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Wer qualmt, der zahlt

Ott:

Von Volker Mrasek |
    Wir benutzen die Atmosphäre ja als Mülleimer. Und irgendwann ist er voll. Das Kohlendioxid konnte bisher als Abgas in die Luft geblasen werden ohne irgendwelche Restriktionen. Und das wird sich jetzt ändern.

    Turek:
    Für die Unternehmen bedeutet das: Die Nutzung der Atmosphäre als Emissionssenke wird in Zukunft kostenpflichtig.

    Schafhausen:
    Wir teilen den einzelnen Betreibern Emissionsmengen zu, die nicht überschritten werden dürfen. Oder nur dann überschritten werden dürfen, wenn Emissionsrechte zugekauft werden.

    Ott:
    Das heißt, die Unternehmen können dann untereinander handeln, also, wie ganz normal an jeder Börse auch.

    von Meyerinck:
    Du lieferst dem anderen zu dem und dem Zeitpunkt eine Menge von CO2-Zertifikaten zu dem und dem Preis.

    Schafhausen:
    Und der Markt funktioniert schon. Schauen Sie in die Website der EEX in Leipzig, also der Strombörse in Leipzig. Die veröffentlichen jeden Nachmittag um 14.00 Uhr den Preis für CO2. Ist im Augenblick 8,70 Euro pro Tonne CO2.

    Das Jahr 2005 wird später einmal als das Jahr gelten, in dem die Welt mit dem Klimaschutz begann. Verhandlungen der Völkergemeinschaft gibt es schon länger, und das Kyoto-Protokoll zur Verminderung von Treibhausgas-Emissionen ist inzwischen sieben Jahre alt. Doch in Kraft tritt es erst jetzt, da das Protokoll von genügend Industriestaaten ratifiziert wurde, zuletzt von Russland, das lange zauderte. Am 16. Februar ist es nun so weit ...

    Europa wartet diesen Termin nicht ab. Hier geht es gleich zu Jahresbeginn los. Schon am 1. Januar fällt der Startschuss zum Emissionshandel, das heißt die 25 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union handeln von diesem Tag an mit CO2-Zertifikaten, mit Verschmutzungsrechten. Der Kohlendioxid-Ausstoß von Industrien und Energieanlagen wird budgetiert. Es gibt fortan Obergrenzen. Franzjosef Schafhausen, Koordinator des Nationalen Klimaschutzprogramms der Bundesregierung:

    Im Rahmen der Umsetzung der Emissionshandelsrichtlinie haben wir für Deutschland feste Budgets gesetzt, das heißt wir teilen den einzelnen Betreibern so genannte Caps zu, also Emissionsmengen, die nicht überschritten werden dürfen. Oder nur dann überschritten werden dürfen, wenn Emissionsrechte von anderen Anlagenbetreibern zugekauft werden können. Das heißt: In der Gesamtbilanz, wenn einer mindert und gibt Emissionsrechte an einen Dritten ab - in der Gesamtbilanz wird dann das Budget wieder eingehalten.

    Die Unternehmen haben die Wahl. Sie können Altanlagen ersetzen oder modernisieren. Wer dann sein Budget nicht ausschöpft, erhält CO2-Zertifikate und kann sie verkaufen. Wer die Obergrenze nicht einhält, braucht Zertifikate und muss dafür zahlen, und zwar den Marktpreis. Wer gar nichts tut und am Ende auch keine Verschmutzungsrechte vorweisen kann, wird richtig zur Kasse gebeten: Jede Tonne CO2 zuviel kostet dann satte 40 Euro Strafe.

    Man könnte sich eine Steuer auf Kohlendioxid-Emissionen vorstellen. Oder eine Abgabe. Doch Politik und Wirtschaft einigten sich mit dem Emissionshandel auf ein marktwirtschaftliches Prinzip ...

