"Meine Damen, meine Herren guten Abend.
Ist es vorstellbar, dass ein Sechsjähriger im Freibad geschlagen, betäubt, beschimpft, ins Wasser geworfen und dort ertränkt und von 250 Badegästen greift keine einziger ein?"""Es wurde totgeschwiegen. Jeder wusste, dass es Mord war, und die meisten von meiner Klasse waren an dem Tag, wo es passiert war, im Schwimmbad und haben zugesehen. Ich habe selbst meine Klassenkameraden dort gesehen, und sie haben wohl nichts unternommen, sonst wäre meinem Bruder so etwas wohl nicht geschehen.""
Diana, die damals 15-jährige Schwester des toten Jungen, wird gemeinsam mit ihrer Mutter zur Kronzeugin einer unglaublichen Anklage. Der sechsjährige Joseph, Sohn eines deutsch-irakischen Ehepaars, sei im Juni 1997 im örtlichen Schwimmbad von Rechtsextremisten ermordet worden. Seine Mutter sucht Kontakt zur Bild-Zeitung und versorgt die Medien mit ihren Recherchen.
"Ich habe den Leichnam meines Sohnes selber gesehen, und ich wusste haargenau, er war, ich muss ehrlich sagen, gefoltert worden, wie soll ich sagen, gequält worden, bevor man ihn dann zu Tode brachte."
Am 23. November bringt BILD die Geschichte in fetten Schlagzeilen: Neonazis ertränken Kind am helllichten Tag im Schwimmbad. Tags darauf dominiert das Thema republikweit Nachrichtensendungen und Talkshows. Unzählige Reporter und Kamerateams fallen in der sächsischen Kleinstadt ein. Der Ort und seine Einwohner geraten unter Generalverdacht. Eine Einwohnerin stellvertretend für die meisten Sebnitzer:
"Na, dass im Prinzip eine ganze Stadt kriminalisiert wird, dass gesagt wird, eine Stadt schaut weg. Damit erklärt man alle Bürger lapidar für schuldig und tritt die Stadt in den Dreck."
Michael Haller, Professor für Journalistik an der Universität Leipzig sieht das ähnlich.
"Sebnitz ist das eigentliche Opfer. Die Apothekerfamilie hat die Medien selber geholt. Da wäre ich auch etwas weitherziger. Mit denen darf man dann schon etwas härter umspringen, die haben das Feuer angezündet. Aber die Stadt Sebnitz war das Opfer, also die anderen Menschen dieser Stadt, und die Art und Weise, wie eben in diesen Zeitungs- und Medienberichten dann hier die Gülle des Üblen über diese Stadt ausgeschüttet wurde, ist absolut in diesem Sinne verantwortungslos."
Die Familie verließ Sebnitz nach dem Medienhype und lebt inzwischen in Nordrhein Westfalen. Die Eltern glauben bis heute, dass ihr Sohn im Schwimmbad von Rechtsextremen ermordet wurde. Ihr Fall gehöre nun zur 700-jährigen Geschichte der Stadt, sagt Mike Ruckh, heute Bürgermeister von Sebnitz. Der Mann kam Anfang der 90er-Jahre aus dem Badischen nach Sachsen. Er spricht von der Kunstblumenmanufaktur, vom Boschwerk und: von der Familie. Der Name selbst fällt nicht. Auch wenn an dem Fall Joseph nichts dran war – ein Problem mit Rechtsextremismus gebe es in der Region durchaus, so der Bürgermeister.
"Ja wir haben uns mit dem Problem Rechtsradikalismus sehr früh auseinandergesetzt, schon weit vor dem Fall Joseph. Spätestens mit der Wahl eines NPD-Stadtrates ist es dann auch offensichtlich geworden, dass man hier etwas tun muss."
Für Martin Dulig wirkt die Berichterstattung über Sebnitz noch heute nach. Der 36-Jährige ist Landesvorsitzender der SPD in Sachsen und Fraktionschef im Landtag. Für ihn zog das Versagen der Medien in Sebnitz eine fatale Fehlentwicklung nach sich.
"Man tut jetzt so, als hätte es in Sebnitz keine Nazis gegeben und wir hätten hier kein Problem mit Rechtsextremismus. Also dadurch, dass dieser Skandal dort passiert ist, also dieses Medienproblem aufgetreten ist, ist dann das andere Extrem eingetreten, dass niemand mehr tatsächlich über die Skinheads, sächsische Schweiz, über die Umtreibe von Neonazis und der NPD selber in Sebnitz berichtet hat, als sei Sebnitz rein gewaschen, und das ist das eigentlich Problematische, denn schließlich ist Sebnitz immer noch eine Hochburg der Neonazis."
