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Werz: Snowden spielt Putin in die Hände

Die Informationspolitik von Snowdens Anwalt unterstütze das große politische Ziel von Wladimir Putin, einen Keil zwischen Europäer und Amerikaner zu treiben, sagt der Sozialwissenschaftler Michael Werz vom Center for American Progress in Washington. Antiamerikanische Ressentiments würden die Diskussion um die Ausspähaffäre nicht weiterbringen.

Michael Werz im Gespräch mit Bettina Klein |
    Bettina Klein: Das Unverständnis, die gefühlte Demütigung, Empörung, Wut, ja Hass sind wegen der Ausspäh-Affäre im Augenblick die vorherrschenden Emotionen bei vielen in Deutschland mit Blick auf die USA. Währenddessen sorgten US-Geheimdienstvertreter am Wochenende wiederum für Stirnrunzeln mit der Bemerkung, natürlich spioniere man befreundete Regierungen aus und müsse das gegebenenfalls auch weiterhin tun. Michael Werz vom Center for American Progress in Washington, wie viel Verständnis sollte man denn dafür in Deutschland aufbringen?

    Michael Werz: Man muss Verständnis dafür aufbringen, dass die Vereinigten Staaten das tun, was jeder andere Staat auch tut, nämlich in einer komplizierten Welt versuchen, möglichst gute Informationen zur Grundlage der eigenen Politik zusammenzubringen. Allerdings scheint hier ein Kategorienfehler sich eingeschlichen zu haben über die vergangenen zehn Jahre bei der NSA, dass man nicht mehr ausreichend zwischen Freunden und Gegnern unterschieden hat und sich das System wegen mangelnder politischer und administrativer Kontrolle verselbstständigt hat in einer Art und Weise, die auch viele hier in Washington überrascht.

    Klein: Was ist denn Ihrer Meinung nach die Erklärung für diese komplett andere Haltung in der Frage?

    Werz: Das ist keine komplett andere Haltung, sondern man muss natürlich zurückblicken auf den 11. September, das einschneidende Erlebnis des Attentates hier auf die Vereinigten Staaten, in der Folge die Auseinandersetzungen in Irak und Afghanistan und auch eine Entfesselung, wenn man das so sagen will, der Überwachungstechnologien, die stattgefunden hat in den vergangenen zehn Jahren. Weder der rechtliche Rahmen, noch die politische Kontrollinstanzen haben mit den technischen Möglichkeiten mitgehalten und es hat auch wegen dieser Auseinandersetzung und der allgemeinen Stimmung nach dem 11. September hierzu wenig warnende Stimmen gegeben, die auf die Verhältnismäßigkeit geachtet haben. Ich glaube nicht, dass es hier einen grundsätzlichen Unterschied gibt zu europäischen oder lateinamerikanischen Ländern. Die Qualität ist natürlich eine andere. Die NSA hat einen Jahresetat, der ungefähr ein Drittel des französischen Militärbudgets beträgt. Das heißt, die Summen, das Personal und die Ressourcen, die hier auf amerikanischer Seite eingesetzt sind, sind enorm und damit geht auch ein höheres Maß an Verantwortung einher. Das ist genau die Diskussion, die wir jetzt in Washington haben und die wir auch führen müssen.

    Klein: Sie haben es angedeutet: Es wird ja teilweise hier bestritten, dass es etwas Ähnliches gibt in anderen Staaten. Sie haben die unterschiedliche Dimension dargestellt. Dennoch: Es wird hier sehr stark wahrgenommen als eine Art Demütigung und eine Art Respektlosigkeit, und zwar ganz gezielt von Deutschland aus mit Blick auf die Vereinigten Staaten. Wie wird diese Wahrnehmung eigentlich in Washington gesehen?

    Werz: Ich glaube, das ist relativ schwierig nachzuvollziehen aus der Washingtoner Perspektive. Da sollte man auch in Deutschland selbstbewusster mit der Sache umgehen. Es ist keine Frage, dass hier Linien, klare Grenzlinien überschritten worden sind. Das wird auch von der Mehrheit der vernünftigeren Leute hier in Washington so gesehen. Aber das in Kategorien von Demütigung, Respektlosigkeit und verletztem Ehrgefühl zu interpretieren, das ist doch ein wenig mit dem Beigeschmack des 19. Jahrhunderts versehen. Es geht hier um die Frage, wie können wir nationale Interessen definieren in einem Kontext und auch legitime Sicherheitsinteressen, sodass Alliierte, enge Freunde und Partner von den amerikanischen Möglichkeiten der Aufklärung partizipieren und davon profitieren und nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Ich würde sagen, es ist eher eine politische Frage als eine der Ehre und der Moral.