    Das wird das zentrale Instrument sein des Klimaschutzes in Europa. Und was nutzt das? Wir müssen erst einmal sehen, dass im Augenblick die Europäische Union, die ja 8% im Kyoto-Protokoll mindern soll, noch relativ weit von ihrem Ziel entfernt ist. Wir müssen für die Phase 2008 bis 2012 fünf Prozentpunkte der CO2-Emissionen in Europa noch reduzieren. Das ist nicht ganz trivial.

    Der Emissionshandel soll hier die Daumenschrauben ansetzen. Nach dem Kyoto-Protokoll wird er im Jahr 2008 weltweit eingeführt. Die EU übernimmt - wie so oft im Klimaschutz - die Rolle des Schrittmachers. Sie beginnt schon jetzt mit einer dreijährigen Pilotphase. Beteiligt sind zunächst die größten CO2-Produzenten: Industrie und Energiewirtschaft ...

    Also, es ist die Größenordnung 500 Millionen Tonnen in Deutschland. 500 Millionen Tonnen sind ungefähr 60% der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland, die dem Emissionshandel unterliegen.

    Alle Kraftwerke, Dampfkessel und Öfen mit einer thermischen Leistung von 20 Megawatt und mehr bekommen "Caps". Die Obergrenzen orientieren sich zunächst an den gegenwärtigen Emissionen. Die müssen bis 2008 aber um knapp drei Prozent gedrosselt werden. Das ist der Tribut an den Klimaschutz. Deswegen gibt es auch keine Zertifikate für 505 Millionen Tonnen CO2, wie es dem derzeitigen Stand der Emissionen aller Anlagen entspricht. Sondern nur für 498 Millionen Tonnen. Sieben Millionen sind also einzusparen.

    In Berlin, im Umweltbundesamt, waltet Hans-Jürgen Nantke über CO2-Budgets und -Kontingente. Der Chemiker leitet die neu eingerichtete Deutsche Emissionshandelsstelle. Sie teilt Industrie und Energiewirtschaft die Verschmutzungsrechte zu. Es sind fast 1.900 einzelne Anlagen in Deutschland, die sich am Emissionshandel vom Start weg beteiligen:

    Es sind alle großen Feuerungsanlagen. Also, alle Kraftwerke, alle Braunkohlekraftwerke, alle Steinkohlekraftwerke, alle großen Gaskraftwerke, Gasturbinenkraftwerke. Alle großen Heizkraftwerke. Es fallen aber auch Feuerungsanlagen in bestimmten Branchen darunter. Es gehört die keramische Industrie dazu. Es gehört die Stahlindustrie dazu. Die Papierindustrie. Und es gehören auch große Feuerungsanlagen, die in anderen Energiebereichen, zum Beispiel in der chemischen Industrie, stehen, dazu.

    Die meisten dieser Großanlagen müssen ihren CO2-Ausstoß absenken. Zunächst um drei Prozent, später aber noch stärker. Denn die Daumenschrauben sollen nach 2008 weiter angezogen werden. Dann fallen im übrigen auch Kraftwerke und Öfen mit Leistungen kleiner als 20 Megawatt unter den Emissionshandel.

    Einigen Anlagenbetreibern kommt zugute, dass sie schon in den 90er Jahren technische Minderungsmaßnahmen getroffen haben. Sie dürfen ihr aktuelles Emissionsniveau vorerst beibehalten. Wer zu früh kommt, den bestraft der Emissionshandel nicht.

    Der Weg in die CO2-ärmere Zukunft ist im Prinzip vorgezeichnet:

    Die Lösung unserer Energieprobleme wird in erster Linie in einer Effizienzsteigerung liegen. Die Umwandlung von Energie in den Kraftwerken muss effizienter werden, aber auch unser Energieverbrauch muss effizienter werden. Und der zweite Teil der Lösung werden die Erneuerbaren Energien sein. Also Energieerzeugung, Energieumwandlung aus Brennstoffen, die CO2 nur insofern freisetzen, wie sie ihn vorher aufgenommen haben, Biomasse also zum Beispiel, oder aber gar auch CO2-frei sind wie Windenergie, Solarenergie, Geothermie - solche Ansätze.

