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Wenn die Netze leer bleiben

Farbige Fischerboote prägen die Küstenstädte in der Bretagne, im Baskenland und am Mittelmeer. In Hafenstädten wie Boulogne-sur-Mer, Le Guilvinec oder Saint Jean de Luz tuckern morgens und abends die Kutter ein und laden ihren Fang aus.

Von Bettina Kaps; Redakteur am Mikrofon: Norbert Weber |
    Aber das malerische Bild täuscht: Die Zahl der Trawler nimmt rapide ab, und die Stimmung der Fischer ist miserabel. Im Jahr 2000 konnten noch 42.000 französische Seeleute vom Fischfang leben. Heute sind es weniger als die Hälfte.

    Denn die Rechnung der Fischer geht nicht mehr auf: Der Treibstoff wird teurer, und die Netze füllen sich nicht mehr. Die Fischer bangen um ihren Beruf, und viele Küstenstädte bangen um ihre Identität.

    Farbige Fischerboote prägen die Küstenstädte in der Bretagne, dem Baskenland und am Mittelmeer. In Hafenstädten wie Boulogne-sur-Mer, Le Guilvinec oder Saint Jean de Luz tuckern morgens und abends die Kutter ein und laden ihren Fang aus. Aber das malerische Bild trügt: Die Zahl der Trawler in Frankreichs Häfen nimmt rapide ab und die Stimmung der Fischer ist miserabel. Im Jahr 2000 konnten noch 42.000 französische Seeleute vom Fischfang leben. Heute sind es weniger als die Hälfte. Denn die Rechnung geht nicht mehr auf: Der Treibstoff wird zunehmend teurer und die Netze füllen sich nicht mehr. Trotz europäischer Quoten - die bei den Fischern höchst umstritten sind - haben sich die Fischbestände nicht regeneriert. Die Fischer bangen um ihren Beruf und viele Küstenstädte um ihre Identität.

    Le Guilvinec, in der Bretagne, ist ein kleines Städtchen mit einem großen Hafen: 45.000 Tonnen frischer Fisch werden hier jedes Jahr gehandelt - mehr als in jedem anderen Hafen des Landes. Die Fischbörse floriert. Doch gleich gegenüber der Auktionshalle prangt auf der Kaimauer in großen weißen Buchstaben ein Hilferuf: "Wir wollen leben", steht dort zu lesen. Das Graffiti ist ein Überbleibsel des letzten Streiks: Im November vergangenen Jahres waren die Berufsfischer von Le Guilvinec wieder einmal auf die Barrikaden gegangen. Sie hatten brennende Straßenblockaden errichtet und den Zugang zu Treibstofflagern gesperrt - aus Protest gegen den hohen Diesel-Preis, der ihre Löhne zusammenschrumpfen lässt. Einer der Betroffenen ist Manu Paubert, ein Fischer mit Herz und Seele und das schon seit 20 Jahren. Auch seine Existenz ist gefährdet.

    Der harte Kampf ums Überleben
    Der Frust der Fischer von Le Guilvinec
    Es ist 13 Uhr, im Fernseher laufen Nachrichten. Manu Paubert steht in der Wohnküche und schiebt das Essen in die Mikrowelle. In einer Stunde muss er am Hafen sein, dann legt sein Trawler ab. Der Seesack mit der Wäsche liegt schon gepackt im Auto. Seine Frau Nicole sitzt am Esstisch und raucht. Die drei Kinder sind in der Schule.

    " 13 Tage wird er auf See bleiben. Wo genau? Keine Ahnung, da muss ich ihn fragen. Wie weit fahrt ihr eigentlich raus?

    Etwa 300 Seemeilen westwärts von Penmarch. Das sind gute 500 Kilometer. Dafür sind wir 30 Stunden unterwegs. Wir wollen Seeteufel, Rochen, Rotzungen und Flügelbutt fischen. Seeteufel sind immer im Netz, bei den anderen Fischen hängt es von der Gegend ab, ob wir reichlich fangen, von der Jahreszeit, vom Wetter... Man kann nie wissen, es gibt da keine festen Regeln. "

    Manu stellt den Kochtopf auf den Tisch. Er ist 35 Jahre alt, groß, kräftig gebaut und hat ein sympathisches Jungengesicht. An der Halskette trägt er einen rund geschliffenen Stein, auf dem ein Anker eingraviert ist - Zeichen dafür, wie sehr er seinen Beruf mag. Manu steckt sich eine Zigarette an und schüttelt verlegen den Kopf. Er redet nicht gern, das überlässt er lieber seiner Frau.

    " Manu fährt immer für zwei Wochen aufs Meer. Normalerweise bringt so ein Trawler danach acht bis zehn Tonnen Fisch in den Hafen. Unsere große Sorge ist der Verkaufspreis. Heute Morgen wurde der Rochen auf der Fischbörse für 1 Euro 50 je Kilo verkauft. Kein Wunder, dass die Fischer keinen anständigen Lohn haben. "

    Es ist halb Zwei. Nicole Paubert geht zum Schrank und zieht einen Hefter heraus. Sie ist deutlich älter als ihr Mann, so Ende 40, eine schmale Frau mit einem hageren Gesicht. Die rotbraun getönten Haare sind kurz geschnitten. Sie wirkt energisch und selbstbewusst - ihre schwarze Wolljacke mit diversen Abzeichen im Motorradstil unterstreicht diesen Eindruck noch. Nicole breitet die Lohnzettel ihres Mannes auf dem Tisch aus.

