Die Nachrichtenredaktion des Deutschlandfunks veröffentlicht einmal im Jahr gemeinsam mit der Initiative Nachrichtenaufklärung e.V. eine Liste von Themen und Nachrichten, über die nach Einschätzung einer Jury zu wenig berichtet wird.
Ihre Top-Ten-Liste der Nachrichten, die in den vergangenen zwölf Monaten am stärksten vernachlässigt wurden, hat die medienkritische Initiative am 27. Februar
im Kölner Funkhaus des Deutschlandfunks vorgestellt
(Audio-Link).
Auffällig ist in diesem Jahr, dass es gleich zwei Themen aus dem Bereich Gesundheit und ebenfalls zwei Themen aus dem Bereich des Datenschutzes auf die Liste geschafft haben. Auch die Zusammenarbeit innerhalb der EU und andere internationale Fragen sind stark vertreten.
Top 1: JEFTA - Das größte Freihandelsabkommen der Welt
Die Europäische Union und Japan bilden seit dem 1. Februar 2019 die größte Freihandelszone der Welt. Das Abkommen mit dem Kürzel JEFTA wurde gleichzeitig mit den viel diskutierten Verträgen TTIP und CETA ausgehandelt, stand aber im Vergleich zu diesen sehr im Hintergrund der öffentlichen Wahrnehmung.
Top 2: Der gläserne Passagier - Sammlung von Fluggastdaten in der EU
Wer innerhalb Europas ein Flugzeug besteigt, der wird seit dem vergangenen Jahr grundsätzlich registriert. Mit dem Fluggastdatengesetz hat Deutschland 2018 eine EU-Richtlinie mit weitreichenden Folgen umgesetzt: Bei jedem Flug werden 20 persönliche Informationen an staatliche Behörden übermittelt, fünf Jahre lang gespeichert und gegebenenfalls auch weitergegeben. Während über die Speicherung solcher Daten bei Flügen in die USA vor einigen Jahren noch sehr kontrovers diskutiert wurde, gab es über die neue innereuropäische Regelung nur sehr wenig Berichterstattung - obwohl sie die meisten EU-Bürger deutlich stärker betrifft.
Top 3: Venezuela und das Völkerrecht - Kein Thema?
Die Bundesregierung hat Anfang 2019, wie auch zahlreiche andere Staaten, den selbsternannten Übergangspräsidenten Venezuelas, Juan Guaidó, als amtierenden Staatschef anerkannt. Völkerrechtlich war dies ein Novum, wie Juristen im Auftrag des Bundestags festgestellt haben. Während die politische Entwicklung und die humanitäre Krise in Venezuela in Deutschland auf breites Interesse stoßen, haben Medien über die damit eng verknüpfte rechtliche Debatte nur wenig berichtet. Und das in einer Situation, in der das Land möglicherweise vor einem Bürgerkrieg steht und die USA bereits offen mit einer Invasion gedroht haben.
Die weiteren Themen:
4. Gesünderes Wasser ist möglich - Chemikalien meist nicht gefiltert
5. Das Stiftungs(un)wesen - Almosen statt Sozialpolitik?
6. Kinderarbeit für das Brautgeld - Das Sumangali-System in Indien
7. Wohlstand und Demokratie in Afrika - Das Beispiel Botswana
8. Gefährliche Cocktails - Falsche Medikation bei Senioren
9. Internet-Kriminalität - Aufklärung gelingt nur selten
10. Lebenslanges Leiden - Genitalverstümmelung in Deutschland
5. Das Stiftungs(un)wesen - Almosen statt Sozialpolitik?
6. Kinderarbeit für das Brautgeld - Das Sumangali-System in Indien
7. Wohlstand und Demokratie in Afrika - Das Beispiel Botswana
8. Gefährliche Cocktails - Falsche Medikation bei Senioren
9. Internet-Kriminalität - Aufklärung gelingt nur selten
10. Lebenslanges Leiden - Genitalverstümmelung in Deutschland
Einzelheiten zu diesen Themen und Nachrichten veröffentlicht die Initiative Nachrichtenaufklärung im Internet. Ziel ist es, relevanten aber vernachlässigten Themen mehr Öffentlichkeit zu verschaffen. Recherchierenden Journalisten stellt die Initiative auf Anfrage auch weitergehendes Informationsmaterial zur Verfügung.
Vorschläge aus der Bevölkerung
Die Themen hat auch in diesem Jahr wieder eine Jury aus Medienwissenschaftlern, Journalisten und Experten ausgewählt. Ausgangspunkt sind Vorschläge aus der Bevölkerung. Per E-Mail, Post oder Webformular können bei der Initiative Nachrichtenaufklärung auch jetzt bereits wieder vernachlässigte Nachrichten für das kommende Jahr vorgeschlagen werden. Studentinnen und Studentinnen an mehreren deutschen Hochschulen überprüfen dann, ob die Themen und Nachrichten zutreffend sind und ob sie tatsächlich von den Medien vernachlässigt wurden. Alle Themen, die diese Kriterien erfüllen, werden dann der Jury vorgelegt. Diese entscheidet dann, welche der Themen sie für besonders relevant hält.
"Wichtig für Vertrauen in Nachrichten"
Die Deutschlandfunk-Nachrichtenredaktion ist seit 2015 an der Präsentation der Vernachlässigten Nachrichten beteiligt. Nachrichtenchef Marco Bertolaso erklärte bei der Vorstellung, für die Dlf-Nachrichten sei das Aufspüren der "Vergessenen Nachrichten" sehr wichtig - und zwar über die "Top Ten" eines Jahres hinaus. Bertolaso meinte: "Meine Kolleginnen und Kollegen sind jeden Tag auf der Suche nach Themen, die es trotz großer Bedeutung kaum in die Medien schaffen." Dieser generelle Anspruch sei auch ein bedeutender Faktor für das gesellschaftliche Vertrauen in die Dlf-Nachrichten.
Prof. Hektor Haarkötter, Kommunikationswissenschaftler der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, leitet die Initiative Nachrichtenaufklärung. Er betont: "Demokratie lebt von der Diskussion. Und Diskussionen können nur stattfinden, wenn auch Informationen vorliegen." Über gesellschaftlich hoch relevante Themen werde die Gesellschaft aber leider häufig nur sehr unzureichend informiert: "Wenn die zwei größten Wirtschaftsräume der Welt sich vereinigen oder wenn im ölreichsten Land der Erde womöglich eine militärische Intervention droht, sollte die Mehrheit der Bevölkerung das erfahren und darüber mitreden können."
Forum für Journalismuskritik
Vertieft werden diese und andere Beobachtungen zur aktuellen Medienlandschaft auf der öffentlichen Fachtagung "Kölner Forum für Journalilsmuskritik". Auf der Tagung wird auch der Günter-Wallraff-Preis für Journalismuskritik verliehen. Veranstalter sind die Deutschlandfunk-Nachrichtenredaktion und die Initiative Nachrichtenaufklärung. Die Veranstaltung findet am 14. Juni 2019 zum fünften Mal statt.