Kurz nachdem August Diehl als Prinz von Homburg wegen seines vorschnellen Eingreifens in der Schlacht bei Fehrbellin in Haft genommen wurde, isst er einen Apfel. Kurz nachdem Udo Samel als Feldmarschall Dörfling samt seinen Offizieren mit den Worten "Rebellion, mein Fürst!” im Schloss erscheint, kleidet sich Peter Simonischek in aller Seelenruhe erst einmal an. Zwei kleine Beispiele nur dafür, wie traumwandlerisch Andrea Breth die Zeichenhaftigkeit des Textes in äußerst sparsame Symbolik übersetzt und damit erstaunlicher Weise das realistischste Theater macht. Der Apfel ist Symbol für Unsterblichkeit und gleichzeitig für den Sündenfall; das minutenlange Schweigen Simonischeks ein wohlgesetztes Zeichen der Macht. Die Meisterin der Tiefenauslotung zeigt, wie lange vor ihr keiner, um was es geht in diesem Stück: auch um spontanes Handeln oder die Einhaltung der Befehlskette, auch um Leben oder Tod, vor allem aber um Recht, Ratio und Erkenntnis versus träumerische Verwirrtheit und menschliche Abgründe. Den Grat zwischen diesen vielen Polen beschreitet Andrea Breth mit zauberischer Sicherheit, indem sie - in einer fast nur schwarz-weißen Szene - im Text und in den Figuren jene vielen Grautöne sichtbar werden lässt, die jedes Drama Heinrich von Kleists ausmachen.
Martin Zehetgrubers "Schlossgarten” im ersten Aufzug ist deshalb ein dunkler Wald voller verkohlter Baumstümpfe, ein Kriegsschauplatz, über dem noch schwer der Pulverdampf der Schlacht wabert. Die Räume des Kurfürsten hingegen strahlen kalt und weiß, ausgeleuchtet wie die helle Vernunft. Einmal öffnen sich die hinterleuchteten Cassetten-Wände, Schloss und Schlachtzone fließen ineinander. In diesem Setting ist August Diehl, mit weit aufgerissenen Augen, losem Hemd und oft barfuss, eine wirkliche Provokation: unbeherrscht intensiv, übergriffig, voller Hybris, neben sich stehend, unverantwortlich abgelenkt. Und vor der Schlacht egomanisch, selbstvergessen, zitternd wie ein wildes Tier, das Blut geleckt hat. Und tatsächlich schlägt er einem Offizier die Zähne in den Hals, als der auf die noch nicht ergangene Ordre verweist. Doch die Regisseurin nimmt hier keine modischen Anleihen bei der Welt der Vampire; sie weiß, wie gefährdet Ausnahmepersönlichkeiten sind und welchen Preis sie für ihre kreativen Energien und Entscheidungen zahlen. Dass Breth den Prinzen am Ende tatsächlich sterben lässt, ist ein Schock, aber auch das konsequente Ende eines Unbedingten: Für an ihr Innerstes andockende Himmelsstürmer war und ist diese Welt nicht gemacht.
Das Ensemble ist exquisit, auch wenn die Hälfte der Schauspieler, inklusive Elisabeth Orth als Gräfin Bork, nur schöne Steherqualitäten vorweisen muss. Die anderen gewinnen ihren Rollen in kleinsten Nuancen die größten Wahrheiten ab: Wie Andrea Clausen als stolze, fast starre Kurfürstin das Winseln Homburgs mehr zu Herzen zu gehen scheint als zu Beginn der angebliche Tod ihres Gatten. Oder wie Pauline Knof als Prinzessin Natalie sich in derselben Szene unerhörterweise an die Nase fasst - kann man peinlich berührt sein besser ausdrücken?
Was in dieser brillanten Inszenierung noch so stattfindet: Eine fast menschlich scheinende Schule des Rechts, die Peter Simonischek als in sich ruhender Souverän mit sogar ironischem Unterton verkörpert. Und ein nicht nur angedeuteter Machtkampf zwischen ihm und Homburg, den der Kurfürst mit einem übergriffigen Kuss an seiner Nichte ausagiert. Alle nämlich schwanken sie, trotz äußerer Gefasstheit, auf dem schmalen Grat zwischen Gefühl und Vernunft, Herzensbildung und Staatsraison, bis hin zu Hans-Michael Rehberg als Obrist Kottwitz, der nach Jahrzehnten im Dienst des Kurfürsten sein Herz die Argumente für Homburg formulieren lässt - eine Verzweiflungstat, wie schön zu spüren ist.