    " Beim zweiten Fang im vergangenen Jahr betrug der Lohn 2.400 Euro. Der Fang Nummer 7 brachte uns 2.230 Euro. Als Kapitän bekam Manu immer einen halben Anteil mehr als die Matrosen. Und jetzt hier, der Fang Nummer 14 vom vergangenen Juli. 789 Euro. Schließlich der Fang Nummer 15: da gab es für zwei Wochen harte Arbeit nur noch 365 Euro für den Kapitän. Die Matrosen bekamen also noch weniger. Seit Juli geht das nun schon so. "

    Schuld an dem Einkommensverlust der Hochseefischer von Le Guilvinec ist nicht das Fangergebnis. Wenn das Schleppnetz nicht voll wird, werfen es die Seeleute eben öfter aus. Manche Trawler arbeiten auch gleichzeitig mit zwei Netzen. Schuld sind vor allem die steigenden Benzinpreise. Die Hochseekutter schlucken riesige Mengen an Sprit. Nicole Paubert rechnet vor:

    " Der Fang vom Juli wurde auf der Fischbörse für 23.000 Euro verkauft. Davon wurde zuerst der Treibstoff bezahlt: Kostenpunkt: 11.000 Euro; inzwischen ist der Sprit noch viel teurer. Außerdem gingen verschiedene Gebühren ab, und dann wurde geteilt: 62 Prozent bekommt immer der Reeder, den Rest teilt sich die Mannschaft: 4 Matrosen und der Kapitän. Davon zahlen sie dann noch ihre Sozialabgaben... "

    Bei den letzten Fängen war das Ergebnis sogar negativ. Weil ein Minus-Lohn jedoch gesetzlich verboten ist, zahlte der Reeder seinen Seeleuten einen Vorschuss auf ein späteres Gehalt.
    Manu teilt das Essen aus: es gibt Lotte aus einem seiner Fänge. Jeder Hochseefischer hat Anrecht auf 40 Kilo Fisch. Er stochert lustlos in seinem Schwanzstück, wirft dem Cockerspaniel einen Brocken zu, steckt sich eine weitere Zigarette an. Seine Frau Nicole drängt zur Eile.

    " -Iß fertig. Es wird Zeit, dass ich dich zum Hafen bringe. Du musst arbeiten. Du freust dich ja gar nicht.... "

    " - Ich gehe nur, weil ich muss. Früher, da hat es mir immer Freude gemacht.

    - Er heuert nur an, damit ein bisschen Geld ins Haus kommt, um die Bank zu beruhigen. Wir wissen beide, dass der Fang, den sie jetzt machen werden, uns nicht retten wird. "

    Nicole Paubert schaut auf die Uhr: Es ist schon Zwei. Manu rutscht auf seinem Stuhl herum, legt die Hände vors Gesicht. 20 Jahre arbeitet er nun schon auf See, seit fünf Jahren als Kapitän. Den letzten Job hat er geschmissen, weil der Reeder nicht korrekt war. Er hielt das Schiff nicht instand.

    " Es war undicht. Sie mussten täglich drei Kubikmeter Wasser aus dem Frachtraum pumpen. Was wäre wohl bei Sturm passiert?

    Außerdem war die Pumpe im Laderaum kaputt, das ist auch gegen die Vorschrift.

    Jedes Jahr prüft eine Sicherheitskommission den Zustand der Schiffe. Dabei sieht man schon mit bloßem Auge, dass manche Schiffe überhaupt nicht mehr gewartet werden. Wir begreifen nicht, dass sie überhaupt noch in See stechen dürfen. "

    Halb Drei. Manu geht in die Küche und kocht Kaffee. Seine Frau schaut ihm nach. Das ist das erste Mal in seinem Leben, sagt sie, dass er eine Abfahrt versäumt. Sie versteht es. Gleich morgen will sie mit ihrem Mann nach einer neuen Arbeit suchen. Freunde haben ihnen die Adresse eines spanischen Reeders zugesteckt, der einen französischen Kapitän brauchen kann. Wahrscheinlich als Strohmann, damit er die Quoten bekommt. Für die Zukunft der französischen Fischer sieht Nicole schwarz.

    " Meiner Ansicht nach muss man die Fischerei an den Nagel hängen. Das ist auch Manus Meinung. Lieber eine andere Arbeit finden. Oder aber bei einem spanischen Reeder anheuern. Faktisch ist es doch so, dass Frankreich die Landwirtschaft hat und Spanien den Fischfang. Die spanischen Fischer bezahlen für den Treibstoff nur 30 Cent, wir bezahlen 56 Cent. In Spanien subventionieren die Regionen den Sprit. Die dürfen das, weil sie den Fischfang haben. Bei uns ist es mit der Fischerei vorbei. In zehn Jahren gibt es hier nichts mehr. Vielleicht auch schon früher. "

    Nicole steht auf und geht nach draußen. Sie holt den Seesack aus dem Auto.

    Wer Fischer werden will, besucht in Frankreich eine der zwölf Schulen für maritime Berufe. Dort werden Jugendliche zu Männern gemacht, sagen die Lehrer stolz, denn die Seefahrt härtet ab. Ausdauer und Durchhaltevermögen brauchen die zukünftigen Fischer, denn niemand weiß, wie ihr Beruf in naher Zukunft aussehen wird. Immer mehr Schulabgänger satteln daher auf andere Bereiche um. In Ciboure, einem Vorort der baskischen Hafenstadt Saint Jean de Luz, versucht der Schulrektor, die Motivation der Jungen zu erhalten.

