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"Wenn die so weitermachen, dann gerät Europa wirklich in Gefahr"

Die Euro-Retter stellen mit ihrer Politik das Projekt Europa infrage, sagt die frühere Justizministerin Herta Däubler-Gmelin. Vor der Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht betont sie, viele Menschen hätten wegen dieser Maßnahmen ihren Job verloren und stünden vor dem Nichts. Diese glaubten nicht mehr an Europa.

Herta Däubler-Gmelin im Gespräch mit Mario Dobovisek | 11.06.2013
    Mario Dobovisek: 38.000 Menschen stemmen sich mit aller Macht gegen die Euro-Rettungsmaßnahmen der Bundesregierung, gegen den dauerhaften Rettungsschirm ESM und gegen die Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank, die zumindest angekündigt worden sind. Zu gering sei der Einfluss des Deutschen Bundestages, der gewählten Volksvertreter, zu groß inzwischen die Bedeutung zentraler Institutionen wie der Europäischen Zentralbank. Im September hatte das Bundesverfassungsgericht den Eilantrag der Kläger abgewiesen und die Ratifizierung des ESM zugelassen, jedoch unter Auflagen. Heute und morgen steht die mündliche Hauptverhandlung im Verfahren an.

    Am Telefon begrüße ich die Sozialdemokratin und frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin. Sie vertritt vor dem Bundesverfassungsgericht eine Reihe von Klägern im Bündnis "Mehr Demokratie". Guten Morgen, Frau Däubler-Gmelin!

    Herta Däubler-Gmelin: Guten Morgen, Herr Dobovisek!

    Dobovisek: Wird das Urteil der Karlsruher Richter Europa verändern?

    Däubler-Gmelin: Hoffentlich! Das hoffen jedenfalls die mehr als 38.000. Das sind jetzt Menschen, Bürger, Bürgerinnen aus der Bundesrepublik, die nach Karlsruhe gegangen sind und gesagt haben, so kann’s nicht weitergehen.

    Dobovisek: Wie soll das Urteil denn Europa verändern?

    Däubler-Gmelin: Es soll auf jeden Fall klarstellen, dass hier nicht eine mehr oder weniger selbst ernannte Finanzelite bestimmen kann, was dann den Lebensalltag der Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa, in der Euro-Zone bestimmt, sondern dass da die Parlamente so rechtzeitig gestaltend eingeschoben werden, dass dieser Lebensalltag berücksichtigt ist. Also darum geht’s.

    Dobovisek: Die Euro-Retter befürchten, die Euro-Zone könnte auseinanderfallen, wenn Karlsruhe ESM und EZB stoppen würde. Warum befürchten Sie das nicht?

    Däubler-Gmelin: Weil die Euro-Retter, die befürchten das jetzt mit ihren Maßnahmen, die ja nicht wirken, seit drei Jahren und erzählen uns das. Das ist ein richtiges Totschlagsargument! Auf der anderen Seite bringen die mit dem, was sie falsch machen, das gesamte Projekt Europa infrage. Weil schauen Sie mal an, wie die Stimmung gegenüber Europa jetzt nicht nur bei uns von unserer Seite, sondern auch in Südeuropa aussieht. Da hofft keiner mehr auf das Projekt Europa. Und wenn die so weitermachen, dann gerät Europa wirklich in Gefahr, und das wollen wir nicht. Schauen Sie, Demokratie bedeutet, dass in den Bereich, in den Entscheidungsbereich, die Situationen der Menschen im Alltag eingebracht werden. Menschen, die jetzt nach der Troika und dieser verkorksten Rettungspolitik ihren Job verloren haben, keine Aussicht haben, die Schulden werden nicht weniger, die müssen mehr bezahlen, die stehen vor dem Nichts. Wieso sollen die an Europa glauben? Und wir sagen, das hätte man alles vorher bedenken können, abgesehen davon, dass es letztendlich dann auch für die Deutschen erheblich billiger geworden wäre.

    Dobovisek: Ursprünglich ging es ja vor allem um den dauerhaften Euro-Rettungsschirm, dessen Haftungsobergrenzen und den Einfluss der nationalen Parlamente. Inzwischen scheint eher das Handeln der Europäischen Zentralbank im Fokus zu stehen. Wird daraus eine Art Schauprozess gegen die EZB in Frankfurt?