Und so gibt Andrea Breth einer jeder dieser harten Figuren zurück, was sie verloren zu haben scheinen: den Zugang zu ihrer eigenen erstarrten Welt der Gefühle. Das ist das Geheimnis des Theaters: Handwerk wird in einer Art alchemistischer Werkstatt zur großen Seelenerkundung. Ein großer Theaterabend und ein erster Höhepunkt der Salzburger Festspiele.
Martin Zehetgrubers "Schlossgarten” im ersten Aufzug ist deshalb ein dunkler Wald voller verkohlter Baumstümpfe, ein Kriegsschauplatz, über dem noch schwer der Pulverdampf der Schlacht wabert. Die Räume des Kurfürsten hingegen strahlen kalt und weiß, ausgeleuchtet wie die helle Vernunft. Einmal öffnen sich die hinterleuchteten Cassetten-Wände, Schloss und Schlachtzone fließen ineinander. In diesem Setting ist August Diehl, mit weit aufgerissenen Augen, losem Hemd und oft barfuss, eine wirkliche Provokation: unbeherrscht intensiv, übergriffig, voller Hybris, neben sich stehend, unverantwortlich abgelenkt. Und vor der Schlacht egomanisch, selbstvergessen, zitternd wie ein wildes Tier, das Blut geleckt hat. Und tatsächlich schlägt er einem Offizier die Zähne in den Hals, als der auf die noch nicht ergangene Ordre verweist. Doch die Regisseurin nimmt hier keine modischen Anleihen bei der Welt der Vampire; sie weiß, wie gefährdet Ausnahmepersönlichkeiten sind und welchen Preis sie für ihre kreativen Energien und Entscheidungen zahlen. Dass Breth den Prinzen am Ende tatsächlich sterben lässt, ist ein Schock, aber auch das konsequente Ende eines Unbedingten: Für an ihr Innerstes andockende Himmelsstürmer war und ist diese Welt nicht gemacht.
Das Ensemble ist exquisit, auch wenn die Hälfte der Schauspieler, inklusive Elisabeth Orth als Gräfin Bork, nur schöne Steherqualitäten vorweisen muss. Die anderen gewinnen ihren Rollen in kleinsten Nuancen die größten Wahrheiten ab: Wie Andrea Clausen als stolze, fast starre Kurfürstin das Winseln Homburgs mehr zu Herzen zu gehen scheint als zu Beginn der angebliche Tod ihres Gatten. Oder wie Pauline Knof als Prinzessin Natalie sich in derselben Szene unerhörterweise an die Nase fasst - kann man peinlich berührt sein besser ausdrücken?
Was in dieser brillanten Inszenierung noch so stattfindet: Eine fast menschlich scheinende Schule des Rechts, die Peter Simonischek als in sich ruhender Souverän mit sogar ironischem Unterton verkörpert. Und ein nicht nur angedeuteter Machtkampf zwischen ihm und Homburg, den der Kurfürst mit einem übergriffigen Kuss an seiner Nichte ausagiert. Alle nämlich schwanken sie, trotz äußerer Gefasstheit, auf dem schmalen Grat zwischen Gefühl und Vernunft, Herzensbildung und Staatsraison, bis hin zu Hans-Michael Rehberg als Obrist Kottwitz, der nach Jahrzehnten im Dienst des Kurfürsten sein Herz die Argumente für Homburg formulieren lässt - eine Verzweiflungstat, wie schön zu spüren ist.
Und so gibt Andrea Breth einer jeder dieser harten Figuren zurück, was sie verloren zu haben scheinen: den Zugang zu ihrer eigenen erstarrten Welt der Gefühle. Das ist das Geheimnis des Theaters: Handwerk wird in einer Art alchemistischer Werkstatt zur großen Seelenerkundung. Ein großer Theaterabend und ein erster Höhepunkt der Salzburger Festspiele.