Seit der Wende gilt die sächsische Schweiz als Hochburg der Neonazis. In Sebnitz selbst zog 1999 – zwei Jahre nach dem Tod des kleinen Josephs – der Arzt Johannes Müller für die NPD in den Stadtrat ein. 2004 gelang ihm sogar der Sprung in den Dresdner Landtag. Bei der Landtagswahl 2009 kam die rechtsextreme NPD in Sebnitz auf 15,4 Prozent der abgegebenen Stimmen. Und trotzdem ist es bis heute schwierig, das Thema Rechtsextremismus und die Stadt Sebnitz in einem Atemzug zu nennen. Dem leistete schon der damalige Ministerpräsident Kurt Biedenkopf Vorschub, als er vor den Sebnitzern sagte:
"Sie haben damit besser als durch irgendetwas anderes bewiesen, dass der in vielen Medien vorgetragene Verdacht, dies eine rechtsextreme oder rechtsgeneigte oder unverantwortliche Stadt und Region auf das Nachdrücklichste widerlegt worden ist."
Der Sozialdemokrat Dulig spricht von einer Art Solidarisierungseffekt, der bis heute eine offene Debatte über Rechtsextremismus in Sachsen erschwert.
"Also es fällt auf, dass bei großen Berichterstattungen die überregional laufen, egal, ob es Sebnitz war oder ob es Mügeln war, dass es seltsame Solidarisierungseffekte in Sachsen gegeben hat so unter dem Motto jetzt werden wir von außen beschimpft, und wir wollen doch nicht alles Nazis sein, und dann tritt eben das ein, was ich in Sebnitz auch beobachtet habe, dass das eigentliche Problem wieder verdeckt wird und diese falsche Solidarisierung dazu führt, dass man nicht an die Wurzel des Problems geht und tatsächlich über Rechtsextremismus und Rassismus, die Einstellungen von Menschen redet, sondern eher sagt, das Problem ist nicht so groß und zu einer Verharmlosungstendenz neigt."
Stichwort Mügeln. Dort hetzte im Sommer 2007 ein aufgeputschter Mob acht Inder durch die Straßen. Der Fall erregt überregional großes Aufsehen und beruhte - im Gegensatz zu Sebnitz - auf Fakten. Trotzdem versuchte die NPD, die Berichterstattung zu diskreditieren. NPD-Fraktionschef Holger Apfel sprach im Landtag davon, dass – Zitat - Mügeln gesebnitzt wurde. Damit wollte er suggerieren, dass auch die Hetzjagd von Mügeln eine Erfindung der Medien sei. Gesebnitzt - diese Wortschöpfung der NPD - ist bei Neonazis mittlerweile sehr beliebt: Gesebnitzt verwenden diese Kreise, wenn sie behaupten, Berichte über rechtsextreme Straftaten seien unwahr.
Ist es vorstellbar, dass ein Sechsjähriger im Freibad geschlagen, betäubt, beschimpft, ins Wasser geworfen und dort ertränkt und von 250 Badegästen greift keine einziger ein?"""Es wurde totgeschwiegen. Jeder wusste, dass es Mord war, und die meisten von meiner Klasse waren an dem Tag, wo es passiert war, im Schwimmbad und haben zugesehen. Ich habe selbst meine Klassenkameraden dort gesehen, und sie haben wohl nichts unternommen, sonst wäre meinem Bruder so etwas wohl nicht geschehen.""
Diana, die damals 15-jährige Schwester des toten Jungen, wird gemeinsam mit ihrer Mutter zur Kronzeugin einer unglaublichen Anklage. Der sechsjährige Joseph, Sohn eines deutsch-irakischen Ehepaars, sei im Juni 1997 im örtlichen Schwimmbad von Rechtsextremisten ermordet worden. Seine Mutter sucht Kontakt zur Bild-Zeitung und versorgt die Medien mit ihren Recherchen.
"Ich habe den Leichnam meines Sohnes selber gesehen, und ich wusste haargenau, er war, ich muss ehrlich sagen, gefoltert worden, wie soll ich sagen, gequält worden, bevor man ihn dann zu Tode brachte."
Am 23. November bringt BILD die Geschichte in fetten Schlagzeilen: Neonazis ertränken Kind am helllichten Tag im Schwimmbad. Tags darauf dominiert das Thema republikweit Nachrichtensendungen und Talkshows. Unzählige Reporter und Kamerateams fallen in der sächsischen Kleinstadt ein. Der Ort und seine Einwohner geraten unter Generalverdacht. Eine Einwohnerin stellvertretend für die meisten Sebnitzer:
"Na, dass im Prinzip eine ganze Stadt kriminalisiert wird, dass gesagt wird, eine Stadt schaut weg. Damit erklärt man alle Bürger lapidar für schuldig und tritt die Stadt in den Dreck."
Michael Haller, Professor für Journalistik an der Universität Leipzig sieht das ähnlich.
"Sebnitz ist das eigentliche Opfer. Die Apothekerfamilie hat die Medien selber geholt. Da wäre ich auch etwas weitherziger. Mit denen darf man dann schon etwas härter umspringen, die haben das Feuer angezündet. Aber die Stadt Sebnitz war das Opfer, also die anderen Menschen dieser Stadt, und die Art und Weise, wie eben in diesen Zeitungs- und Medienberichten dann hier die Gülle des Üblen über diese Stadt ausgeschüttet wurde, ist absolut in diesem Sinne verantwortungslos."
