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Westerwelle gegen Neuregelung bei Nebeneinkünften

Martin Steinhage: Herr Westerwelle, steht die FDP ohne jede Einschränkung hinter den Hilfszusagen der Bundesregierung für die Flutopfer in Südasien? Handelt der Kanzler in dem Fall richtig, wenn er Mittel in Höhe von bis zu 500 Millionen Euro bereitstellen will?

    Guido Westerwelle: Die Bundesregierung handelt richtig, wenn diese Mittel zur Verfügung gestellt werden, und wir werden als Opposition das auch ausdrücklich im Deutschen Bundestag unterstützen. Dass wir natürlich Wert darauf legen, dass diese Mittel auch ankommen, das ist selbstverständlich. Deswegen werden wir nicht einfach nur die Zustimmung unterschreiben, sondern auch darauf achten, dass im Interesse unserer Steuerzahlerinnen und Steuerzahler das Geld bei den wirklich Bedürftigen ankommt, oder gerade auch beim Wiederaufbau. Ich unterstütze insbesondere die Initiative von Kofi Annan, die sich ja mittlerweile auch durchsetzen konnte: Dass nämlich die internationale Völkergemeinschaft, also auch wir Deutsche, einen Beitrag dazu leistet, dass nicht nur die reichen Küstenländer sich Frühwarnsysteme leisten können, sondern eben ausdrücklich auch die ärmeren, damit ein solches Elend in Zukunft vielleicht verhindert, mindestens aber verringert werden kann.

    Steinhage: Die Deutschen gelten ja oft als missmutig, als kleinmütig, als pessimistisch, und das können wir manchmal auch an uns selbst nicht leiden. Nun spendet die deutsche Bevölkerung mit nie dagewesener Großzügigkeit, um die Not in Thailand, Sri Lanka und anderswo zu lindern. Macht eigentlich solch ein Verhalten Ihnen als Politiker Mut in dem Sinne, dass Sie sich sagen: Die Leute sind zu bewegen, sie sind zu motivieren, sie zeigen Engagement, Mitgefühl und Großzügigkeit, wenn es drauf ankommt?

    Westerwelle: Daran hatte ich persönlich nie einen Zweifel, denn das ist eine Jahrhundertkatastrophe gewesen. Und dass die Deutschen hier mit einer Jahrhunderthilfsbereitschaft drauf antworten, das habe ich gehofft, aber eigentlich, wenn ich ehrlich bin, auch erwartet. Ich kenne Deutschland und die Deutschen nur als ein sehr hilfsbereites Land und als sehr hilfsbereite Menschen. Und das ist ja auch genau das Ideal der Bürgergesellschaft, dass man Nächstenliebe nicht nur als eine staatliche Dienstleistung betrachtet, sondern dass man in der Nächstenliebe vor allen Dingen erst einmal die Zuwendung des Menschen zum Menschen sieht, der in Not geraten ist und dem es schlecht geht. Das sind, wenn Sie so wollen, auch liberale Tugenden unserer Gesellschaft, die ich als Liberaler in unserer Gesellschaft nicht nur gerne sehe, sondern auch nie Zweifel daran hatte, dass sie da sind. Allerdings will ich ganz offen sagen: Es geht jetzt entscheidend auch darum, dass wir auch hinschauen, wenn die sichtbaren Folgen dieser schrecklichen Katastrophe längst beseitigt sind. Es geht darum, dass wir auch nicht nur dort hinschauen, wo beispielsweise die Flutkatastrophe fürchterlich gewütet hat, sondern dass wir auch nicht vergessen: Nach dem Bericht von UNICEF gibt es im Jahr 2005 eine Milliarde Kinder und Jugendliche auf der Welt, die von Hunger bedroht sind und zum Teil mit dem Tod deswegen kämpfen. Und auch die brauchen unsere Unterstützung. Und das bedeutet eben auch, dass Deutschland nach innen mit der eigenen Wirtschaftskraft wieder stärker werden muss. Denn nur, wenn wir stark genug sind als Land, können wir auch international angemessene Hilfe und Unterstützung geben.

    Steinhage: Stand und steht für Sie zu jeder Zeit außer Frage, dass es richtig ist vor dem Hintergrund einer solch dramatischen Katastrophe, hierzulande - ja, ich sage mal - "business as usual" zu machen, also Wahlkampf in Schleswig-Holstein, politische Kundgebungen wie die der FDP in Stuttgart oder auch den Dreikönigsball, oder hätte man da vielleicht etwas mehr Zurückhaltung zeigen sollen?