    Däubler-Gmelin: Nein, nein. Ich habe zwar auch gelesen, was da so Sonntagszeitungen mit Showdown oder so schreiben. Das ganz sicher nicht, weil in Karlsruhe geht es um die juristische Seite. Und es geht, wenn ich das zusammenfasse, im Kern darum, nachdem im letzten Herbst ja das Bundesverfassungsgericht aus juristischer Sicht gesagt hat, der Rettungsschirm kann jetzt in Kraft treten – das war die Entscheidung in der Vorabentscheidung -, aber es gibt zwei Auflagen, nämlich einmal, zu jedem Punkt muss der Bundestag befragt werden und da gibt es einen absoluten Deckel für die Höchsthaftung. Und jetzt sehen die Richter, das was wir im Übrigen auch schon immer gesagt haben, dass es noch andere Wege gibt, das gleiche Ziel zu erreichen, nämlich ohne Zustimmung des Bundestages und ohne Haftungsobergrenze, und das ist das, was die EZB jetzt machen will: Stichwort OMT. Darum geht’s, ob das jetzt an die Haftungsobergrenze gekoppelt wird, oder an die Zustimmung des Bundestages, ob die EZB ihre Kompetenzen überschreitet.

    Dobovisek: Da geht es um den Anleihenkauf von Anleihen bedrohter Staaten, maroder Staaten, und Mario Draghi, der Chef der EZB, hat gestern Abend im Fernsehen ganz klar gesagt, bisher ist kein einziger Euro geflossen, kein einziger Euro ausgegeben worden an Risiken. Warum also die große Aufregung?

    Däubler-Gmelin: Die große Aufregung ist, dass natürlich kein Mensch Ihnen garantieren kann, dass er aus seinen Ankündigungen nicht doch Taten macht. Verstehen Sie? Das Problem ist – ich habe das natürlich auch gelesen -, dass gesagt wird, dieses Anleihekaufprogramm, (das auch mit Europarecht wahrscheinlich nicht in Einklang stünde), das gibt es noch nicht, sondern ich, Draghi, habe das nur angekündigt und das wirkt jetzt so – das ist das eine. Aber dann ist es natürlich eine Frage, was passiert, wenn er das tut. Es kann ja sein, dass die Märkte, die uns ja überall bestimmen dürfen, weil wir ja eine marktkonforme Demokratie sein sollen, dass die dann sagen, Nein, wir verlangen jetzt mehr, und dann macht er’s. Und dann haben wir genau diese Situation, die wir nicht haben wollen.

    Dobovisek: Allein die Ankündigung in der Tat hat die Märkte im vergangenen Jahr beruhigt, stabilisiert, ja sogar teils beflügelt. Wie könnte eine Reaktion aussehen, sollte das Bundesverfassungsgericht den Anleihekauf der EZB stoppen?

    Däubler-Gmelin: Schauen Sie, noch mal: Die Märkte, das sind Finanzspekulanten, das sind Anleger. Die müssen sich nach klaren Regeln richten, die die Politik, bei uns die Demokratie, vereinbart. Im Moment ist es genau anders herum und auch Ihre Frage tendiert dahin, was machen wir, wenn diese Spekulanten oder Anleger jetzt mal so oder so reagieren. Der Punkt ist: Die reagieren, ob Sie das wollen oder nicht. Die lassen sich auch gar nicht auf Dauer beeinflussen. Das konnten Sie im letzten Jahr sehen. Deswegen halte ich von solchen Totschlagsbehauptungen überhaupt nichts, sondern es muss sein, dass eine vernünftige, und zwar mit dem Lebensalltag der Menschen abgestimmte Rettungspolitik betrieben wird, die auf der einen Seite nicht der einen Hälfte Europas die Zukunft nimmt und dann die Lasten nicht der anderen, nämlich uns, auferlegt. Darum geht’s!

    Dobovisek: Dürfte denn die EZB Anleihen von Krisenstaaten aufkaufen, wenn zum Beispiel der Bundestag zustimmt?