    Rahmenbedingungen für ein No-Spy-Abkommen
    Klein: Auf der politischen Ebene wird jetzt versucht, eine Einigung herzustellen. Geheimdienstchefs aus Deutschland sind im Augenblick in Washington, bemühen sich dort um ein No-Spy-Abkommen. Wie realistisch ist das Ihrer Meinung nach, wenn wir über etwas mehr sprechen als darüber, jetzt nur Industriespionage zu verhindern?

    Werz: Ich glaube, die deutschen Vertreter haben hier sehr viele offene Türen gefunden in Washington. Von daher ist im Prinzip erst einmal alles auf dem Tisch und alles kann diskutiert werden. Was für konkrete Abkommen dann letztlich daraus entstehen, ist eine Frage. Man ist ja auch noch nicht ganz sicher, in welcher Form das geschehen soll. Die deutsche Regierung und auch die brasilianische fahren ja im Moment mehrgleisig. Sie versuchen, sowohl über die Vereinten Nationen als auch bilateral mit den Vereinigten Staaten hier voranzukommen. Ich persönlich denke, dass eine europäische und eine deutsch-amerikanische Diskussion hier der richtige Weg ist, und bin eigentlich ganz zuversichtlich, dass man auch im Weißen Haus sich darüber im Klaren ist, dass hier vielleicht ein bilaterales Abkommen auch in verbindlicher Form, was sowohl Wirtschafts- als auch Regierungsspionage angeht, nicht nur richtig und politisch sinnvoll ist, sondern auch längerfristig im Interesse der Vereinigten Staaten und einer stabilen transatlantischen Struktur.

    Klein: Und wie nahe sind die Vereinigten Staaten jetzt an einer Reform der Geheimdienste, die der Präsident ja am 9. August schon angekündigt hat? Es heißt jetzt so ein bisschen, er sei innenpolitisch zu schwach, um sich da stärker zu positionieren und um es auch mit den Geheimdiensten aufzunehmen. Stimmt das?

    Werz: Nein, das stimmt nicht. Der Präsident hat hier eine sehr weit reichende Autorität, von der er auch Gebrauch machen wird. Es gibt zwei Kontrollgremien, die jetzt eingerichtet worden sind: eines innerhalb des parlamentarischen Systems, eines innerhalb des National Security Council, also der Sicherheitsstrukturen der US-amerikanischen Regierung. Diese Ergebnisse muss man abwarten. Es ist ja eine komplizierte Angelegenheit. Es ist leicht und richtig zu sagen, dass die Tatsache, dass hier private oder auch dienstliche Telefongespräche von engen Verbündeten abgehört werden, eine Sache ist, die sich kaum vertreten und argumentieren lässt. Auf der anderen Seite befinden wir uns natürlich in einer globalen Situation, in der es wichtig ist, sich auf der Höhe der gegenwärtigen Bedrohungsszenarien zu befinden. Und ich glaube, die Schlüsselfrage ist die, ob es legitim ist und wenn ja, in welchem Umfang und mit welchem politischen und gesetzlichen Rahmenwerk, Daten zu sammeln, ohne dass es einen konkreten Anfangsverdacht gibt. Das ist das große Dilemma. Das Argument der Geheimdienstleute ist, wenn man die Nadel im Heuhaufen finden will, muss man erst mal einen Heuhaufen kreieren. Das ist offensichtlich außer Kontrolle geraten. Auf der anderen Seite gibt es legitime Sicherheitsinteressen, die nicht nur die USA, sondern auch Deutschland, Europa und Lateinamerika betreffen, die hiermit natürlich in Verbindung stehen. Also ich würde sagen, einfach einmal Luft holen und in Ruhe die Details diskutieren, damit wir zu einem vernünftigen Ergebnis kommen.

    Werz: Politische Kritik verbindet sich mit antiamerikanischen Ressentiments
    Klein: Die ganzen Informationen, die wir jetzt haben, verdanken wir ja Edward Snowden, und der wird in Deutschland im Augenblick gefeiert als der große Held. Wie kommt das eigentlich in den USA an im Augenblick?