    Von der Kernenergie spricht Hans-Jürgen Nantke ganz bewusst nicht. Atommeiler produzieren Strom zwar praktisch CO2-frei. Doch sie werden beim Emissionshandel nicht anerkannt. Aus politischen Gründen, vor allem wegen des noch immer ungelösten Atommüll-Problems.

    Bis erneuerbare Energien aber einen entscheidenden Anteil an der Stromproduktion haben, werden Jahrzehnte verstreichen. Also gibt es vorerst nur eine reelle Option. Und die lautet: Energie einsparen. Mit weniger fossilen Brennstoffen auskommen und so die Treibhausgas-Emissionen schmälern ...


    Ja, wir befinden uns jetzt in der Schotterhalle. In der Schotterhalle wird das Material aus dem Steinbruch in einem so genannten Rundmischbett eingelagert.


    Es ist eine große Stahlblechhalle mit einem Betonsockel. Durchmesser schätze ich auf 100 Meter, 150 Meter.


    Und was so rattert, ist das Abzugsband, mit dem von dem Rundmischbett das Material wieder abgezogen wird.

    Leimen in Baden-Württemberg. Ein Ort zwischen Heidelberg im Norden und einem großen Kalksteinbruch bei Nussloch im Süden. Hier betreibt die HeidelbergCement AG, einer der größten Baustoffhersteller der Welt, sein ältestes inländisches Zementwerk. Betriebsleiter ist der Physiker Ulrich Schneider ...

    Die Betriebsfläche muss man eher in Hektar angeben als in Quadratmetern. Wir planen, im nächsten Jahr etwa 600.000 Tonnen Zement herzustellen. Gemessen an Stoffumsätzen in anderen Branchen, beispielsweise in der Pharmaindustrie, ist es sicherlich viel.

    Zement ist der Kitt unserer zivilisierten Gesellschaft. Enorme Mengen werden benötigt, um Beton herzustellen: den Universal-Baustoff, aus dem fast alles heute besteht: Brücken und Häuser, Straßenbeläge, Flugfelder und Tunnelbauten. Weil der Bedarf an dem Material aus Kalkstein und Ton so groß ist, verbraucht die Zementindustrie enorme Mengen Energie. Entsprechend hoch sind ihre Kohlendioxid-Emissionen ...

    Man sagt der Zementindustrie nach, dass etwa fünf Prozent der anthropogenen Emissionen, Treibhausgas-Emissionen, von der Zementindustrie stammen.

    Clemens Hüttner ist Projektmanager für den Emissionshandel bei der HeidelbergCement AG. Als Verfahrenstechniker und Betriebswirt fällt es dem Österreicher nicht schwer, eine Energie- und Emissionsbilanz für seinen Konzern aufzustellen:

    Wir emittieren europaweit etwa 20 Millionen Tonnen an CO2. Etwa zwei Drittel unserer Emissionen sind rohstoffbedingt und entstehen durch unseren Kalkstein, den wir einsetzen, um Klinker zu erzeugen. Klinker ist ein Zwischenprodukt für die Zementherstellung. Wir müssen den Kalkstein entsäuern. Das ist eine chemische Reaktion. Das sind CO2-Emissionen, die für unsere Industrie unumgänglich sind. Wir können sie nicht vermeiden.

    Schneider Wir sind jetzt im Rohmühlengebäude. Hier wird der Schotter, den wir eben im Mischbett gesehen haben, wirklich mehlfein zermahlen. So wie man's vom Haushaltsmehl her kennt. Wir brauchen über den Daumen etwa 14 Kilowattstunden pro Tonne, die wir hier mahlen. Insofern entsteht dafür natürlich beim Stromerzeuger, wenn es nicht gerade mit einem Kernkraftwerk gemacht wird, auch CO2.

