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Werke von Reimann und Henze
Problemfälle der Liebe

"Drei Gedichte der Sappho" mit Sopranistin Juliane Banse erzählt von den Enttäuschungen einer Liebe zwischen Frau und Frau. Außerdem: "Nachtstücke und Arien" von Hans Werner Henze, der Gedichte von Ingeborg Bachmann für seine Kompositionen wählte.

Von Stefan Amzoll |
    Der Komponist, Pianist und Musikwissenschaftler Aribert Reimann in seiner Wohnung in Berlin-Charlottenburg (fotografiert am 26.02.2016).
    Der Komponist, Pianist und Musikwissenschaftler Aribert Reimann in seiner Wohnung in Berlin-Charlottenburg (fotografiert am 26.02.2016). (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Musik: Aribert Reimann: Drei Gedichte nach Sappho (übertragen von Walter Jens) für Sopran und neun Instrumente Juliane Banse, Sopran, Deutsche Radiophilharmonie Saarbrücken, Kaiserslautern, Ltg. Christoph Poppen.
    Welch irisierender Zauber? Welche Anmut? Ausdruck und Schönheit wohnen dieser Stimme unlöslich inne. Sie ist vorerst noch unbegleitet. Aribert Reimann schuf diese die Sinne betörende Musik und übertrug sie der in Zürich aufgewachsenen Sopranistin Juliane Banse. Der Solovokalpart eröffnet seine "Drei Gedichte der Sappho" für Sopran und neun Instrumente. Das Werk, aufgenommen 2009, erzählt von den Enttäuschungen einer Liebe zwischen Frau und Frau. In jedem der auf der CD enthaltenden Werke - neben Reimann, Hans Werner Henze und Wolfgang Rihm - geht es um Problemfälle der Liebe. "Unanswered love" ist der Titel der Platte.
    Wie heißt es im ersten Lied der Sappho?
    "Du!
    Unter Blumen auf goldenem Thron,
    Unsterbliche,
    Aphrodite
    Listen flechtendes Zeus-Kind,
    Ich flehe dich an:
    Brich mir das Herz nicht
    In Schmerzen und Schwermut."
    Der unvergessene Altphilologe, Schriftsteller und Übersetzer Walter Jens hat die Texte der Sappho ins Deutsche übertragen. Kurz zur Verständigung: Sappho lebte etwa ein halbes Jahrtausend vor Christi in Mytilene auf der Insel Lesbos in der Nordägäis. Ihr genaues Geburtsjahr ist nicht bekannt. Sie wurde um die vierzig Jahre alt und gilt als wichtigste Lyrikerin des klassischen Altertums. Nur ein sehr geringer Teil ihrer Dichtung ist erhalten geblieben, hinreichend allemal, sie als kühne, dem Erotischen der Literatur zugeneigte Künstlerin bewundern zu können. Jene drei Gedichte, die der Komponist gewählt hat, formieren ein kleines Monodram, das lesbische Liebe zum Thema hat: Sappho klagt der Göttin Aphrodite, dass sie von ihrer Freundin verlassen wurde. Das zweite Gedicht drückt ihren Schmerz über den Verlust aus, während das letzte von der Einsamkeit erzählt, endend mit der Zeile:
    Die Plejaden am Himmel leuchten nicht mehr.
    Das Wort "Plejaden" beschreibt ein Gewölk aus Sternen in der Milchstraße. - Zu Beginn ist die Stimme noch unbegleitet, aber bald treten Instrumente immer hörbarer hinzu.
    Musik: Musik dt. 1. Gesang mit Instrumenten
    Die Komposition entstand im Jahr 2000 und wurde mehrfach aufgeführt. Das Label Wergo Mainz veröffentlichte nun die hervorragend produzierte Plattenaufnahme davon. Das Begleitensemble besteht aus Musikern der Deutschen Radiophilharmonie Saarbrücken Kaiserslautern, geleitet von Christoph Poppen.
    Hier im folgenden Takte aus dem Schlussteil des zweiten Liedes. Gebärden der Verzweiflung münden in sensitive, ätherische Sphären. Es singt Juliane Banse.
