150.000 Nutzer erreicht die Kleinspartei "Freie Sachsen" über den Messengerdienst Telegram, und die Reichweite wächst stetig weiter. Bei der Mobilisierung zu den Protesten gegen Corona-Maßnahmen in Sachsen spielt die Partei eine tragende Rolle. Von der Straße möchte die Organisation ihren Einfluss auch in Rathäuser und möglicherweise auch in den Landtag ausweiten - und treibt so auch die AfD vor sich her.
Martin Kohlmann, Stefan Hartung - bekannte Rechtsextreme an der Spitze der Partei
Die „Freien Sachsen“ sind eine Partei, die am 26. Februar 2021 gegründet wurde. Nach Einschätzung des Sächsischen Verfassungsschutzes setzt sich die Partei überwiegend aus namhaften sächsischen Rechtsextremisten aus dem Raum Chemnitz und dem Erzgebirgskreis zusammen.
So ist Martin Kohlmann der Vorsitzende, sein Stellvertreter ist Stefan Hartung. Kohlmann gehört nach Angaben des Sächsischen Verfassungsschutzes der rechtsextremistischen Bürgerbewegung „Pro Chemnitz“ an, Hartung hingegen ist ein langjähriges und politisch engagiertes NPD-Mitglied. Deutschlandweit war er 2013 als Organisator von Protesten gegen ein Flüchtlingsheim in den Medien. Schatzmeister der „Freien Sachsen“ ist Robert Andres, der auch zur rechtsextremistischen Bürgerbewegung „Pro Chemnitz“ gehört.
Säxit, Aufhebung der Corona-Maßnahmen und strikte Begrenzung der Zuwanderung
In der Öffentlichkeit sind die „Freien Sachsen“ vor allem als Organisatoren von Protest gegen die Corona-Maßnahmen bekannt. In ihrem Grundsatzprogramm ist das aber nur ein Thema unter vielen. Die Partei nimmt dabei sowohl liberale als auch rechte, völkische und rechtsextreme Standpunkte ein. Nach Einschätzung des Sächsischen Verfassungsschutzes steht der Protest gegen Corona-Maßnahmen bei der Partei nur scheinbar im Vordergrund, im Kern habe man es mit einer „rechtsextremistischen Organisation“ zu tun.
Proteste gegen Energiepolitik
Der Verfassungsschutz in Sachsen warnt mit Blick auf eine drohende Energiekrise vor der Instrumentalisierung von sozialen Themen. Entsprechende Ängste und Sorgen der Bevölkerung würden von Rechtsextremisten für eine verfassungsfeindliche Agenda missbraucht. Extremistische Parteien verfolgten erkennbar das Ziel, von den sozialen Abstiegsängsten der Bürger beziehungsweise dem „sozialen Sprengstoff“ zu profitieren, hieß es - so wie aktuell beim Thema Energiekrise. Die "Freien Sachsen" kündigten dazu Montagsproteste an. Gegen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wollte die rechtsextreme Splitterpartei auf dem Marktplatz in Heidenau sogar eine Art Schauprozess veranstalten, was Gerichte jedoch verboten.
Mehr Autonomie für Sachsen
Die Partei setzt sich für „ein freies Sachsen in Deutschland und Europa“ ein, wie sie in ihrem Grundsatzprogramm auf der Webseite (Stand vom 4.2.2022) schreibt. Dazu sollen die Rechte des Bundeslandes innerhalb der Bundesrepublik Deutschland neu verhandelt werden. Sollte die Bundesregierung nicht zu Zugeständnissen für die Autonomie Sachsens bereit sein, müsse notfalls der „Säxit“, also der Austritt aus der Bundesrepublik, angestrebt werden. Der Vorsitzende der Partei, Martin Kohlmann, schlägt öffentlich auch noch härtere Töne an. So hat er bereits davon geredet, dass Westdeutsche aus Sachsen ausgewiesen werden sollten.
Politik gegen Geflüchtete
Geschlossene Grenzen fordert die Partei nicht, Menschen, die nach Deutschland migrieren, sollen aber keine Sozialleistungen erhalten. Es gebe einen „erheblichen Nachsteuerungsbedarf in der Einwanderungspolitik, um das derzeitige Chaos zu beenden“, schreibt die Partei in ihrem Programm. Geflüchteten sollen für eine Übergangszeit ein Dach über dem Kopf und täglich eine warme Mahlzeit erhalten. Dadurch soll das Land unattraktiv für „Wirtschaftsflüchtlinge“ sein.