    Den Traum der Jugend nicht zerstören
    Die Berufsschule für maritime Berufe in Ciboure
    Eine Fassade aus blauem Wellblech, gelbe Verstrebungen - die Berufsschule für Seefahrt erinnert an ein Containerschiff. Die Glocke läutet den Unterricht ein. Alexandre drückt die Zigarette aus, Jason wirft den Baseball zur Seite. Die beiden Jungen schließen sich den Klassenkameraden an und gehen zügig auf ein graues Tor zu, dahinter liegt die Werkstatt für Seemannsarbeiten aus Tauwerk. Die Schüler schlüpfen in ihre Blaumänner, der Lehrer verteilt die Arbeiten.

    " Alle bereit? Heute beendet ihr euer gemischtes Kabel: ihr werdet synthetische Taue einspleißen. Holt euch die Bänke, das Handwerkszeug, Trosse und Zwirn... "

    Alexandre ist noch halbwüchsig, ein Junge mit dunklen Locken und einem Hauch Flaum auf der Oberlippe. Der 15-Jährige stammt aus einem Dorf an der Atlantikküste. Fischer kannte er dort nicht, aber Fische gehören seit jeher zu seinem Alltag, denn die Mutter arbeitet in einer Fischhandlung. Er schüttelt sich, wenn er nur an gekochten Fisch denkt, aber seinen Berufswunsch beeinflusst das nicht: Alexandre will Fischer werden.

    " Viele sagen, mit dem Fischfang sieht es ganz schlecht aus, weil es immer weniger Fische gibt. Ich habe selbst gesehen, dass das überhaupt nicht stimmt! Wenn alle Fischer ein bisschen aufpassen und nicht zu viel fangen, dann gibt es kein Problem. Immer wieder hören wir: der Thunfisch stirbt aus. Puh! Es gibt Massen an Thunfisch. Hier in der Schule sehen wir Videos, da sind Schwärme zu sehen, so weit man blicken kann, gleich unter der Wasseroberfläche. "

    Alexandre bearbeitet sein Tau. Er hebt die Kardeelen an, flicht andere Stränge hinein. Was die Zukunft der Fischerei betrifft, so lässt der Junge keinen Zweifel zu.

    " Auch andere Fischsorten gibt es im Überfluss. Wir fischen weiter oben im Norden, da schwimmen die Seehechte zu Tausenden. Je länger wir da fischen, um so mehr fangen wir... "

    Stolz klingt aus seinen Worten, immerhin hat er Erfahrung. Alexandre hat schon mehrmals auf einem Kutter gearbeitet, das gehört zu seiner Schulausbildung. Bisher kennt er nur die Technik mit dem Grundschleppnetz. Dabei zieht der Trawler den Fangsack über den Meeresboden, scheucht so die Fische auf und sammelt wahllos ein, was ihm in die Quere kommt. Über die Folgen der verschiedenen Fischereimethoden macht sich Alexandre keine Gedanken. Im Lehrplan sind sie auch kein Thema.

    " Hier in der Schule erklären sie uns alle Techniken: das Ringwadennetz, die Langleinenfischerei, das Schleppnetz und so weiter, und wie man damit umgeht. Damit wir wissen, was zu tun ist, wenn wir das erste Mal aufs Schiff kommen. "

    Sein Klassenkamerad ist ein feingliedriger Junge mit schulterlangem blonden Haar und einer silbernen Halskette. Jason hat sich bei der praktischen Ausbildung auf den Fang von Thunfisch spezialisiert. Die industriellen Fischereitechniken findet er unsportlich.
    " Ich mag das nicht. Einige aus der Klasse spezialisieren sich ja auf diese Techniken, mit denen bin ich trotzdem befreundet. Aber ich finde das total doof. Ist doch kein bisschen spannend, ein Schleppnetz auszuwerfen, es einzuziehen und den Fisch darin zu sehen... "

    Jason arbeitet auf einem Schiff, wo der Fisch mit Angeln gefangen wird. Da hat das Tier eine Chance, sagt er, kann dem Köder ausweichen und einfach wegschwimmen. Beim Ringwadennetz aber gibt es keinen Ausweg: Sobald ein Schwarm eingekreist ist, schnappt die Falle zu. Die Fische erdrücken sich gegenseitig.

    Jason und Alexandre sind im zweiten Jahr an der Schule, im Sommer erhalten sie ihr Berufszertifikat, das entspricht dem Gesellenbrief, danach können sie anheuern. Mehr als die Hälfte ihrer Klassenkameraden stellt sich - so wie sie - eine Zukunft als Fischer vor.

    Zwei Etagen höher rechnen die Schüler mit Ebbe und Flut, kalkulieren Zeiten und Amplituden. Die 17- bis 19-Jährigen bereiten sich auf den nächst höheren beruflichen Abschluss vor. Sie haben schon häufiger in Fischereibetrieben gearbeitet und wissen: die Stimmung unter den Fischern ist schlecht. Ihre Berufswünsche klingen anders: Kriegsmarine, Handelsflotte, Passagierschiffe, Skipper auf einem Segelboot... In dieser Klasse wollen nur noch drei Schüler Fischer werden.

    Den Schuldirektor wundert das nicht.

    " Belügen wir uns nicht: Die Fischereiwirtschaft ist nicht mehr, was sie einmal war. Mit all den Beschränkungen von europäischer Seite. Der Traum unserer Jungs wird zerstört. Kurz- oder mittelfristig werden unsere Absolventen kein Schiff erwerben können. Das bremst ihren Ehrgeiz. "

    Roger Quittic, Mitte 50, hat dichtes graues Haar und ein sorgenvolles Gesicht. Der Direktor sitzt am Schreibtisch und schaut aus dem Fenster, wo sich ein Flüsschen zum Meer hin schlängelt. Der Ebbstrom zieht das Wasser heraus, legt den Schlick frei.

