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Self-Service in Einzelhandel und Co.
Wenn Kunden mitarbeiten müssen

Den Tankhahn bedienen, Möbel montieren, kassieren: Arbeitsschritte, die früher zum Service von Unternehmen gehörten, werden heute an Kunden ausgelagert. Viele finden das zwar nervig, hinterfragen es aber kaum. Das liege auch am menschlichen Spieltrieb und Streben nach Belohnung, sagen Wissenschaftler.

Von Caspar Dohmen | 21.04.2022
Eine Self-Service-Kasse in einem niederländischen Supermarkt
Auch an Self-Service-Kassen werden Arbeitsschritte an Kunden weitergereicht. Ökonomen sprechen deswegen vom Verbraucher als Co-Produzenten. (imago/UIG)
Am Ausgang eines großen Möbelhauses in Berlin. Zwei ältere Frauen verlassen mit einem Korbstuhl unter dem Arm und um eine Erfahrung reicher den Laden. Ihr letzter Besuch sei schon eine Weile her, erzählen sie. Beim letzten Mal habe sie noch jemand am Hotdog-Stand bedient, nun hätten sie ihn am Automaten selbst gezogen und bargeldlos bezahlt, sagt Barbara Manthey:

„Da hat mir ein Herr erst noch gezeigt, da müssen sie erst da drücken, da drücken, dann weiter, dann noch mal und noch mal. In der Zeit wäre ich an der Kasse, hätte gesagt, ein Hotdog, ja 1,50 – hier 1,50 – wäre die Sache erledigt.“ 

Die beiden Damen sind sich einig: „Ja, Personaleinsparung – Personaleinsparung.“

Empfinden sie es als Arbeit, wenn sie den Hotdog selbst ziehen, Pakete für ihre Nachbarn annehmen oder Onlinebanking machen? 

„Na, Arbeit direkt nicht.“  

So antworten viele Verbraucher auf diese Frage. Das bestätigt auch der emeritierte Arbeitssoziologe Gerd-Günter Voß.  

„Die meisten haben gesagt, nee, und das muss man dann einfach so machen. Aber in den längeren Interviews, es waren immer sehr ausführliche qualitative Interviews, wurde manchen dann schon klar, dass das was Besonderes ist, was sie da machen. Und dann merkt man richtig, wie das im Kopf ratter, ratter, ratter macht und dann die Leute selber gesagt haben, ja, ja, das ist also auch Arbeit und wer kümmert sich da eigentlich darum und kriegen wir da eigentlich Geld und ich weiß nicht was, also viele, viele Fragen.“   
Der Forscher hat gemeinsam mit seiner Kollegin Kerstin Rieder den Begriff des „arbeitenden Kunden“ geprägt. Sie beschrieben 2005, wie der Kunde sich von einem „eher passiv agierenden klassischen Käufer-Kunden abgelöst“ und sich ein „neuer aktiver Grundtypus des Konsumenten“ herausgebildet habe. 2020 veröffentlichte der Soziologe Günter Voß sein Buch „Der arbeitende Nutzer“. Ob als Kunde oder Nutzer, in beiden Rollen würden Verbraucher regelrecht überhäuft mit Arbeit.

„Das erzeugt eine massiv zunehmende Anstrengung im Alltag, also immer mehr Zeit wird verausgabt für dieses ganze Zeug.“ 

Aufhalten lasse sich diese Entwicklung nicht mehr, aber er wolle wenigstens ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Unternehmen an der Arbeitsleistung ihrer Kunden verdienten. Aber macht sich die veränderte Arbeitsteilung mit Unternehmen für Verbraucher im Geldbeutel bemerkbar? Torsten Strubbe, ebenfalls Berliner Möbelhaus-Kunde, ist zumindest im Fall selbst aufzubauender Möbel davon überzeugt. 