Der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel wirft die Partei vor, das Recht gebrochen und eine „demographische Katastrophe“ ausgelöst zu haben. Damit beziehen sich die „Freien Sachsen“ vermutlich auf die Flüchtlingskrise 2015/2016, in der über eine Million Menschen in Deutschland aufgenommen wurden. Diese „demographische Katastrophe“ müsse rückgängig gemacht werden. Wie das geschehen soll, führt die Partei dabei nicht weiter aus.
Widerstand gegen Corona-Maßnahmen
Lockdown-Maßnahmen hätten die Wirtschaft zerstört, Existenzen gefährdet und gesellschaftliche Spannungen erzeugt, schreibt die Partei in ihrem Grundsatzprogramm. Pandemie-Politik müsse regional organisiert werden und besonnen sein, Krankenhäuser und Gesundheitsämter müssten gestärkt werden. Die Partei legt einen Fokus auf die Ablehnung der Impfpflicht. Die zugelassenen Impfstoffe bezeichnet sie auf ihrer Webseite als „experimentelle und nebenwirkungsreiche Substanzen“. Niemand dürfe zu einer Impfung gedrängt werden, Ungeimpfte dürften keine gesellschaftlichen Nachteile erfahren.
"Freie Sachsen" haben großen Einfluss auf das Protestgeschehen
Nach Einschätzung des Sächsischen Verfassungsschutzes werden die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen mehr und mehr von Rechtsextremisten instrumentalisiert. Ziel sei dabei nicht sachliche Kritik am Staat und seinen Maßnahmen, sondern Verächtlichmachung und Deligitimierung des Staates.
Der wichtigste rechtsextreme Akteur sei dabei die Partei „Freie Sachsen“. Der Partei sei es gelungen, Anschlussfähigkeit an nicht-extremistische Bevölkerungskreise herzustellen und sie habe einen großen Einfluss auf das Protestgeschehen. Für die Mobilisierung zu den Protesten seien dabei die sozialen Medien zentral.
Nach Einschätzung des Rechtsextremismusforschers Johannes Kiess machen die Mitglieder der Partei bei den Demonstrationen zahlenmäßig nur einen kleinen Teil aus. Sie seien eine Kaderpartei mit nicht so vielen Mitgliedern. Es gehe eher darum, für Demonstrationen und Protestaktionen zu mobilisieren und sich zu vernetzen. „Da kann ihnen niemand das Wasser reichen“, sagte Kiess am 31.1.2022 in Deutschlandfunk Kultur.
Der wichtigste Kanal der „Freien Sachsen“ ist dabei der Messengerdienst Telegram. Regelmäßig werden dort Kundgebungen beworben. Für Mitte Januar hatte die Partei beispielsweise in mehr als 150 Kommunen zu Protesten gegen die Corona-Maßnahmen aufgerufen. In Bautzen versammelten sich nach Polizeiangaben rund 1.200 Menschen, in Chemnitz und Radebeul etwa 1.000 und in Freiberg rund 800. An einem Autokorso von Dresden nach Meißen beteiligten sich Menschen mit etwa 100 Fahrzeugen.
Auf Telegram hatte die Partei auch für eine unangemeldete Demo am 29.1.2022 geworben, bei der einige Dutzend Personen auf ein Gelände der Universitätsklinik Leipzig vorgedrungen waren. Nach Angaben der Polizei wurden im Anschluss die Identitäten von mehr als 50 Menschen festgestellt. Wegen des Eindringens auf das Klinikgelände wird demnach wegen des Verdachts des Land- und Hausfriedensbruchs ermittelt.
Sächsischer Verfassungsschutz: „Vernetzungsplattform für Rechtsextremisten"
Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen hat die Partei „Freie Sachsen“ bereits im Juni 2021 als erwiesene rechtsextremistische Bestrebung eingestuft. Der rechtsextreme Charakter zeige sich auch durch das Spitzenpersonal der Partei, das aus anderen rechtsextremen Gruppierungen einschlägig bekannt sei.
