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Westerwelle außen vor

Der einst begnadete Oppositionspolitiker Guido Westerwelle hat weder in die Rolle des Regierungsmitglieds noch in die des Außenministers hineingefunden. Die ersten Parteimitglieder wollen ihm nun auch den Posten als Parteivorsitzenden in Abrede stellen.

Von Sabine Adler |
    Wie gewonnen, so zerronnen. Selten hat eine Partei soviel Vertrauen verspielt, wie die FDP nach ihrem fulminanten Sieg bei der Bundestagswahl 2009. Das desaströse Abschneiden bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg, der Rauswurf in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt belegen, dass die FDP den Bürgern als Regierungspartei verzichtbar erscheint. Hatte sich Guido Westerwelle beim Dreikönigstreffen in Stuttgart noch eine Schonfrist erkauft, ist die nun abgelaufen. Dabei schien so mancher Abgesang auf den Parteichef und seine FDP zwischenzeitlich verfrüht zu sein. Das Superwahljahr 2011 hatte mit der Hamburger Bürgerschaftswahl bei den Liberalen nämlich erfolgreich begonnen. Die 35-jährige Spitzenkandidatin Katja Suding schaffte es, ihre FDP in den Senat zurückzuholen.

    "Wir haben einen sehr guten Wahlkampf gemacht. Wir haben uns ein Ziel gesetzt für diesen Wahlkampf, das ist der Wiedereinzug in die Bürgerschaft, und es sieht so aus, als hätten wir das geschafft. Und darüber sind wir einfach sehr glücklich."

    Das Rezept, den Liberalen ein wählbares, sympathisches Gesicht zu geben, ging auf. Für Hamburg. Anderswo nicht. Im Stammland der Liberalen, als das sich Baden-Württemberg versteht, trat ein, was alle seit Herbst 2009 fürchteten: Der so tiefe Einbruch der FDP, die von knapp elf Prozent auf 5,3 Prozent stürzte, dass die schwarz-gelbe Regierung unter Stefan Mappus abdanken musste. Mappus hatte vor einem Jahr die Nachfolge von Günter Oettinger angetreten, wollte sich jetzt demokratisch im Amt bestätigen lassen, scheiterte jedoch. Er weiß sehr wohl um seine Verantwortung. Deshalb trat er noch am Montag vom Landesvorsitz seiner Partei zurück. Er fühlt sich allerdings nicht als der Alleinschuldige. Mappus zeigte mit dem Finger auf Rainer Brüderle, freilich, ohne ihn zu nennen.

    "Die letzten drei Tage waren da mit mancher Äußerung auch nicht so richtig hilfreich, und ich vermute, dass das zumindest auch noch erklärt, warum der Koalitionspartner am Ende auch noch richtig abgestürzt ist. Wenn die FDP ein knappes Prozent mehr gehabt hätte, was allen Prognosen zufolge ursprünglich der Fall war, dann hätten wir die Mehrheit."

    Der Bundeswirtschaftsminister von der FDP zog fast ebenso viel Zorn auf sich wie der inzwischen glücklose Parteichef Guido Westerwelle. Denn Brüderle bezeichnete die Abschaltung der sieben deutschen Atomkraftwerke nach der Katastrophe in Japan als eine der im Wahlkampf nicht immer rationalen Entscheidungen der Politik. Brüderles Satz wurde als das interpretiert, was die Wähler längst wussten, nur noch nicht explizit gesagt bekommen hatten: Die Kehrtwende der Bundesregierung in der Atompolitik war auch den bevorstehenden Landtagswahlen geschuldet. Nun soll Brüderle ein sichtbares Zeichen setzen und als Minister zurücktreten. Tut er aber nicht.

    "Das ist das Erfolgsgeheimnis einer guten Politik, dass man auf der Kommandobrücke die Übersicht behält und nicht mit dem Sturm wankt. Im Zentrum vom Wirbelsturm ist es ruhig."