    Quittic war selbst Fischer. Mit 16 Jahren ist er zur See gefahren, mit 19 hat er ein Kommando übernommen, und kurz darauf besaß er bereits ein eigenes Boot: 20 Meter lang mit einem Grundschleppnetz. Doch auch sein Traum währte nicht lang. Das Schiff sank, mehr sagt er dazu nicht. Roger Quittic sattelte um, er wurde Lehrer und dann Rektor.

    In seiner Jugend war der Fischfang kaum reglementiert. Heute bestimmt die EU die Fischereipolitik, legt Quoten und Schonzeiten fest. Brüssel beschränkt auch den Bau von Schiffen und zahlt Prämien für das Abwracken von Trawlern. So sollen die übermäßigen Fangkapazitäten abgebaut werden.

    An die Schreckensvision vom Meer ohne Fische glaubt auch Direktor Quittic nicht. Für ihn handelt es sich nur um eine Durststrecke, wie es sie in der Geschichte der Fischerei immer wieder mal gab. Er ist überzeugt, dass alles wieder ins Gleichgewicht kommen wird und will seine Schüler nicht abschrecken.

    " Sie sind jung, sie glauben an die Zukunft. Deshalb werden sie Fischer. Sie wissen: Der Fang wird immer gerecht aufgeteilt. Ein Matrose wird nicht nach seiner Qualifikation bezahlt, sondern nach der Menge an Fisch, den der Kutter einbringt. Wenn der Fang mager ist, sagt er sich: morgen wird es besser. Das ist doch wunderbar. Diese Hoffnung dürfen wir unseren Jungen nicht nehmen. Solange wir diesen Traum am Leben erhalten, werden wir auch Fischer haben. "

    Der Unterricht ist zu Ende, die Jungen strömen ins Freie. Am Flüsschen vor der Schule ist ein Ruderboot vertäut. Jason macht den Kahn los, Alexandre befestigt einen Riemen am Heck, beginnt zu wriggen. Das Boot schlingert langsam flussaufwärts. Jason schaut versonnen ins schlammige Wasser.

    " Ich möchte nach Tahiti aufbrechen und dort ein Schiff kaufen. Tahiti ist eine schöne Insel, dort leben tolle Frauen und vor allem gibt es dort Fisch, da ist er nicht vom Aussterben bedroht. Alles ist schöner auf Tahiti. Davon träume ich. "


    Die bretonische Hafenstadt Douarnenez verdankt ihren Aufschwung der Sardine. 1853 gründete Robert Chancerelle dort die erste Konservenfabrik der Welt. Drei Jahrzehnte später gab es 40 Fischfabriken und die Zahl der Einwohner von Douarnenez verzehnfachte sich. Nur drei Firmen haben überlebt. Die größte davon ist Chancerelle.

    Einen Teil seiner Konserven produziert das traditionsbewusste Familienunternehmen immer noch im Herzen der Stadt. Von dort aus gehen die Fischkonserven mit dem Markennamen Connetable auf Weltreise - sie werden bis in die Feinkostläden von Hongkong und New York verschickt. Aber damit die Büchsen auch voll werden, müssen die Arbeiterinnen immer mehr Sardinen hineinlegen.

    Von Douarnenez in die ganze Welt
    Die Fischkonservenfabrik "Connetable"
    Es dampft. Über dem weiß getünchten Fabrikgebäude am Hafen steigen Dunstwolken auf. Die Firma "Chancerelle" macht Sardinen ein. Der Geruch von warmem Öl zieht durch die Straßen der Altstadt, das kündigt schlechtes Wetter an.

    Myriam Kerkrom, 40 Jahre alt, steht im Umkleideraum der Fabrik. Sie streift Kette und Ohrringe ab, auch die Armbanduhr muss in den Spind. Mit zackigen Bewegungen zieht sie ihren weißen Kittel über, steigt in die Gummistiefel und stopft das aschblonde Haar unter die Kopfhaube. Acht Stunden harter Arbeit stehen ihr bevor.

    " Wir köpfen die Sardinen, ziehen die Innereien heraus und legen die Fische dann auf ein Gitter, damit sie später von den anderen Frauen weiter verarbeitet werden können... "

    Myriam ist energisch und selbstbewusst - eine echte "Penn Sardine" - ein Sardinenkopf - so nennen sich die Arbeiterinnen in den Fischfabriken von Douarnenez seit 150 Jahren. Die Sardine hat der bretonischen Hafenstadt Reichtum beschert.

    Dass sie täglich 60 Kilometer fahren muss, um zu arbeiten, macht Myriam nichts aus. Auch die Malässen der Fließbandarbeit nimmt sie ohne Murren in Kauf:

    " Es gibt immer ein paar, die sich beklagen. Das ist normal. Wir arbeiten ja im Stehen, deshalb schmerzt der Rücken. Dann die immer wiederkehrenden Handgriffe, das spüren wir in den Schultern und am Handgelenk. Das kann nicht jeder machen. Dafür muss man gutwillig und auch körperlich fit sein. "

    Myriam Kerkrom arbeitet seit 15 Jahren bei Chancerelle. Sie ist gerne hier, außerdem gibt es keine Alternative. Während sie erzählt, leuchten ihre blauen Augen.

