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Wenn Wissen zirkuliert

Brain Circulation: Das passiert gerade in der Zentrale Alexander von Humboldt-Stiftung. Wissen soll zirkulieren. Und nebenbei sollen die Wissenschaftler wieder nach Deutschland zurückkehren. Die Stiftung hat für heimische Wissenschaftler jetzt ein eigenes Stipendium.

Von Susanne Lettenbauer |
    In der Zentrale der Alexander von Humboldt-Stiftung herrschte gestern eine ausgelassene Stimmung. Mal wieder ging ein Nobelpreis an einen Humboldtianer. Ei-ichi Negishi, Chemie-Nobelpreisträger 2010 hatte 1997 den Humboldt-Forschungspreis erhalten und im Anschluss mit Mitteln des Preises in Göttingen, Berlin und München geforscht.

    Rund 800 Preise und Stipendien gehen in jedem Jahr an herausragende Wissenschaftler. Dafür stehen der Stiftung rund 100 Millionen Euro zur Verfügung, Tendenz steigend. Mit bis zu fünf Millionen Euro können zum Beispiel Humboldtprofessuren dotiert sein. Vor drei Jahren lag das Budget noch bei 64 Millionen Euro.

    In Ulm trafen sich gestern 105 Humboldtstipendiaten aus 32 Ländern, die derzeit in Deutschland forschen. Schwerpunkt dabei: der Austausch.

    "Ein Freund hatte mir von der Stiftung erzählt, bei der er vor fünf Jahren Stipendiat war. Er hat mich gedrängt, mich doch auch zu bewerben. Dabei dachte ich: Das wird doch nie etwas! All diese Topwissenschaftler in diesem renommierten Programm, da bin ich nie erfolgreich. Er sagte nur: Versuch es, davon geht die Welt nicht unter. Also hab ich mich beworben und - bekam das Stipendium."

    Die pakistanische Mikrobiologin Samina Mehnaz kann es noch nicht fassen. Seit diesem Semester gehört sie zur Humboldt-Familie, forscht in Bonn in einem Labor an pilzresistenten Zuckerrohrpflanzen. An ihrer Uni in Pakistan können die Wissenschaftler nur träumen von den hochempflindlichen Laborgeräten, die in Deutschland zur Verfügung stehen.

    In Ulm steht Samina Mehnaz gemeinsam mit 100 anderen Stipendiaten an Stellwänden. Dort werden die einzelnen Projekte präsentiert: Naturwissenschaftliches wie Untersuchungen zu Erdrutschen im Himalaya, zu Solar Energie ohne Silicon oder auch Geisteswissenschaftliches wie Sein und Schein bei Sokrates. Das Faszinierendste an dem Stipendium ist für die pakistanische Forscherin:

    "Ich kann alle zwei Jahre wieder zurückkommen für drei Monate und das solange man lebt! Das ist doch unglaublich, oder? Solange man als Wissenschaftler arbeitet kann man diesen Aufenthalt beantragen. Das einzige ist: Man muss einen Institut und Labor finden, die einen aufnehmen. Aber das finde ich sehr großzügig."

    Einige Stellwände weiter präsentiert der Archäologe Andrea Babbi von der Universität Rom sein Ausgrabungsprojekt auf Kreta zur Ikonographie von Statuetten. Seit Mai forscht er am Ur- und Frühgeschichtlichen Institut der Uni Heidelberg. Gemeinsam mit Wissenschaftlern der Uni Innsbruck und der Uni Mainz plant er bereits ein Projekt in Italien. Das Humboldt-Stipendium ermöglicht ihm vor allem:

    "Kontakte, Verbindungen, nicht nur wissenschaftliche Verbindungen, sondern auch Freunde. Das ist auch sehr wichtig. Mit diesen Freunden habe ich schon einige Projekte vorbereitet, um mit ihnen in Italien eine Ausgrabung zu machen und wenn möglich auch mit europäischen Finanzierungen zusammenzuarbeiten."

    Dass jeder Wissenschaftler nur allein in seinem Institut forscht und lehrt ist schon lange vorbei, das zeigt auch die Nachricht, die in Ulm in aller Munde ist: der Humboldt-Stipendiat Ei-ichi Negishi, ist mit zwei weiteren Kollegen Chemie-Nobelpreisträger 2010. Die Humboldtianer verstehen sich als Familie, die untereinander Kontakt hält und sich gegenseitig befördert.
    Der nepalesische Geologe Prem Bahadur Thapa von der Tribhuvan Universität in Kathmandu fühlt sich bestätigt:

    "Auf diesem Treffen gibt es einen regen wissenschaftlichen Austausch zwischen den einzelnen Wissenschaftlern, das ist sehr fruchtbar. Mich interessieren zum Beispiel sehr die meteorologischen Projekte, die hier vorgestellt werden. Und natürlich - wenn jetzt ein Humboldtianer sogar den Nobelpreis bekommt, dann ist das ist sehr wichtig."

    Prem Bahadur Thapa forscht für zwei Jahre an der Technischen Universität Darmstadt an den Ursachen für Muren und Erdrutsche im Himalaya. An seiner Universität in Kathmandu erhofft man sich viel von dem Stipendiaten. Er ist jetzt Teil der Brain Circulation, also dem ständigen Austausch von Wissenschaftlern weltweit. Das Wissen muss zirkulieren, das weiß nicht nur Deutschland, sondern hat auch zum Beispiel Singapur erkannt, wo horrende Preise für einen dreimonatigen Aufenthalt von Topwissenschaftlern gezahlt werden. Brain Circulation hat in Deutschland den befürchteten Brain Drain abgelöst, also den Verlust von Topforschern ans Ausland, erklärt Steffen Mehlich, der Leiter der Abteilung Förderung und Netzwerk bei der Humboldt-Stiftung. Dass in letzter Zeit besonders viele Deutsche durch die Humboldt-Stiftung wieder nach Deutschland zurückgekommen sind, ist aber nur ein Nebeneffekt:

    "Also es ist schon mit intendiert, aber das ist kein Programm für Deutsche im Ausland, die zurück kommen sollen, sondern es ist ein Programm für die Besten weltweit. Darunter sind auch eine Reihe von Deutschen, das ist nicht überraschend, denn Deutsche bekommen den Nobelpreis in den USA und wir wollen sie künftig vor Erhalt des Nobelpreises nach Deutschland holen. Sie sollen die Forschung hier in unserem Land machen und dann hier den Nobelpreis bekommen."

    Um auch Wissenschaftlern aus Deutschland eine Möglichkeit zu geben, an dem Humboldt-Programm teilzunehmen, wurde extra ein eigenes Stipendium aufgelegt, das Feordor-Lynen-Stipendium, sagt Steffen Mehlich.

    "Die Alumni laden junge Deutsche nach der Promotion für einen Aufenthalt von bis zu zwei Jahren an ihr Heimatinstitut ein. Die Humboldtstiftung zahlt ein Stipendium und die Gastgeber und Gastgeberinnen im Ausland beteiligen sich an den Kosten. Also insofern fördern wir, um dieses Netzwerk zu unterstützen, Deutsche die ins Ausland gehen."

    Humboldtstipendiat Andrea Babbi ist von dem Stipendiatentreffen in Ulm begeistert. Er hat sich schon früher wie ein europäischer Wissenschaftler gefühlt. Mit Hilfe der Kontakte durch das Humboldtnetzwerk kann er tatsächlich ein europäischer Wissenschaftler werden.