    Westerwelle: Im Gegenteil. Ich bin sehr beeindruckt und sehr stolz auf die Freien Demokraten im Südwesten, die das Dreikönigstreffen genutzt haben, um Spendengelder zu sammeln. Dass beim Dreikönigstreffen mehr als 10.000 Euro zusammengekommen sind, die damit jetzt auch ganz konkret bedürftigen und in Not geratenen Menschen zur Verfügung gestellt werden können. Das ist eine viel überzeugendere Antwort, als Veranstaltungen abzusagen oder nicht mehr hinzugehen. Die Veranstaltungen, die jetzt stattfinden, sind lange geplant. Ich werde auch unbedingt an ihnen weiter teilnehmen, ich werde nicht einen einzigen Termin absagen. Sondern ich werde bei diesen Veranstaltungen, bei diesen Terminen - ausdrücklich auch im Wahlkampf - meinen Beitrag dazu leisten, dass zu Spenden aufgerufen wird und dass Spenden gesammelt werden. Und 10.000 Euro, das ist etwas. Das hilft viel mehr, als symbolhafte Absagen.

    Steinhage: Reden wir ein wenig über das Dreikönigstreffen. Das Medienecho über dieses Treffen am vergangenen Donnerstag in Stuttgart war, wie nicht anders zu erwarten, gemischt. Es war teilweise positiv, teilweise weniger positiv. Aber ich denke mal, oder liege ich da ganz falsch, dass Sie sagen – auch bei der Lektüre einer schlechten Presse: "Na, lieber eine schlechte Presse als keine?"

    Westerwelle: Ich bin, was Medien angeht, durch jedes Tal und über jeden Berg schon gegangen. Und die Stimmung in Redaktionen und in der Medienlandschaft, die ist so wechselhaft und so unterschiedlich, wie die Zeitungen und die Fernseh- und Rundfunkstationen nun mal besetzt sind. Und das ist doch auch gut so. Wir haben eine große Vielfalt an Medien, und ich habe gar nicht das Ziel oder die Absicht, dass alle gut über die FDP schreiben. Es gibt Kommentatoren, wenn die gut über die FDP schreiben würden, wüsste ich, ich habe etwas falsch gemacht, weil die genau das Gegenteil vertreten von dem, was ich als Liberaler richtig finde. Dass man von denen kritisiert wird, sei's drum. Im Gegenteil: Würden die mich loben, hätte ich ein Problem.

    Steinhage: Lässt es Sie umgekehrt völlig kalt, wenn etwa DIE ZEIT schreibt: Die Partei, also die FDP, kommt nicht vor und ihr Chef kommt nicht an?

    Westerwelle: Nein, das stimmt ja nicht. Das mag vielleicht bei der Dame oder auch bei einigen ZEIT-Redakteuren der Fall sein, das muss ich dann zur Kenntnis nehmen. Das gehört zur Meinungsvielfalt in Deutschland dazu. Und so lange die Wähler uns unterstützen, kann das ja nicht so sein, wie es dort stand. Denn das letzte Jahr hat für die FDP von 14 Wahlen 13 Mal Zuwächse gebracht. In aller Bescheidenheit: Ich bin jetzt etwas mehr als drei Jahre im Amt als Parteivorsitzender. Das waren, was die Wahlergebnisse angeht, seit der Deutschen Einheit die erfolgreichsten Jahre für die FDP. Wir waren vorher in fünf Landtagen vertreten, jetzt in elf. Wir haben 28 Wahlen gehabt in meiner Amtszeit, 27 Mal zugelegt, einmal abgenommen. Also ich glaube, die Wähler sehen das anders, und das zählt.

    Steinhage: Lassen Sie mich einen Moment noch bei dem Punkt bleiben. Gleichwohl wird immer wieder geschrieben - nicht nur von DER ZEIT, auch in anderen Zeitungen -, Guido Westerwelle habe ein Imageproblem, sei sozusagen der Mann mit den vielen Gesichtern. Wenn wir den Horizont jetzt spannen: Einst als Chef der Spaßpartei im juvenilen Übermut und jetzt der Wechsel ins seriöse Fach. Trifft Sie so etwas, sind diese Vorwürfe völlig falsch, suchen Sie sich sozusagen noch selbst in Ihrer Rolle?