„Die sind definitiv günstiger. Die sind qualitativ vielleicht nicht schlechter oder ähnliches, aber ich denke mal schon, dass die Arbeitsleistung da irgendwo raus gerechnet wird. Kommt stark auf das Gebiet darauf an, wo man die Sache betrachtet, ob das ein Dienstleitungssektor ist oder im Handwerk oder ähnliches – und natürlich, wie die Lohn- und Preisgestaltung in dem Segment ist. Wenn ich mir natürlich ein Ersatzteil für das Auto kaufe und ich habe noch einen Schraubenschlüssel und ein bisschen technischen Sachverstand, dann kann ich mir bei manchen Sachen die 80 Euro Reparaturkosten pro Stunde sparen. Bei anderen Sachen, Gehirnchirurgie, werden wir selber nicht machen können.“ 

Hält er die Arbeitsverlagerung von Unternehmen auf Kunden also generell für fair? 

„Nein, wahrscheinlich eher nicht, ist wie mit dem Outsourcen von Arbeitsleistung zu Subunternehmen und ähnliches, es ist ja bloß eine andere Schiene, wo das gemacht wird. Das ist mit Sicherheit kein vernünftiger Deal“

Konsumenten offenbar mit neuer Rolle einverstanden


Unternehmensführungen denken im Konzept von Wertschöpfungsketten, um möglichst hohe Gewinne zu erzeugen. Sie zerlegen also die Wertschöpfung in einzelne Schritte und lassen in der eigenen Firma möglichst nur noch die Schritte mit hoher Wertschöpfung erledigen. Alles andere lagern sie möglichst aus. An Fremdfirmen, angefangen bei Reinigungsarbeiten bis hin zur kompletten Fertigung von Waren.

Die jüngeren Leute haben sich so daran gewöhnt, die älteren Leute sind ziemlich zurückhaltend, resistent oder wie ich, ich bin manchmal noch regelrecht sauer.

Arbeitssoziologe Gerd-Günter Voß
Und auch an Konsumenten wird Arbeit weitergereicht. Ökonomen sprechen deswegen vom Verbraucher als Co-Produzent. Diese Rolle empfände das Gros der Konsumenten aber als normal, sagt Arbeitssoziologe Voß. 
„Das ist eine Frage vielleicht auch der Generationen, die jüngeren Leute haben sich so daran gewöhnt, die älteren Leute sind ziemlich zurückhaltend, resistent oder wie ich, ich bin manchmal noch regelrecht sauer über das, was man da mit mir macht, andere sagen, aber das ist doch so.“ So wie Voß geht es vielen.

„Ich werde also nicht vergessen, wie mein Vater zum Beispiel irgendwann mal völlig entsetzt war, dass er jetzt sich dreckige Finger machen sollte und nicht der Tankwart mit seinen Handschuhen dort stand und ihm jetzt einfüllen wollte, sondern, dass man jetzt auch bei den Tankstellen Selbstbedienung eingeführt hat, da war er richtig entsetzt“, erinnert sich der Forscher Jens Junge von der Designhochschule SRZ Berlin University of Applied Sciences.
Ein Tankwart füllte bis in die 1970er-Jahre nicht nur Treibstoff ein, sondern reinigte auch die Scheiben und schaute nach dem Ölstand.
Szene aus "Wilde Erdbeeren"
Ein Tankwart im Film „Wilde Erdbeeren“ von Ingmar Bergmann aus dem Jahr 1957. (imago stock&people)
Wann begann die Arbeitsverlagerung von Firmen auf Kunden? Zentral war der Siegeszug der Selbstbedienungsidee nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie kam wie Kaugummi und Coca Cola aus den USA. Verbraucher bedienten sich 1949 erstmals in einem Lebensmittelladen und 1970 an einer Tankstelle selbst in Deutschland. Ab 1972 zogen Menschen erstmals in England Geld aus dem Automaten. Einen Riesenschub bewirkten Computer und Internet. Beides kombiniert, ermöglichte es Unternehmen seit 1989 in großem Ausmaß, Konsumenten als Co-Produzenten einzuspannen. Das Phänomen des arbeitenden Kunden ist offensichtlich, aber erfasst wird es nicht. Das Statistische Bundesamt hat dazu keine Daten. 
Umfrage: Verwenden Sie bereits in Ihrem Geschäft folgende Self-Service-Systeme und denken Sie darüber nach, diese in Zukunft zu verwenden?
Umfrage: Verwenden Sie bereits in Ihrem Geschäft folgende Self-Service-Systeme und denken Sie darüber nach, diese in Zukunft zu verwenden? (EHI Retail Institute / statista.de)