    " Die Arbeit gefällt mir, die Stimmung, ich mag meine Kolleginnen. Ich verstehe mich mit allen hier. Es ist einfach prima. "

    Viertel vor Acht, die Schicht beginnt. Myriam nimmt ein Messer in die Hand und reiht sich in die Schlange ein: Etwa 50 Frauen stehen vor dem Fließband, auf dem die Sardinen vorbei gleiten. Viele ganz junge Gesichter sind unter den Hauben zu sehen. Myriam greift sich eine Sardine. Ein gezielter Schnitt mit einer leichten Drehung: Kopf und Darm fallen in den Abfall. Dann der nächste Fisch. Rund 20 sind es in der Minute. Die ausgenommenen Sardinen legt sie in eines der vorbei gleitenden Gitter. Mit dem Schwanz nach oben rollen die Fische in das Frittierbad. So lange wie ein "Ave Maria" dauert, brutzelt der Fisch in Sonnenblumenöl - das ist das Geheimnis der traditionellen Zubereitung, danach glänzt er, als sei er in feine Alufolie gehüllt.

    Ein anderes Fließband: hier gleiten leere Konservenbüchsen vorbei, in Dreierreihen. Auf einem zweiten Band rotiert die frittierte Sardine. Das Fett ist über Nacht abgetropft. Auch hier arbeiten wieder Frauen mit weißen Schürzen und Hauben. Die Gesichter sind älter, denn die Arbeit an diesem Posten ist etwas leichter: die Arbeiterinnen können sich gegen einen Hocker lehnen.

    Marie-Thérese Bis ist 55 und hat mehr als die Hälfte ihres Lebens in der Fabrik verbracht: 35 Jahre ist sie jetzt dabei, sagt sie.

    " Ich mag diese Fabrik. Immerhin ist sie die älteste der Welt. Ich habe Kolleginnen, deren Großmütter hier schon gearbeitet haben. Hoffentlich gibt es sie noch lange, aber..., aber... das ist nicht sicher. "

    Marie-Thérese hält eine Schere in der Hand. Sie nimmt die Sardine, schneidet den Schwanz ab und auch die Schnittstelle am Rumpf, wo das Fleisch angetrocknet ist. Dabei arbeitet sie mit bloßen Händen. Sie will den Fisch spüren.

    " Dieses Jahr hatten wir nur wenige Sardinen. Beim Thunfisch ist es dasselbe. Dann die Makrele... Früher haben wir immer schon im Mai frische Sardinen verarbeitet, jetzt fangen wir damit erst im Juli an. Die übrige Zeit müssen wir mit gefrorenem Fisch Vorlieb nehmen. Die Zukunft ist nicht rosig. "

    Ihr Vater war Fischer, ihr Schwager arbeitet als Matrose, genau wie die beiden Neffen. Marie-Thereses Mann aber ist Lkw-Fahrer, das ist ein Glück. Denn alle Fischer in der Familie berichten dasselbe: der Fang nimmt ab, von Jahr zu Jahr. Marie-Therese hält eine Sardine hoch.

    " Diese da ist zu klein. Es gibt keine großen Sardinen mehr. Früher steckten wir vier oder fünf Sardinen in eine Büchse, jetzt nehmen wir sechs, sieben oder sogar acht! Ja, acht Sardinen mussten wir neulich in eine Dose stecken, um sie zu füllen. Die Ressourcen nehmen ab, deshalb fischen sie jüngere Fische. Entweder wir verarbeiten diese hier oder wir stehen auf der Straße. Wie lange das wohl so weitergehen kann? "

    Früher, da herrschte Stimmung in der Fabrik. Die Frauen haben gesungen, wenn sie die Lastwagen mit den frischen Sardinen ausluden, erzählt Marie-Therese Bis. Jeder Anlass war willkommen: ein Geburtstag, ein Abschied in die Rente, der Beginn der Ferien... Marie-Therese stimmt ein paar Takte an: In Douarnenez fischen wir Sardinen, heißt es in dem Lied, zu Tausenden und Tausenden, dann tragen wir sie in die Fabrik... Zwei Kolleginnen links und rechts am Band stimmen ein. Doch den anderen ist die Lust am Singen vergangen.


    Die Geschichte der baskischen Hafenstadt Saint Jean de Luz ist ein Paradebeispiel für die Höhen und Tiefen der französischen Fischerei: Im Mittelalter wurden die Fischer der Stadt durch die Jagd auf Wale reich. Aber dann zogen sich die Wale immer weiter zurück. Die Basken sattelten auf Sardinen und Sardellen um. Saint Jean de Luz war noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der größte Hafen für Sardinen in Frankreich. Neue Techniken, neue Netze wurden erfunden, und die Fischer fischten, bis es in der Biskaya praktisch keine Sardinen mehr gab. Doch das sorgte sie nicht weiter, jagten sie doch bereits einer anderen Spezies nach: dem Thunfisch.

    Schnell wurde Saint Jean de Luz größter Hafen für Thunfisch in Frankreich. Doch seit den 1970er Jahren schwindet auch der Thunfisch. So wie fast alle anderen Fischarten in der Biskaya. Heute gibt es eine Handvoll Fischer in der Stadt, die eine andere, nachhaltige Art des Fischens propagieren, in der Hoffnung, dass ihr Beruf dadurch vielleicht noch eine Zukunft hat.



    Nachhaltigkeit als Ausweg aus der Krise
    Die Küstenfischerin Béatrice Elissalde
    Sieben Uhr früh. Es ist noch dunkel im Hafen von Saint Jean de Luz. Nur die prächtigen Bürgerhäuser am Quai de l'Infante sind angestrahlt wie eine Filmkulisse. Zu ihren Füßen liegt der Anlegesteg. Beatrice Elissalde steigt die Stufen zum Wasser hinab. Die junge Frau ist groß und schmal. Trotz der Kälte trägt sie nur eine Jeansjacke über dem roten Wollpullover. Die braunen Haare fallen in zausigen Locken über ihre Schultern.