    Westerwelle: Ich beschäftige mich - offen gestanden - damit weniger als Sie das tun. Das ist die Aufgabe von Journalisten und von Kommentatoren, diejenigen, die im öffentlichen Leben stehen, zu analysieren und oft genug auch zu psychologisieren. Man selber macht seine Arbeit und beschäftigt sich viel weniger mit dem Bild, das einige von einem haben. Nur dann, wenn es einfach sehr, sehr falsch und auch manchmal zweckorientiert falsch geschrieben wird.

    Steinhage: Seit Jahren sagen die Liberalen selbstbewusst von sich: "Wir haben das beste Programm, wir können es besser." Das war auch eine der zentralen Botschaften bei dem Dreikönigstreffen. Einmal unterstellt, Herr Westerwelle, dem ist so: Diese Botschaft spricht sich aber nicht so recht herum. Hängt das vielleicht auch zusammen mit der zu kurzen Personaldecke der Liberalen - eine Reihe guter Leute in der Breite, aber dann doch zu wenige in der Spitze?

    Westerwelle: Ich bin der Überzeugung, dass die FDP in ihrer gesamten Führung sehr stark aufgestellt ist. Damit meine ich nicht nur den Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Gerhardt oder den Stellvertreter Professor Pinkwart mit einer enormen Kompetenz in der Haushalts- und Gesundheitspolitik, oder Rainer Brüderle im Bereich der Wirtschafts- und Mittelstandspolitik. Sie sind Markenzeichen der FDP. Ich will genau so ausdrücklich auch Herrn Solms nennen, der als Steuerexperte bewiesen hat, dass man nicht nur unverbindliche Parteitagsbeschlüsse formulieren kann, sondern mit einem völlig neuen Steuerkonzept durchgerechnet auch einen Gesetzentwurf einbringen kann - wir sind die einzige Partei. Oder ich denke an die Generalsekretärin, die es geschafft hat, dass die FDP endlich wieder als gesamtdeutsche Partei wahrgenommen wird. Wir gewinnen ja, anders als vorher, nicht nur Wahlen im Westen, sondern eben endlich wieder auch sehr gut in Ostdeutschland. Was Cornelia Pieper in der Bildungspolitik Diskussionen anstößt, dafür ist sie kritisiert worden. Ich habe sie dafür ausdrücklich in Schutz genommen, denn ich finde, es ist die Pflicht der Generalsekretärin, auch bildungspolitische Diskussionen anzustoßen. Das heißt doch nicht, dass ich in allen und bei allen ihren Vorschlägen ihr zustimme.

    Steinhage: Frau Pieper wurde in den - ich glaube - jetzt gut reichlich dreieinhalb Jahren, die sie Generalsekretärin der FDP ist, immer mal wieder auch aus den eigenen Reihen stark kritisiert. Und stets haben Sie sich ohne Wenn und Aber für Frau Pieper ausgesprochen in der Vergangenheit. Jetzt hatten Sie das Argument letzte Woche angewendet, mit Rücksicht auf die bald anstehende Landtagswahl in Schleswig-Holstein wollen Sie sich bei der Generalsekretärenfrage noch nicht festlegen, noch nicht dazu äußern. Ich versteht das Argument, ehrlich gesagt, nicht ganz, denn die Partei steht doch eigentlich immer - und stand immer - vor irgendeinem Urnengang. Und in der Vergangenheit haben Sie immer ohne Wenn und Aber gesagt: Ich stehe zu Frau Pieper.

    Westerwelle: Ich finde, dass Cornelia Pieper, das habe ich gerade auch gesagt, eine sehr gute und überzeugende Arbeit leistet. Dass ich vor den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein mich mit der Personalfrage der gesamten Führung nicht befassen werde, hängt einfach damit zusammen, dass ich gar nicht die Zeit habe, die Gespräche zu führen, die man führen muss, weil ich in Schleswig-Holstein und übrigens auch in Nordrhein-Westfalen viel zu stark persönlich engagiert bin. Mir geht es darum, dass im Mai der Bundesparteitag stattfindet der FDP. Dieser Bundesparteitag wählt die gesamte Führung neu. Das ist die Führung, die dann die FDP auch in die Bundestagswahl führen wird. Und dass ich da nicht nur eine Position und ein Gespräch zu führen habe, sondern dass ich da über vieles mit meiner Partei reden muss, ist doch selbstverständlich. Das findet unmittelbar nach der schleswig-holsteinischen Landtagswahl statt. Und die Wahl der Führung der FDP, die ist im Mai, und nicht im Januar.

