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Westbalkan-Länder und die EU
"Enorme Fortschritte von Albanien und Nordmazedonien"

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat die Annäherung von Albanien und Nordmazedonien an den EU-Binnenmarkt begrüßt. Allerdings seien noch nicht alle nötigen Ziele erreicht, um für eine EU-Mitgliedschaft in Frage zu kommen, sagte Altmaier anlässlich der Westbalkan-Konferenz im Dlf.

Peter Altmaier im Gespräch mit Christoph Heinemann |
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier beim Westbalkangipfel in Posen.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) erklärte, man bräuche sichere rechtsstaatliche Bedingungen in den Westbalkan-Ländern (Imago)
Christoph Heinemann: In Posen, polnisch Poznan, tagt seit gestern die Westbalkan-Konferenz. Dieses Format wurde 2014 von Deutschland ins Leben gerufen und soll die Balkanländer an eine künftige Mitgliedschaft in der EU heranführen. Zu den Teilnehmerstaaten zählen Serbien, Albanien, Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und das Kosovo sowie zehn EU-Länder. Bei der Unterstützung der Balkanstaaten spielen auch sicherheitspolitische und wirtschaftliche Interessen der EU eine Rolle.
Angela Merkel wird heute in Posen erwartet. Bis gestern wurde Deutschland bei dieser Konferenz von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) vertreten, den wir vor einer Stunde in Helsinki erreicht haben. Die Begrüßung haben Sie gerade schon gehört und hören Sie jetzt noch einmal. – Guten Morgen, Herr Altmaier!
Peter Altmaier: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Ist die EU gegenwärtig in der Lage, neue Länder aufzunehmen?
Altmaier: Das ist die falsche Frage. Die Frage ist, ob die EU in der Lage ist, Stabilität in Europa mit voranzubringen, anderen Ländern zu helfen, sich an die Standards unseres Binnenmarktes anzugleichen, und dadurch, durch Handel und Annäherung, auch Chancen für die deutsche und für die europäische Wirtschaft zu eröffnen.
Das ist eindeutig ja, und gerade jetzt, wo eine neue EU-Kommission gebildet wird, wo sich vieles in Brüssel neu sortiert, ist es wichtig, dass wir die bewährten Formate fortsetzen. Dieser Prozess ist von Deutschland initiiert worden vor fünf Jahren. Er hat große Erfolge in den letzten Monaten und Jahren gebracht und deshalb muss er fortgesetzt werden.
Heinemann: Aber die EU muss Länder auch integrieren können. Insofern ist es vielleicht doch die richtige Frage. Ist die EU in der Lage, Länder aufzunehmen?
Altmaier: Die Reihenfolge, Herr Heinemann, ist eine ganz andere. Wir haben mit einer Reihe von Westbalkan-Staaten Beitrittsverhandlungen begonnen, und die Frage, ob und wann diese Staaten der EU beitreten können, hängt in erster Linie davon ab, ob und wann diese Verhandlungen erfolgreich beendet sind. Es gibt keinen politischen Rabatt.
Es müssen bei allen Beitrittsverhandlungen immer große Anforderungen erfüllt werden von den Ländern, die beitreten wollen, und die Europäische Union muss sich selbstverständlich ihrerseits die Frage stellen, wie sie selbst vorbereitet ist. Aber dieser Prozess, der seit vielen Jahren läuft, der geht erst einmal weiter, und die europäischen Institutionen haben sich dazu mehrfach klar positioniert.
"Nationalismus ist die falsche Herangehensweise"
Heinemann: Serbien ist zum Beispiel sehr stark von Nationalismus geprägt. Benötigt die EU mehr Nationalisten?
Altmaier: Nein! Aber die EU muss dazu beitragen, dass die Ethnien und die Bevölkerungsgruppen in der Region sich stärker miteinander versöhnen, damit Spannungen abgebaut werden, damit wirtschaftlicher Aufschwung möglich wird. Wir haben mit Serbien unseren bilateralen Handel in den letzten vier, fünf Jahren fast verdoppelt, ebenso mit dem Kosovo und mit Mazedonien, mit Nordmazedonien, und wenn ich beispielsweise im Oktober neben Kroatien auch Serbien besuchen werde, wird genau das meine Botschaft sein. Nationalismus ist die falsche Herangehensweise.
