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Wenn die Spenderlunge im Koffer "atmet"

Wenn ein Empfänger hierzulande in einer Klinik auf ein Organ wartet, wird es auf Eis gekühlt transportiert. Ein amerikanisches Unternehmen hat jetzt das "Organ Care System" entwickelt, das die Organe warm hält, statt zu kühlen. Es könnte auch die Tumortherapie revolutionieren.

Von Michael Engel | 16.10.2012
    Der Anblick ist gewöhnungsbedürftig. Eine rosa glänzende Lunge liegt isoliert in einem gläsernen Kasten und bewegt sich. Das Organ hebt sich im Takt der Beatmungsmaschine, füllt sich mit Luft, um dann wieder auszuatmen, so, als wäre sie im Brustkorb eines Menschen.

    Statt zu kühlen, wie bisher üblich, werden die Organe im "Organ Care System" – dem OCS - auf Körpertemperatur gehalten, von Spenderblut durchflossen und mit Nährstoffen versorgt. Handelt es sich um Lungen, werden sie darüber hinaus auch noch beatmet, erklärt Dr. Bettina Wiegmann von der Medizinischen Hochschule Hannover:

    "Dieser gläserne Kasten dient lediglich dazu, dass man dort die Lunge einbauen kann, und dass man da die Möglichkeit hat, die Lunge zu ventilieren, das heißt, zu beatmen, und die Lunge zu perfundieren, das heißt also mit Blut oder einer Perfusionslösung zu durchspülen."

    Entwickelt wurde das Gerät im Format eines rollenden Reisekoffers für den Transport von Organen auf langen Strecken. Eine isolierte Lunge bleibt so bis zu 24 Stunden frisch, wie Vorversuche ergeben hatten. Vergangenes Jahr führte die Medizinische Hochschule Hannover zusammen mit der Universitätsklinik Madrid die weltweit erste Studie mit dem Lungen-OCS durch, um das Gerät auf seine Alltagstauglichkeit zu testen. Zwölf Patienten erhielten Spenderlungen, die zuvor im OCS aufbewahrt wurden. Prof. Axel Haverich von der Medizinischen Hochschule Hannover über das Ergebnis:

    "Das, was wir jetzt schon gesehen haben nach den nur zwölf Interventionen ist, dass wir uns erlauben können, Lungen zu verpflanzen, die bei dem ersten Kontakt mit dem Spenderkrankenhaus eigentlich als zu schlecht gelten. Als zu schlecht entweder von der Unfallursache bei dem Opfer oder von dem Alter des Organspenders, und wir können mit diesem System hinfahren, die Lunge explantieren, in das System hängen, und können während des Transportes, also während der Dauer der Konservierung sehen, wie tatsächlich die Funktion ist."

    Teilweise konnte die Lungenfunktion während des Transportes sogar noch verbessert werden. Kein Patient starb an einer "primären Graft-Dysfunktion", einer von Transplantationschirurgen besonders gefürchteten Schädigung der Lunge. Alle Patienten wurden nach der Organverpflanzung aus dem Krankenhaus entlassen. Jetzt soll eine größere Studie mit 264 Patienten folgen. Die eine Hälfte von ihnen bekommt Lungen, die im OCS konserviert wurden, die anderen Patienten erhalten herkömmliche, auf Eis gelagerte Organe. Prof. Axel Haverich denkt aber noch weiter – an Patienten mit Lungenkrebs:

    "In der Herrichtung dieses OCS-Systems auch für die Lunge war schon bei mir im Hinterkopf die Möglichkeit, bei einem Patienten, der ansonsten chancenlos ist, die Lungen des Patienten auszubauen, in das Gerät einzuspannen, und dann dort zu behandeln für vielleicht ein oder zwei Tage. In dieser Zeit müsste der Patient dann über eine Herz-Lungen-Maschine unterstützt werden. Wir würden dann im Anschluss an die Behandlung das Organ – in dem Fall die Lunge – wieder einsetzen bei dem Patienten – hoffentlich repariert."

    Der Mediziner will die isolierte Lunge eines Krebspatienten im Organ Care System bestrahlen und auch chemotherapeutisch behandeln, und zwar mit sehr hohen Dosen, die für den Patienten normalerweise schädlich wären. So aber, eingehängt im Organ Care System, könnte der Krebs noch effizienter bekämpft werden. Erste Versuche