    Die 38-Jährige steuert auf das kleinste Boot im Hafen zu, die Carpe Diem. Es ist bauchig wie eine Nussschale und leuchtend blau gestrichen. Die Kajüte in der Mitte ist sonnengelb. Beatrice klettert über die Brüstung, wirft den Motor an, löst die Leinen. Ihr Matrose taucht auf. Benoit zieht eine Plastiktonne mit Krabben aus dem Wasser, hievt sie auf das Deck. Beatrice dreht das Steuerrad, die Carpe Diem legt ab.

    " Als Kind wollte ich Pirat werden. Ich bin hier im Baskenland an einem kleinen Strand aufgewachsen und liebe das Meer. Als ich 30 wurde, sagte ich mir: Jetzt hast du immer noch diese Lust im Bauch - es ist Zeit, deinen Traum zu verwirklichen. Daraufhin habe ich die Seefahrtsschule besucht - und so fing es an. Seit acht Jahren arbeite ich nun als Fischerin. "

    Zuerst war sie Matrose, dann kaufte Beatrice den Kutter. Er ist zwei Jahre älter als sie, ein Boot noch ganz aus Eichenholz und die Form stammt von den Wikingern. Kein Schiff, sagt die Fischerin stolz, gleitet eleganter über die Dünung.

    Elissalde schippert am Leuchtturm vorbei, durchquert die Bucht, lässt die Deiche hinter sich, die die Stadt bei starkem Seegang schützen, nimmt Fahrt aufs offene Meer. Die Biskaya ist ruhig, eine graue Unendlichkeit. Nebel zieht auf.

    " Heute legen wir nur fünf Seemeilen zurück, also gut neun Kilometer. Wir angeln Goldbrassen, die gibt es hier in der Nähe der Küste. Die Dorade ist ein Mordsfisch, ein Kämpfer, ein Räuber, genau wie wir. Wir sind ja auch Verfolger, die letzten Jäger und Sammler... "

    Benoît steht am Bug und sucht das Meer ab. Dann winkt er: auf den Wellen schaukelt die orange und schwarz beflaggte Boje, mit der Beatrice ihre Angelleinen markiert hat. Die Fischerin knotet schnell die Haare zum Dutt, bindet sich ein grünes Seil um die Hüfte - es hält ein Etui mit einem Messer - und schlüpft in die Gummistiefel. Die Schwimmweste lässt sie am Haken.
    Acht Angelleinen hat Beatrice Elissalde im Meer gespannt, die Hälfte hier, mit der anderen Hälfte versucht sie an einer anderen, weiter entfernten Stelle ihr Glück. Eine Leine ist 300 Meter lang, daran hängen jeweils 70 Schnüre mit Angelhaken. Benoît zieht sich Handschuhe über, beugt sich über die Brüstung und fischt die erste Leine aus dem Wasser. Enttäuscht schüttelt er den Kopf.

    " Wir werden zwar Fische herausholen, aber nicht die Richtigen. Einige Sorten fressen uns die Krabben weg, so als ob sie wüssten, dass wir sie ja doch wieder frei lassen werden. "

    Die Leine gleitet durch seine Hände. Beatrice zieht einen Haken nach dem anderen hoch, wirft angefressene und tote Krabben ins Meer, spießt zappelnde Tiere auf. Sie hat schmale Hände mit langen Fingern und arbeitet ohne Handschuhe; hin und wieder gelingt es einer Krabbe, sie zu zwicken. Das gehört dazu - die Goldbrasse mag nun mal lebendige Köder. Die Leine ist gespannt. Ein fast runder, silberner Fisch schimmert im Wasser.

    " Oh nein! Ich glaube, wir haben schon wieder einen Mondfisch! Das ist die Sorte, die wir nicht haben wollen. Mondfische stehen unter Naturschutz. Der Fisch hat sich verhakt, aber er ist nicht verletzt. Ich mache ihn los. Jetzt schwimmt er weg. Beim Schleppnetz ist das nicht möglich: da ist er tot, sobald er gefangen ist, ganz egal, ob er nun geschützt ist oder nicht... "

    " Bei uns ist es so: Wenn der Fisch fressen will, dann beißt er an, wenn er nicht fressen will, dann beißt er nicht an. Die Schleppnetzfischerei schert sich nicht darum, ob er Hunger hat oder nicht. "
    Abscheu klingt aus den Worten der beiden Fischer, Zorn und Machtlosigkeit. Beatrice spricht von Gier und rücksichtsloser Profitsucht. Letzten Sommer, erzählt sie, hätten die Trawler auch noch im Juli Thunfisch gefangen, als Frankreich seine Quote längst ausgeschöpft hatte und die Saison offiziell beendet war. Alle zwei Nächte seien Lastwagen in den Hafen von Saint Jean de Luz gekommen und hätten den Fisch heimlich abtransportiert - Polizei und Hafenaufsicht aber hätten alle Augen zugedrückt.

