Prediger im Exil
Wer war Fethullah Gülen - und was waren seine Ziele?

Der Islam-Prediger Fethullah Gülen, der nun im US-Exil gestorben ist, gehörte zu den erklärten Feinden des türkischen Präsidenten Erdogan. Dabei stand die Gülen-Bewegung einst der Regierungspartei AKP sehr nahe.

    Fethullah Gülen
    Fethullah Gülen lebte seit 1999 im US-Exil - hier eine Aufnahme von 2014. (Fgulen.Com/dpa)

    Woher stammte Gülen?

    Fethullah Gülen wurde 1941 in einem Dorf in der anatolischen Provinz Erzurum geboren. Sein Vater war Imam, seine Mutter Koranlehrerin.

    Wie wurde er ausgebildet?

    Gülen wurde nach dem Besuch der Grundschule an Madrasas (Koranschulen) und von Islamgelehrten unterrichtet. Bereits mit 14 Jahren soll er begonnen haben, selbst zu predigen. 1959 wurde er stellvertretender Imam in Edirne.

    Welches waren seine weiteren Stationen?

    Von 1961 bis 1963 leistete er seinen Militärdienst ab. Von 1966 an war er als Zentralprediger für die Region Izmir zuständig. Ab 1969 wurde er als Wanderprediger zunehmend bekannt; Ton- und Videobänder, die seine Ansprachen dokumentierten, wurden weit verbreitet.

    Welche Richtung des Islams vertrat er?

    Gülen schloss sich zunächst der reform-islamischen Nurculuk-Bewegung von Said Nursi an. Später erweiterte er dessen Lehren um sozialkonservative und nationalistische Elemente.

    Wodurch geriet er in Konflikt mit staatlichen Institutionen?

    Schon früh sah Gülen seine Mission darin, der Religion wieder zu einer führenden Rolle im Staat zu verhelfen. Dadurch stellte er sich dem Laizismus entgegen, den Staatsgründer Kemal Atatürk als Grundprinzip der türkischen Republik verankert hatte. Das Militär, das sich als Hüter des Kemalismus sah, putschte mehrfach gegen Regierungen, die eine Islamisierung des Staates vorantreiben wollten, so auch 1971, als Gülen für einige Monate inhaftiert wurde.

    Wie baute er seinen Einfluss aus?

    Gülen gründete sogenannte "Lichthäuser" - Studentenheime, in denen eine strenge Auslegung des Islams den Alltag bestimmte - und auch Schulen. 1979 legten seine Anhänger die monatlich erscheinende Zeitschrift "Sizinti" auf, die auch in Deutschland erschien. Allmählich entwickelte sich ein weitverzweigtes Netzwerk aus Stiftungen, Kliniken, Versicherungen und Medienunternehmen in der Türkei wie auch im Ausland.

    Warum ging er ins Exil?

    Die Gülen-Bewegung, die nicht zentral organisiert ist, hatte sich in den 1990er Jahren weit ausgebreitet. Sie hatte nun zahlreiche Anhänger in Zentralasien und Europa, aber auch in den USA und Afrika. Um 1998 ging die türkische Justiz verstärkt gegen Islamisten vor. Im Jahr darauf entging Gülen durch eine Ausreise in die Vereinigten Staaten einer drohenden Festnahme. Anlass war der Mitschnitt einer Ansprache, in der er dazu aufgefordert haben soll, die Kontrolle des Staates zu übernehmen. Seine Anhänger bestritten indes die Authentizität der Aufnahme.

    Wie entwickelte sich sein Verhältnis zu Erdogan und dessen Partei AKP?

    Als die AKP im Jahr 2002 in die Regierung gelangte, kam ihr das Netz der Gülen-Anhänger im Staatsdienst gelegen. Denn ihr fehlten die Kader, um sämtliche Posten in Politik und Verwaltung zu besetzen. Die Allianz hielt bis 2013, als es zu einem Zerwürfnis kam - aus Verbündeten wurden erbitterte Feinde. 2013 leitete die Justiz, der viele Gülen-Anhänger angehörten, Korruptionsermittlungen gegen Politiker und Geschäftsleute aus Erdogans Umfeld ein. Der damalige Ministerpräsident warf der Gülen-Bewegung daraufhin einen versuchten Staatsstreich vor.

    Wie gingen die türkischen Behörden gegen die Gülen-Bewegung vor?

    2014 wurde ein Haftbefehl gegen Gülen erlassen, zwei Jahre später wurde seine Bewegung als terroristische Vereinigung eingestuft. Tausende mutmaßliche Anhänger wurden aus dem Polizei- und Justizdienst entlassen. Da Gülen seit 1999 im US-Bundesstaat Pennsylvania lebte, konnte er sich einer Festnahme entziehen.

    Welche Anschuldigungen erhob die türkische Regierung gegen ihn im Zusammenhang mit dem Putschversuch von 2016?

    Nachdem Teile des Militärs im Juli 2016 versucht hatten, die Macht an sich zu reißen, beschuldigte Erdogan die Gülen-Bewegung und deren Führer, hinter dem Putschversuch zu stecken. Gülen wies auch diese Anschuldigungen zurück und deutete im Gegenzug an, Erdogan selbst könnte die Ereignisse inszeniert haben. Hunderte mit Gülen verbundene Schulen, Unternehmen, Medien und Vereine wurden geschlossen. Mindestens 50.000 Menschen wurden festgenommen, mehr als 140.000 Staatsbedienstete suspendiert, darunter Lehrer, Richter und Soldaten.

    Welche Ziele verfolgte er?

    Gülen vertrat nach außen eine Philosophie, die den Sufismus - eine mystische Form des Islams - mit einem entschlossenen Eintreten für Demokratie, Bildung, Wissenschaft und interreligiösen Dialog verknüpfte. Sein Bild in der Öffentlichkeit ist jedoch höchst kontrovers: Die einen sahen in ihm einen Strippenzieher, der ein weitverzweigtes Netzwerk nutze, um aus der Ferne politische Macht auszuüben. Seine Anhänger feierten ihn als Vertreter eines aufgeklärten Islams, der die säkulare Staatsordnung und die universale Gültigkeit der Menschenrechte nicht infrage stelle. Kritiker warfen Gülen allerdings vor, hinter seiner aufgeschlossenen Rhetorik verberge sich ein reaktionäres Islamverständnis mit der Scharia im Zentrum.

    Hör-Tipp aus dem Deutschlandfunk-Programm:

    Erdogans Gegenspieler: Nachruf auf Fetullah Gülen
    Diese Nachricht wurde am 21.10.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.