    Werz: Das kommt nicht so gut an, weil Edward Snowden natürlich einen Diensteid abgeleistet hat, der ihm die Möglichkeit gab, in dem Kontext zu arbeiten, in dem er Zugang zu diesen Informationen hat. Diesen Eid hat er gebrochen und damit hat er sich strafbar gemacht. Unabhängig davon würden viele hier in den USA auch der Tatsache zustimmen, dass wir eine Diskussion jetzt am Hals haben, die wir führen müssen und die auch letztlich gesund und wichtig ist für das Land. Was ein bisschen Bedrückung und Sorgen hervorruft hier auf der amerikanischen Seite ist, dass gerade in Deutschland, aber auch in Ländern wie Brasilien sich jetzt die berechtigte und legitime politische Kritik mit einem doch recht massiven antiamerikanischen Ressentiment verbindet, das ja durchaus auch stark eingeschrieben ist in besonders deutsche Politiktraditionen, und das ist natürlich dann ein Gebiet, in dem erheblicher Schaden angerichtet werden kann, wenn die Diskussion vergiftet wird durch Leute, die eigentlich weniger an der Sache interessiert sind und mehr daran, eine antiimperialistische Diskussion über die schrecklichen Vereinigten Staaten zu führen. Dann befinden wir uns natürlich in einem Kontext, der nur noch sehr schwer zu vernünftigen Ergebnissen führen kann.

    Klein: Was im Augenblick sehr heiß hier in Deutschland diskutiert wird, ist die Frage nach einem Asyl für Edward Snowden, und das wird gar nicht mehr als Frage diskutiert, sondern von sehr vielen Politikern und Medien geradezu gefordert. Die Bundesregierung gibt sich im Augenblick zögerlich, die geschäftsführende Bundesregierung, muss man sagen, eben mit Blick auf die bestehenden deutsch-amerikanischen Beziehungen. Was wären denn die konkreten Folgen, wenn Deutschland Edward Snowden Asyl gewähren würde?

    Werz: Das ist Spekulation. Aber es würde mit Sicherheit keine Freudentänze hier in Washington nach sich ziehen, sondern das Gegenteil. Man muss sich ja auch darüber im Klaren sein, dass Edward Snowden, der sich als Aufklärer gibt, sich in Moskau befindet, von einem Anwalt beraten wird, der sehr enge Kontakte zum russischen Geheimdienst hat und die Informationen natürlich auf eine Art und Weise veröffentlicht werden, die möglichst großen Schaden anrichten, nicht nur für die USA, sondern auch dazu angetan sind, das große politische Ziel von Präsident Putin zu erreichen, nämlich einen Keil zwischen die Europäer und die Amerikaner zu treiben. Das heißt, man muss diesen größeren Kontext sehen und sich nicht nur überlegen, wie würden die Amerikaner reagieren, sondern sich auch fragen, wenn man einen Schritt zurücktritt, ist das wirklich im längerfristigen deutschen Interesse, sich dazu zu entschließen.

    Klein: Um abschließend dabei noch kurz zu bleiben, das wird ja auch inzwischen schon von einigen hier gefordert, eine Freihandelszone mit Russland und China einzurichten, um sich von den Vereinigten Staaten abzugrenzen. Wie gefährlich oder wie sinnvoll ist eine solche Idee?

    Werz: Nun ja, es ist eine unterhaltsame Diskussion. Jeder kann jede Dummheit debattieren, die er oder sie für richtig hält. Ich denke, die größere Frage ist hier die, unabhängig von der berechtigten und legitimen Kritik an dem, was hier außer Kontrolle geraten ist in Washington. Die größere und umfassendere Frage ist die, in welcher Welt wollen wir leben zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in einer Welt, die im Großen und Ganzen sich nach demokratischen Spielregeln, gesetzlichen Strukturen und freundschaftlichen Verhältnissen orientiert, oder in einer Welt, die dominiert ist von Moskau und Peking. Diese Entscheidung muss man treffen, aber die muss man dann auch in der Lage sein, politisch zu vertreten und die Konsequenzen zu akzeptieren.

    Klein: Im Deutschlandfunk heute Morgen die Meinung von Michael Werz vom Center for American Progress in Washington, eine Denkfabrik, die inhaltlich der demokratischen Partei nahesteht. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.