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Westdeutscher Handwerkskammertag
"Wir müssen beim Meisterbrief über weitere Gewerke reden"

Der Hauptgeschäftsführer des Westdeutschen Handwerkskammertags Reiner Nolten fordert, die Meisterprüfung in vielen Gewerken wieder einzuführen. Ihre Teilabschaffung 2004 habe nicht zu mehr Arbeitsplätzen geführt, sagte Nolten im Dlf: Es gebe weniger ausbildende Betriebe und mehr Einzelkämpfer ohne Altersvorsorge.

Reiner Nolten im Gespräch mit Stephanie Gebert |
    Ein Mann im orangefarbenen T-Shirt verlegt große graue Fußbodenfliesen in einem Bad.
    Fliesenleger brauchen seit 2004 keinen Meisterbrief mehr (dpa / Patrick Pleul)
    Stephanie Gebert: Die gerade gehörte Diskussion um den Meisterbrief im deutschen Handwerk erreicht auch die künftige Bundesregierung, die ja morgen endgültig ihre Arbeit aufnehmen soll. Wir halten noch mal fest: Mehr als 50 Gewerke sind es, die seit 14 Jahren keine Meisterpflicht mehr haben, gestrichen zum Beispiel bei den Fliesenlegern, den Goldschmieden oder den Raumausstattern. Diese Qualifikation soll aber dringend wieder eingeführt werden - das ist auch eine Forderung des Westdeutschen Handwerkskammertags. Hauptgeschäftsführer dort ist Reiner Nolten. Ich grüße Sie!
    Reiner Nolten: Ich grüße Sie auch!
    Gebert: Als die damals rot-grüne Regierung 2004 die Meisterpflicht zum Beispiel für Fliesenleger abgeschafft hatte, da hatte sie ein klares Ziel vor Augen, nämlich Existenzgründungen fördern und mehr Arbeitsplätze schaffen. Die Zahlen sind dann tatsächlich nach oben gegangen. Warum war die Reform trotzdem ein Fehler aus Ihrer Sicht?
    Nolten: Die Zahl der Existenzgründungen ist nach oben gegangen, nicht die Zahl der Arbeitsplätze. Und wir haben zahlreiche Selbstständige in diesen Gewerken, die jetzt als Einzelkämpfer arbeiten, mit Dumpingangeboten, die die qualifizierten Betriebe, die ausbilden, unterbieten und selbst aber nicht für ihre Altersvorsorge sorgen. Diese belasten dann später die Allgemeinheit.
    "Mehr Mängel, mehr Verbraucherbeschwerden"
    Gebert: Trotzdem gibt es auch Konsequenzen, was den Nachwuchs angeht und auch, was die Qualität tatsächlich in diesen Gewerken angeht.
    Nolten: Richtig. Wer selbst nicht gelernt hat, kann auch nicht ausbilden. Und Fakt ist, dass diese zahlreichen zusätzlichen Betriebe zum Beispiel im Fliesenlegerhandwerk nicht ausbilden. Im Gegenteil, die Ausbildungszahlen im Fliesenlegerhandwerk sind zurückgegangen. Und wir haben zahlreiche Betriebe, die nachweislich unqualifizierte Arbeiten erbringen, also viel mehr Mängel, viel mehr Verbraucherbeschwerden, als es früher der Fall war, weil der Meister ist ein Qualitätssiegel in Deutschland.
    Gebert: Heißt das auch, dass das Handwerk an sich einen Imageschaden davonträgt? Stellen Sie das fest?
    Nolten: Zum Teil ja, weil die Kunden sagen, der Handwerker hat schlecht gearbeitet. Die unterscheiden nicht immer nach dem Meisterbetrieb und nach dem Nicht-Meisterbetrieb, und da sind leider viele schwarze Schafe am Markt.
    Meisterpflicht auch für neue Gewerke?
