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Wenn Journalisten Politiker werden
Von der Redaktion in den Bundestag

Journalisten sollen neutral und unabhängig berichten. Dürfen sie sich daneben auch parteipolitisch engagieren? Tabea Rößner (Grüne) und Ralf Kapschack (SPD) haben das getan - und wurden am Ende selbst Berufspolitiker.

Von Michael Borgers | 26.02.2018
    Der Reichstag spiegelt sich in der Fassade des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses.
    Laut offizieller Statistik des Bundestags wurden seit 1990 zwischen einem und vier Journalisten pro Wahlperiode Abgeordnete. (picture alliance / Maurizio Gambarini/dpa)
    Ralf Kapschack ist ein Kind des Ruhrgebiets. Geboren in Witten, sitzt er heute für seinen Wahlkreis am Südostrand des Ruhrgebiets im Bundestag. Davor berichtete Kapschack fast 30 Jahre lang aus dem Millionen-Ballungsraum in Nordrhein-Westfalen, die meiste Zeit für den WDR. So wie in dieser Reportage für das Format "Hier und Heute" über einen jungen Mann mit Migrationshintergrund, der gerade Polizist geworden ist:
    "Herzlich willkommen in unseren Reihen!"
    "Ein großer Tag auch für die Familie. Faruks Vater hat 30 Jahre lang als Bergmann gearbeitet."
    "Was haben Sie denn gesagt, als Ihr Sohn Polizist werden wollte?"
    "Ich habe mich sehr gefreut."
    "Und sind Sie heute stolz auf ihn?"
    "Ja, ich bin stolz auf ihn."
    Auch der Vater von Ralf Kapschack hatte früh Grund, stolz auf seinen Sohn zu sein, denn der folgte dessen politischem Vorbild und wurde - gerade volljährig - SPD-Mitglied. "Das war durchaus 'ne bewusste Entscheidung. Weil ich finde, wenn man sich politisch betätigen will, dann sind Parteien nicht die einzige Lösung, aber für mich war das damals 'ne sinnvolle Perspektive."
    Ralf Kapschack, seit 2013 für die SPD als Abgeordnete im Bundestag.
    Ralf Kapschack, seit 2013 für die SPD als Abgeordnete im Bundestag. (Kapschack / S. Knoll)
    Auch als er als Journalist wurde, blieb Kapschack Genosse. Daraus habe er auch nie einen Hehl gemacht, sagt er: "Warum sollte ich verleugnen, dass ich ein SPD-Mitglied war? Aber ich hab das auch nie wie eine Monstranz vor mir hergetragen. Das hätte mich behindert und das hätte meine Gegenüber, so sie denn von der gleichen Partei waren und das bis dahin nicht wusste, zu möglichweise falschen Erwartungen verleitet."
    Als Steinbrück kein Interview geben wollte
    Erwartungen, die er niemals habe erfüllen können und wollen, wie Kapschack unterstreicht. Der heute 63-Jährige berichtete vor allem über die nordrhein-westfälische Politik, lange in verantwortlicher Position als Redaktionsleiter. An der Spitze der Landespolitik war in diesen Jahren meist die SPD. Für ihn als Journalisten mit Parteibuch habe das bedeutet, besonders kritisch hinzuschauen, sagt Kapschack.
    Als Beleg dafür, dass ihm das auch gelungen ist, führt er an, wie ihm Ministerpräsident Peer Steinbrück einmal ein Interview verwehrte. "Und dann bin ich selber zu Steinbrück gegangen und hab' gefragt: Herr Steinbrück, haben Sie ein Problem mit mir? Und dann sagte er: Ne, aber Ihre Sendung, Westpol damals, hat immer so einen gewissen "Soupçon", den Begriff werde ich niemals vergessen bis an mein Lebensende, also einen gewissen Unterton in der Berichterstattung. Und der war natürlich aus Sicht des Ministerpräsidenten viel zu negativ."
    Tabea Rößner: Noch kritischer mit der eigenen Partei
    Genau wie Ralf Kapschack war auch Tabea Rößner bereits politisch engagiert, bevor sie die Seiten wechselte. Fast 20 Jahre arbeitete sie als freie Journalistin und Redakteurin. 2009 zog sie für die Grünen als Abgeordnete nach Berlin - und wurde gleich wieder mit einem ihrer alten Arbeitgeber konfrontiert: dem ZDF. Mit ihrer Partei klagte Rößner gegen die vom Rundfunkrat geplante Absetzung des damaligen ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender. Der Fall warf ein negatives Schlaglicht auf den Einfluss der Politik auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
    Die medienpolitische Sprecherin der Grünen hat sich seitdem als kritische Stimme profiliert. Rößner findet es wichtig, dass sich auch Journalisten politisch einbringen - und dabei auch ein Parteibuch mit sich tragen dürfen. "Natürlich ist jeder Journalist verpflichtet, eine gewisse Distanz zu haben. Aber es heißt ja nicht, dass er auch 'ne Haltung hat. Ich glaube auch, da ist Friedrichs immer ein bisschen falsch verstanden worden, wo es darum ging, man darf sich nicht gemein machen mit der Sache, selbst mit 'ner guten Sache."
    Porträt von Tabea Rößner
    Tabea Rößner, seit 2009 für die Grünen als Abgeordnete im Bundestag. (dpa / Michael Kappeler)
    Natürlich würden sich Journalisten so auf einen schmalen Grat begeben, räumt Rößner ein. Auch sie habe als Journalistin sich und ihre Arbeit immer wieder kritisch hinterfragt: "Und manchmal, glaub' ich, dass wir häufig noch kritischer dann mit den eigenen politischen Parteien umgehen, als andere das tun würden. Weil wir bloß nicht in den Verdacht kommen wollen, da 'ne zu große Nähe zu haben."
    Plötzlich Politiker
    "Ich kann verstehen, wenn Leute sagen: Nee, dann fühle ich mich nicht mehr frei genug, um als Journalist auch hartnäckig nachzufragen und auch zu recherchieren und dem einen oder anderen auf die Füße zu treten, der dann in der gleichen Partei ist", sagt der langjährige WDR-Journalist und heutige Abgeordnete Ralf Kapschack. Für ihn sei bis heute die größte Umstellung: "Das, was ich früher gemacht habe, nämlich den Ehrgeiz zu entwickeln, möglichst früh mit Informationen zu bevorstehenden Entscheidungen oder schon getroffenen , dass ich das jetzt natürlich nicht so doll finde, wenn ich in der Zeitung lese, oder im Morgenmagazin sehe, was wir nachmittags in der Fraktion entscheiden."
    Er habe sich - anders als seine Grünen-Kollegin Tabea Rößner - dagegen entschieden, sich weiterhin mit dem Thema Medien zu befassen, sagt Kapschack. Er kümmert sich in Berlin jetzt für die SPD um sozialpolitische Fragen.