Wir brauchen in allen Westbalkan-Ländern im Übrigen nicht nur Toleranz; wir brauchen sichere rechtsstaatliche Bedingungen. Wir brauchen unabhängige Gerichte. Es muss die Korruption bekämpft werden. Darüber reden wir unter Freunden. Und die Notwendigkeit, dies zu tun, die ergab sich auch im Vorgriff auf die Osterweiterung vor 15 Jahren. Die ergab sich bei anderer Gelegenheit und es geht darum, dass die Europäische Union an ihrer Südostgrenze mit dazu beiträgt, dass Stabilität besteht.
Heinemann: Herr Altmaier, Sie haben davon gesprochen, dass die Länder des Westbalkans in den EU-Binnenmarkt einbezogen werden sollten. Warum reicht das nicht aus? Warum muss es eine Mitgliedschaft sein?
Altmaier: Noch einmal: Die Europäische Union hat ja in vielen Fällen Beitrittsanträge erhalten von anderen Staaten um sie herum. In manchen Fällen wird über diese Anträge verhandelt und geredet; in anderen Fällen wie der Türkei zum Beispiel liegen die Verhandlungen seit Jahren auf Eis. Und es gibt wiederum andere Fälle, in denen wir mit den Staaten nicht verhandeln, obwohl sie dies möchten.
Das sind Entscheidungen, die treffen die Staats- und Regierungschefs und der Ministerrat der Europäischen Union, die Mitgliedsstaaten gemeinsam mit der Europäischen Kommission, und selbstverständlich muss immer wieder überprüft werden, wo wir stehen, wie die Fortschritte sind. Das wird Aufgabe der neuen EU-Kommission sein und das sollten wir in Ruhe abwarten.
Europäische Union muss mit einer Stimme sprechen
Heinemann: Nun hat Polens Außenminister Czaputowicz sich gegen ein Hinauszögern des Beginns von EU-Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien ausgesprochen. Sollte man da auch rasch loslegen?
Altmaier: Noch einmal: Ich glaube nicht, dass es meine Aufgabe als Wirtschaftsminister ist, Empfehlungen zu geben über Entscheidungen, die auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs letzten Endes vorbereitet werden und von der Kommission als Ganzes getroffen werden. Die Europäische Union muss mit einer Stimme handeln; das wird zurecht von uns erwartet.
Als Wirtschaftsminister möchte ich allerdings, dass es in all diesen Ländern eine stabile wirtschaftliche Entwicklung gibt, und egal wann und unter welchen Voraussetzungen ein Beitritt vielleicht irgendwann stattfindet, muss sichergestellt sein, dass die Menschen in der Region eine Perspektive haben auf einen bescheidenen Wohlstand, auf Teilhabe am Wirtschaftswachstum, auf Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze.
Deshalb arbeiten wir auch sehr eng zusammen mit diesen Ländern. Wir haben zum Beispiel eine Einkaufskonferenz organisiert. Wir haben einen Digitalgipfel ins Leben gerufen, der dazu geführt hat, dass ehemals verfeindete Länder jetzt ein Roaming-Abkommen geschlossen haben. Wir bilden junge mittelständische Unternehmen aus im Bereich der beruflichen Bildung. Das sind konkrete Schritte. Die politischen Entscheidungen, die fallen andernorts. Dafür interessiert sich auch der Deutsche Bundestag und seine Fraktionen, und das ist in Frankreich oder Italien ganz genauso.
Heinemann: Dann gezielt die Frage an den Bundeswirtschaftsminister: Sind Albanien und Nordmazedonien wirtschaftlich fit für die EU?
Altmaier: Nein. Das ist im Augenblick eine Frage, die man sicherlich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht mit Ja beantworten kann. Allerdings sehen wir, dass diese Länder enorme Fortschritte gemacht haben. Die Wirtschaft in diesen Ländern ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen und die Annäherung an das, was wir europäischer Binnenmarkt nennen, hat stattgefunden. Allerdings sie hat noch nicht ein Niveau erreicht, wo der Bundeswirtschaftsminister sagen könnte, das ist jetzt das Ziel, das wir uns gesetzt haben.
"Es ist keine gezielte Strategie gegen US-Unternehmen"
Heinemann: Herr Altmaier, Frankreich, Polen und Deutschland bilden zusammen das sogenannte Weimarer Dreieck und schlagen nun in einem gemeinsamen Papier vor, die Wettbewerbspolitik der EU zu modernisieren. Ein Ziel: Kleine junge Unternehmen vor großen Technologiekonzernen schützen. Was schwebt Ihnen vor?
