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Wer hat Angst vorm Mindestlohn?

Die SPD will 8,50 Euro bundesweit ohne Ausnahmen. Die Union scheint grundsätzlich zu einer Einigung bereit zu sein. Und so beginnt es bereits in manchen Branchen zu rumoren, die bislang mindestlohnfrei waren und es vielleicht auch gern geblieben wären.

Von Michael Braun |
    Bis zu acht Millionen Beschäftigte arbeiten in Deutschland für weniger als 8,50 Euro pro Stunde, ein Viertel aller Beschäftigten, jedenfalls dann, wenn man Schüler, Studierende und Rentner mit einbezieht. Oft ist es Arbeit, die wenig Vorbildung bedarf, die gleichwohl schwer ist. Im Gastgewerbe etwa. Hier brodelt es unter den Arbeitgebern, weil oft weniger als 8,50 Euro die Stunde gezahlt wird.

    "So beträgt zum Beispiel der tarifliche Lohn für einfachste Tätigkeiten, also die sogenannte unterste Tarifgruppe ist das, in Mecklenburg-Vorpommern 6,96 Euro derzeit. Und das sind Vereinbarungen, die mit der Gewerkschaft NGG getroffen wurden."

    Sagt Ingrid Hartges, die Hauptgeschäftsführerin des Dehoga, des Hotel- und Gaststättenverbandes.

    Und höhere Löhne an die Kunden weiterzugeben, das gelinge oft nicht:

    "Nein, der Preis ist ja schon ganz entscheidend für die Nachfrage. Wenn die Nachfrage ausbleibt, hat man weniger Umsatz – und dies bei höheren Personalkosten."

    Das Taxigewerbe rechnet vor, in ländlichen Räumen liege der Umsatz in ruhigen Zeiten noch unter 8,50 Euro pro Stunde. Da müsse der Unternehmer also draufzahlen. Würden die Preise angehoben, müsse Taxifahren um 20 bis 25 Prozent teurer werden.

    Der Handelsverband Deutschland (HDE) warnt, mit einem einheitlichen Mindestlohn von 8,50 Euro müssten in strukturschwachen Regionen Geschäfte Arbeitsplätze abbauen, vor allem Mini-Jobs. Oder sie müssten schließen.

    Kaum direkt betroffen zeigen sich dagegen große Industriebranchen. Die Elektroindustrie etwa mit ihren rund 850.000 Beschäftigten zahle schon jetzt weit mehr als den Mindestlohn, sagt Andreas Gontermann, Chefvolkswirt des Branchenverbandes ZVEI:

    "Mehr als ein Fünftel dieser inländischen Beschäftigten sind Ingenieure. Man sagt, dass an jedem Ingenieur mindestens noch drei Fachkräfte dranhängen. Insoweit haben wir qualifiziertes Personal von etwa 80 bis 90 Prozent der Gesamtbelegschaft. Insoweit wären wir von einem flächendeckenden Mindestlohn vermutlich auch weniger stark betroffen."

    Ähnlich im Maschinenbau, der rund 970.000 Mitarbeiter beschäftigt. Auch die Leiharbeit und Werkverträge träfe ein Mindestlohn von 8,50 Euro nicht, sagt Hannes Hesse, der Hauptgeschäftsführer des Maschinenbauverbandes.

    "Die Löhne der Zeitarbeit sind ja schon in erheblichem Maße angeglichen. Und auch bei den Werkverträgen – die gehen bei uns in eine ganz andere Richtung. Das sind Spezialunternehmen, die man dann mit rein nimmt für schwierige Aufgaben wie EDV."

    Obwohl nicht bettoffen, sind die Industriebranchen alarmiert. ZVEI-Chefvolkswirt Gontermann:

    "Das ist uns ganz und gar nicht schnuppe, weil es hier letztlich auch rein ordnungspolitisch um grundsätzliche Dinge geht, nämlich um eine staatliche Einflussnahme in den Lohnfindungsprozess, der eigentlich den Arbeitgebern und Arbeitnehmern vorbehalten sein sollte."

    Würde etwa der Gaststättenverband gegen das Mindestlohngesetz verfassungsgerichtlich vorgehen:

    "Das ist im Moment sicherlich verfrüht, das zu beantworten."

    Sagt die Dehoga-Chefin Ingrid Hartges. Noch hoffe sie auf die Kompetenz der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitiker.