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Wernigerode
Aus Kirche wird Konzertsaal

Tolle Atmosphäre und überzeugende Akustik: Die Liebfrauenkirche in Wernigerode wird zu einem Konzertsaal umgewidmet. Beim Umbau soll die barocke Ausstattung größtenteils erhalten werden. Das Philharmonische Kammerorchester Wernigerode erhält so eine Spielstätte - und eine langfristige Perspektive.

Von Claus Fischer |
    Blick auf Fachwerkhäuser und eine Kirche in Wernigerode im Winter.
    Wernigerode im Harz ist für sein schönes Stadtbild bekannt - von drei evangelischen Kirchen wird nun eine zum Konzertsaal (imago / Steinach)
    "Unser Orchester hat sich von einem gefährdeten Orchester zu einer Institution entwickelt - was auch kulturpolitisch von Seiten des Landes Sachsen-Anhalt in der Zwischenzeit – so gesehen wird, profiliert sich zunehmend nicht nur durch die hervorragenden Solisten, die wir engagieren, sondern auch durch den eigenen Klang."
    Christian Fitzner ist stolz auf das Philharmonische Kammerorchester Wernigerode, dessen Leitung er 1994 als Dirigent und Geschäftsführer übernommen hat. 22 Musikerinnen und Musiker spielen mit.
    "Wir haben junge neue Kräfte bekommen und Verstärkung, hochqualifizierte! Nicht nur aus aufgelösten oder veränderten, fusionierten Orchestern, sondern auch aus Studienabgängen, und das freut uns sehr, weil natürlich bin ich dran interessiert, dass das Orchester über meine Zeit hinaus eine Perspektive hat!"
    Von Haydn zu Jazz: breit gefächertes Repertoire
    Durch Kooperationen, etwa mit dem nahen Theater Halberstadt, reicht die Spannweite des Repertoires weit über das eines in Anführungszeichen "normalen" Kammerorchesters hinaus.
    "Eine Haydn-Schöpfung ist für uns kein Problem, haben wir auch schon gemacht. Wir haben auch alle Beethoven-Sinfonien schon gemacht. Wir haben auch mit Halberstadt zusammen schon Tschaikowski und Rachmaninow aufgeführt."
    Opulent besetzt war auch die Uraufführung des jazzlastigen Klavierkonzerts vom jungen Dessauer Komponisten Christoph Reuter im Jahr 2012.
    "Die allerbeste Lösung"
    Überregional bekannt wurde das Philharmonische Kammerorchester Wernigerode durch die alljährlichen Schloßfestspiele in der Harzstadt, die Christian Fitzner ebenfalls initiiert hat. Eine eigene Spielstätte hat man allerdings nicht. Rainer Schulze, Buchhändler, Kabarettist und Gründer des Kunst- und Kulturvereins Wernigerode schlug bereits vor 15 Jahren vor, die barocke evangelische Liebfrauenkirche vor. Da es in der Harzstadt mit Sankt Sylvestri und Sankt Johannes zwei große evangelische Kirchengebäude gibt, war sie in Anführungszeichen überflüssig.
    "Die Gemeinde hat, für die Kirche, die sie nicht mehr brauchte, eine Verwendung gesucht. Im Gemeindekirchenrat war eigentlich die einhellige Meinung: Wenn das ein Konzertsaal wird und das Orchester da auch noch integriert ist, dann ist das die allerbeste Lösung, weil das ist was für die Stadt."
    Mit einer "Spanischen Nacht" werden am 29.07.2016 in Wernigerode (Sachsen-Anhalt) die 21. Wernigeröder Schlossfestspiele eröffnet, es spielt das Philharmonische Kammerorchester Wernigerode.
    Überregional bekannt: das Philharmonische Kammerorchester Wernigerode bei den Schloßfestspielen (picture alliance / Matthias Bein)
    Chefdirigent Christian Fitzner, ein gebürtiger Schwabe, war vor 15 Jahren allerdings skeptisch.
    "Meine Furcht war, dass die Betriebskosten, die Umbaukosten so ins Kontor der Stadt schlagen, dass es ähnlich wie in Potsdam ist: Wir renovieren die Kirche und lösen das Orchester auf, um Kosten zu sparen."
    So wurde das Projekt ad acta gelegt.