In seinen Monatsberichten zählt der Sächsische Verfassungsschutz einige Aktivitäten der Partei auf. Im Oktober 2021 hatte die Gruppierung einen Infostand am Rande einer Kundgebung der rechtspopulistischen PEGIDA-Bewegung aufgestellt. Bei der Kundgebung sprachen bekannte Rechtsextremisten wie Lutz Bachmann und Jürgen Elsässer. Ebenfalls im Oktober riefen die „Freien Sachsen“ über die sozialen Medien Bürger dazu auf, als Privatpersonen die Grenze zu schützen. Es gebe eine „ungebremste Asyleinwanderungswelle“, der Widerstand dagegen müsse „praktisch bleiben.“ Eine geplante Kundgebung der Partei dazu wurde allerdings von der Versammlungsbehörde untersagt.
Ende Januar 2022 hat das Bundesamt für Verfassungsschutz bekannt gegeben, dass die „Freien Sachsen“ bundesweit beobachtet werden. Die Partei sei als Verdachtsfall eingestuft.
Montagsdemos und heißer Herbst - Spekulation auf Schulterschluss mit den Linken
Rechte Parteien und Ideologen versuchen, eine Querfront von rechts außen bis links außen zu inszenieren - nach dem Motto "Gemeinsam gegen die da oben". In Kritik geraten sind die angekündigten Montagsdemonstrationen der Linken in Leipzig für mehr soziale Gerechtigkeit - Der 5. September 2022 in Leipzig sollte dabei der Startschuss für einen "heißen Herbst gegen soziale Kälte" sein. Der Montag in Sachsen ist allerdings durch die jahrelangen Demonstrationen von PEGIDA-Querdenken und nun den "Freien Sachsen" vorbelastet. Auch die "Freien Sachsen" demonstrierten zeitgleich dort. An dem Ort bündelt sich nun der Protest von Rechts und Links.
Der Soziologe Alexander Leißner von der Universität Leipzig sagte im Dlf, die Rechtsextremen wollten nun damit den Anschein erwecken, "man sei jetzt quasi lagerübergreifend". Rechtsextreme spekulieren weiter auf einen Schulterschluss mit dem linken Spektrum, um sich selbst aufzuwerten und auch, um den Forderungen nach sozialer Politik und einem möglichen sozialen Ausgleich zu schaden. Linken-Vorsitzende Janine Wissler wies im Dlf den Vorwurf zurück, ihre Partei protestiere gemeinsam mit Rechten gegen die Energie- und Sozialpolitik der Bundesregierung. Aber man werde diesen auch nicht die Straße überlassen, weder am Montag noch an einem anderen Tag.
Treiber und Konkurrenz der AfD
Radikale Kräfte der sächsischen AfD gingen ganz offen Allianzen mit der Partei „Freie Sachsen“ ein, sagte der Parteienforscher Hans Vorländer am 31.1.2022 im Interview mit Deutschlandfunk Kultur. In Teilen der AfD stößt das auf Unmut. Parteimitglieder wollten den Vorstand der sächsischen AfD dazu bewegen, die Partei "Freie Sachsen" auf die Unvereinbarkeitsliste zu setzen, doch der Vorstand des Landesverbandes kam dem nicht nach. Stattdessen gab er bekannt, dass die Partei „Freie Sachsen“ lediglich ein unbedeutender „Scheinriese“ sei. Nach Angabe des Vorsitzenden der „Freien Sachsen“, Martin Kohlmann, sind zahlreiche AfD-Mandatsträger auch Mitglied in seiner Partei. Im Falle eines Unvereinbarkeitsbeschlusses müssten diese sich dann für eine der Parteien entscheiden.
Der Parteienforscher Vorländer glaubt nicht, dass die AfD so unbesorgt sei. Die AfD organisiert inzwischen auch eigene Corona-Demonstrationen in Sachsen. „Es geht um harte Konkurrenz auf der Straße“, sagte Vorländer. Auch bei den Wahlen werden die Parteien sich Konkurrenz machen. Bei den Landratswahlen im Sommer haben die „Freien Sachsen“ einen eigenen Kandidaten nominiert, auch für Bürgermeisterwahlen sind eigene Kandidaten angekündigt – und auch die Landtagswahlen 2024 sind im Blick. „Freie Sachsen“-Vorsitzender Martin Kohlmann sagte Anfang Januar, dass man nicht zwingend in den Landtag dränge, aber „wenn die AfD sich nicht in eine Richtung entwickelt, die uns gefällt“, dann werde man diese Option in Betracht ziehen.
(Quellen: Daniela Kahls, Alexander Moritz, Landesamt für Verfassungsschutz im Freistaat Sachsen, dpa, epd, pto)