Archiv

Westbalkan-Konferenz
"Balkan braucht mehr Unterstützung"

Vor der Konferenz von Vertretern der Westbalkanstaaten mit der EU hat Kosovos Außenminister Enver Hoxhaj mehr Hilfe für die Region gefordert. Die Aufmerksamkeit der EU liege aktuell verstärkt auf der Krise in der Ukraine, sagte Hoxhaj im Deutschlandfunk. Die Konferenz setze Westbalkan wieder auf die Agenda der EU.

Enver Hoxhaj im Gespräch mit Peter Kapern |
    Kosovos Außenminister Enver Hoxhaj
    Kosovos Außenminister Enver Hoxhaj (afp / Rene Gomolj)
    Der Balkan benötige mehr Aufmerksamkeit und mehr Unterstützung von Seiten der EU, sagte Hoxhaj. "Natürlich heißt das auch mehr wirtschaftliche Unterstützung." Die Konferenz stelle ein neues Kapitel in der Geschichte des Balkan dar. Sein Land hoffe auf eine neue Dynamik für die Region und neue Akzente in den Beziehungen zur EU.
    Die Balkanregion sei keine Krisenregion mehr. "Es herrscht dort Frieden", sagte Hoxhaj. "Heute gibt es gute Beziehungen zwischen einzelnen Ländern." Es gebe aber auch noch offene Fragen, wie die Versöhnung zwischen Serbien und Kosovo.

