Geschichten über Judenretter in der NS-Zeit treffen derzeit in der deutschen Öffentlichkeit auf ein gesteigertes Interesse. Einige herausragende Rettungsaktionen sind bekannt: Die des japanischen Konsuls in Litauen, Chiune Sugihara, zum Beispiel oder die des schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg. Die machtpolitischen Verhältnisse in den von der Wehrmacht besetzten Teilen Europas ließen nur wenig Raum für Rettungsaktionen dieses Ausmaßes. Um so wichtiger war es, dass es Einzelne gab, die sich von diesen strukturellen Behinderungen nicht abschrecken ließen und trotz großer Gefahren halfen und retteten. So ist auch der philosophische Gehalt des Talmud-Spruches zu verstehen, der in diesem Zusammenhang immer wieder zitiert wird:
Wer ein einziges Leben gerettet hat, wird so betrachtet, als habe er das ganze Universum gerettet.
Jede Rettungsgeschichte hat insoweit ihr eigenes Recht, erinnert zu werden. Besondere Aufmerksamkeit darf eine solche beanspruchen, wenn es sich bei dem Retter um einen Offizier aus der deutschen Wehrmacht handelt. Denn von einem Angehörigen dieser Organisation erwartet man rettendes Handeln zunächst einmal nicht. Eine der Ausnahmen ist der Sonderführer Günter Krüll. Er war im Zweiten Weltkrieg in der polnischen Stadt Pinsk als Leiter einer Dienststelle der Wehrmacht eingesetzt, die als "Feldwasserstraßenabteilung 2" firmierte. Diese war – im Rahmen der deutschen Kriegführung - für die militärisch genutzte Binnenschifffahrt zuständig. Krüll, ein damals 25 Jahre alter Schiffsbauingenieur, wurde ab April 1942 wegen seiner Fachkenntnisse im Range eines Sonderführers auf einer Offiziersstelle dieser Wehrmachtbehörde eingesetzt. Krüll beschäftigte auch einen 19-jährigen jüdischen Mann namens Eruchim-Fischl Ruwinowitsch Rabinow, der in der Dienststelle als ein versierter Telefontechniker gute Arbeit leistete. Fischl, wie er genannt wurde, lebte in der ständigen Angst vor der Vernichtung durch die Deutschen. Bereits im August 1941, wenige Wochen nach dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion, hatten Angehörige des SS-Kavallerie-Regiments 2 in Pinsk etwa 8.000 Juden ermordet. Der verbleibende jüdische Bevölkerungsteil dieses typischen "Schtetls" wurde dann in ein Ghetto gepfercht und fiel im Oktober 1942 einer noch größeren Mordaktion zum Opfer. Nur 24 jüdische Einwohner von Pinsk konnten sich verstecken und überleben. Unter den etwa 18.000 Juden, die am 29. Oktober 1941 ermordet wurden, befanden sich auch Familienangehörige von Rabinow.
An diesem Tag wurden umgebracht: Meine Mutter Polina Fischlewna, mein Vater Ruwin Schlemowitsch, meine Schwester Ester Ruwinowa, ihr Mann Awraam, ihre Tochter Gitla, Awraams Eltern Chaja und Girsch-Leyo, die Frau meines Bruders Lew, Chaja-Dwejra mit ihrer Tochter Dina, Chaja-Dwejras Mutter, alle unsere Bekannten und Freunde und auch mein ganzes Leben.
Der junge Fischl konnte nur davon kommen, weil ihn der deutsche Offizier Günter Krüll während der Mordaktion - und danach noch einen ganzen Monat lang - in seiner Dienststelle versteckte, ihn mit einem falschen Ausweis ausstattete, der auf den russischen Namen Pjotr Rabzewitsch ausgestellt war, und ihn damit zu gleichgesinnten Wehrmachtsangehörigen nach Kiew schickte. Dort arbeitete "Pjotr" wiederum als Telefontechniker in einer Feldwasserstraßenabteilung der Wehrmacht. Mit viel Glück und Geschicklichkeit – unter anderem sprach er akzentfrei Jiddisch, Deutsch, Russisch und Polnisch - überlebte er den Krieg.