Schaut man, wie es dem arbeitenden Kunden ergeht, findet sich manch überraschende Erkenntnis. So schätzen Verbraucher Produkte sogar ganz besonders, wenn sie selbst erfolgreich Hand angelegt haben, sagt der Spieleforscher Jens Junge. 

„Wenn man dann halt so eine Bauanleitung bekommt wie bei einem Legobausatz, wo Kinder ja auch schon gelernt haben, wie man Einzelteile so zusammenfügt, dass das große Ganze uns mit Freude erfüllt. Genauso funktioniert es ja bei diesem erfolgreichen Möbelkonstrukt sozusagen.“   
Solche Spielmechanismen nutzen Firmen auch in der digitalen Welt.
„In dieser Spielwelt, diesem Zauberkreis, diesem Magic Circle, in den wir da eintreten, haben wir künstliche Herausforderungen. Und denen stellen wir uns ganz gerne, weil die uns sehr oft und sehr schnell mit Erfolg beschenken. Und zum Beispiel, wenn wir auch nur einen Fortschrittsbalken sehen, dass wir nur sehen, wie viel Prozent wir schon geschafft haben, das kennen viele ja von irgendwelchen großen komplexen Befragungen, die man ausfüllt und wie man sich freut wie dieser Balken farbig weiterwandert und weiß, man ist jetzt bei 87 Prozent und nur noch ein bisschen und ich habe es gleich geschafft. Die Softwareentwickler haben besonders viel eben natürlich von digitalen Spielen zum Beispiel gelernt.“ 

Das „Selbst Tun“ als Ansporn


Legen Konsumenten selbst Hand an, kann sich dies sogar auf deren eigene Leistungsfähigkeit auswirken.  

„Genau, das haben wir in ein paar Experimenten gezeigt“, sagt Sören Köcher, der an der Universität Magdeburg Betriebswirtschaftslehre lehrt.

„Indem wir Studierende zum Beispiel einen Golfschläger haben zusammenschrauben lassen. Eine andere Gruppe von Studierenden hat eben einen identischen Golfschläger bekommen, aber den eben nicht selber zusammengeschraubt. Dann haben wir die Studierenden Golf spielen lassen und haben die Anzahl der Schläge gezählt, die sie gebraucht haben, um von verschiedenen Distanzen zu treffen und wir haben herausgefunden, dass die Leistungsfähigkeit besser ist, wenn man das Produkt eben selbst zusammengebaut hat, als wenn man ein fertiges Produkt bekommen hat.“

Auswirkungen gebe es sogar auf das Kaufverhalten.

„Dass wir zum Beispiel ein Produkt dann wahrscheinlicher wieder kaufen oder dass wir einen Service, den wir selbst gemacht haben, wahrscheinlich noch mal machen, wenn das ganze erfolgreich war.“ 

Waschmaschine, Staubsauger, Geschirrspüler, Kaffeeautomat: Technische Erfindungen haben Konsumenten im Laufe des 20. Jahrhunderts eine Menge Arbeit abgenommen und ihnen Zeit verschafft, anderes zu tun. Umgekehrt ermöglichte technologischer Fortschritt es Unternehmen, große Teile der Arbeit auf Verbraucher abzuwälzen. Beispielsweise erledigen Verbraucher mittlerweile viele Aufgaben des Registrierens, Bestellens oder Bezahlens selbst am Computer. Konsumenten übernehmen analog oder digital selbst Arbeiten. Dabei steht vor allem ein Motiv im Vordergrund. Wirtschaftspsychologin Julia Pitters von der privaten IU Internationalen Hochschule in Erfurt:

„Also in den letzten Jahrzehnten hat sich diese Do-it-yourself-Mentalität ja ziemlich durchgesetzt, einfach, weil man als Kunde oder Konsument das Gefühl hatte, man ist hier der schlaue Fuchs. Also man kann sparen, indem man die Dinge einfach selber macht, also bei Ikea die Möbel selber zusammenbaut, jetzt auch mit der Digitalisierung, seine Reise im Internet selber bucht. Dass es günstiger ist als wenn man ins Reisebüro geht. Geschickte Verkäufer oder Anbieter machen sich eigentlich genau diese Eigenschaft zunutze, indem sie dem Kunden jetzt auch immer mehr zumuten, kann man sagen.“ 

Kunden sind Verkäufern oft überlegen – eigentlich ...


Viele Gesetzmäßigkeiten des Verkaufens hätten sich beim digitalen Einkaufen erhalten, sagt die Psychologin, die zuletzt ein Buch über das digitale Konsumverhalten geschrieben hat. 

„Es ist eigentlich ein alter Wein in neuen Schläuchen, aber eben in einer digitalisierten Welt, wo man ein paar Vorteile hat, also Kunden anders oder schneller erreichen kann, und auch ein paar Nachteile, dass das Haptische eben wegfällt beispielsweise oder eben diese persönliche Beziehung natürlich schwieriger aufgebaut werden kann. Aber letztendlich ist es natürlich immer dieses Spiel, wie bringe ich jemanden dazu, das zu kaufen oder da zu investieren, wie ich es gerne hätte. Das hat sich so nicht verändert. Das einzige, was sich jetzt verändert hat, ist, dass der Kunde auf der anderen Seite ja viel versierter ist als der Kunde früher. Also Kunden kommen heute in ein Geschäft und können zeitgleich im Internet surfen, schauen, ob das Produkt nicht woanders noch günstiger ist und sind eigentlich dem Verkäufer oft überlegen.“

Trotzdem übernehmen Kunden sogar Arbeiten, ohne preislich davon zu profitieren.

„Ob das jetzt Starbucks ist, wo ich eigentlich schon überproportional für meinen Kaffeekauf bezahle, aber dann trotzdem das Geschirr selber wegbringe oder mir meinen Becher selber abhole. Das sind so Dinge, die die Kunden vielleicht oft gar nicht mehr merken, weil sie in diesem Flow drin sind, sie können das alles selber.“
Umfrage: Welche Self-Service Angebote haben Sie auf Ihrem Flughafen bis zum Jahr 2020, 2021 und 2024 realisiert oder geplant?
Umfrage: Welche Self-Service Angebote haben Sie auf Ihrem Flughafen bis zum Jahr 2020, 2021 und 2024 realisiert oder geplant? (SITA/Circle Research / statista.de )

Die Psychologin vergleicht an diesem Punkt das Verhalten erwachsener Konsumenten mit kleinen Kindern, die behaupten, sie könnten alles selber machen. 

„Diesen Effekt, den haben wir im Grunde auch im Erwachsenenalter und das liegt eigentlich psychologisch darin, dass wir immer so eine Art Belohnungsgefühl haben. Also wenn wir was geschafft haben, dann werden eigentlich Endorphine ausgeschüttet, dann hat man das Gefühl, man hat was Tolles erreicht.“

Der finanzielle Bonus kann dann sogar ganz ausbleiben. Wenn Konsumenten etwa Probleme mit einer Software haben und Hilfe suchen, werden sie bisweilen in ihrem Programm nicht fündig, sondern werden auf andere Nutzer in Internetforen verwiesen. So spart der Softwarehersteller Servicekräfte. 

An so einer Kasse bin ich einfach verloren, so was kann ich nicht benutzen.