    Das vollständige Interview mit Enver Hoxhaj:
    Peter Kapern: Europas Politiker sind in diesen Tagen geübt in Krisenpolitik: Die Ukraine, der Irak, Syrien, allesamt Krisenregionen, mit denen sich die EU beschäftigt. Eine Region, die auch lange Zeit als Krisenregion gegolten hat, fehlt in dieser Aufzählung: der westliche Balkan. Das hat damit zu tun, dass mancher Konflikt, der dort herrschte, zumindest ein wenig entschärft werden konnte, aber auch damit, dass andere Konfliktherde einfach derzeit das Geschehen auf dem westlichen Balkan überlagern. Die Probleme auf dem Balkan sind damit aber nicht vom Tisch: Bosnien-Herzegowina, ein kaum funktionierender Staat, Mazedonien, ein Land, das mit dem Nachbarn Griechenland um seinen Namen streitet, und der Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo um die Unabhängigkeit des Kosovo ist auch noch nicht endgültig beigelegt. Wenn die Länder des westlichen Balkans eines gemeinsam haben, dann ist es das Versprechen Brüssels, eines Tages der EU angehören zu können. Heute richtet die Bundesregierung eine große Westbalkan-Konferenz aus.
    In Berlin am Telefon ist nun Enver Hoxhaj, der Außenminister des Kosovo. Guten Morgen!
    Enver Hoxhaj: Guten Morgen!
    "Deutschland spielt eine unglaublich wichtige Rolle"
    Kapern: Herr Minister, es ist ja noch gar nicht lange her, da haben einige der Länder, deren Regierungen da heute mit am Tisch sitzen, noch gegeneinander Krieg geführt. Wie würden Sie die Gruppe, die da heute an der Konferenztafel teilnimmt, beschreiben? Sind das Gegner, Feinde, gute Nachbarn, oder von allem etwas?
    Hoxhaj: Genau das, wie Sie es auch vorher in Ihrem Beitrag beschrieben haben. Die Region ist nicht mehr eine Krisenregion. Es herrscht dort Frieden. In den letzten 20 Jahren haben es die Europäische Union und die Vereinigten Staaten geschafft, praktisch die Region zu transformieren, und heutzutage gibt es gute Beziehungen zwischen verschiedenen Ländern in der Region. Aber gleichzeitig gibt es auch offene Fragen, Fragen wie die Normalisierung der Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien, die Namensfrage zwischen Mazedonien und Griechenland, Athen und Skopje, aber auch die Verhältnisse zwischen Entitäten in Bosnien. Alle diese offenen Fragen bedrohen die Region, einen weiteren Status quo zu bekommen, wo es keine Dynamik, keine positiven Entwicklungen gibt. Abgesehen davon gibt es dann auch andere Fragen, die typisch für jeden Staat sind, wie etwa die Versöhnung zwischen Gesellschaften, zwischen ethnischen Gruppen, zwischen Staaten, die wirtschaftliche Entwicklung, die es nicht gibt, wie wir es wünschen, Mangel an Investoren, Minderheitenrechte, Medienfreiheit. Alle diese Fragen sind Fragen, die den Balkan betreffen, und deswegen stellt die Konferenz, die heute stattfindet, praktisch einen großen neuen Abschnitt in der Balkan-Geschichte dar, weil zunächst einmal ein großes Treffen zwischen Europäischer Union und Westbalkan stattfindet, und dabei spielt Deutschland eine unglaublich wichtige Rolle und die Hoffnung liegt praktisch in Berlin.
    Kapern: Herr Hoxhaj, Sie haben gerade beschrieben, welche Probleme dort auf dem Westbalkan noch herrschen, aber Sie haben auch gesagt, es herrscht dort nun Frieden. Diese Probleme, sind sie so groß, dass sie auch den Frieden noch einmal bedrohen könnten, oder glauben Sie, dass ein Rückfall in Gewalt ausgeschlossen ist?
    Hoxhaj: Ich glaube nicht, dass solche Entwicklungen wirklich ethnische Konflikte auslösen können, oder Kriege auslösen können, die wir vor 20 Jahren erlebt haben. Ich glaube, diese Ereignisse stehen hinter uns. Aber das, was Balkan ja braucht, ist mehr Aufmerksamkeit, mehr Unterstützung und mehr Fokus an kritischen Reformen, die für die Region und für die jeweiligen Länder unglaublich wichtig sind.
    "Der Prozess ging unglaublich langsam"
    Kapern: Mehr Unterstützung, heißt das auch mehr Geld?
    Hoxhaj: Natürlich heißt das auch mehr wirtschaftliche Unterstützung. Es gibt in den letzten Monaten eine Art Eindruck, dass nach der Krise in der Ukraine, nach der Krise im Osten irgendwie nicht mehr die Aufmerksamkeit der Europäischen Union auf den Balkan ist, und die Konferenz setzt praktisch den westlichen Balkan wiederum auf die europäische Agenda. Wenn wir vergleichen, was in den letzten zehn Jahren geschehen ist im Sinne von Erweiterung in Osteuropa, wo es zwölf Länder gegeben hat, die Mitglied der Europäischen Union wurden, abgesehen von Kroatien, das im letzten Jahr die Mitgliedschaft ja bekam, so ging der Prozess unglaublich langsam. Es wurde verlängert, es ist komplizierter, und deswegen hoffen wir, dass diese Konferenz neue Akzente, neue Dynamik setzen wird. Das ist unglaublich wichtig und ich glaube, das kann die Bundeskanzlerin Merkel machen und das kann Deutschland machen, wie es auch in der Vergangenheit bewiesen worden ist, wo es eine deutsche Unterstützung ja gab, wo bestimmte Fragen und Probleme auch gelöst worden sind.
    "Wir brauchen eine europäische Einheit"
    Kapern: Nun haben ja alle Westbalkan-Staaten die Zusage in der Tasche – wir haben das eben in dem Beitrag erläutert -, irgendwann der EU angehören zu können. Gleichzeitig ist es aber so, dass Ihr Land, das Kosovo, als unabhängiges Land noch immer von fünf EU-Staaten nicht anerkannt worden ist, nicht einmal anerkannt worden ist. Was ist die Beitrittszusage vor diesem Hintergrund in Ihren Augen wert?
    Hoxhaj: Ich glaube, die Tatsache, dass es noch fünf Staaten gibt, die Kosovo nicht anerkannt haben, spricht dafür, dass alle anderen Mitgliedsstaaten mehr und mehr Druck auf diese fünf Staaten machen müssen, damit die Europäische Union ihre Stärke gegenüber Kosovo und gegenüber der Region zeigt. Wir brauchen eine europäische Einheit, was Kosovos Anerkennung betrifft. Gleichzeitig sind wir unglaublich stolz, dass wir in den letzten beiden Jahren geschafft haben, Verhandlungen mit der Europäischen Union zu führen und ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen. Das ist der erste Schritt für Kosovo auf dem Weg zur europäischen Integration, trotz der Tatsache, dass es Länder gibt, die Kosovo nicht anerkannt haben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht länger dauern wird, dass einige von diesen fünf Ländern, die Kosovo nicht anerkannt haben, es tun werden, und die stellen nicht eine Gruppe gegen Kosovo hervor, aber die hatten unterschiedliche Gründe, warum sie bisher keine Entscheidungen getroffen haben.
    Rückkehr zu Europa
    Kapern: Herr Hoxhaj, ganz kurz noch zum Schluss. Es gibt ja auch Leute, die bezweifeln, dass Ihr Land wirklich so dringend in die EU will, jedenfalls die politischen Eliten Ihres Landes, weil denen unterstellt wird, sie seien in korrupte Netzwerke verstrickt. Wer vom politischen Führungspersonal verspürt eigentlich im Kosovo einen dringenden Beitrittswunsch?
    Hoxhaj: Es gibt kein anderes Land auf dem Balkan, wo sowohl die Elite, sowohl die Führungsschicht als auch die Bevölkerung sehr dafür sind, was die europäische Integration von Kosovo betrifft. Für uns ist das eine Rückkehr zu Europa. Kosovo ist im Sinne von Geschichte, im Sinne von Geografie und Kultur ein europäisches Land. Wir waren stets ein europäisches Land und deswegen war das, was wir in den letzten sieben Jahren gemacht haben, Reformen zu unternehmen, die Kosovo ermöglichen würden, das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen so schnell wie möglich zu unterzeichnen. Natürlich haben wir ziemlich spät damit angefangen, weil Kosovo der letzte Staat ja ist, der unabhängig wurde, und das hatte auch in unserer Dynamik Auswirkungen, was die europäische Integration des Landes betrifft.
    Kapern: Enver Hoxhaj war das, der Außenminister des Kosovo, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Hoxhaj, danke, dass Sie Zeit für uns hatten. Ich habe ein wenig gedrängelt, weil die Nachrichten gleich nahen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und eine gute Konferenz in Berlin.
    Hoxhaj: Danke schön! Alles Gute!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.