Die Ausstellung ist gigantisch: 260 Werke von 123 Künstlerinnen aus 15 lateinamerikanischen Ländern. 25 Jahre Kunstgeschichte, die bisher niemand geschrieben hat. Kuratorin Cecilia Fajardo-Hill und ihre Kollegin Andrea Giunta wollen dieses Versäumnis nachholen, indem sie Arbeiten von Frauen präsentieren, von denen die meisten außerhalb ihrer Heimat unbekannt und viele heute selbst dort vergessen sind.
Körper im Zentrum, aber keine Selbstverstümmelung
Im Zentrum der Schau steht der Körper. Der Körper als Kunstobjekt und als Mittel, der Körper als Identitätsträger und die Identität als gesellschaftliche Konstruktion. Das überrascht nicht, wenn man bedenkt, wie sich Performance- und Konzeptkunst ab den 1960er Jahren zu verbreiten begannen. So ließ sich Chris Burden 1971 in einer kalifornischen Galerie in den Arm schießen. Im Centre Pompidou brutzelte Gina Pane freiwillig auf einem metallenen Bett über brennenden Kerzen. Derlei Akte der Selbstverstümmelung sind jedoch rar unter den gezeigten Künstlerinnen. Der Grund dafür ist einleuchtend: In zahlreichen lateinamerikanischen Ländern herrschten zwischen 1960 und 1985 autoritäre Regime. Dort wurden Menschenrechte und damit Körper täglich verletzt. Cecilia Fajardo-Hill:
"Viele dieser Frauen arbeiteten unter Diktaturen. Ihre Körper waren wirklich in Gefahr. Diese Frauen konnten es sich nicht leisten, sich ins eigene Fleisch zu schneiden. Das tat die Gesellschaft bereits. Sie brauchten sich nicht in einen Käfig zu sperren. Das taten korrupte Richter bereits. Die Gesellschaft hatte ihnen schon sämtliche Freiheiten entzogen."
Plastiksoldaten in Wassereis
Den bedrohten Körper inszeniert jemand wie Gloria Camiruaga daher auf ungleich subtilere Art: In einem Video von 1982 lutschen die drei Töchter der chilenischen Künstlerin grellbuntes Wassereis, bis ihre Zungen Plastiksoldaten im Innern der Lollys freigeleckt haben. Von der Argentinierin Graciela Carnevale stammt das Schwarz-Weiss-Foto einer Frau vor den Toren einer Kunstausstellung, über der wie eine Guillotine der Schatten einer Hand schwebt.
Als Feministinnen sahen sich nur wenige dieser Künstlerinnen. Sowohl der Begriff als auch die Bewegung erschienen ihnen zu bürgerlich und unvereinbar mit dem Selbstverständnis lateinamerikanischer Frauen. An feministischer Symbolik fehlt es dennoch nicht. So schminkt sich die Brasilianerin Letícia Parente in einem Video Augen und Lippen, bloß dass über Augen und Lippen weiße Pflaster kleben. Das Ergebnis ist ein Gesicht, das an eine verschmierte Totenmaske erinnert. Es gibt blutbefleckte Tampons, wie sie in Ausstellungen über Frauen, Kunst und Körper offenbar unvermeidlich sind. Es gibt phallus-artige Kakteen vor roten Türen, die man bei der Venezolanerin Margot Römer zugleich als Vulva oder als Eingang zu Heim und Herd deuten kann. Kuratorin Cecilia Fajardo-Hill räumt ein, dass manche Arbeiten beim Betrachter ein Déjà-vu auslösen.
"Wenn wir an Performance und andere Kunst denken, haben wir Leute wie Carolee Schneemann im Kopf, die wir für Pioniere halten. Die Werke dieser Frauen tun wir dagegen als bloßes Anhängsel ab. Dabei sind diese Werke zur gleichen Zeit und unter viel schwierigeren Umständen entstanden als die der Künstler, deren Namen heute in allen Büchern stehen. Sie sind bisher unsichtbar gewesen. Das muss sich ändern."
Dass die Ausstellung im Brooklyn Museum ihr Ziel letztlich verfehlt, liegt an der schieren Masse des angehäuften Materials. Die Werke einzelner Künstlerinnen ertrinken darin. Individualität und Originalität, die doch hervorgehoben werden sollen, gehen verloren. Es ist eine kunsthistorische Rettungsaktion – gut gemeint, aber überfrachtet.