    Doch mit seinem Abgang als Landeschef von Rheinland-Pfalz gleich am Montag gibt sich die Basis nicht zufrieden. Auch nicht mit dem Verzicht Cornelia Piepers auf ihren Posten als Landesvorsitzende von Sachsen-Anhalt. Das genügt so wenig wie ihre Erklärung, nicht mehr als Stellvertreterin im Bundesvorstand zu kandidieren. Brüderle soll aus Berlin weg, Piepers Verzicht zählt nicht, da sie ohnehin kaum wahrgenommen wird. Birgit Homburger, die Landeschefin in Baden-Württemberg, klebt sogar noch an zwei Stühlen: dem in Stuttgart und dem in der Bundestagsfraktion, als dessen Vorsitzende sie vor allem durch besonders plattes Abbürsten der Kritiker auffiel. Die Partei will neue Köpfe. Nicht nur Piepers, Homburgers, Brüderles - auch Westerwelles Gesicht sind die Mitglieder leid. Westerwelle eilen die "Kreuzigt ihn!"-Rufe bis nach China hinterher, wo er sich seit gestern aufhält. Ähnlich wie bei seiner Lateinamerika-Reise vor einem Jahr lässt ihn die Innenpolitik selbst fern der Heimat nicht los. Was an Westerwelle selbst liegt.

    "Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt's einen, der die Sache regelt. Und das bin ich."

    Der begnadete Oppositionspolitiker, hier auf dem Parteitag 2001, hat in die Rolle des Regierungsmitglieds nicht hineingefunden. Erst recht nicht in die des Außenministers. Kritik kommt nicht nur von denen, die ihn viel lieber im Finanzministerium gesehen hätten, was viel näher lag. Wegen des FDP-Dauerthemas Steuersenkungen, mit dem seine Partei seit Jahren Wahlkämpfe bestreitet, und auch weil sich der extrovertierte 49-Jährige tagtäglich auf internationalem Parkett Gewalt antun muss, sein Temperament zu zügeln. Zurückhaltung eines Diplomaten widerspricht so sehr seinem Naturell, dass er bei seinem Antrittsbesuch im türkischen Ankara nicht nur seinen Amtskollegen erheiterte.


    "Ich spreche hier für die deutsche Bundesregierung und nicht als Privatmann. Ich bin nicht als Tourist in kurzen Hosen unterwegs, sondern als deutscher Außenminister. Das, was ich hier sage, das zählt."

    Noch während der Koalitionsverhandlungen unmittelbar nach der Bundestagswahl ging es mit den stolzen liberalen Wahlsiegern in Berlin bergab. Zunächst bei der unglücklichen Ressortverteilung. Zusammen mit der CSU peitschten die Liberalen als erstes die Mehrwertsteuersenkung für Hotelbesitzer durch, die einen auf lange Sicht nicht mehr gutzumachenden Schaden anrichtete. Vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen vor einem Jahr, die mit dem Abschied von Schwarz-Gelb endete, wurde wochenlang fast gar nicht regiert. Nur einer Milliardenhilfe für Griechenland zugestimmt, die anfangs eigentlich keinesfalls fließen sollte. Im sogenannten Herbst der Entscheidungen dann beschloss die christdemokratisch-liberale Koalition in Berlin, die Laufzeiten der Atomkraftwerke um durchschnittlich 15 Jahre zu verlängern und machte wahr, was sie im Wahlkampf ein Jahr zuvor angekündigt hatte. Die Mehrheit der Wähler wollte dies. Doch das war vor der Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe, in deren Gefolge mehrere japanische Atomkraftwerke havarierten. Neben der Atompolitik der Regierung geriet durch die Stimmenthaltung im Weltsicherheitsrat bei der Libyenresolution auch die Außenpolitik in Verruf. CDU und FDP bekamen beide die Quittung - für die Liberalen fiel sie aber besonders schmerzlich aus.

    "Wir haben die Botschaft der Wählerinnen und Wähler vom gestrigen Tage verstanden. Wir werden nicht zur Tagesordnung übergehen. Es kann kein einfaches "weiter so" geben, sondern wir werden jetzt die Schlussfolgerungen beraten, die dann in den nächsten Wochen auch dann zum Abschluss auf unserem Parteitag vorbereitet werden."
    Westerwelle spielt auf Zeit. Doch der Druck im FDP-Kessel ist so hoch, dass es nur noch eine Frage von Stunden zu sein scheint, wann der Deckel hochfliegt. Aus den allermeisten Landesverbänden kommen Rücktrittsforderungen, unmissverständlich deutliche wie von der bayrischen FDP-Vize Renate Will.