Verena Bentele, Sozialverband VdK

Erschwerte Teilhabe durch Self Services


Für einen Teil der Menschen geht es bei der Frage, ob sie als Konsumenten bestimmte Arbeiten übernehmen müssen, aber nicht um Freude oder Frust oder um mehr oder weniger hohe Geldausgaben, stattdessen geht es um erschwerte Teilhabe.

„Ein ganz praktisches Beispiel, ich selber sehe nichts seit meiner Geburt.“

Verena Bentele, die sich mehrfach Siege als Biathletin bei den Paralympics erkämpfte und heute den Sozialverband VdK führt, stellt der gewöhnliche Einkaufsalltag bisweilen vor eine Hürde. 

„Wenn ich jetzt in irgend einem Laden an einer Self-Service-Kasse, wie man das heute so nennt, also an einer Kasse, wo man wirklich selbst den Barcode scannt und am Schluss eben sich selbst sozusagen abrechnet, an so einer Kasse bin ich einfach verloren, so was kann ich nicht benutzen.“
Solche Selbstbezahlmöglichkeiten hatten laut dem wissenschaftlichen Institut des Handels EHI vergangenes Jahr bereits 1687 Geschäfte in Deutschland. Verglichen mit 235.000 gewöhnlichen Kassen ist das sehr wenig, aber die Zahl hat sich binnen zwei Jahren verdoppelt. Hält der Trend an, wäre nicht nur ein gehöriger Teil der 1,2 Millionen Arbeitsplätze im hiesigen Einzelhandel bedroht.

„Wenn es in einem Supermarkt, in einem Möbelgeschäft, wo auch immer, nur noch solche Kassen gäbe, könnte ich alleine im Prinzip nicht einkaufen, wenn da nicht irgendetwas Barrierefreies erfunden wird, dass die Waren tatsächlich alleine über das Band laufen und mir am Schluss irgendwie eine Sprachausgabe sagt, wie viel es kostet, wo ich meine Karte hinlegen soll, dass ich meinen PIN eingeben soll. Also ohne eine Form von Kommunikation könnte ich so etwas nie machen. Und von daher ist es wirklich schon aus ganz praktischen Gründen wichtig, dass an alle Menschen mit ihrer Vielfalt und ihren individuellen Bedürfnissen gedacht wird.“

Ich habe gerne jemanden, mit dem ich reden kann und nicht nur den Computer da.

Barbara Manthey, Kundin
Wenn Maschinen Angestellte von Unternehmen ersetzen, verschlechtere sich die Lage als Verbraucher. 

„Das ist schade“, bedauert etwa Barbara Manthey, die Berliner Kundin mit dem Korbsessel, die Einsparung des Hausmeisters in dem Mietshaus, wo sie in Berlin-Wilmersdorf wohnt. 

„Der Ansprechpartner ist weg, da fehlt ein Hausmeister. Da müssen Sie anrufen und dann sagt die Stimme, ‚Drücken Sie die Eins!’ – ‚Ich habe Sie nicht verstanden!’ Ach! Ich habe gerne jemanden, mit dem ich reden kann und nicht nur den Computer da. Manchmal ärgert es einen, weil so vieles fehlt.“

„Aber nicht nur Ältere, das ärgert auch die Jüngeren. Das ist nicht so, dass die das alles gut finden, wie das heute abläuft.“

„Das wurde jetzt wahrscheinlich auch übertrieben, also an so vielen Stellen haben eben Anbieter gemerkt, sie können sich sehr, sehr viel Arbeitsleistung sparen, indem sie das den Kunden zuschieben, aber natürlich erreichen sie jetzt nicht mehr alle Zielgruppen und da gibt es auch wieder so Retrotrends.“ 

Manche Serviceleistungen kommen also wieder zurück, allerdings nur gegen Bezahlung. 

