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Wer hat Angst vor Virginia Woolf?

Das Stück ist toll gemacht, aber problematisch. Zum einen hat es seit Anfang der 60er Jahre deutlich Patina angesetzt; der so genannte "Abstieg in die Ehehölle" wird von den Zerberussen der daily soaps seit vielen Jahren mindestens so effektiv wie bei Albee inszeniert; wer Männer weinen sehen möchte, ist bei "Kämpf um deine Frau" oder "Gute Zeiten schlechte Zeiten" eigentlich besser bedient. Zum anderen gibt es da den Filmklassiker von Mike Nichols mit Elisabeth Taylor und Richard Burton, viel kopiert und selten erreicht, was sich speziell für die Starbesetzung des Deutschen Theaters von selbst verbietet. Corinna Harfouch, die blonde Schöne mit verhaltenem Sex-Appeal, hat wenig von Megäre und Ulrich Matthes kann gar nicht anders als sensibel wirken; er scheint sich die seelischen Grausamkeiten eher abzuringen als dass er sie verkörperte. Zum dritten aber ist, und nicht erst seit gestern Abend, wirklich die Frage, was vom analytisch unterfütterten Psychoterror in Akademikerkreisen, was vom Ehekrieg um Karrierismus und Kinderlosigkeit heute überhaupt nachvollziehbar ist. Oder berühren kann.

Von Karin Fischer | 19.11.2004
    Also hat Jürgen Gosch das Drama extrem unterschnitten inszeniert, es zwar textlich Anfang der 60er Jahre belassen, sonst aber als zeitlose Versuchsanordnung aufgezogen. Die Bühne ist, ähnlich wie beim Peer Gynt in Bochum, von einem nur mit dünnen weißen Fäden aufgespannten Kubus markiert, ein luftiger Käfig für die übereinander her fallenden Menschentierchen, die aus einem kleinen schwarzen Rattenloch in der hinteren Bühnenwand ins Licht treten, wohin sie auch wieder verschwinden. Die zwei Stunden dazwischen dürfen als Laborsituation gelten, allein für was? Vier Stühle, eine Mini-Stereoanlage, ein Tapeziertisch für die Alkoholika unterstützen das Programm, das hier abläuft: "Untersuchung menschlichen Paarverhaltens unter Zuhilfenahme von Alkohol unter den Bedingungen jahrelanger persönlicher und gesellschaftlicher Frustration unter besonderer Berücksichtigung traumatischer Kindheitserlebnisse". Marthas erster Satz mit Blick auf den Brandy lautet deshalb richtig: "Du bist ne Flasche".

    Was dann kommt, ist allerdings nicht viel mehr als der artige Austausch von Bosheiten mit Showeffekt, woran nichts Falsches ist, nimmt man das dankbare Gelächter im Publikum als Erfolgskriterium. Szenen einer Ehe haben halt einen gewissen Wiedererkennungswert.
    evtl. O-Ton

    Für die alte Geschichte von Martha und George hätte es allerdings einiger Regieeinfälle bedurft. Was wir sehen, ist: ein Gewehr mit Ladehemmung, dessen schreckliche Wirkung sich auf die sichere Zerstörung der Pointe beschränkt; einen Fellschal, den Honey trägt, und der sich später zur Häschenmütze umfunktionieren lässt; und einen Kopfstand von Martha, dessen Funktion sich vermutlich allein dem Tierpfleger erschließt.

    Den Schauspielern ist das kaum anzulasten. Ulrich Matthes schafft es wunderbar, über all den Demütigungen seine Würde zu bewahren; den Spielleiter, den er im letzten Drittel der Versuchsanordnung mimen soll, nimmt man ihm weniger ab. Die Harfouch als Martha fängt so böse an, dass sie sich später glaubhaft müde gekämpft hat. Alexander Khuons Nick, der selten aus seiner Daunenjacke herauskommt, gibt weniger den jungen Karrieristen als den fürsorglichen Naiven, was glaubwürdiger wirkt als Katharina Schmalenberg als seine noch jüngere Frau. Sie geht zwar als hysterisches Girlie durch, passt aber gerade deshalb nie wirklich ins Bild.

    Und das hat mit dem Thema zu tun, das hier verhandelt wird: die Kinderfrage als eine Art Lackmustest für gesellschaftliche Zurechnungsfähigkeit resp. Potenz zu präsentieren um daraus die Hassliebe und die Lebenslügen eines älteren Paares zu destillieren, war in den 60er Jahren ein Schocker. Heute sind wir zwei Pillenknicks und ein paar Forschungsergebnisse weiter. Wer kein Kind hat, will das so oder kauft sich eins, so einfach ist das. Die Probleme beginnen hinterher.

    Anders formuliert: das zahnlos gewordene Ehehorror-Drama lässt sich als Boulevardstück mit Nostalgiefaktor und wohl bemessenem Gruseleffekt auf den Bühnen zwischen Ulm und Rostock wohl noch spielen. Am Deutschen Theater in Berlin bringen es selbst Stars nicht mehr auf die Beine. Dieser hochprozentige Knaller hat heute nur noch einen Knock-Out-Effekt, mehr nicht.