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"Wer die Opfer sind, spielt dabei kaum eine Rolle"

Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU), rechnet in Deutschland mit einer erhöhten Terrorgefahr. Aus bin Ladens Tod dürfe man nicht schließen, "dass Al-Kaida in eine Art Schockstarre verfällt und die Aktivisten, die Terroristen anschließend die Waffen niederlegen."

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Seit dem frühen Morgen geht eine Meldung um die Welt, der Chef des Terrornetzwerks Al-Kaida, Osama bin Laden, ist tot. US-Präsident Obama erklärte am frühen Morgen deutscher Zeit in Washington, er sei von US-Spezialkräften in Pakistan getötet worden.
    Mitgehört hat Wolfgang Bosbach, er ist der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages und gehört der CDU an. Guten Tag, Herr Bosbach.

    Wolfgang Bosbach: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Wie nehmen Sie diese Nachricht vom Tod bin Ladens auf?

    Bosbach: Das ist eine gute Nachricht, nicht nur, aber insbesondere für die Vereinigten Staaten von Amerika. Osama bin Laden ist ja wohl der Hauptverantwortliche für die Anschläge in New York, in Washington, in Pennsylvania. Über 3000 Menschen haben dort ihr Leben verloren. Und dass man sich in den USA darüber freut, dass jetzt der Hauptverantwortliche nicht mehr lebt, das kann man gut verstehen.

    Engels: Wir haben es gerade gehört: Die US-Behörden haben ihre Warnstufe in den US-Botschaften weltweit erhöht. Sollte das auch Deutschland tun?

    Bosbach: Wir müssen leider davon ausgehen, dass es in nächster Zeit zu einer Art demonstrativen Gegenschlägen kommen kann, nicht nur, aber auch in Deutschland, zumal wir ja aus leidvoller Erfahrung der Vergangenheit wissen, dass im Visier des Terrors auch hier in Deutschland ganz gezielt US-amerikanische Bürger und Einrichtungen waren. Das hat sich ja auch herausgestellt im Zuge der Ermittlungen gegen die sogenannte Sauerland-Gruppe. Aber wir wissen ja aufgrund der jüngsten Ermittlungsergebnisse und der Festnahmen in Düsseldorf, dass es auch bei uns in Deutschland Terrorzellen gibt, die es ja nicht ganz gezielt auf bestimmte Opfer oder Opfergruppen abgesehen haben, sondern darauf, mit einem möglichst geringen Aufwand und Risiko eine möglichst hohe Zahl von Menschen zu töten, zu ermorden. Wer die Opfer sind, spielt dabei kaum eine Rolle.

    Engels: Schauen wir noch einmal auf die Umstände des Todes von Osama bin Laden. Es scheint, eine gezielte Tötung gewesen zu sein. Möglicherweise hat man aber auch versucht, ihn festzunehmen. Erwarten Sie nun eine Diskussion darüber, wie angemessen es ist, Osama bin Laden zu töten und eben nicht vor Gericht zu stellen?

    Bosbach: Nein, das erwarte ich nicht, weil niemand mit letzter Sicherheit wird sagen können, ob es überhaupt möglich war, Osama bin Laden festzunehmen. Ich erwarte eher eine Diskussion darüber, was jetzt weltweit, aber auch bei uns in Deutschland notwendig ist, um den Kampf gegen den Terror erfolgreich fortsetzen zu können. Wir dürfen nicht übersehen: Osama bin Laden war Gründer, er war Anführer des Terrornetzwerkes Al-Kaida, aber er ist im Laufe der Zeit immer mehr zu einer Art Mythos, zu der zentralen Symbolfigur des weltweiten Terrors geworden. Direkt operativ tätig war er in letzter Zeit nicht mehr. Und wir wissen ja aus den Festnahmen in Düsseldorf: auch diese mutmaßlichen Terroristen haben ihre Aufträge, ihre Befehle nicht von Osama bin Laden unmittelbar bekommen. Al-Kaida ist immer mehr dezentral tätig und organisiert, unter anderem im Jemen und in Somalia. Das heißt, wir müssen leider davon ausgehen, dass wir in nächster Zeit auch in Deutschland eine erhöhte Terrorgefahr haben werden, obwohl die Bedrohungslage ja schon seit einiger Zeit auch bei uns besorgniserregend genug ist.