Sein Beschützer hat nach dem Kriege nur im Familienkreise erzählt, dass er in Polen einen jungen Juden in einer systematisch angelegten und hochgefährlichen Aktion hat retten können. Günter Krüll starb im Jahre 1979, ohne seinen Schützling noch einmal wieder gesehen zu haben. Weder in der Bundesrepublik Deutschland noch in der ukrainischen Sowjetrepublik wollte man von der Rettungsgeschichte etwas wissen.
Wenn wir diese jetzt in einem sehr empfehlenswerten Buch nachlesen können, so verdanken wir das einem puren Zufall. Rabzewitsch, der nach dem Kriege die Hoffnung nicht aufgab, seinen Retter zu finden, erzählte seine Geschichte im Jahre 1996 einem deutschen Ehepaar, das sich mit dem Freiburger Maximilian Kolbe-Werk in der Betreuung von Überlebenden aus den Konzentrationslagern in Polen und Russland engagierte. Margret und Werner Müller gelang es, die Familie Krüll ausfindig zu machen. Zugleich entschlossen sie sich, die ihnen von Pjotr Rabzewitsch mündlich in jiddischer Sprache geschilderte Rettungsgeschichte aufzuschreiben. Werner Müller, ein gelernter Jurist, konnte mittels der einschlägigen historiographischen Literatur jede wichtige Aussage des Zeitzeugen verifizieren und, wo erforderlich, durch eigene Hinweise sowie durch den Abdruck von Dokumenten ergänzen. So ist aus der authentischen Erzählung ein zuverlässig gearbeitetes und zugleich gut lesbares Buch entstanden, das geeignet ist, auch historisch interessierte Jugendliche exemplarisch mit der Geschichte der Judenmorde vertraut zu machen. Es erzählt vom Leben in Ostpolen vor dem Kriege, von den Jahren im Ghetto Pinsk, von der ständigen Todesangst vor den deutschen Besatzern – von der systematischen Rettungsaktion eines jungen deutschen Offiziers, der von seinem Schützling schlicht als ein guter Mensch geschildert wird.
Das Buch "Aus dem Feuer gerissen. Die Geschichte des Pjotr Ruwinowitsch Rabzewitsch aus Pinsk" wird von Werner Müller herausgegeben. Er ist erschienen im Kölner Dittrich Verlag, umfasst 295 Seiten und kostet DM 36,--.
Wer ein einziges Leben gerettet hat, wird so betrachtet, als habe er das ganze Universum gerettet.
Jede Rettungsgeschichte hat insoweit ihr eigenes Recht, erinnert zu werden. Besondere Aufmerksamkeit darf eine solche beanspruchen, wenn es sich bei dem Retter um einen Offizier aus der deutschen Wehrmacht handelt. Denn von einem Angehörigen dieser Organisation erwartet man rettendes Handeln zunächst einmal nicht. Eine der Ausnahmen ist der Sonderführer Günter Krüll. Er war im Zweiten Weltkrieg in der polnischen Stadt Pinsk als Leiter einer Dienststelle der Wehrmacht eingesetzt, die als "Feldwasserstraßenabteilung 2" firmierte. Diese war – im Rahmen der deutschen Kriegführung - für die militärisch genutzte Binnenschifffahrt zuständig. Krüll, ein damals 25 Jahre alter Schiffsbauingenieur, wurde ab April 1942 wegen seiner Fachkenntnisse im Range eines Sonderführers auf einer Offiziersstelle dieser Wehrmachtbehörde eingesetzt. Krüll beschäftigte auch einen 19-jährigen jüdischen Mann namens Eruchim-Fischl Ruwinowitsch Rabinow, der in der Dienststelle als ein versierter Telefontechniker gute Arbeit leistete. Fischl, wie er genannt wurde, lebte in der ständigen Angst vor der Vernichtung durch die Deutschen. Bereits im August 1941, wenige Wochen nach dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion, hatten Angehörige des SS-Kavallerie-Regiments 2 in Pinsk etwa 8.000 Juden ermordet. Der verbleibende jüdische Bevölkerungsteil dieses typischen "Schtetls" wurde dann in ein Ghetto gepfercht und fiel im Oktober 1942 einer noch größeren Mordaktion zum Opfer. Nur 24 jüdische Einwohner von Pinsk konnten sich verstecken und überleben. Unter den etwa 18.000 Juden, die am 29. Oktober 1941 ermordet wurden, befanden sich auch Familienangehörige von Rabinow.