    " Die kleinen Fischer, die den Thunfisch angeln, müssen warten, bis er sich der Küste nähert. Als dann endlich ihre Zeit gekommen war, da haben die Behörden dann reagiert und die Fischerei auch wirklich beendet. Das war eine doppelte Ungerechtigkeit. Wir waren so wütend! "

    Verzweifelt war sie auch im Frühjahr, als ein Trawler tagelang über dem Meeresgraben von Capbreton Seehechte fischte, obwohl er dort gar nicht sein durfte.
    " Da haben alle kleinen Fischer ihren Tag geopfert. Wir sind zusammen hinausgefahren und haben ihn eingekreist. Immerhin fischt ein solches Boot in einer Woche so viel wie ein traditioneller Fischer in einem Jahr. Als es brenzlig wurde, hat die Aufsichtsbehörde endlich eingegriffen. Dieser Kapitän kommt jetzt vor Gericht, da sind wir dahinter. "

    Beatrice Elissalde hat die erste Leine abgesucht. Das Ergebnis: ein Mondfisch, ein ungenießbarer Rochen, aber keine einzige Goldbrasse und auch kein Seebarsch. Seit drei Jahren dürfen die Schleppnetzfischer keine Sardellen mehr fangen, seither halten sie sich an anderen Sorten schadlos. Das spüren die traditionellen Fischer. Benoît fischt die zweite Leine aus dem Wasser.

    " Lebendig, schau nur, die Krabbe ist lebendig...Das bedeutet, dass es in dieser Ecke so gut wie keine Fische gibt. Man muss schon verdammt motiviert sein, um weiter zu machen. Das Meer wird zur Wüste. "

    Seit zwei Wochen fischt Beatrice an dieser Stelle. Eigentlich müssten die Goldbrassen längst da sein. Doch seit fünf Tagen hatte sie keinen einzigen essbaren Fisch mehr am Haken.

    Beatrice zeigt nach Backbord: Im Dunst zeichnet sich ein anderes Boot ab - ein Kollege. Er zieht die Leinen ein. Die Saison ist fast vorbei. Wenn die Goldbrassen auch morgen und übermorgen nicht anbeißen, ist dieses Geschäft verpatzt. Elissalde scheucht die Sorgen fort. Eins hat sie auf dem Meer gelernt: Geduld.

    Falls die Doradenschwärme doch noch eintrudeln, sagt sie lachend, dann tun sie das nur für uns.

    Im Hafen von Saint Jean de Luz ist es ruhig geworden, denn ein Fischer nach dem anderen hängt seinen Beruf an den Nagel. Auch die Schleppnetzfischer werden weniger, weil sich die Arbeit nicht mehr lohnt. Deshalb glaubt Beatrice, dass kleine Fischer wie sie noch eine Zukunftschance haben.

    " Aber wie schaffen wir es, die nächsten drei bis vier Jahre durchzuhalten? In der Hoffnung, dass sich die Ressourcen bis dahin ein bisschen erholt haben. Andernfalls geht unser Können verloren und eine ganze Kultur droht unterzugehen. Wir sind nur noch eine Handvoll Menschen mit einer Leidenschaft. Reich zu werden, das ist nicht unser Lebensziel. Wir klammern uns fest an unseren Beruf. Ich werde jedenfalls bis zum Letzten kämpfen, um auch in Zukunft als Fischer arbeiten zu können. "

    Beatrice zeigt auf ein Bild an der Kajütenwand: ein wilder Pirat droht mit dem Schwert. Xalbat steht unter der Zeichnung, so heißt ihr 10-jähriger Sohn. Den will sie nun von der Schule abholen. Sie greift ans Ruder und tuckert zurück in den Hafen. Heute Nacht aber muss sie erneut aufs Meer fahren, alle Haken kontrollieren, Köder aufspießen - voller Hoffnung, dass die Goldbrassen vielleicht doch zur Stelle sind.


    Den Seeleuten schwimmen immer weniger und kleinere Fische ins Netz. Unterdessen boomt die Fischzucht. Zuerst im Süßwasser erprobt, breitet sich die Aquakultur nun auch im Meer aus. Auf Forelle und Lachs folgten Seebarsch und Kabeljau. 43 Prozent aller Fischerei-Erträge weltweit stammen heute bereits aus Käfigen und Teichen. Aquakultur wird von Industrie und Politik gerne als die Lösung der Fischereikrise dargestellt. Nach Ansicht von Umweltschützern verschärfen die schwimmenden Farmen jedoch das Problem der Überfischung. Die meisten Zuchtfische sind nämlich Räuber und müssen mit eiweißhaltigem Futter ernährt werden; die boomende Fischzucht braucht Unmengen Frischfisch und gefährdet somit die wilden Bestände und das ökologische Gleichgewicht.

    In der nordwest-französischen Hafenstadt Cherbourg produziert die Firma "Saumon de France" rund 1300 Tonnen Lachs pro Jahr. 900.000 Fische schwimmen in den Käfigen im Ärmelkanal.


    Fischzucht als Alternative
    Die Käfiglachse von Cherbourg
    25 Netzkäfige schaukeln in den Wellen. Einige sind rund: zu sehen sind nur die gigantischen Ringe aus schwarzem Plastik. Im Wasser verborgenen hängt daran jeweils ein riesiges Netz voller Lachse. Andere Käfige sind rechteckig und leichter zugänglich - ein Steg aus Metall verbindet sie. Dort knotet Dag Naess das Schlauchboot fest. Auf dem Steg verlaufen Rohre, durch die ununterbrochen Fischnahrung rieselt. Der stämmige Mann im wasserdichten blauen Overall steigt darüber und betritt seine Farm. Vor Käfig Nummer 16 bleibt er stehen.

