Hätte die Bundesregierung eine Initiative wie die groß angelegte Balkankonferenz gestartet, wenn man zu Beginn der Planungen Anfang des Jahres geahnt hätte, in welchem Maß auch dieser Tage wieder die Krisen im Nordirak und der Ukraine alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen? Da hatte mancher in den letzten Tagen seine Zweifel. Doch gerade vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Konflikte wurde am Nachmittag im Kanzleramt deutlich, warum es so bemerkenswert ist, dass die Regierungschefs einst verfeindeter Staaten wie Serbien, Kosovo und Albanien, labiler Demokratien wie Bosnien Herzegowina, aufstrebender Lände wie Mazedonien und Montenegro sowie die EU-Neumitglieder Kroatien und Slowenien hier die gemeinsame Annäherung an die Europäische Union beschworen:
"Es macht uns auch Freude und es ist auch in der Tat ein wenig bewegend, wenn man jetzt sieht, dass alle miteinander am Tisch sitzen, nicht gegenseitig sich Vorwürfe machen, sondern ganz konstruktiv über gemeinsame Projekte für die Zukunft sprechen. Und dabei wollen wir das Ganze auch unterstützen", sagte Angela Merkel als Gastgeberin nach der ersten Plenarsitzung der Regierungschefs, Außen-, Wirtschafts- und Finanzminister, an der auch EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso teilnahm.
Elf Jahre nach dem EU-Gipfel von Thessaloniki bekräftige auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel das Versprechen, dass die EU den Westbalkanländern damals gegeben hatte: "Alle heute hier vertretenen europäischen Staaten haben eine klare Perspektive auf einen Beitritt zur Europäischen Union, sofern sie nicht schon Mitglied sind."
Verspricht die EU nicht zu viel?
Doch verspricht die von Währungs- und Wirtschaftskrisen gebeutelte Union nicht zu viel, wenn sie weiteren Ländern mit zum Teil ungelösten politischen Problemen, schwachen Volkswirtschaften und mangelnder Infrastruktur die Aufnahme verspricht? Es waren gerade Wirtschaftsvertreter, die bei einer Auftaktveranstaltung im Bundeswirtschaftsministerium eine schnelle Annäherung von beiden Seiten forderten.
Marcus Felsner, Vorsitzender des Ost- und Mitteleuropavereins deutscher Unternehmen, formulierte dies in einem eindringlichen Appell als Lehre aus der Krise in der Ukraine: "Wenn der Eindruck entsteht, die EU wolle sich auf absehbare Zeit eigentlich nicht mehr erweitern und sie müsse das auch gar nicht, dürfen wir uns nicht wundern, wenn die betroffenen Länder sich in andere Richtungen orientieren oder zum Spielball anderer Interessen werden."
20 Milliarden Euro stehen bereit
Für die Balkan-Länder ist die EU-Mitgliedschaft ein wichtiger Anreiz für Reformanstrengungen, Kriminalitäts- und Korruptionsbekämpfung sowie den Ausbau rechtsstaatlicher Strukturen.
"Wir wollen wettbewerbsfähiger werden und in diesem Prozess dafür arbeiten, gute EU-Mitglieder zu werden", beteuerte der albanische Ministerpräsident Edi Rama als Sprecher der Westbalkan-Gruppe. Und EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso hat einen handfesten Anreiz: "Wir haben etwas Geld in unserem Annäherungsprogramm."
20 Milliarden Euro und zusätzliche Kredite stehen bis 2020 bereit, um die Balkan-Staaten auf ihrem Weg in die EU zu unterstützen. Der ambitionierte Prozess, der jetzt in Berlin angestoßen wurde, soll in den kommenden vier Jahren durch jährliche Folgekonferenzen begleitet werden, nächstes Jahr in Wien, 2016 in Frankreich.