    Musik: Reimann: "Drei Gedichte der Sappho", 2. Lied
    Die neun Instrumente umfassen tiefe Holzbläser: Englischhorn, Fagott, Kontrafagott, keine Violinen, stattdessen drei Bratschen, zwei Violoncelli und einen Kontrabass. Die Sopranlage fehlt. Melancholie, sich verzehrend auf der Grenze zum Schmerz, ist einer der Grundzüge der Komposition. Sehr vernehmlich klingt solch innere Verfasstheit im dritten Gesang der Sappho an. Die einsame Seele verschafft sich darin Gehör. Und je einsamer dieselbe, desto klarer, aufrichtiger das, worin die Stimme ihrer selbst innewird. Wir hören den ganzen dritten Gesang.
    Musik: Reimann: "Drei Gedichte der Sappho", 3. Lied
    Namhaft geworden ist der Komponist durch sein Musiktheaterschaffen. Sein "Lear" ist eins der erfolgreichsten Bühnenwerke der Gegenwart. Seit der UA 1978 in München mit Dietrich Fischer-Dieskau in der Titelpartie, folgten an die 30 weitere Inszenierungen in Europa und den USA. Auch seine Oper "Melusine" und seine jüngst eindringlich aufgeführte hochdramatische "Medea" von 2010 an der Komischen Oper Berlin haben ihm europaweiten Erfolg eingetragen. Erwähnenswert ist derlei, weil seine Theatermusiken und vokal-instrumentalen Arbeiten nicht selten auseinander hervorgehen. Vokale Solowerke etwa korrespondieren ihrem Duktus nach mit Arien und Ensembles aus seinen Opern.
    Musik: Hans Werner Henze: Nachtstücke und Arien nach Gedichten von Ingeborg Bachmann für Sopran und großes Orchester, Juliane Banse, Sopran, Deutsche Radiophilharmonie Saarbrücken Kaiserslautern, Ltg. Christoph Poppen.
    Aus "Nachtstücke und Arien" von Hans Werner Henze, festgehalten gleichfalls auf der CD "Unanswered Love". Henzes Komposition für Sopran und Orchester auf Gedichte von Ingeborg Bachmann entstand 1957 und ist somit die älteste Arbeit auf der Platte. Zeitlich steht sie nahe seiner Oper "Der Prinz von Homburg" und seiner "Kammermusik 1958". Henze schrieb die "Nachtstücke und Arien" für den großen, heute weitgehend vergessenen englischen Tenor Peter Pears und widmete sie Benjamin Britten, mit dem der Sänger liiert war. Die fünfteilige Komposition wurde im gleichen Jahr zu den Donaueschinger Musiktagen vom SWF-Sinfonieorchester unter Hans Rosbaud uraufgeführt. Die Solistin war Gloria Davy. Das ist lange her. Aber das Werk lebt, die Saarbrücker Neuaufnahme aus dem Jahre 2009 mit Juliane Banse und Christoph Poppen am Pult ermöglicht, das Stück neu zu hören und zu bedenken.
    Musik: Henze: Nachtstücke und Arien
    Unendliche Male ist, was die Menschen Nacht nennen, besungen worden. Komponisten haben sich willig deren Gefilden, Tonfällen und Stimmungen ausgesetzt und Hunderte Stücke darauf geschaffen: Schumann, Chopin, Brahms, Mahler, mit Vorliebe Spätromantiker wie Hugo Wolf, Pfitzner, Richard Strauss, zahllose Komponisten der Moderne wie Xenakis, Milhaud, Satie, Nono, Georg Friedrich Haas, Nico Richter de Vroe, Friedrich Schenker, Helmut Zapf, um nur diese zu nennen. Das Notturno machte geschichtlich in der Welt die Runde. Die Halb- und Unterwelt, in grelles Licht so sehr wie in Schwärze getaucht, avancierte zum kompositorischen Gegenstand. Aber nicht nur der böse Blitz, die Pression, die Angst fährt durch die Fakturen, auch liebliches Geflüster tut sich kund. Bei Rilke in der Vertonung von Aribert Reimanns "Nacht-Raum" heißt es:
    Sieh hinauf. Heut ist der Nacht-Raum heiter.