Altmaier: Ja. Erst einmal ist es so, dass wir die Wirtschaftsdebatte stärker in den Mittelpunkt rücken müssen. Ich habe dafür eine Industriestrategie vorgelegt. Da haben wir gemeinsam mit Frankreich bereits vor einigen Monaten ein Manifest veröffentlicht. Ein wichtiger Bereich aus diesem Manifest, nämlich die Wettbewerbspolitik, die haben wir jetzt gemeinsam mit Polen zu einer Initiative ausgearbeitet.
Wir wollen erreichen, dass das Wettbewerbsrecht modernisiert wird, dass junge Unternehmen, Startups, die im Normalfall eigentlich keine Chance hätten, weil der Markt schon von den großen Internetunternehmen Google, Amazon, Microsoft, Apple erobert worden ist, dass wir diesen Unternehmen eine Chance geben. Dafür haben wir in Deutschland eine Kommission "Wettbewerbsrecht 4.0" eingesetzt.
Wir wollen aber auch, dass beim europäischen Wettbewerb, bei den Wettbewerbsentscheidungen künftig stärker globale Aspekte, globaler Wettbewerb berücksichtigt werden können. Das ist eine Initiative, die zeigt erstens: Polen, Deutschland, Frankreich sind gemeinsam handlungsfähig. Zweitens: Wettbewerbspolitik ist wichtig für Arbeitsplätze. Und drittens: Es geht nicht um einen grundlegenden Politikwechsel, sondern um eine Weiterentwicklung der bestehenden Rechtsnormen im Hinblick auf das, was andere Länder im Rahmen der Globalisierung vorhaben und auch umsetzen.
Heinemann: Sie haben Google, Amazon, Apple und Microsoft genannt. Ist das eine gezielte Strategie gegen US-Unternehmen?
Altmaier: Nein, es ist keine gezielte Strategie gegen US-Unternehmen. Aber im Zeitalter der Digitalisierung werden große Internet-Plattformen in Zukunft immer wichtiger, weil Händler beispielsweise kaum eine Chance haben, ihre Waren global zu vermarkten, wenn sie nicht auf einer dieser Plattformen gelistet sind.
Wir sind der Auffassung, dass es auch dort wie anderswo nach Möglichkeit keine Monopole geben soll, dass Wettbewerb gewährleistet sein muss, fairer Wettbewerb, und natürlich, dass Europa aufholen muss bei der Digitalisierung. Wir müssen einfach besser werden. Wir müssen erreichen, dass sich solche Unternehmen auch in Europa bilden, und das war das Ziel unserer Besprechungen. Und dass wir da einig geworden sind, erhöht unsere Chancen signifikant, dass wir auch zu einer gemeinsamen europäischen Industriestrategie noch in diesem Jahr oder Anfang nächsten Jahres spätestens kommen können.
"Ich glaube, das versteht jeder Bürger in Deutschland"
Heinemann: Haben Sie das Papier schon an Ursula von der Leyen geschickt?
Altmaier: Ich glaube, dass Ursula von der Leyen sehr viele Papiere von ganz vielen Leuten im Augenblick erhält. Ich bin hier in Helsinki und gestern in Polen überall auch angesprochen worden und es überwiegt eindeutig in Europa die Erleichterung, dass diese schwierige Führungskrise gelöst worden ist.
Ich finde es schade, dass Manfred Weber und Frans Timmermans in dieser Weise in den Mittelpunkt gerückt wurden, ohne dass sie am Ende dieses Amt bekommen konnten, aber wir haben ein überzeugendes Personalpaket. Es werden große Hoffnungen auf Ursula von der Leyen gesetzt und ich würde mir wünschen, dass wir auch in Deutschland fähig und imstande wären, sie gemeinsam und geschlossen zu unterstützen, nicht nur CDU/CSU, sondern auch SPD, Grüne und FDP.
Heinemann: Wären Sie gern EU-Kommissionspräsident geworden?
Altmaier: Auf theoretische Fragen pflege ich, keine Antworten zu geben.
Heinemann: Die war ganz konkret!
Altmaier: Wir haben als CDU/CSU ganz konkret Manfred Weber unterstützt und als deutlich wurde, dass es für ihn leider keine Chance gab, aber für Ursula von der Leyen, haben wir genauso entschlossen diese Chance wahrgenommen. Ich glaube, das versteht jeder Bürger in Deutschland. Es geht darum, dass wir europäische und deutsche Interessen unter einen Hut bringen, und das ist auch mein wichtigstes Anliegen, seit ich Politik mache.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.