An diesem Tag wurden umgebracht: Meine Mutter Polina Fischlewna, mein Vater Ruwin Schlemowitsch, meine Schwester Ester Ruwinowa, ihr Mann Awraam, ihre Tochter Gitla, Awraams Eltern Chaja und Girsch-Leyo, die Frau meines Bruders Lew, Chaja-Dwejra mit ihrer Tochter Dina, Chaja-Dwejras Mutter, alle unsere Bekannten und Freunde und auch mein ganzes Leben.
Der junge Fischl konnte nur davon kommen, weil ihn der deutsche Offizier Günter Krüll während der Mordaktion - und danach noch einen ganzen Monat lang - in seiner Dienststelle versteckte, ihn mit einem falschen Ausweis ausstattete, der auf den russischen Namen Pjotr Rabzewitsch ausgestellt war, und ihn damit zu gleichgesinnten Wehrmachtsangehörigen nach Kiew schickte. Dort arbeitete "Pjotr" wiederum als Telefontechniker in einer Feldwasserstraßenabteilung der Wehrmacht. Mit viel Glück und Geschicklichkeit – unter anderem sprach er akzentfrei Jiddisch, Deutsch, Russisch und Polnisch - überlebte er den Krieg.
Sein Beschützer hat nach dem Kriege nur im Familienkreise erzählt, dass er in Polen einen jungen Juden in einer systematisch angelegten und hochgefährlichen Aktion hat retten können. Günter Krüll starb im Jahre 1979, ohne seinen Schützling noch einmal wieder gesehen zu haben. Weder in der Bundesrepublik Deutschland noch in der ukrainischen Sowjetrepublik wollte man von der Rettungsgeschichte etwas wissen.
Wenn wir diese jetzt in einem sehr empfehlenswerten Buch nachlesen können, so verdanken wir das einem puren Zufall. Rabzewitsch, der nach dem Kriege die Hoffnung nicht aufgab, seinen Retter zu finden, erzählte seine Geschichte im Jahre 1996 einem deutschen Ehepaar, das sich mit dem Freiburger Maximilian Kolbe-Werk in der Betreuung von Überlebenden aus den Konzentrationslagern in Polen und Russland engagierte. Margret und Werner Müller gelang es, die Familie Krüll ausfindig zu machen. Zugleich entschlossen sie sich, die ihnen von Pjotr Rabzewitsch mündlich in jiddischer Sprache geschilderte Rettungsgeschichte aufzuschreiben. Werner Müller, ein gelernter Jurist, konnte mittels der einschlägigen historiographischen Literatur jede wichtige Aussage des Zeitzeugen verifizieren und, wo erforderlich, durch eigene Hinweise sowie durch den Abdruck von Dokumenten ergänzen. So ist aus der authentischen Erzählung ein zuverlässig gearbeitetes und zugleich gut lesbares Buch entstanden, das geeignet ist, auch historisch interessierte Jugendliche exemplarisch mit der Geschichte der Judenmorde vertraut zu machen. Es erzählt vom Leben in Ostpolen vor dem Kriege, von den Jahren im Ghetto Pinsk, von der ständigen Todesangst vor den deutschen Besatzern – von der systematischen Rettungsaktion eines jungen deutschen Offiziers, der von seinem Schützling schlicht als ein guter Mensch geschildert wird.
Das Buch "Aus dem Feuer gerissen. Die Geschichte des Pjotr Ruwinowitsch Rabzewitsch aus Pinsk" wird von Werner Müller herausgegeben. Er ist erschienen im Kölner Dittrich Verlag, umfasst 295 Seiten und kostet DM 36,--.