    "Ich fordere den Rückzug zum Parteitag im Mai von Herrn Westerwelle, denn es reicht nicht aus, dass man nur die Stellvertreter austauscht. Wir brauchen eine personelle und inhaltliche Erneuerung."

    Als Erster hatte der FDP-Europaabgeordnete Gorgo Chatzimarkakis Westerwelles Rücktritt gefordert und öffentlich überlegt, was geschieht, sollte der Vorsitzende weiter so großes Beharrungsvermögen an den Tag legen.

    "Ich weiß auch, dass es Überlegungen in der Partei gibt, sollte es keinen Übergang geben, dass es dann definitiv eine Kampfkandidatur gegen Guido Westerwelle gibt."

    Aus China, wo sich der Außenminister vor seiner Weiterreise nach Japan heute aufhielt, kommen Signale, Westerwelle sei zum Einlenken bereit, würde sich vom Parteivorsitz, nicht aber vom Regierungsamt zurückziehen. An die FDP-Spitze könnte ihm Generalsekretär Christian Lindner nachfolgen oder Gesundheitsminister Philipp Rösler. Von Lindner hieß es, er habe wenig Neigung, den Königsmörder zu geben. Was sich nach Westerwelles freiwilligem Rückgang noch einmal in anderem Lichte darstellt. Immer wieder im Gespräch gehalten hat sich Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Sie trat in ihrem alten, neuen Amt zwar bisher nicht groß in Erscheinung, aber man erinnert sich an ihre Vorzüge. Den der politischen Standhaftigkeit zum Beispiel. Auf Grund ihres Alters, sie wird 60 in diesem Jahr, wäre sie eine Frau des Übergangs. Vielen in der Partei ist Frau Leutheusser-Schnarrenberger allerdings zu links. Andere wiederum schätzen sie, weil sie für die immer wieder angemahnte, aber nie erfolgte inhaltliche Öffnung der Partei steht. Ein Problem, mit dem sich die FDP herumschlägt seit es sie gibt, also über 60 Jahre. Theodor Heuss, Gründungsvater und erster Parteivorsitzender 1948 beschrieb die mitunter undankbare, manchmal marginale, aber gar nicht so selten entscheidende Rolle als kleiner Regierungspartner einst so:

    "Die Leute sagen, wir seien das Zünglein an der Waage. Das sind wir aber gar nicht. Denn ein Zünglein geht hin und her und schwankt. Wir sind vielmehr etwas, was man in bestimmten Gegenden unseres Vaterlandes mit dem schönen Wort Waagscheißerl bezeichnet. Wir sind nämlich in der Lage Entscheidungen zu treffen, und das ist eine interessante Stellung."

    Das Wort Waagscheißerl muss heute übersetzt werden. Waagscheißerl ist Vogeldreck, der vom Himmel fällt und zufällig in der einen oder in der anderen Waagschale auf dem Markt landet und damit den Ausschlag gibt, wohin sie sich neigt. Manchmal ist es auch nur der Finger der Marktfrau, der eine Seite ein wenig runterdrückt. Mit anderen Worten: So wenig Gewicht hat die Partei, auch das war schon immer so. Die fast 15 Prozent bei der Bundestagswahl 2009 bedeuten eine Ausnahme, nicht die Regel. So klein die Partei an%en ist, so begrenzt sind ihre Themen. Der FDP, die selbst in Zeiten von Wirtschafts- und Finanzkrise noch auf Steuersenkungen herumritt, droht die Entleibung. Noch eine Sorge, die sich durch die Parteigeschichte zieht. Schon Reinhold Maier, ein bedächtiger Schwabe, der 1957 den Vorsitz übernahm und der Partei ein Grundsatzprogramm gab, kämpfte gegen die thematische Selbstbeschränkung der Liberalen an.

    "Manch einer glaubte, es gehe uns nur um das Wirtschaftliche. Ja, noch schlimmer, nur um das Materielle. Weit gefehlt. Die FDP wird gründlich missverstanden, wenn man sie als eine bessere Wirtschaftspartei betrachtet. Wir wollen die Freiheit ganz. Wir wollen sie überall."

    Vor allem den Vorwurf der Klientelpartei wird die FDP nicht los, was einen der Altvorderen, einen Kämpfer für die Bürgerrechte, den ehemaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum, ärgert.