Die Familie verließ Sebnitz nach dem Medienhype und lebt inzwischen in Nordrhein Westfalen. Die Eltern glauben bis heute, dass ihr Sohn im Schwimmbad von Rechtsextremen ermordet wurde. Ihr Fall gehöre nun zur 700-jährigen Geschichte der Stadt, sagt Mike Ruckh, heute Bürgermeister von Sebnitz. Der Mann kam Anfang der 90er-Jahre aus dem Badischen nach Sachsen. Er spricht von der Kunstblumenmanufaktur, vom Boschwerk und: von der Familie. Der Name selbst fällt nicht. Auch wenn an dem Fall Joseph nichts dran war – ein Problem mit Rechtsextremismus gebe es in der Region durchaus, so der Bürgermeister.
"Ja wir haben uns mit dem Problem Rechtsradikalismus sehr früh auseinandergesetzt, schon weit vor dem Fall Joseph. Spätestens mit der Wahl eines NPD-Stadtrates ist es dann auch offensichtlich geworden, dass man hier etwas tun muss."
Für Martin Dulig wirkt die Berichterstattung über Sebnitz noch heute nach. Der 36-Jährige ist Landesvorsitzender der SPD in Sachsen und Fraktionschef im Landtag. Für ihn zog das Versagen der Medien in Sebnitz eine fatale Fehlentwicklung nach sich.
"Man tut jetzt so, als hätte es in Sebnitz keine Nazis gegeben und wir hätten hier kein Problem mit Rechtsextremismus. Also dadurch, dass dieser Skandal dort passiert ist, also dieses Medienproblem aufgetreten ist, ist dann das andere Extrem eingetreten, dass niemand mehr tatsächlich über die Skinheads, sächsische Schweiz, über die Umtreibe von Neonazis und der NPD selber in Sebnitz berichtet hat, als sei Sebnitz rein gewaschen, und das ist das eigentlich Problematische, denn schließlich ist Sebnitz immer noch eine Hochburg der Neonazis."
Seit der Wende gilt die sächsische Schweiz als Hochburg der Neonazis. In Sebnitz selbst zog 1999 – zwei Jahre nach dem Tod des kleinen Josephs – der Arzt Johannes Müller für die NPD in den Stadtrat ein. 2004 gelang ihm sogar der Sprung in den Dresdner Landtag. Bei der Landtagswahl 2009 kam die rechtsextreme NPD in Sebnitz auf 15,4 Prozent der abgegebenen Stimmen. Und trotzdem ist es bis heute schwierig, das Thema Rechtsextremismus und die Stadt Sebnitz in einem Atemzug zu nennen. Dem leistete schon der damalige Ministerpräsident Kurt Biedenkopf Vorschub, als er vor den Sebnitzern sagte:
"Sie haben damit besser als durch irgendetwas anderes bewiesen, dass der in vielen Medien vorgetragene Verdacht, dies eine rechtsextreme oder rechtsgeneigte oder unverantwortliche Stadt und Region auf das Nachdrücklichste widerlegt worden ist."
Der Sozialdemokrat Dulig spricht von einer Art Solidarisierungseffekt, der bis heute eine offene Debatte über Rechtsextremismus in Sachsen erschwert.
"Also es fällt auf, dass bei großen Berichterstattungen die überregional laufen, egal, ob es Sebnitz war oder ob es Mügeln war, dass es seltsame Solidarisierungseffekte in Sachsen gegeben hat so unter dem Motto jetzt werden wir von außen beschimpft, und wir wollen doch nicht alles Nazis sein, und dann tritt eben das ein, was ich in Sebnitz auch beobachtet habe, dass das eigentliche Problem wieder verdeckt wird und diese falsche Solidarisierung dazu führt, dass man nicht an die Wurzel des Problems geht und tatsächlich über Rechtsextremismus und Rassismus, die Einstellungen von Menschen redet, sondern eher sagt, das Problem ist nicht so groß und zu einer Verharmlosungstendenz neigt."
Stichwort Mügeln. Dort hetzte im Sommer 2007 ein aufgeputschter Mob acht Inder durch die Straßen. Der Fall erregt überregional großes Aufsehen und beruhte - im Gegensatz zu Sebnitz - auf Fakten. Trotzdem versuchte die NPD, die Berichterstattung zu diskreditieren. NPD-Fraktionschef Holger Apfel sprach im Landtag davon, dass – Zitat - Mügeln gesebnitzt wurde. Damit wollte er suggerieren, dass auch die Hetzjagd von Mügeln eine Erfindung der Medien sei. Gesebnitzt - diese Wortschöpfung der NPD - ist bei Neonazis mittlerweile sehr beliebt: Gesebnitzt verwenden diese Kreise, wenn sie behaupten, Berichte über rechtsextreme Straftaten seien unwahr.