    " Hier schwimmen die ganz kleinen Lachse, die wir im Oktober ins Meer gesetzt haben. Damals wogen sie 60 Gramm, jetzt wiegen sie schon über 200 Gramm. Diese Fische können wir im Dezember verkaufen, oder besser noch im Januar oder Februar nächsten Jahres. "

    In der Kinderstube ist Bewegung: Pfeilschnell springen die jungen Lachse aus dem Wasser, silberne Blitze, die in der Luft noch Haken schlagen. Der Firmenchef lacht zufrieden: Sie trainieren für die Stromschnellen, sagt er. Ein Lachs der viel schwimmt bildet Muskeln und bekommt festes Fleisch. Das ist gut fürs Geschäft.

    " Für mich sind die jungen Lachse erst einmal Euros, die ich ausgeben muss. Da hinten schwimmen die großen Lachse, das sind Euros, die in die Kasse kommen. Diese hier kosten mich 12 Monate lang Geld. Solange wir uns gut um sie kümmern und sie gesund sind, bin ich zufrieden. "

    Obwohl Dag Naess aus einem Land stammt, das in der Lachszucht Vorreiter war, ist der 48-jährige Norweger erst in Frankreich und eher zufällig in dieser Branche tätig geworden. Im Jahr 2000 arbeitete er für einen norwegischen Investmentfonds, der eine Forellenfarm vor Cherbourg kaufen wollte. Weil sich Naess in Frankreich gut auskennt - schließlich hat er eine Pariserin geheiratet -, setzte ihn der Fonds auch als Direktor ein. Heute gehört ihm das Geschäft. Die Norweger stellten auf Lachse um. So entstand "Saumon de France", die erste und bislang einzige Lachsfarm in Frankreich.

    Naess zeigt übers Wasser: in der Ferne zeichnet sich die Küste mit den Häusern von Cherbourg ab. In der anderen Richtung aber verdeckt ein riesiger Wellenbrecher den Blick aufs offene Meer.

    " Es reicht nicht, ein offenes Meer zu haben. Für die Lachszucht braucht man einen Schutzwall, also eine Insel, einen Deich oder einen Fjord. Wenn es in Frankreich mehr geeignete Orte gäbe, hätten wir hier bestimmt Konkurrenz. "

    Ein Taucher springt ins Wasser: er muss im Käfig nach dem Rechten sehen und tote Fische herausholen. Bis zu 60.000 Tiere tummeln sich in solch einem Becken, das den Umfang eines großen Schwimmbads hat, aber erheblich tiefer ist: 10 Meter tief hängt das Netz im Wasser.

    "Saumon de France" hat die Dichte freiwillig auf 12 Kilogramm Fisch pro Kubikmeter Wasser begrenzt. In Norwegen tummeln sich mehr als doppelt so viele Fische im Wasser. Aber Naess setzt auf Qualität: wenn die Lachse mehr Platz haben, setzen sie weniger Fett an, außerdem sind sie gesünder, sagt er.

    Ein Angestellter in roter Latzhose und Schwimmweste geht von einem Käfig zum nächsten und schaut konzentriert ins Wasser. Er beobachtet, wie die Lachse fressen. Jean-Benoît Maillard ist für die Ernährung der Fische verantwortlich.

    " Na, wie sieht es aus? Hat er ordentlich Hunger, unser kleiner Lachs? "

    " Die Käfige 16 und 14 konnte ich heute noch nicht ausgiebig beobachten, aber nach dem, was ich in den letzten Tagen festgestellt habe, fressen die Lachse gut. Ich werde die Rationen wohl etwas erhöhen. Die Fische sind kerngesund. "

    Das Futter, sagt Dag Naess, ist sein größter Kostenfaktor. Auch deshalb muss es exakt dosiert sein. An der Qualität spart er jedoch nicht.

    " Die Nahrung besteht vor allem aus Fischmehl und Fischöl, und zunehmend auch aus pflanzlichen Stoffen. Weniger bei uns, weil wir traditionell arbeiten. Wir überlassen es den tausendmal größeren Firmen in Norwegen und Chile, mit pflanzlicher Nahrung zu experimentieren. Wenn sie damit erfolgreich sind, werden wir folgen. Wir sind da keine Vorreiter. "

    Um eine Tonne Lachs zu produzieren, verfüttert "Saumon de France" 1,3 Tonnen anderer Fische, die gemahlen und zu Pellets gepresst wurden. Verglichen mit Rindern und Schweinen ist das eine gute Ratio. Dennoch ist die Lachszucht umstritten. Noch bevor er gefragt wird, will Naess die verbreitete Kritik an der Aquakultur entkräften.

    " Unser Fischmehl kommt nur aus dem Pazifischen Ozean, von der Küste vor Peru und Chile, wo das Meer besonders sauber ist. Die Fischerei ist dort genauso reglementiert wie bei uns: Mit Fangperioden, Quoten und vorgeschriebener Maschengröße bei den Netzen. Das beruhigt uns in ökologischer Hinsicht. "

    Heftiger Wind kommt auf, eine schwarze Regenfront ist im Anmarsch, höchste Zeit zum Aufbruch. Dag Naess muss ins Büro. Er hat große Pläne. Derzeit sucht er einen zweiten Ort für seine Lachszucht. Wenn er an der französischen Küste nicht fündig wird, will er Offshore arbeiten, mit Käfigen, die sich bei Sturm im Meer versenken lassen. Denn eins steht für ihn fest: in der Aquakultur liegt die Zukunft, vorausgesetzt, betont er noch einmal, sie wird nachhaltig betrieben.


    Literatur:
    Emile Zola, Das Fest in Coqueville. Ins Deutsche übertragen von Henriette Devidé, Verlag Neues Leben, Berlin 1985