    Neue Hoffnung - dank eines Wettbewerbs
    Vor vier Jahren nun, erzählt Rainer Schulze vom Kunst- und Kulturverein Wernigerode ergaben sich jedoch neue, hoffnungsvolle Perspektiven.
    "Jetzt hat das Land Sachsen-Anhalt einen Wettbewerb zur Verbesserung von kulturellen Angeboten gemacht. Das ist eine EU-weite Geschichte. Und wir haben uns an diesem Wettbewerb beteiligt mit den Plänen, die wir schon vor fünfzehn Jahren gemacht hatten. Wir hatten auch schon ein Modell gemacht und alles Mögliche, die Pläne modifiziert – und haben dummerweise einen der ersten zwanzig Plätze in diesem Wettbewerb gekriegt!"
    Mit diesem Erfolg verbunden ist eine Summe von 1,6 Millionen Euro. Die Mittel für den Umbau sind also größtenteils vorhanden. Und der Kunst- und Kulturverein Wernigerode konnte die Kirche problemlos kaufen, sagt Rainer Schulze mit Augenzwinkern.
    "Angesichts des Kaufpreises von einem Euro war das gerade noch zu schaffen!"
    Dank ausreichender Mittel vom Land laufen nun seit einigen Wochen die Umbauarbeiten.
    Ein akustisches Wunder
    Die Liebfrauenkirche in Wernigerode ist ein barocker Saalbau, ohne Säulen und Pfeiler, über den sich eine Holzdecke wölbt.
    "Wahrscheinlich 1760. Das größte, was man so hat bauen können freitragend."
    Betont Rainer Schulze.
    "Und da das eben schwingt, hat der Raum so eine tolle Konzertatmosphäre."
    Auch Dirigent Christian Fitzner ist von der für eine Kirche mit immerhin 500 Sitzplätzen recht trockenen Akustik begeistert. Der Nachhall beträgt nur zwischen zwei und vier Sekunden.
    "Die Laufzeiten hier sind wunderschön! Gerade auch was Stimme betrifft sehr ideal!
    "Es gibt nicht so viele Tiefen, wie normalerweise in Kirchen, sondern es ist ganz durchsichtig und leicht."
    Ergänzt Rainer Schulze.
    Ausstattung wird größtenteils erhalten
    Die Ausstattung der Kirche soll größtenteils erhalten werden, sowohl der barocke Kanzelalter als auch die umlaufenden Logen mit ihren kunstvollen Schnitzereien werden umfassend saniert. Die Orgel, die Meister Wilhelm Sauer aus Frankfurt an der Oder Ende des 19. Jahrhunderts für die zweigeschossige Empore gebaut hat, wird derzeit restauriert und soll später wiedereingebaut werden, so dass in Zukunft neben chor- auch orgelsinfonische Werke aufgeführt werden können. Das Instrument wird allerdings aus akustischen Gründen zwei Meter tiefer gesetzt, so wie es sein Erbauer eigentlich auch vorgesehen hatte. Entfernt wird dagegen das barocke Kirchengestühl, um eine variable, ansteigende Sitzordnung mit modernen Stühlen zu ermöglichen. Für die historischen Bänke hat man aber bereits andere barocke Kirchen als Abnehmer gefunden. Entwickelt haben Rainer Schulz und Christian Fitzner das Raumkonzept auf der Basis bereits bestehender Konzertsaalkirchen in Ostdeutschland.
    "Selbstverständlich waren wir in Neubrandenburg. Und natürlich kenne ich die Konzertkirche in Halle und in Magdeburg. In Magdeburg ist sie akustisch nicht besonders, das kann man nicht anders sagen. Die Kirche in Halle ist akustisch ja gar nicht schlecht, da wird ja auch produziert und alles Mögliche gemacht."
    Eröffnung im November 2021 geplant
    Die Liebfrauenkirche in Wernigerode soll, wenn alles planmäßig läuft, in knapp zwei Jahren, am ersten Advent 2021 eingeweiht werden als Konzertsaal der Stadt, betrieben vom Kunst- und Kulturverein. Dienen soll sie, wünscht sich Chefdirigent Christian Fitzner, nicht nur seinem Philharmonischen Kammerorchester als Probe- und Spielstätte, sondern auch:
    "Der Region, dem überregionalen Konzertleben und eben auch dem überregionalen Kulturtourismus."