„Das ist auch schon wieder ein Trend, wo man sagt, na ja, eigentlich ist das ein Luxus, ein Lebensqualitätsgewinn, wenn andere für mich arbeiten, aber das hat natürlich auch immer mit dem Geldbeutel zu tun.“

Wer das Geld dafür nicht hat, muss selbst anpacken, was aber auch nicht alle können. 

„Dann gibt es auch einen kleinen Teil, der weder in der Lage ist, diese Dienstleistung selber auszuführen, sich aber auch nicht leisten kann, das auszulagern, und das sind natürlich diejenigen, die komplett ausgeschlossen sind. Also für die ist das schwierig, hier sozusagen trotzdem das zu bekommen, was sie gerne hätten.“

Wie steht es mit einem Recht auf Offline-Konsum?


In unserer Massenkonsumgesellschaft habe Konsum eine zentrale sinnstiftende Funktion für Menschen. Wer daran aus welchen Gründen auch immer nicht teilhaben könne, fühle sich ausgeschlossen, sagt der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge. 

„Dann wird man zum Bürger und zum Kunden zweiter Klasse und das ist dann natürlich wiederum eine Erfahrung, die Menschen, wenn sie sie alltäglich machen, dazu führt, dass sie einfach psychisch darunter sehr leiden, dass sie natürlich auch nach Strategien suchen, damit fertig zu werden. Ganz egal, ob sie sich jetzt passiv verhalten, sich zurückziehen, nicht mehr teilnehmen an gesellschaftlichen Prozessen, oder ob sie aggressiv reagieren, es ist in beiden Fällen für die Gesellschaft destruktiv. Arme müssen beteiligt werden, sie müssen, statt sozial benachteiligt zu werden, gerade was ihre Grundbedürfnisse angeht, die müssen befriedigt werden. Es muss in einer Gesellschaft wie unserer, die so stark auf Konsum, auf Werbung, auf Materielles orientiert ist, gerade da muss jeder Mensch in der Lage sein, auch sich zu beteiligen in Form von legitimen Konsumwünschen, die zu befriedigen.“

Ausgeschlossen sind Menschen vom Konsum jedoch nicht nur wegen ihres geringen Einkommens, sondern auch weil ihnen das digitale Equipment oder die entsprechenden Fähigkeiten fehlen, um als arbeitender Konsument mitzuhalten. Bräuchte es für die Teilhabe solcher Menschen ein Recht auf Offline-Konsum? Christoph Butterwegge:

„Ja, das wäre sicher wünschenswert. Auf diese Art und Weise müsste man dafür sorgen, dass Digitalisierung nicht weiter zur Polarisierung in der Gesellschaft beiträgt. Diejenigen, die das nicht wollen oder können, die müssten eigentlich befähigt werden, trotzdem an gesellschaftlichen Prozessen wie dem Konsum weiter teilhaben zu können.“

Die Zeit drängt, denn mittlerweile arbeiten Digitalunternehmen schon am nächsten Kapitel der Geschichte vom arbeitenden Konsumenten. Der Arbeitssoziologe Gerd-Günter Voß beobachtet aufmerksam die Pläne von Facebook-Gründer Marc Zuckerberg für ein Metaverse, also eine virtuelle Welt. Zwar werde dort ein betrieblicher Kontext um die Nutzer gelegt, aber es wird wohl keine klare Abgrenzung mehr von Unternehmen und Nutzer geben. 

„Das ist kein Betrieb, sondern das ist – muss man Worte finden – ein Sozialzusammenhang, der ganz offen und beweglich ist.“ 

Mit einer Auflösung der Rollen von Verbrauchern und Arbeitenden stelle sich eine alte Frage neu: Wer bekommt was im kapitalistischen Verwertungsprozess?

„Ich glaube, es ist ein sozialpolitisches wichtiges Thema, das bei dieser neuen Qualität von Profitmaximierung eigentlich das Thema Verteilung, uraltes linkes Thema, auch ein Gewerkschaftsthema, noch mal neu gestellt werden muss. Das passiert aber nicht."