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Wenn ein Physiker mit Schummeln beginnt...

Erst eine steile Karriere, dann der tiefe Fall: Die Affäre um den Konstanzer Physiker Jan Hendrik Schön sorgte in Fachkreisen weltweit für Schlagzeilen. Schön hatte 1997 mit einer Doktorarbeit sein Studium an der Universität Konstanz beendet und war dann von den angesehenen Bell-Laboratories in den Vereinigten Staaten eingestellt worden. Wegen seiner Forschungsarbeiten über molekulare Transistoren und supraleitenden Kunstoffen war er sogar für den Nobelpreis im Gespräch. Doch dann kamen schwere Vorwürfe auf: In mindestens 16 Fällen, so eine amerikanische Expertenkommission, habe Schön Experimentaldaten so hingedreht, dass er seine spektakulären Forschungsergebnisse untermauern konnte. Er wurde von den Bell-Laboratories sofort entlassen. Dann die nächsten Vorwürfe: Auch in Konstanz habe Schön wissenschaftliche Daten gefälscht, hieß es. Um die Anschuldigung zu klären, setzte die Uni Konstanz eine unabhängige Expertenkommission ein. Und die legte heute ihren Abschlussbericht vor.

    Freispruch mangels Beweisen - so lässt sich das zusammenfassen, was die von der Uni Konstanz eingesetzte Expertenkommission, bestehend aus Juristen und Physikern aus ganz Deutschland, zum Fall Jan Hendrik Schön vorgelegt hat. Zwar habe Schön vor allem bei der Zuordnung von Daten zu grafischen Darstellungen auch während seiner Konstanzer Zeit immer mal wieder geschummelt. Die Wissenschaftler sprechen dabei vom Glätten von Kurven, vom Eliminieren von Ausreißern. Und dennoch: Vorsätzliches oder auch nur grob fahrlässiges Handeln könne die Kommission dem beschuldigten Jung-Physiker nicht hundertprozentig nachweisen, so der Rechtswissenschaftler Professor Dieter Lorenz als Vorsitzender:

    Die Physiker selbst sprechen hier von einem Graubereich, dass eben hier in manchen Fällen es durchaus zulässig ist, es zu machen. Der Fehler liegt allenfalls in der unterlassenen Dokumentation, sodass man hier an der Unrichtigkeit der Darstellung nicht ohne weiteres zu einem solchen Vorsatz kommen kann.

    Bei wissenschaftlichen Arbeiten sei es, so Lorenz, ja durchaus üblich, bei Messreihen Ausreißer, die gegen eine vorliegende These sprechen, zu eliminieren - zugunsten der Anschaulichkeit und Verständlichkeit einer Kurve. Allerdings müsse ein Wissenschaftler ausdrücklich auf das Eliminieren solcher irrelevanten Daten-Ausreißer hinweisen. Und genau das habe Schön unterlassen. Für das Attribut "vorsätzlich" oder gar "grob fahrlässig" reiche das aber nicht aus.

    Anders dagegen der so genannte Beasel-Report aus den USA: Dort hatte eine Kommission Schöns Arbeit an den Bell-Laboratories untersucht, war aber zu dem Ergebnis gekommen, der Konstanzer Physiker habe ganz bewusst Datenmaterial gefälscht, ja sogar frei erfunden, um sensationell anmutende Schlussfolgerungen zu Molekulartransistoren und supraleitenden Kunststoffen ziehen zu können.

    Vorsatz in den USA, dagegen ein bisschen unkorrektes Arbeiten in Deutschland laut dem heute vorgelegten Kommissionsbericht: Der Widerspruch springt ins Auge. Kommissionsvorsitzender Lorenz:

    Einer der Vorwürfe in diesem Beasel-Report war, Herr Schön habe unrealistische Ergebnisse erzielt, also nach dem gegenwärtigen Erkenntnis der Physik eigentlich gar nicht mögliche Ergebnisse.

    Denn in Konstanz habe sich Hendrik Schön mit Fragen der Photovoltaik auseinander gesetzt; ein Forschungsgebiet, das weitaus weniger spektakulär anmutet als die Arbeit in den USA. Dort sei zudem eine erheblich größere Datenmenge angefallen - mit deutlich mehr Möglichkeiten zur Manipulation.

    Dennoch, das klang bei dem Kommissionsbericht zwischen den Zeilen durch, hätte man eigentlich schon längst drauf kommen können, dass die Schön'schen Forschungsarbeiten geschönt sein könnten. Auf rund 30 wissenschaftliche Publikationen pro Jahr soll es der Konstanzer Physiker zuletzt gebracht haben - dies wohl deshalb, weil im derzeitigen Wissenschaftsbetrieb die Karriere eines Naturwissenschaftlers auch von der Zahl seiner Publikationen abhängt. Nur: Realistisch wären ein bis zwei Beiträge in Fachzeitschriften gewesen, so die Experten. Für Professor Gerhard von Graevenitz, Rektor der Uni Konstanz:, ist das ...

    ... ein Phänomen, für das ich keine Erklärung habe, wie eine wissenschaftliche Community weltweit offensichtlich keinen Anlass genommen hat, Zweifel zu hegen und skeptisch zu werden.

    Trotz des Freispruchs mangels Beweisen zieht die Uni Konstanz Konsequenzen aus dem Fall Schön: Der Bereich Wissenschaftsethik soll vor allem in der Doktorandenausbildung größeres Gewicht erhalten. Uni-Rektor Professor Gerhart von Graevenitz:

    Wir sind ja dabei die Doktorandenstudien zu restrukturieren. Wahrscheinlich muss man den Punkt da eigens aufnehmen.

    [Autor: Thomas Wagner]