    Die Zementindustrie ist ein Musterfall für den Emissionshandel. Die Branche zählt zu den energieintensivsten. Daher hat sie sich schon in der Vergangenheit bemüht, ihre Prozesse effizienter zu machen. Und die Frage ist: Lassen sie sich überhaupt noch weiter optimieren? Kann Ingenieurtechnik den Energiebedarf weiter drosseln?


    Andererseits zeigt das Beispiel der Zementproduktion: Es gibt diverse Stellschrauben, an denen Unternehmen drehen können, um ihre CO2-Bilanz aufzubessern. Eine ist zum Beispiel die Auswahl des Brennstoffs. Clemens Hüttner:

    Wir brauchen Brennstoffe, um Wärme zu erzeugen, um diesen Kalkstein in Klinker umzuwandeln. Einer unserer Hauptbrennstoffe ist in der Regel Kohle. Und Öle. Also fossile Brennstoffe. Wir setzen aber auch vermehrt sekundäre Brennstoffe ein.

    Mit verfeuert wird vor allem Abfallmaterial, Althölzer zum Beispiel. Energetisch ist das günstig. Denn als pflanzliche Biomasse gibt Holz beim Verbrennen lediglich die Menge Kohlendioxid ab, die es während des Wachstums aus der Atmosphäre aufgenommen hat. Auf diese Weise lässt sich auch der Hauptprozess im Zementwerk emissionsärmer gestalten: die Klinker-Herstellung in so genannten Drehrohr-Öfen ...

    Wir haben jetzt aus der Sichtluke gerade ein wenig Klinkerstaub weggeschürt, um einen Blick in den Ofen zu haben. Hier haben wir's zum ersten Mal mit echten CO2-Emissionen aus dem Zementwerk zu tun. Das ist das Kernstück der Anlage. Das ist im Prinzip ein großes Rohr, knapp vier Meter Durchmesser, etwa 70 Meter lang. Im Ofen erreichen wir Gastemperaturen bis zu 2000 Grad, um eine Materialtemperatur von 1450 Grad zu bekommen. Dabei finden dann die entscheidenden Umwandlungsprozesse mineralogisch statt.

    Hüttner:
    Leimen ist eine Lepolanlage. Lepolanlage bedeutet, dass das Rohmaterial mit Wasser vermischt wird, kleine Kügelchen erzeugt werden, die in den Drehrohrofen aufgegeben werden. Trockenanlagen oder so genannte Zyklon-Vorwärmeanlagen benötigen diese Vermischung von Wasser mit Rohmaterial nicht mehr. Und diese Anlagen sind die zur Zeit energieeffizientesten Anlagen, die auf der Welt existieren.

    Auch Fortschritte in der Prozesstechnik können den Energiebedarf und CO2-Ausstoß der Anlagen also durchaus noch absenken. Laut Hüttner bringen die Vorwärmer eine Ersparnis von über zehn Prozent. Auch wenn dieser Ofentypus bereits weit verbreitet sei: An einigen Produktionsstandorten gebe es schon die Möglichkeit, ...

    veraltete Technologie durch neue zu ersetzen. Die dritte Schraube, an der wir drehen können, ist, dass wir unserem Zement CO2-neutrale Zumahlstoffe zugeben, die ähnliche Eigenschaften aufweisen, wie das unser Zwischenprodukt Klinker tut, das heißt hydraulisch, mit Wasser, reagieren und schlussendlich durch Wasserzugabe erhärten.

    Auch hier bietet sich die Chance, Abfallstoffe aus anderen Industriezweigen, die sowieso anfallen, sinnvoll zu verwerten.

    Anstelle von gebranntem Klinker kann Zement zum Beispiel Hochofenschlacke zugesetzt werden. Sie entsteht als Nebenprodukt bei der Eisen- und Stahlerzeugung. Selbst Filterstäube aus den Rauchgasabscheidern von Kraftwerken - so genannte Flugaschen - eignen sich als Ersatz für den energiehungrigen Klinker, bis zu einer bestimmten Menge jedenfalls.

    Durch den Gebrauch solcher Zuschlagstoffe hat die Zementindustrie ihren Primärenergie-Bedarf bereits um einen zweistelligen Prozentsatz heruntergeschraubt. Inzwischen erprobt sie weitere Alternativen:

    Wir haben in Indonesien ein Projekt laufen. Wir produzieren dort neue Zemente, ein für den indonesischen Markt neues Produkt, und setzen Kalkstein ein, gemahlenen Kalkstein. Und wir erreichen drastische Emissionsreduzierungen.

    Bei den klinkerarmen Energiespar-Zementen sieht Verfahrenstechniker Hüttner weiteres Entwicklungspotential. Es bleibt aber eine entscheidende Frage:

    Akzeptiert der Markt diese neuen Produkte? Wir sind natürlich bemüht darum, Kunden zu überzeugen, dass wir gute Produkte produzieren, die auch allen Ansprüchen gerecht werden, die der Markt stellt. Aber es ist eine Marktfrage.

    Wie beim Zement verhält es sich auch in anderen energieintensiven Industriezweigen, zum Beispiel bei Stahl, Aluminium und Papier. Auch dort ist Effizienz immer schon ein Thema. Doch das muss nicht heißen, dass alle Einsparmöglichkeiten tatsächlich ausgeschöpft werden. Regierungsexperte Franzjosef Schafhausen hat anderes beobachtet:

    Das ist so die grundsätzliche Behauptung, die man aus dem Bereich der Industrie immer wieder hört. Die sagen: Was wollt Ihr überhaupt? Energie sind Kosten. Und Kosten werden bei uns optimiert. Die Empirie beweist immer wieder das Gegenteil. Zeigt immer wieder, dass erstaunlich hohe Minderungspotentiale auch heute noch bestehen.

    Eine neue Studie aus Karlsruhe gibt dem Klimaschutz-Koordinator aus dem Bundesumweltministerium Recht.

    In Karlsruhe sitzt das Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung, kurz: ISI. Dort hat man beleuchtet, wie viel Energie in Zukunft bei der Herstellung der heutigen Massenwerkstoffe eingespart werden kann. Das Potential liege bei einem Vielfachen des bereits Erreichten, resümiert Eberhard Jochem. Der Chemie-Ingenieur und Ökonom forscht nicht nur am ISI. Er hat auch eine Professur für Energiewirtschaft an der ETH Zürich ...

    Ich würde mal so sagen: Die Potentiale in der Grundstoffindustrie in den eigentlichen Prozessen sind nicht sehr groß. Was völlig vergessen wird, sind, was wir als die Offsides bezeichnen. Also diejenigen Hilfsaggregate, die um den Prozess herumgesiedelt sind. Also beispielsweise Kälte, Prozesswärme, Druckluft, Beleuchtung. Dies wird grandios von den meisten Unternehmen links liegengelassen.

    Auch diese Hilfsprozesse verbrauchen Energie. Auch sie verursachen CO2-Emissionen. Und das nicht zu knapp, wie Harald Bradke erläutert, der Leiter der Abteilung "Energietechnik und Energiepolitik" im Fraunhofer-Institut:

    Wir hatten jetzt eine große Untersuchung mit der Deutschen Energieagentur zusammen. Druckluft-Effizienz hieß die Kampagne. Wir haben in Unternehmen gemessen. Und im Durchschnitt: 30% des Stroms können eingespart werden bei Drucklufterzeugern. Drucklufterzeuger in der deutschen Industrie verbrauchen ungefähr genau so viel Strom wie alle Lokomotiven und Triebzüge der Deutschen Bahn. Das heißt, in diesen Nebenanlagen sind noch große Potentiale.

    Potentiale, die sich problemlos und rasch erschließen lassen. Das hat ausgerechnet eine der drei größten Mineralölgesellschaften der Welt vorgemacht: BP, British Petroleum. Der Konzern nahm sich vor sieben Jahren selbst in die Pflicht. Als das Kyoto-Protokoll verabschiedet wurde, kündigte BP an, seine Treibhausgas-Emissionen bis 2010 um ein Zehntel zu senken.

    Ein durchaus ehrgeiziges Ziel! Um es zu erreichen, führte das Unternehmen schon Ende 1998 intern einen Emissionshandel ein. Weltweit, an allen Konzern-Standorten. Von einem "erfolgreichen Pilotprojekt" spricht heute Lutz von Meyerinck. Der Chemiker leitet die Stabsstelle für Umweltschutz bei der Deutschen BP AG ...

    Wir haben dann schon Ende des Jahres 2001 diese 10prozentige Reduktion erreicht. Das haben wir zu einem ganzen Teil durch Einsparungen erreicht. Effizienzmaßnahmen. Vermeidung von Abfackeln, Vermeidung von Freisetzung von Methan - also nicht nur CO2. Das sind üblicherweise Dichtungen an Leitungen, wo Freisetzungen geschehen. An Verdichteranlagen, Kompressoren. CO2-Emissionen bekommen Sie natürlich über klassische Effizienzmaßnahmen. Und besonders für uns natürlich aus Wechsel von Öl auf Gas als Brennstoff. Also so genannter fuel switch.

    Auch finanziell hat sich das Experiment für den Öl- und Gas-Multi bezahlt gemacht. Rund 650 Millionen Dollar Energiekosten sind in dieser Zeit eingespart worden. Heute zählt die Deutsche BP deshalb zu den aktiven Verfechtern des Emissionshandels:

    Wir sehen es ganz deutlich so, dass allein die Tatsache, wie wir in der Lage gewesen sind, in letztlich weniger als einem Jahr in Deutschland mit der Bundesregierung zu einem System zu kommen, was aus jetziger Sicht absolut funktionabel ist - dass das ein Zeichen ist, dass sich in Deutschland etwas bewegen kann, wenn man nur will. Dass wir an diesem Standort auch sehr viel effizienter werden und Emissionsminderungen zu den günstigsten Kosten machen können. Und das wäre letztlich auch eine Entscheidung für den Standort Deutschland.

    Standort Deutschland. Etwa 30 Kilometer südlich von Münster. Eine Verdichterstation der Eon-Ruhrgas AG im Ort Werne. Überall auf dem Gelände verlaufen Leitungsrohre, dick wie Litfasssäulen. Dass Gas hindurchströmt, ist deutlich zu hören ...

    Die Verdichterstation ist im Ruhrgas-Netz ein Knotenpunkt. Hier laufen niederländische, deutsche, norwegische Gase zusammen. Hier werden die gemischt und dann weitertransportiert.

    Peter Unterberg ist der Betriebsingenieur der Anlage. Pflichtgemäß hat er einen Helm auf und ein Gas-Spürgerät bei sich ...

    Unterberg betritt eine der großen Maschinenhallen. Sofort schlägt dem Ingenieur dröhnender Lärm entgegen - produziert von einer Gasturbine, wie man sie hier nicht unbedingt erwarten würde: Es ist ein Flugzeug-Triebwerk ...

    Dieses Flugzeugtriebwerk produziert Schub, also einen Abgasstrahl. Und dieser Schub wird auf eine Nutzlast-Turbine gebracht. Und an dieser Nutzlastturbine ist eine Welle angeschlossen. Und die treibt den Verdichter an. Der Verdichter hebt also das Druckniveau in der Ferngasleitung wieder an - also ähnlich einem Haarfön.

    In Deutschland laufen die Verdichter bedarfsgerecht, also nur dann, wenn auch Gas nachgefragt wird. Dafür sorgt eine spezielle Steuerungssoftware. In Russland dagegen, beim größten Erdgas-Produzenten der Welt, bläst der Superfön rund um die Uhr. Bisher jedenfalls. Die E-ON Ruhrgas AG will das ändern, gemeinsam mit ihrem Kooperationspartner vor Ort, dem Unternehmen Gazprom.

    Ziel ist es, die Software auch in Russland zu verbreiten und so den Betrieb der Verdichter zu optimieren. Ein Pilotprojekt gab es bereits, auf einer 800 Kilometer langen Transportstrecke östlich von Moskau. Weitere Netzabschnitte sollen folgen, auch in der Ukraine, sagt Eon-Ruhrgas-Pressesprecher Helmut Roloff:

    Damit reduzieren Sie den Erdgasverbrauch für den Betrieb dieser Turbinen. Und das Wichtige, das Klimapolitische dabei ist, dass Sie auch weniger CO2-Emissionen durch die Maschinen in die Luft setzen. Und das ist eben diese Wirkung, die gewünscht ist im Rahmen dieser Projekte.

    Projekte, die ebenfalls mit dem Kyoto-Protokoll zu tun haben. Klimaschutz kann demnach auch über Grenzen hinweg betrieben werden. Zwischen Industrieländern ...

    Das nennt sich dann Joint Implementation, kurz: JI.

    Oder auch zwischen Industrie- und Entwicklungsländern ...

    Dann spricht man vom Clean Development Mechanism, CDM.

    Das sind die so genannten flexiblen Mechanismen der Kyoto-Spielregeln. Auch in der EU-Pilotphase können Unternehmen sie zum Teil schon nutzen. E-ON Ruhrgas zum Beispiel darf für sein Russland-Engagement mit Zertifikaten für vermiedene CO2-Emissionen rechnen.

    Es gibt Unternehmen, die ihre Klimaschutz-Verpflichtungen vor allem im Ausland erfüllen wollen. Dazu zählt die HeidelbergCement AG. Für den Weltkonzern gebe es kaum eine andere Alternative, sagt ihr Emissionshandels-Spezialist Clemens Hüttner:

    "Wir setzen große Hoffnungen in diese Projekte. Wir haben zur Zeit ein Joint-Implementation-Projekt in der Ukraine in Vorbereitung. Wir haben Erfahrungen mit Joint Implementation in Rumänien gemacht. Und wenden diese Erfahrung jetzt auch an in Indonesien. Alle großen Zement-Unternehmen haben begonnen, in JI und CDM aktiv zu werden.

    Andere dagegen scheinen die Entwicklung zu verschlafen. Diesen Eindruck hat Nino Turek, Emissionshandelsexperte bei der Stuttgarter Ingenieurgesellschaft Fichtner. Sie entwickelt verschiedene Klimaschutzprojekte im Ausland, unter anderem einen Windkraft-Park in Bulgarien ...

    "Durch den Emissionshandel werden ja Anreize geschaffen für den Einsatz effizienter Technologien. Davon wiederum profitieren Hersteller dieser Technologien. Und gerade für Deutschland als Export-Weltmeister dürfte ja dieser Aspekt auch von besonderer Bedeutung sein. Dies wird vielfach nicht erkannt.

    Im Frühjahr heulte die Stahlindustrie laut auf. Der Emissionshandel hemme die wirtschaftliche Entwicklung, hieß es mit Blick auf den gegenwärtigen, weltweiten Stahl-Boom.

    Dabei haben gerade die Stahlkonzerne gezeigt, wie innovativ sie sein können. Innerhalb weniger Jahre führten sie moderne "Stranggussverfahren" ein. Und nach der Fraunhofer-Werkstoffstudie sind weitere Effizienzsprünge vor allem bei der Stahlverformung möglich ...

    Es wurde doch so oft erwähnt: Ja, durch den Emissionshandel sind wir nicht mehr wettbewerbsfähig, müssen unsere Standorte schließen, und wir gehen ins Ausland. Aber es wurde nie von Investitionsanreizen gesprochen. Und von einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit. Und dass man dadurch die Chance hat, sich noch eine bessere Position im Markt zu erarbeiten.