    Gebert: Jetzt hat die künftige Regierung im Koalitionsvertrag stehen, dass sie den Meisterbrief verteidigen will - reicht Ihnen das aus?
    Nolten: Das reicht uns nicht aus. Selbstverständlich sollte in allen Gewerken, wo der Meisterbrief noch besteht, dieser erhalten bleiben, aber wir müssen auch über weitere Gewerke reden, sowohl über einen Teil der Gewerke, die seinerzeit nicht mehr meisterpflichtig gemacht worden sind, als auch über zusätzliche Aufgaben, die entstanden sind. Ich nenne mal als Beispiel das Bestatterhandwerk. Solche Seuchen wie Ebola und so weiter waren früher kein Thema, aber in einer globalisierten Welt muss man auch mit so was umgehen können, und auch da sollte man überlegen, ob man nicht die Meisterpflicht einführt.
    Gebert: Was erwarten Sie jetzt von der neuen Regierung? Auch gegenüber den Forderungen aus der EU, die durchaus ja bestehen und die den Zugang zu den einzelnen Berufen europaweit vereinheitlichen will?
    Nolten: Wir erwarten, dass die Bundesregierung in Zukunft weiterhin daran festhält, dass die Frage der Berufsqualifikation keine Sache ist, die in den EU-Verträgen der EU übertragen ist, sondern dass das eine nationale Entscheidung ist. Und unser System des großen Befähigungsnachweises, das auf Basis des dualen Bildungssystem ist, sollte da mit aller Kraft verteidigt werden. Wir sehen es ja in den Ländern, wo es ein duales Bildungssystem und eine Meisterqualifikation gibt, haben wir die geringste Jugendarbeitslosigkeit, weil wir nicht nur den akademischen Nachwuchs ausbilden, sondern eben auch den gewerblich-technischen.
    "Digitalisierung muss auch in Meister-Ausbildung gebracht werden"
    Gebert: Und die neue Regierung hat dem Handwerk ja auch ein klar positives Signal in Sachen Meisterprüfungen gesetzt, jedenfalls für die Gewerke, die noch eine Meisterpflicht haben, mit einem bundesweit gültigen Meisterbonus. Das heißt, wer die Meisterprüfung erfolgreich besteht, bekommt die anfallenden Gebühren erstattet. Kann das Ihre Nachwuchssorgen, die Nachwuchssorgen im Handwerk mindern?
    Nolten: Mindern ja, weil bisher ist es so, wer Studieren geht, muss keine Gebühren zahlen, wer die Meisterschule machen will, bekommt nur einen Teil über das Meister-BAföG erstattet. Wenn es dann hier eine Prämie für die, die es erfolgreich machen, gibt, wäre das ein gutes Zeichen, dass man sowohl die Gebühren der Schule als auch die Prüfungsgebühren eben staatlich unterstützt, wie es bei Studenten und anderen selbstverständlich der Fall ist.
    Gebert: Wenn wir jetzt einen Strich drunterziehen unter das, was die Koalition in Sachen Ausbildung, in Sachen Meisterprüfungen plant, sind Sie insgesamt zufrieden, oder sagen Sie, auch da gibt es noch einiges zu tun?
    Nolten: Aus unserer Sicht ist auch da noch etwas zu tun. Allerdings sind wir erst einmal froh, dass wir jetzt eine Regierung bekommen und dass der neunmonatige Stillstand beendet ist. Aber rund um den Meister kann noch eine Menge geschehen, und das duale Bildungssystem kann auch gestärkt werden. Wir hatten in den letzten zehn Jahren mehrere Hochschulpakte, die mit Milliarden ausgestattet werden. Die Digitalisierung muss auch in die Bildungsstätten, wo die auszubildenden Meister ausgebildet werden, gebracht werden, und da muss entsprechend auch investiert werden.
    Gebert: Forderungen des Deutschen Handwerks an die neue Bundesregierung, formuliert von Reiner Nolten vom Westdeutschen Handelskammertag. Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.