    "Wir müssen die alten Traditionslinien der FDP - Wirtschaftsliberalismus, sozialer Liberalismus und Bürgerrechtsliberalismus - wieder zusammenführen. Ich verstehe zum Beispiel überhaupt nicht die Ablehnung der FDP von Mindestlöhnen. Also, sie hat Kontakt zur Bevölkerung verloren. 75 Prozent der Wähler der Bundestagswahl in Baden-Württemberg sind doch nicht mehr für die FDP aufgetreten."

    Es waren die entstehenden Grünen, die zu Baums aktiven Zeiten der FDP ein Markenzeichen abspenstig machten: die Freiheits- und Bürgerrechte. Gegen das Vermummungsverbot, gegen Lauschangriff - die Grünen okkupierten diese Felder, wie die damalige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen von der CDU später der SPD das Elterngeld mopste. Wie wiederum auch die Grünen exerzieren, muss die Verengung auf wenige Themen kein Nachteil sein, vorausgesetzt sie sind nicht derart tot geritten wie die Steuersenkungen. Christian Lindner, Philipp Rösler und Daniel Bahr, die heute Jungen, allerdings nicht besonders Wilden, arbeiten an der Neuaufstellung. Bislang ohne jede Unterstützung. Die politische Praxis lehrt, dass eine Debatte über Inhalte erst dann beginnt, wenn das Personal feststeht, auch wenn die Parteispitze die Diskussion derzeit lieber in umgekehrter Reihenfolge führen würde. Hält sie daran fest, ist sie möglicherweise bald nicht mehr Herr des Verfahrens. Schon jetzt hat eine für Westerwelle besorgniserregende Eigendynamik eingesetzt, die er inzwischen offenbar auch zur Kenntnis nimmt und auf die er reagiert. Bis zu seinem Einlenken heute hielt er den Fuß allerdings stramm auf dem Bremspedal.

    "Ich mache meine Arbeit mit großem Engagement. Ich mache sie auch mit viel Herzblut, aber es bleibt bei dem, was ich vor den Wahlen am Sonntag gesagt habe. Wir werden die Fragen des künftigen Teams umfassend am 11. April beraten und zwar in einer Sitzung gemeinsam mit den Landesvorsitzenden."

    Ursprünglich sollten an diesem 11. April Personalfragen beraten werden. Nun mehren sich die Anzeichen dafür, dass schon am kommenden Montag, wenn Westerwelle zurück ist, über Umbesetzungen entschieden und das zerstörerische Manöver, "Wer schießt wen ab?" so zügiger beendet wird. Je schneller die Partei die Personalentscheidungen hinter sich bringt, desto früher verschwindet sie auch wieder aus den Schlagzeilen, die nicht erst in jüngerer Zeit überwiegend negativ waren. Mit Samthandschuhen wurde die FDP Zeit ihres Bestehens nicht angefasst. Umfaller-Partei, Partei der Besserverdienenden, 18-Prozent-Partei, Wirtschaftspartei, Klientelpartei, Steuersenkungspartei, Ein-Thema-Partei - hagelt es auf sie nieder. Die Versuchung, die miesen Landtagswahlergebnisse auf die Atomkatastrophe in Japan zu schieben, ist groß. Die Chance, endlich eine Debatte loszutreten, dürfte weitaus lohnender sein. Wenn der Generalsekretär Lindner den von ihm begonnenen Streit über die AKW jetzt auch austrägt. Ein Streit, den die Partei dringend braucht, will sie inhaltlich vom Fleck kommen. Lindner ist diese Woche vorgeprescht mit der Forderung, dass alle jetzt abgeschalteten Kernkraftwerke nicht mehr ans Netz dürfen. Er regte zudem an, noch während des Moratoriums Vereinbarungen mit den Betreibern zu treffen, wie einst Rot-Grün beim 2000 erzielten Atomkompromiss. Verhandlungen mit den Stromkonzernen könnten womöglich Milliardenklagen verhindern, so sein Kalkül. Im Falle von RWE kommt Lindners Vorschlag schon zu spät, der Stromproduzent hat heute seine Klage beim Verwaltungsgerichtshof in Kassel eingereicht. Lindner versteht seine Initiative nicht als Gegensatz zu Regierungshandeln, sondern als Ergänzung.