    Henze aber fühlte sich mindestens seit Mitte der 50er-Jahre in die Enge getrieben. Er hatte sich erkühnt, gegen die Prämissen der Avantgarde um Stockhausen und Boulez Einspruch zu erheben und seinen eigenen Weg zu gehen, was zu Missverständnissen, ja Feindseligkeiten führte. Er verließ darauf die Bundesrepublik und zog nach Italien. Während dieser Zeit dürfte er schlechte Träume gehabt haben in den kühlen deutschen Nächten. Ein bisschen klingt das Werk danach. Deutlich in den die zwei Arien einfassenden Orchesterstücken. Periodisch fahren drohende, ängstliche Gebärden drein und münden in romantischen Gewässern.
    Musik: Henze: Nachtstücke und Arien, 8. Lied
    Serielle Techniken, Sonoristik, Musizieren an den Tangenten der Instrumente und dergleichen zu verwenden, verbot sich der Komponist. In den Arien - wie den orchestralen Teilen orientierte sich Henzes Erfindungskraft eher an Richard Strauss. Was sein Talent nicht mindert.
    Musik: Henze: Nachtstücke und Arien, 5. Lied
    Zurück zu Aribert Reimann. Bemerkenswert eine weitere Wergo-Ausgabe, die drei Werke des Berliner Komponisten zusammenfasst. Es sind durchweg ernste, zutiefst humane Arbeiten – es handelt sich um Produktionen des Norddeutschen Rundfunks mit dem NDR Sinfonieorchester unter der Leitung von Christoph Eschenbach. In der Mitte steht - unantastbar - ein Vokalwerk. Musik, die mahnt, die an die Substanz geht und niemals vergessen werden darf. Zwei selbstständige Orchesterwerke umrahmen es. "Eingedunkelt" heißt das Sologesangswerk, ursprünglich gesetzt für Alt solo, hier in vorbildlicher Ersteinspielung gesungen von dem Countertenor Tim Severloh. Das Stück bündelt Vertonungen von neun Gedichten nach Paul Celan. Es sind bedrängende, angstbesetzte Gesänge. Hören wir die Eröffnungsnummer, überschrieben mit der Frage: "Wirfst Du den beschrifteten Ankerstein aus?"
    Musik: Reimann: "Eingedunkelt", 2. Lied
    Die "Neun Gesänge" entstanden 1992. Reimann nahm das Titelgedicht "Eingedunkelt" zum Anlass, aus markanten Zeilen weiterer Celan-Gedichte eine Textstruktur zu bauen, die vokalisierbar ist und im Kompositionsprozess nichts an Sinngehalten einbüßt. Das Material wiegt schwer. Jede Wortwendung klingt wie die endlose Arbeit und der Schweiß beim Durchschneiden eines Drahtseils. Paul Celan wurde in seiner Heimatstadt Cernowitz während der Nazibesatzung Zeuge, wie seine Eltern ins Ghetto gesperrt und ermordet wurden. Das Adornosche Diktum, nach Auschwitz könne man keine Gedichte mehr schreiben, hat der weltbedeutende Dichter nicht akzeptiert. "Bedenkenlos, den Vernebelungen zuwider" ist der sechste Gesang überschrieben.
    Musik: "Eingedunkelt", 6. Lied
    Aribert Reimann hat diese Arbeit nicht losgelassen. Ein Jahr später, 1993, entschied er sich, aus Partikeln der Gesänge und weiteren Materialoptionen Orchesterstücke zu bauen. Gleichfalls neun an der Zahl. Entstanden ist eine Gruppe ganz eigener Kompositionen. Sie mit den Gesängen klanglich in Verbindung zu bringen, war Reimanns Anliegen nicht. Die Atmosphären und Sinngebungen seien zu unterschiedlich. Jedoch ein inneres Band zwischen beiden scheint es bei allem, was hörbar wird, zu geben.
    Musik: Aribert Reimann: Neun Stücke für Orchester, NDR Sinfonieorchester, Ltg. Christoph Eschenbach