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Wer nicht zahlt, wird bestraft

Seit der letzten Parlamentswahl im März 2006 ist die Ukraine von einer politischen Krise in die nächste gestolpert, und so finden am kommenden Sonntag vorgezogene Neuwahlen statt. Doch im Wahlkampf halten sich alle Parteien zu einem wichtigen Thema bedeckt: die Frage der des künftigen Gaspreises. Immer mehr Haushalte sind bereits heute mit ihren Zahlungen im Rückstand. Aus der Ost-Ukraine berichtet Florian Kellermann.

    Bei den Bodnaruks ist die Küche so etwas wie der Mittelpunkt des Familienlebens. Hier isst die Bergarbeiter-Familie gemeinsam Frühstück und zu Abend, hier lädt Mutter Halina Gäste zu einer Tasse Kaffee ein. Ein Grund dafür ist, dass die Wohnung nur zwei Zimmer hat, wo die Betten stehen, die Wäsche aufgehängt wird und überhaupt wenig Platz ist.

    Außerdem steht in der Küche der Gas-Herd – und mit dem heizen die Bodnaruks sogar, wenn die Temperatur im Winter weit unter Null sinkt.

    "Bei uns wird ja pauschal abgerechnet, deshalb sparen wir nicht an Gas. Ich sehe das auch gar nicht ein. Schließlich hat uns die Stadt die Nebenkosten schon wieder erhöht. Dabei ist der Service keinen Deut besser geworden. Das Wasser kann man kaum trinken, und ein paar Wochen im Sommer gibt es überhaupt kein warmes Wasser."

    Nicht nur für die Bodnaruks, für Millionen von Ukrainern sind die Nebenkosten inzwischen sehr hoch. Für manche sind sie sogar unerschwinglich. In ärmeren Städten ist deshalb über die Hälfte der Haushalt im Rückstand.

    Im ostukrainischen Donezk, wo die Bodnaruks wohnen, ist die Lage etwas besser. Die Stadtwerke greifen trotzdem zu extremen Maßnahmen. Plakate mit einem Stalinportrait sollten den Menschen Angst einjagen. Wer nicht zahlt, der wird bestraft, stand dort zu lesen. Die Aktion dachte sich für die Stadt Alexander Semjantschenko aus:

    "Was sollen wir machen. Das Gas wird auch für uns immer teurer – im letzten Jahr sogar um mehr als das Dreifache. Wir können unseren Mitarbeitern den Lohn nicht mehr rechtzeitig zahlen und müssen dringend notwendige Reparaturen zurückstellen. Da kommt uns Stalin als Symbol gerade recht. Er steht doch dafür, dass man für Vergehen bestraft wird – egal ob Arbeiter oder als Minister. Natürlich weiß ich, dass es dabei nicht immer gerecht zuging."

    Der Gaspreis hängt natürlich davon ab, wie teuer die Ukraine den Rohstoff in Russland einkauft. Im laufenden Jahr sind es 130 US-Dollar pro tausend Kubikmeter. Für das kommende Jahr will Gasprom eine Preiserhöhung um noch einmal fast 40 Prozent. Das wäre ein Schock für die ukrainische Wirtschaft und die Verbraucher.

    Auf die Regierung, die nach der Parlamentswahl entsteht, kommen also schwierige Verhandlungen zu – mit Folgen für das ganze Land. Im Wahlkampf merkt man davon wenig – die Parteien benutzen das Thema nur, um den Gegner anzuschwärzen. Das gilt auch für die Partei "Unsere Ukraine" von Präsident Viktor Juschtschenko. Sie warf dem Premierminister Viktor Janukowytsch vor, heimlich Verhandlungen mit Gasprom zu führen. Russland schielt schon lange auf die ukrainischen Gasleitungen. Der Vorwurf lautet: Für billiges Gas wolle Janukowytsch die Leitungen an Moskau verhökern.

    Für den Politologen Wolodymyr Fesenko ist der Vorwurf reiner Populismus:

    "Es gibt Gerüchte – und die sind glaubwürdig – dass auch Vertreter des Präsidenten Verhandlungen mit Russland führen. Das Problem ist doch: Die ukrainischen Gasleitungen sind veraltet und alleine kann die Ukraine die notwendigen Investitionen nicht stemmen. Da könnte ein gemeinsames Konsortium mit Russland und eventuell auch Deutschland helfen. Dieses Konsortium würde den Betrieb der Gasleitungen übernehmen. Wir haben ja auch keine andere Wahl, als einen Kompromiss mit Moskau zu suchen. Sonst transportiert Russland einfach immer weniger Gas durch die Ukraine."

    Dabei haben die Vertreter des ukrainischen Präsidenten einerseits und des Premiers andererseits in etwa die gleiche Idee. Die russische Gasprom und die ukrainische Gesellschaft Naftohas könnten gegenseitig Aktien austauschen. Russland bekäme eine Mitbestimmung über den Gastransport – und die Ukraine die Lizenz, in Russland Gas zu fördern.

    Im Wahlkampf werden die Ukrainer mit leichterer Kost gefüttert – und zum Beispiel in der Kiewer Innenstadt mit Karaoke-Veranstaltungen bei Laune gehalten. Alexej und Schenja, zwei Studenten, die zum ersten Mal wählen dürfen, fühlen sich von den Politikern unterschätzt:

    "Wir haben gerade ein Schulheft geschenkt bekommen. Auf dem Umschlag ist die Politikerin Julia Tymoschenko abgebildet – beim Motorrad fahren. Sie will uns wohl zeigen, wie sportlich sie ist. Das ist natürlich Unsinn. Aber mit den Heften kann man wenigstens was anfangen – anders als mit den Flugblättern und ihren oberflächlichen Losungen."