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"Wenn jemand uns versöhnen könnte, dem wären wir sehr dankbar"

Gleich drei verschiedene Gerichte verhandeln heute im türkischen Midyat über einen Streit zwischen dem aramäisch-christlichen Kloster Mar Gabriel und den umliegenden Dörfern. Moslems und Christen beklagen sich gegenseitig, obwohl sie einander früher friedlich tolerierten. Bis die Türkei eine EU-Grundbuch-Richtlinie umsetzte.

Von Susanne Güsten | 11.02.2009
    Zu den Verhandlungsterminen haben sich viele Prozessbeobachter aus Deutschland und ganz Westeuropa angekündigt – vorwiegend Angehörige der aramäischen Diaspora in Europa, die in den Prozessen einen Versuch der Türkei sehen, die christliche Minderheit aus Südostanatolien zu vertreiben. "Rettet das Christentum in der Türkei", forderten tausende Demonstranten kürzlich in Berlin und forderten die Europäische Union zur Intervention auf. Ganz so klar liegt der Fall allerdings nicht, wie sich bei näherem Hinsehen herausstellt, und auch die EU dürfte hier nicht weiterhelfen können. Denn ausgerechnet die türkischen Fortschritte bei der Angleichung an EU-Standards bei der Grundbuchverwaltung sind es, die diesen Streit ausgelöst haben.


    In der Marktstadt Midyat ruft der Muezzin die Moslems zum Gebet, während die Kirchenglocke den Christen die Stunde schlägt. Über den Marktplatz schlendern Kurden im Turban, Araber mit Keffiyeh, barhäuptige Christen und bärtige Moslems mit Käppi auf dem Kopf. Viele Menschen hier sprechen ganz selbstverständlich vier Sprachen: Kurdisch, Türkisch, Aramäisch und Arabisch.

    Wie die Menschen auf dem Marktplatz von Midyat, so leben auch die Dörfer in diesem Landkreis in Südostanatolien friedlich zusammen. Christliche, moslemische und jesidische Dörfer gibt es hier, dazwischen stehen uralte Klöster – das älteste davon ist das 16 Jahrhunderte alte aramäische Kloster Mar Gabriel. Die prächtige Klosteranlage ist umgeben von bitterarmen moslemischen Dörfern, doch Probleme gab es bisher nie – bis kürzlich die Landvermesser des türkischen Staates in Midyat auftauchten, um Kataster nach europäischem Standard zu erstellen. Damit ging alles los, erinnert sich Rudi Sümer, der Rechtsanwalt von Mar Gabriel:

    "Die Streitereien zwischen dem Kloster und den Dörfern haben im August vergangenen Jahres begonnen, als die Katastervermessungen in den umliegenden Dörfern begannen. Da sollten die Grenzen der einzelnen Dörfer festgestellt werden, und daran hat sich der Streit entzündet."

    Um ein paar Hektar steinigen und unfruchtbaren Bodens, für die sich Jahrhunderte lang niemand interessiert hatte, tobt seither ein Streit, der ein halbes Dutzend Ämter und Gerichte beschäftigt und den gesellschaftlichen Frieden in Midyat bedroht. Mit dem Vermessungsergebnis war keiner zufrieden, weder die Dörfer noch das Kloster – und jede Seite ging auf ihre Weise dagegen vor. Auf traditionelle Weise versuchte es das Dorf Yayvantepe, wie dessen Ortsvorsteher Ismail Erkan erzählt:

    "Wenn sich zwei Sippen oder Dörfer streiten, dann ist es bei uns Sitte und Tradition, dass ein Vermittler beide Seiten versöhnt. Wir sind zweimal hingegangen und haben vorgeschlagen, das unter uns beizulegen. Aber nein, das Kloster wollte das nicht."

    Das Kloster wählte den Rechtsweg. Es zog zunächst vor das Katastergericht in Midyat, wo es verlor, und strengte dann am Bezirksgericht einen Prozess gegen die Dörfer an, um die Grenzen zu klären. Das Kloster vertraue auf die türkische Justiz, sagt Can Gülten, der Sekretär des Metropoliten Timotheus von Mar Gabriel:

    "Wir aramäischen Christen sind besorgt, aber wir glauben an Recht und Gerechtigkeit und sind guter Hoffnung, dass die Gerichte sich auf die Fakten und Dokumente stützen und ein gerechtes Urteil fällen werden. Bei aller Sorge tröstet uns das doch etwas."

    In den umliegenden Dörfern kommen die Klagen des Klosters dagegen schlecht an. Die Männer auf dem ungepflasterten Platz vor der Dorfmoschee von Yayvantepe sind empört und aufgebracht:

    "Diese Kirche lässt uns einfach nicht in Ruhe, die rafft sich unser ganzes Land und überzieht uns dann auch noch mit Prozessen."

    "Wenn die uns verklagen, dann verklagen wir sie eben auch – das ist nur mannhaft."

    Die Dörfer haben ihrerseits Strafanzeige gegen Mar Gabriel gestellt und das Kloster beschuldigt, sich staatlichen Wald einverleibt zu haben – inzwischen wurde deshalb ein Strafprozess gegen die Klostergemeinde eröffnet. Nicht nur juristisch wächst sich der Streit immer weiter aus. Das Klima ist inzwischen gründlich vergiftet. Die Christen sorgen sich, dass die traditionelle Toleranz und der gesellschaftliche Frieden der Region unwiederbringlich dahin sein könnten, sagt Can Gülten vom Kloster:

    "Was als Streit um Ländereien begonnen hat, wird von unseren Nachbarn inzwischen leider auf die Ebene der Religion gezerrt. Das bekümmert und ängstigt uns. "

    Und im Dorf Yayvantepe auf dem nächsten Hügel, in Sichtweite des Klosters, bedauert auch der moslemische Ortsvorsteher Ismail Erkan die Entwicklung:

    "Wir gehen jetzt nicht mehr ein und aus im Kloster wie früher, es herrscht jetzt eine Kälte zwischen uns. Wenn jemand uns versöhnen könnte, dem wären wir sehr dankbar."