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West-Nil-Virus in Deutschland
"Es ist nicht möglich, das Virus zurückzudrängen"

Bisher sind nur zehn Vögel und ein Pferd in Deutschland am West-Nil-Virus gestorben. Dennoch rät der Tropenmediziner Jonas Schmidt-Chanasit dazu, Blutprodukte auf den Erreger zu testen. Denn unter bestimmten Umständen sei es auch möglich, dass Menschen an dem Virus sterben, sagte Schmidt-Chanasit im Dlf.

Jonas Schmidt-Chanasit im Gespräch mit Christiane Knoll |
    Eine Stechmücke krabbelt am 18.02.2013 in Weinheim (Baden-Württemberg) an der Wand eines Kellers.
    Eine Zurückdrängung des West-Nil-Virus sei nur möglich, wenn man Stechmücken dezimiere, sagte der Tropenforscher Jonas Schmidt-Chanasit im Dlf (picture-alliance / Uwe Anspach)
    Christiane Knoll: Vier Wochen nach dem bundesweit ersten Fall ist das West-Nil-Virus jetzt auch in Rostock aufgetaucht. Eine Amsel ist daran verendet. Jonas Schmidt-Chanasit ist Tropenmediziner am Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg und er sagt jetzt: Wir sollten uns so langsam überlegen, ob wir Blutkonserven in Zukunft flächendeckend nicht auch auf West-Nil und das verwandte Usustu-Virus testen müssen. Warum er zu diesem Schluss kommt, das habe ich mir heute Vormittag erklären lassen. Herr Schmidt-Chanasit, vielleicht bringen Sie uns erst einmal auf den neuesten Stand. Wie ist die Lage aktuell, wie viele Vögel sind wo am West-Nil-Virus gestorben?
    Jonas Schmidt-Chanasit: Aktuell haben wir bei zehn Vögeln den Nachweis erbringen können und bei einem Pferd. Insbesondere sind die östlichen Bundesländer betroffen, also Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Brandenburg, Thüringen bisher noch nicht. Und es gibt auch einen Nachweis in Bayern, in der Umgebung von München - das ist der aktuelle Stand.
    "Viele Stechmücken tragen das Virus in sich"
    Knoll: Das wäre also ganz Ostdeutschland, Südostdeutschland, bis hoch in den Norden. Es sind aber nur acht Vögel und ein Pferd, das ist nicht viel. Und trotzdem sagen Sie, wir sollten Blutprodukte in Zukunft auf das Virus testen. Warum?
    Schmidt-Chanasit: Ja, die Verbreitung, die Weiterverbreitung in nahezu fast allen östlichen Bundesländern als auch in Bayern lässt darauf schließen, dass es einen hohen Infektionsdruck gibt. Das heißt, dass eine Vielzahl von Stechmücken das Virus in sich tragen müssen. Dadurch besteht natürlich die Möglichkeit, dass sich auch eine ganze Reihe von Menschen mit dem Virus infiziert haben, und das wollen wir ja verhindern, dass diese Menschen, die sich mit diesem Virus infizieren, natürlich Blut spenden, das sollte nicht passieren.
    Knoll: Wie gefährlich ist denn das West-Nil-Virus für den Menschen?
    Schmidt-Chanasit: Eigentlich ist das gar nicht so gefährlich, 80 Prozent der Infizierten bemerken das nämlich gar nicht, dass sie infiziert sind. Das heißt, sie bekommen keine Symptome, nur ein geringer Anteil, also 20 Prozent erkranken mit einer relativ leichten Symptomatik, das heißt Fieber, Hautausschlag, Unwohlsein. Von diesen 20 Prozent ist es nur ein ganz geringer Anteil, ungefähr ein Prozent, die dann wirklich diese schweren Verläufe bekommen, die dann auch tödlich enden können, wie wir eben in Südeuropa gerade dieses Jahr sehen. Also, ein Prozent der Infizierten haben diese schweren Verläufe, die mit einer Gehirnentzündung einhergehen können.
    Insbesondere sind eben ältere Personen von diesen schweren Verläufen betroffen, die meist eine Vorerkrankung haben. Die sind also besonders gefährdet. Oder eben auch Immunsupprimierte, und da kommen wir natürlich dann wieder auf die Blutspenden zu sprechen. Wer bekommt denn diese Bluttransfusionen, das sind oftmals eben auch schwer kranke Patienten.
    "Das große Bild fehlt uns leider"
    Knoll: Das heißt, es sind wenige Menschen vermutlich betroffen, die aber mit tödlichen Folgen unter Umständen. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Blutprodukt wirklich mit dem Virus befallen ist. Man findet nur ganz, ganz wenige Vögel und trotzdem sagen Sie, das Virus ist vermutlich ganz weit verbreitet. Können Sie uns das noch mal kurz erklären?
    Schmidt-Chanasit: Das ist natürlich immer nur die Spitze vom Eisberg, die wir sehen. Es gibt ja kein flächendeckendes Monitoring in Deutschland. Dieses Jahr, wo wir eine Vielzahl von Stechmücken fangen, diese untersuchen können, auch bei den Vögeln ist das ja nicht so. Wir sind ja dort auf die Einsendungen von Privatpersonen angewiesen, die quasi eine tote Amsel, einen anderen toten Vogel im Garten finden oder eben die toten Vögel, die in den Zoos auffällig gewesen sind. Das sind ja nur, sage ich mal, Einzelfunde.
    Das heißt, das große Bild, das fehlt uns leider, aber alleine die geografische Verbreitung von Mecklenburg-Vorpommern bis nach Sachsen ist ein Beweis dafür, dass es sich nicht um ein singuläres Event, um eine einzelne Einbringung handelt, sondern dass das Virus mehrmals, auf verschiedenen Wegen, nach Ostdeutschland und eben auch nach Bayern eingebracht wurde. Dass es sich natürlich vor Ort auch schon massiv vermehrt haben muss, sonst wäre es ja gar nicht möglich, dass sich eben gekäfigte Vögel in den zoologischen Gärten infizieren.
    "Es ist nicht möglich, das Virus zurückzudrängen"
    Knoll: Bevor wir uns jetzt einrichten auf dieses neue Virus – können wir irgendetwas tun, um das West-Nil-Virus wieder zurückzudrängen?
    Schmidt-Chanasit: Nein. Das Virus zurückzudrängen ist eben nicht möglich. Es gibt einen Impfstoff für Tiere, da kann man natürlich die Pferde schützen. Für den Menschen nicht, es ist auch keine antivirale Therapie vorhanden. Das, was man machen kann, ist eben, in Extremsituationen, wenn zum Beispiel eine Massenvermehrung der Stechmücken stattfindet, wenn die Bedingungen sehr günstig sind, es sehr warm ist, kann man natürlich eine professionelle Stechmückenbekämpfung durchführen. Wenn man die Stechmücken bekämpft, kann man natürlich den Infektionsdruck senken, es gibt dann einfach weniger Stechmücken, die Viren in sich tragen.
    Das wäre eine Maßnahme, die man ergreifen kann. Oder eine andere ist, dass man so eine Art Frühwarnsystem dauerhaft entwickelt, wo man also wirklich sehr, sehr viele Stechmücken untersucht, dann weiß man, wo sind die Hotspots, dann geht man darein, um eben diesen Infektionsdruck und damit die Infektionsgefahr für die Menschen zu verringern.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.