben sie in der Lokalzeitung behauptet, dass sie Tränengasbomben haben. Die gelten in Frankreich als Waffe der Kategorie 6. Schon der Besitz und erst recht der Einsatz sind verboten."
Doch Bürgerwehren, wie es sie in Amiens und einigen Gemeinden in Südfrankreich gibt, sind die Ausnahme. Die von der französischen Regierung lancierte staatliche Förderung der sogenannten citoyens vigilants – der wachsamen Bürger - entpuppt sich als Flop. Im Elsass etwa, wo seit 2010 mehrere Gemeinden an einem Modellversuch teilnehmen, Polizeipräfekturen und Bürgermeister auf Informationsveranstaltungen für das Bürgerengagement werben, ist das Interesse in der Bevölkerung gleich Null. Begriffe wie Hilfssheriffs, Denunziantentum machen die Runde. Viele fühlen sich erinnert an die Überwachungsmethoden während der nationalsozialistischen Besatzung.
Gegenwind kommt auch von Berufsverbänden der französischen Polizei. Mickaël Bucheron, Pressesprecher von UNSA-Police, Frankreichs größter Polizeigewerkschaft:
"Bei der Polizei wurden landesweit in den vergangenen Jahren vier- bis fünftausend Stellen gestrichen. Wir haben das Gefühl, dass die Lücken nun auf diese Weise aufgefüllt werden sollen. Wir halten das für ein riskantes Vorhaben. Übereifrige Freiwillige, die in ihren Vierteln patrouillieren, können schnell sich selbst und andere in Gefahr bringen. Wir fordern deshalb, dass mehr ausgebildete Polizisten eingestellt werden, die das Gesetz kennen, sich an die Vorschriften halten und – wie früher - vor Ort präsent sein können."
Die Chancen auf Neueinstellungen stehen schlecht. Zwar setzt die französische Regierung im angelaufenen Präsidentschaftswahlkampf weiterhin auf das populäre Thema Kriminalitätsbekämpfung. Der zuständige Innenminister Claude Guéant verspricht regelmäßig mehr Sicherheit und mehr Polizeieinsätze. Doch dabei verschweigt der Minister gern ein anderes Wahlversprechen der Regierung: den konsequenten Abbau der Beamtenstellen in ausnahmslos allen Bereichen, inklusive dem der Polizei.