Archiv


Wenn die Nase fehlt

Wer durch eine Tumorerkrankung oder einen Unfall Teile seines Gesichtes verloren hat, dem hilft oft die plastische Chirurgie weiter. Wenn aber die Zerstörung so groß ist, dass ganze Gesichtspartien wie Auge samt Lid und Augenbraue, Nase oder Ohr entfernt werden müssen, reicht plastische Chirurgie nicht mehr aus. In so einem Fall bleibt den Patienten dann nur noch die Epithetik, der künstliche Ersatz von Gesichtsteilen. Die Fachklinik Hornheide in Münster-Handorf hat eine inzwischen 50-jährige Tradition in der Gesichtschirurgie und ist das einzige bundesweite Zentrum für künstliche Gesichtsteile.

Von Kirstin Meyer |
    Es war eines Morgens nach dem Frühstück hab ich meinen Hund auf den Arm genommen zum Verabschieden und der leckt dann ja immer so aus Freude und diesmal hat er mir das Ohr abgebissen. Und dann bin ich erst mal schnell zum Krankenhaus, das war bei uns um die Ecke und dann hat man erst mal Notversorgung gemacht. Ich konnte nicht operiert werden, denn ich hatte schon gefrühstückt.

    Der Rauhaardackel von Gerold Hecker hatte das Ohr seines Herrchens komplett verschluckt. Nachdem die Wunde verheilt war, bekam der Bauunternehmer aus Hagen deshalb ein künstliches Ohr aus Silikon angepasst, eine Epithese. Sein Kunstohr ist ein Einzelstück, das Epithetikerin Minny Sandmann individuell für ihn angefertigt hat. Sie ist eine Spitzenkraft in ihrem Beruf, der sie emotional stark fordert. Denn als Epithetikerin kommt sie täglich mit Menschen in Berührung, die nach einer Amputation von Ohr, Nase oder auch Augenpartie sehr verletzlich sind. Für sie ist die Epithetikerin nicht nur Fachfrau:

    Den einen muss man in den Arm nehmen, mit dem anderen, ja, muss man auch mal weinen. Je mehr Vertrauen die Patienten haben, desto einfacher ist auch die Annahme einer Epithese. Wenn der Patient merkt, da ist jemand, der bemüht sich um mich und der möchte mir helfen, dann kann er es auch anders annehmen als wenn ich das nur vermittle, ich mach hier meinen Job.

    Ein Loch mitten im Gesicht. Das sich nicht übersehen lässt. Wie Patienten damit umzugehen lernen ist für Psychologe Gerhard Strittmatter die Grundfrage:

    Oft machen wir den ersten Blick in den Spiegel ungefähr eine Woche nach der Operation zusammen mit dem Partner, um schrittweise sich mit dem Defekt zu konfrontieren und sich erst mal die Fläche anschauen zu lernen und dann langsam tiefer zu gehen.

    Unfall oder Krebs, das sind die häufigsten Ursachen, die eine Epithese nötig machen. Gerade bei Krebserkrankungen ist es für Dr. Volker Schwipper, den Leiter der Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie in Hornheide immer wieder unfassbar, dass seine Patienten so spät zu ihm kommen. Oft zu spät.

    Die Leute haben einfach Angst, durch eine Amputation der Nase wirklich äußerlich so entstellt zu sein, dass das eine irreparable Angelegenheit ist und da ist die Tumorangst vielleicht nicht so groß, wie die Angst, das Gesicht zu verlieren, gegenüber der Öffentlichkeit.

    Wenn sechs Monate nach einer Amputation eine Epithese angefertigt wird, verankern die Chirurgen diesen künstlichen Gesichtsteil absolut sicher im Gesicht. Denn der Patient darf keine Angst haben, dass seine Epithese in der Öffentlichkeit abfallen könnte. Zu diesem Zweck werden Implantate im Schädelknochen verankert, in denen sich Magnete oder sogenannte Retensionsreiter, also Klammern befinden, die sich dann mit der Epithese verbinden lassen.


    Die Epithese selbst modelliert Minny Sandmann im Beisein des Patienten aus Silikon, einem weichen Material, oder aus Acryllat. Beide Materialen sind so gut verträglich, dass allergische Reaktionen fast ausgeschlossen sind. Außerdem sind die Epithesen abnehmbar. Denn die Patienten müssen die künstlichen Gesichtsteile regelmäßig von Staub und Schweiß reinigen können. Ein Manko gibt es allerdings: Während eine Nasen- oder Ohr-Epithese für einen Betrachter nicht vom Original zu unterscheiden ist, könnte eine Augen-Epithese von einem aufmerksamen Beobachter entdeckt werden. Denn ein künstliches Auge hat ein künstliches Lid, das - beim gegenwärtigen Stand der Entwicklung - noch nicht blinzelt. Trotzdem ist auch eine Augen-Epithese für viele Patienten eine Erlösung. Denn viele wissen nicht einmal, dass sie ein verlorenes Gesichtsteil epithetisch ersetzen lassen können. Ein Patient von Minny Sandmann erfuhr durch Zufall davon. 40 Jahre, nachdem er sein Auge samt Lid und Augenbraue im Krieg verloren hatte:

    Als er diese Augen-Epithese das erste Mal getragen hat, hat er in den Spiegel geschaut und hat bitterlich geweint, um die verlorenen Jahre seines Lebens, weil er einfach nicht gewusst hat, dass so eine Versorgung überhaupt möglich war und er schaute sich nach vierzig Jahren das erste Mal wieder mit zwei Augen an. Und das war für mich einfach unglaublich, dass es immer noch Ärzte oder Ämter gibt, die nicht wissen, dass es die Möglichkeit der eptithetischen Versorgung gibt. Und es steht so viel psychisches Leid hinter diesen Schicksalen, manchmal macht es mich einfach nur wütend.