    "Alle Parteien haben ihre energiepolitische Auffassung ja korrigiert. Auch die Grünen haben ja ihre politische Auffassung im Bereich Energiepolitik verändert. Sie waren ja bis dato noch der Auffassung gewesen, die Kernkraftwerke in Deutschland sollten bis nach 2020 laufen, haben dann sich korrigiert auf 2017. Wir haben uns als Koalition ebenfalls korrigiert. Nur wir können als Regierung nicht ein festes Datum angeben, weil wir schon ein bisschen noch auf die Umsetzbarkeit achten müssen, auf Wirtschaftlichkeit, darauf, dass Trassen gebaut werden können und anderes mehr. Das hat uns in eine Defensive gebracht. Das ist ohne Zweifel so, nur jeder wird jetzt in den nächsten Monaten sehen, dass die Koalition es mit einer modifizierten Energiepolitik ernst meint. An den Taten der Bundesregierung wird man das besichtigen können."

    Dem Argument der Gegner, dass mit der Abschaltung der alten AKW das Eigentum der Betreiber entwertet wird, hält Lindner in dieser Woche im Handelsblatt entgegen: Mit der reinen Lehre der Ordnungspolitik könne man Kernenergie nicht bewerten, sonst dürfe der Staat nicht die Haftung für deren am Markt nicht versicherbaren Risiken übernehmen. Der Generalsekretär beweist mit der Debatte Mut. Mut, der nun vielleicht auch so weit geht, den Parteivorsitzenden zwar nicht zu stürzen, aber ihm im Amt zu folgen. Bislang hieß es, er sei zu klug, sich jetzt verheizen zu lassen. Der 32-Jährige, dem man nachsagt, dass er seine Jugend lebhaft auskostet, bekommt in der Person von Guido Westerwelle vor Augen geführt, wie schnell man als altes Eisen gilt, wenn man zu jung in Spitzenpositionen aufrückt. Westerwelle ist schließlich noch keine 50. Der Atomausstieg, eine der wichtigsten Fragen, die Deutschland in diesen Wochen entscheiden muss, verlangt nach einem Zeitplan, über den sich auch der Generalsekretär einer Regierungspartei, nicht nur ein Vorsitzender Gedanken machen darf.

    "Wir bemühen uns eben um eine rationale und realistische Energiepolitik, denn wir wollen Kernkraftwerke abschalten, aber nicht die Vernunft abschalten."

    Christian Lindner und Hermann Gröhe von der CDU gaben sich nach der Wahl am Sonntag regelrecht ökoradikal, der Atomkonsens von Rot-Grün erschien ihnen nicht mehr konsequent genug, weshalb sie SPD und Grüne heftig attackierten.

    "Ich wundere mich schon, dass Sie Reaktoren als Schrottmeiler bezeichnen, die, wenn es nach Rot-Grün ginge, noch am Netz wären. Die haben wir abgeschaltet. In Ihrem Kompromiss waren sie noch am Netz."

    Noch befinden sich CDU wie FDP mitten in der Auseinandersetzung, ob sie weiter eine Atom- oder eine Atomausstiegspartei sein wollen. In der FDP, die mit ihrer einseitigen Ausrichtung auf die Interessen der Wirtschaft von den Wählern abgestraft wurde, muss sich noch zeigen, ob die Mitglieder Lindner folgen. Mag es auf den ersten Blick auch so scheinen, dass in der FDP ein Generationenkonflikt tobt, handelt es sich doch viel eher um eine Auseinandersetzung über die politische Ausrichtung der Partei. Hier verlaufen die Linien nicht zwischen Alt und Jung, sondern zwischen alter Industrie- und Atompolitik und modernem Wirtschaftskurs beziehungsweise dem Erschließen ganz neuer Politikfelder. Der Kampf für erneuerbare Energien in seiner technischen, politischen wie internationalen Dimension könnte eines sein. Bis zur Bundestagswahl muss sich die Partei zudem der SPD wie auch der Union als Partner empfehlen. Im Wettbewerb mit den Grünen sind die Liberalen weit ins Hintertreffen geraten. Für Sabine Leutheusser-Schnarrenberger steht fest, dass ihrer FDP wenig Zeit bleibt, gerade mal zwei Jahre, in denen sie sich neu erfinden und das Vertrauen der Menschen gewinnen muss. Den neuen Vorsitzenden hat sie möglicherweise schon bald, wenn nicht, wirft die Juristin ihren Hut in den Ring.