    Däubler-Gmelin: Nein, das darf sie alles überhaupt nicht, jedenfalls nach Europarecht nicht. Das sagt ja auch Herr Draghi nicht, sondern er sagt, er macht es nicht unmittelbar, sondern er kauft sie auf dem Markt. Nur die Frage, ob das jetzt ein Umgehungsgeschäft ist, das ist auch die Frage. Nur wenn wir jetzt schon dabei sind, Herr Dobovisek: Die Frage wird natürlich dann auch ganz spannend sein, nämlich die juristische Frage, wer kann das eigentlich entscheiden. Ist das ein nationales Verfassungsgericht, oder ist das der Europäische Gerichtshof, der über europäisches Recht entscheidet. Auch darum geht’s dann in Karlsruhe.

    Dobovisek: Die Richter in Karlsruhe kritisieren ja klar die Europäische Zentralbank, finden scharfe Worte auch für den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Hat das Bundesverfassungsgericht Ihrer Meinung nach – Sie waren ja lange Bundesjustizministerin – seine Domäne verlassen?

    Däubler-Gmelin: Nein, das hat es nicht, weil wenn Sie sich die Rechtsprechung von Karlsruhe angucken, dann sagen die natürlich, unser deutsches Recht, das ist die eine Ebene. Es gibt die andere Ebene des Europarechts, das ist auch ganz klar. Aber wir, Bundesverfassungsgericht, wissen natürlich schon ganz genau – das nennt sich dann Ultra-vires-Theorie -, dass wir bis an eine bestimmte Grenze beurteilen müssen, ob unseren Grundrechten und unseren Bürgern und den Prinzipien unserer Gesellschaft Gefahr droht. Und wenn hier jetzt ein europäisches Organ seine Zuständigkeiten so deutlich übersteigt, dass diese Gefahr droht, dann können wir Stopp sagen. Ob es das tun wird in diesem Fall, das kann ich Ihnen nicht sagen.

    Dobovisek: Aber ist das Bundesverfassungsgericht, anders herumgefragt, zuständig, um über die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank zu befinden?

    Däubler-Gmelin: Nein, an sich nicht. Das habe ich ja schon gesagt. An sich ist das der Europäische Gerichtshof. Deswegen ist es auch nicht ausgeschlossen, dass die Rechtsfrage, ob die EZB mit der Ankündigung oder mit der Tat, über die wir gerade gesprochen haben, also mit den OMT’s, seine europäische Rechtsgrundlage überschreitet. Es ist möglich, dass das Bundesverfassungsgericht diese Rechtsfrage dem Europäischen Gerichtshof vorlegt – wäre auch das erste Mal. Aber im Rahmen der sogenannten Ultra-vires-Theorie kann es schon sagen, wir sind der Auffassung, es überschreitet seine europäischen Kompetenzen so weit, dass hier in Kernbereiche unseres nationalen Rechts eingegriffen wird, und da sagen wir Stopp. Bisher hat es das gesagt, dass es das könne. Ob es das tun wird, ist auch die Frage.

    Dobovisek: Würden Ihnen mahnende Worte der Richter in Richtung EZB und Bundesregierung genügen, ein klassisches "Ja, aber" also, wie zum Beispiel bei den vergangenen Urteilen?

    Däubler-Gmelin: Das, was die Richter tun können, kann eigentlich immer nur – ich will es jetzt nicht despektierlich sagen – eine Art Krücke sein. Was wir brauchen ist in der Tat eine Euro-Rettungspolitik, die die demokratischen Prinzipien und damit den Lebensalltag der europäischen Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt. Und wir sehen, dass es da Leute gibt, nämlich mehr oder weniger selbst ernannte Finanzeliten, die von diesem Alltag gar keine Ahnung haben können, und die müssen entweder die nationalen Parlamente, oder im Zuge der Integration das Europäische Parlament sehr viel früher und stärker einschalten. Dann, um das nochmals zu wiederholen, werden auch so große, auch ökonomische Probleme gar nicht entstehen, wie wir sie jetzt haben im Zuge der Euro-Rettung, und es wird auch für uns nicht so teuer.

    Dobovisek: Sagt Herta Däubler-Gmelin. Die SPD-Politikerin und frühere Justizministerin vertritt das Bündnis "Mehr Demokratie" bei der Verfassungsbeschwerde gegen ESM und EZB heute und morgen vor dem Bundesverfassungsgericht. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Däubler-Gmelin: Danke sehr!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.