    Engels: Sie fordern, was das angeht, auch von Ihrem Koalitionspartner, der FDP, ein Nachgeben bei dem Widerstand beispielsweise gegen die Vorratsdatenspeicherung. Sehen Sie denn auf der anderen Seite nicht auch die Möglichkeit, dass jetzt nach dem Tod Osama bin Ladens und im Blick darauf, dass in den arabischen Staaten die Demokratiebewegungen oder die Protestbewegungen nicht islamistisch motiviert waren, auch Chancen, dass die Terrorbedrohung mittelfristig absinkt?

    Bosbach: Das ist durchaus möglich, aber das bleibt abzuwarten. Osama bin Laden war natürlich der geistige Anführer von Al-Kaida, aber aus dessen Tod darf man jetzt nicht schließen, dass Al-Kaida in eine Art Schockstarre verfällt und die Aktivisten, die Terroristen anschließend die Waffen niederlegen. Es wäre ja gut, wenn es so wäre, aber die USA erhöhen ja gerade in diesen Stunden ihre Abwehrbereitschaft in Amerika selber und weltweit, sodass die USA wohl auch damit rechnen, dass es zu Anschlägen kommen kann. Das heißt, die Bedrohungslage in Deutschland hat sich jetzt nicht grundlegend verändert, weil sie ohnehin schon angespannt genug war. Ich war selber überrascht, wenn ich das sagen darf, wie schnell auch die Medien hinweggegangen sind über die Ermordung von zwei amerikanischen Soldaten auf dem Flughafen in Frankfurt. Die jüngsten Festnahmen in Düsseldorf zeigen, wie besorgniserregend die Lage auch bei uns ist. Deswegen dürfen wir in unseren Anstrengungen beim Kampf gegen den Terror nicht nachlassen, und ich hoffe, dass wir uns hier mit dem Koalitionspartner einigen werden, insbesondere bei dem aktuellen Thema Fortdauer der Anti-Terror-Gesetze, denn ich bin der festen Überzeugung, die FDP ist an einem erfolgreichen Kampf gegen den Terror genauso interessiert wie wir, aber dafür müssen wir auch den zuständigen Behörden die Ermittlungsbefugnisse geben, die sie brauchen, um Gefahren rechtzeitig erkennen und abwehren zu können.

    Engels: Herr Bosbach, Sie haben es schon angesprochen, am vergangenen Freitag wurden ja in Nordrhein-Westfalen drei Männer verhaftet, die im Verdacht stehen, im Auftrag des Terrornetzwerks Al-Kaida einen Anschlag in Deutschland geplant zu haben. Auf die Schliche kam man ihnen unter anderem durch die Überwachung der Telefon- und Computerverbindungen. Wäre das denn noch möglich, wenn die Anti-Terror-Gesetze, wie sie jetzt bestehen, tatsächlich Anfang kommenden Jahres auslaufen?

    Bosbach: Im konkreten Fall ist es wohl so gewesen, dass das Bundeskriminalamt die Ermittlungen übernommen hat. Sie können sich noch gut daran erinnern, dass es hoch umstritten war vor einigen Jahren, ob man dem BKA überhaupt die Befugnisse zur Terrorabwehr geben soll. Mittlerweile ist klar: Es war wichtig und richtig, dass sich die damalige Koalition über die Widerstände hinweggesetzt hat. Die Onlinedurchsuchung war hoch umstritten und wir wissen mittlerweile, das ist ein unverzichtbares Mittel. In nur ganz, ganz wenigen extremen, aber besonders wichtigen Fällen. Konkret geht es jetzt um die Fortdauer der befristeten Anti-Terror-Gesetze. Hier haben wir uns ja gerade auf eine Evaluation verständigt durch einen externen Gutachter, durch Professor Wolff. Er hat die Gesetze in ihrer Wirksamkeit und Praxistauglichkeit untersucht. Er macht ganz konkrete Vorschläge, und ich kenne keinen vernünftigen Grund, warum man den Vorschlägen des Gutachters nicht folgen sollte. Wir nehmen ja gerade externen Sachverstand in Anspruch, um von außen und nicht aus dem Betrieb zum Beispiel des zuständigen Ministeriums selber überprüfen zu lassen, ob die Maßnahmen noch notwendig sind oder nicht, und in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle schlägt der Gutachter vor, diese Gesetze nicht auslaufen zu lassen, sondern sie weiter beizubehalten, und wir sollten der Empfehlung folgen.

    Engels: Vielen Dank! – Das war Wolfgang Bosbach, er ist der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages und gehört der CDU an. Vielen Dank.

    Bosbach: Ich danke Ihnen.