    Auch die großen deutschen Energieversorger wetterten heftig gegen den Emissionshandel. Die Stromwirtschaft lässt gerne verlauten, dass die spezifischen CO2-Emissionen ihrer fossilen Kohlekraftwerke sinken. Nicht aber, dass der Ausstoß von Kohlendioxid insgesamt kräftig zulegt. Das muss auch Franzjosef Schafhausen beobachten:

    Wir haben im Augenblick eine unterschiedliche Entwicklung in den verschiedenen Sektoren in Deutschland. Wir haben Minderungen im Bereich des produzierenden Gewerbes, also Industrie. Wir haben Minderungen im Bereich der Haushalte und des Verkehrs. Und seit 1999 einen ganz rapiden Anstieg der CO2-Emissionen im Bereich der Energiewirtschaft. Also, es ist 'ne Größenordnung von zehn Prozentpunkten, die dort als Emissionsanstieg zu verzeichnen ist.

    Der Trend, der Deutschlands Klimaschutzziele gefährdet, hat ökonomische Gründe:

    Alte Braunkohle-Kraftwerke sind weiterbetrieben worden. Und der Grund dafür sind die veränderten Energiepreise: Wir haben hochmoderne Gaskraftwerke in Deutschland, die aber zurückgefahren worden sind, weil im Augenblick der Gaspreis sehr, sehr hoch ist, aber der Braunkohlepreis sehr, sehr niedrig.

    Bis zum Jahr 2020 werden die Energieversorger Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 40.000 Megawatt ersetzen müssen. Das entspricht rund einem Drittel der Kapazität in Deutschland. Weil sie mit weiter steigenden Erdgas-Preisen rechnen, könnten sich die deutschen Stromkonzerne für neue Steinkohle-Kraftwerke entscheiden - anstelle der effizienteren und emissionsärmeren Gaskraftwerke. So sieht es eine aktuelle Studie der Beratungsfirma Boston Consulting ...

    Mit der zukünftigen Strategie der Energieversorger in Europa steht und fällt deshalb auch der Erfolg des Emissionshandels in der EU.

    Es gibt Experten, die sehen die Sache sehr skeptisch - wie Fraunhofer-Forscher Eberhard Jochem:

    Der Emissionshandel, da reden wir von 10 Dollar die Tonne, wenn's hochkommt, [CO2]. Dann reden wir von minimalem Erhöhen, in der Größenordnung von fünf Prozent Erhöhung der Brennstoffkosten. Und das kehrt niemanden, weil wir in den letzten zwölf Monaten schon einen Anstieg von 20, 30 Prozent Preissteigerung hatten.

    Es gibt Experten, die sehen die Sache ganz pragmatisch - wie der Regierungsbeauftragte Franzjosef Schafhausen:

    Wenn die Regierungen entscheiden: Wir verschärfen unsere Ziele. Dann wird natürlich der Preis am Markt ansteigen. So, und je mehr der Preis ansteigt, umso mehr lohnen sich Maßnahmen zur CO2-Minderung, die sich vorher nicht gelohnt haben. Die werden dann, wie der Ökonom sagt, wirtschaftlich.

    Und es gibt Experten, die sehen die Sache ganz zuversichtlich - wie Hermann Ott vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt und Energie:

    Ich persönlich denke, dass die optimistische Variante die wahrscheinlichere ist, dass also der Emissionshandel eine Veränderung im Denken der Menschen - der Manager bis runter zum Hilfsarbeiter - bewirkt. In diesem Fall wäre tatsächlich der Emissionshandel so etwas wie das Scharnier zwischen der physischen Welt mit den Gefahren des Klimawandels im Hintergrund und der gesellschaftlichen Sphäre. Das, was uns dann die Naturwissenschaftler sagen, was wir an Emissionen einsparen müssen, kann sozusagen 1:1 über den Emissionshandel in die gesellschaftliche Sphäre hineingetragen werden.