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Wenn es um Sekunden geht

Verdacht auf Herzinfarkt - bei dieser Diagnose entscheiden Minuten über Leben und Tod. Sind die Herzkranzgefäße verschlossen, müssen Ärzte innerhalb von 90 Minuten einen Katheter legen, um das verstopfte Gefäß wieder zu öffnen. Viel zu häufig gelingt ihnen das nicht, von den jährlich 280.000 Herzinfarkten in Deutschland endet knapp die Hälfte tödlich. Hilfe verspricht das Kölner Infarkt Modell. Fünf Kliniken bieten einen 24-Stunden-Herzkatheter-Bereitschaftsdienst an. Und damit die Patienten möglichst schnell in die Krankenhäuser kommen, ist die Kölner Feuerwehr in das Projekt eingebunden.

Von Mirko Smiljanic |
    Köln-Weidenpesch, Leitstelle der Berufsfeuerwehr. Rund um die Uhr sitzen hier bis zu 20 Beamte und nehmen Notrufe entgegen: Feuer und Unfälle, entlaufene Katzen und schwere Krankheiten. Wer 112 wählt, landet hier!

    " Feuerwehr Köln, Notruf,… ja, richtig, hier ist die Feuerwehr, was ist passiert?, Ihr Mann hat Schmerzen? Wo hat er die Schmerzen. In der Brust! Hat er auch Schmerzen im linken Arm?, Ja,… Hat er Atmnot?, Hatte Ihr Mann schon mal einen Herzinfarkt? "

    Nach wenigen Fragen weiß der Beamte, woran der Patient leidet. Atemnot, Schmerzen in der Brust und im linken Arm deuten mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen Herzinfarkt hin. Klar ist damit auch: Er wird als KIM-Patienten eingestuft, als Patient für das Kölner Infarkt Modell, bei dem vor allem eines zählt: Geschwindigkeit. Jetzt beginnt - sagt Professor Alex Lechleuthner, Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes der Stadt Köln - ein Kampf gegen die Uhr.

    " Beim akuten Herzinfarkt ist in der Regel ein Blutpfropf, der in einem Gefäß, das die Herzwand ernährt, wir nennen das Herzkranzgefäß. Das liegt an Brüchigkeiten und wie der Volksmund sagt, Verkalkungen in der Gefäßwand, dort reißt die Haut ein, es entsteht ein Blutgerinnsel, das verschließt das Gefäß und dadurch kommt kein Blut mehr in den Herzmuskel, und wir nennen diese Erkrankung, die in der Regel plötzlich und akut auftritt, Herzinfarkt. "

    Mediziner unterscheiden beim Herzinfarkt zwei Typen: Den ST-Hebungs-Infarkt und den Nicht-ST-Hebungsinfarkt, der die Herzkranzgefäße weniger schädigt. Das Kölner Infarkt Modell sieht vor, dass Patienten mit ST-Hebungs-Infarkten innerhalb von 90 Minuten in das nächstgelegene Herzzentrum eingeliefert werden. Das setzt zweierlei voraus. Zunächst einmal muss der Notarzt den Infarkt möglichst genau diagnostizieren. Dafür achtet er besonders genau auf eine bestimmt Kurve des EKG. Bei zu steilem Anstieg muss der Patient sofort in eine Klinik mit Herzkatheter-Bereitschaftsdienst. Da liegt das zweite Problem: In Köln gibt es nur fünf solcher Krankenhäuser. Aus diesem Grund werden zunächst alle verfügbaren Informationen eingeholt.

    " Ist es in der Wohnung, ist es auf der Straße, das Personal untersucht den Patienten, macht die ersten medizinischen Maßnahmen und dann, wenn klar ist, in welche Klinik er soll, wird über die Leitstelle versucht, diese Klinik zu kontaktieren und der Patient dort angemeldet. "

    Diagnostiziert der Notarzt beim Patienten keinen Anstieg der Herzstromkurve, obwohl andere Symptome durchaus einen Infarkt vermuten lassen, kommt er ins nächstgelegene Krankenhaus.

    " Wo ist das denn bitte, ja, in welchem Stadtteil ist das, in Ehrenfeld? Welche Hausnummer bitte, und der Name, bei wem müssen wir da klingeln, in welcher Etage ist das? Alles klar, Frau Meyer, wir kommen sofort zu Ihnen, bitte machen Sie uns die Türe auf. "

    Mittlerweile hat der Disponent - so heißen offiziell die Notfall-Telefonisten der Feuerwehr - die Daten des Patienten in einen Computer getippt. Beruhigend spricht er mit der aufgeregten Anruferin, immer darauf bedacht, möglichst viele Informationen in möglichst kurzer Zeit zu erfahren. Patienten oder Angehörige melden sich fast immer zu spät, manche rufen sogar erst sechs Stunden nach dem Infarkt einen Arzt. Mit fatalen Folgen: Knapp die Hälfte aller Patienten mit einem Herzinfarkt stirbt. Das wird sich ändern, sagt Professor Alex Lechleuthner. Zwar habe man schon seit vier Jahren Herzinfarktpatienten in Kliniken gebracht, in denen Herzkatheter gelegt werden können,…

    "…aber dieses Modell integriert alle Kliniken mit Herzkatheter und auch alle anderen internistischen Kliniken. Man muss bedenken, dass etwa zwei Drittel aller Patienten mit einem akuten Herzinfarkt selbstständig in die nächste Klinik gehen, zu Fuß, mit dem Auto, mit der Straßenbahn, mit dem Fahrrad, weil die Beschwerden vielleicht nicht so schlimm sind, und dann muss von dort aus der Patient vielleicht möglichst rasch in das Zentrum mit Herzkatheter gebracht werden, und auch das machen wir, wir fahren dann zur Klinik und holen den Patienten ab. "

    Jährlich bekommen 2.000 Menschen in Köln einen Herzinfarkt. Ihre Überlebenschancen werden mit KIM steigen, gleichzeitig nehmen Folgeerkrankungen wie Herzschwäche oder Schlaganfall ab, das zumindest prognostizieren Ärzte auch mit Blick auf ein vergleichbares Projekt in Essen.

    "4 83 1 in Köln? Ja, 4 83 1 mit dem NEF 4, Venloerstraße 379 bei Meyer im 4. Obergeschoss, Verdacht auf Infarkt. "

    …der sich auch bestätigte. Trotzdem hatte der 41jährige Glück im Unglück: Nach nur 25 Minuten lag er im OP einer Klinik mit Herzkatheter-Bereitschaftsdienst.