    Steinhage: Herr Westerwelle, Parteichefs müssen Optimisten sein, das ist klar, sonst haben sie ihren Job verfehlt. Nur, Sie haben in Stuttgart jetzt diese Woche gesagt, dass ein Machtwechsel im Bund möglich ist, und Sie haben gesagt, vielleicht sogar schon vor 2006, weil demnächst die rot-grüne Landesregierungen in Kiel und in Düsseldorf kippen könnten. Das ist doch, von heute aus betrachtet, sehr gewagt - und wird durch Umfragen nicht gestützt.

    Westerwelle: Die Umfragen jetzt schon als Wahlergebnis zu nehmen, das wäre, glaube ich, falsch. Das war auch immer falsch. Und allein das letzte Jahr zeigt ja: Was ist der FDP für ein Trauerjahr vorausgesagt worden - und wie großartig und erfolgreich ist das Jahr 2004 für die FDP gelaufen. Mir geht es auch nicht darum, die beiden rot-grünen Landesregierungen und dann die Bundesregierung abzulösen als Selbstzweck, sondern mir geht es darum, dass wir einen Politikwechsel durchsetzen können. Ich habe den Eindruck, dass die rot-grüne Konstellation sich nicht bewährt hat. Sie hat letzten Endes dazu beigetragen, dass wir mittlerweile die höchste Arbeitslosenquote haben, die es jemals in Deutschland gab. Wir haben noch niemals so viel Neuverschuldung gehabt wie jetzt. Die sozialen Sicherungssysteme sind nicht fester, sondern eher brüchiger geworden, denn die demografische Frage, also die veränderte Altersstruktur unserer Bevölkerung, ist ja durch diese Gesundheitswerkelei und auch durch diese Rentenhalbherzigkeiten nicht wirklich beantwortet worden. Wir haben eine Rekord-Pleitewelle im Mittelstand, noch nie hat es so viele Insolvenzen gegeben in Deutschland. Das alles ist die Lage Deutschlands jetzt. Und wenn man das ändern will, dann braucht man andere politische Rahmenbedingungen. Wir setzten uns ausdrücklich für ein wirtschaftsfreundliches Programm ein. Wir sagen, es ist richtig, wenn die Bundesregierung zum Beispiel bei der Agenda 2010 es sich zum Ziel gesetzt hat, die Arbeitslosigkeit besser zu verwalten, auch die Vermittlung von Arbeitsplätzen treffsicherer zu gestalten. Das unterstützen wir. Das Problem ist nur, dass die Bundesregierung nicht die zweite, wichtigere Säule baut, nämlich eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik, die überhaupt erst dafür sorgt, dass man Arbeitsplätze hat, in die man vermitteln kann.

    Steinhage: Wie erklären Sie sich folgendes Phänomen, Herr Westerwelle: Die Meinungsforscher sagen, dass es in der Bevölkerung eine große Unzufriedenheit mit Rot-Grün gibt. Gleichzeitig sagen Demoskopen, es ist aber auch keine Wechselstimmung im Lande. Wie kann das sein?

    Westerwelle: Ich glaube, dass die Demoskopen das richtig beschreiben - derzeit, füge ich hinzu. Sechs Jahre nach Rot-Grün geht es unserem Land schlechter als vor Rot-Grün. Und wir müssen jetzt kenntlich machen, dass wir es auch besser können, dass wir eine Alternative anbieten, dass wir nicht nur kritisieren, was uns an der Bundesregierung nicht gefällt, sondern dass wir konkrete Konzepte haben. Und deswegen habe ich auf dem Dreikönigstreffen auch unsere zehn Kernpunkte vorgetragen.

    Steinhage: Sie sprechen für die FDP, Sie können ja auch nur für die FDP sprechen. Aber Ihr potentieller Koalitionspartner, die Union, die schwächelt derzeit. Treibt Sie die Sorge um, dass es dann vielleicht doch nichts wird mit dem Regierungswechsel im Bund?

    Westerwelle: Ja, dass mir das nicht gefällt, wenn die Unionsparteien so einen gesundheitsbürokratischen Kompromiss beschließen, das will ich nicht verschweigen. Ich fand es auch nicht gut, dass der Steuersenkungskurs und der Steuervereinfachungskurs, der ja erfreulicherweise von Herrn Merz auch in der Union auf die Tagesordnung gesetzt worden ist, anschließend wieder infrage gestellt wurden. Umso wichtiger ist es, dass die FDP hier für ordnungspolitische Klarheit sorgt. Und wir garantieren, dass es einen Steuersenkungs- und Steuervereinfachungskurs gibt. Übrigens nicht, damit einige Reiche reicher werden, sondern damit Arbeitsplätze im Land entstehen können und die Investitionen nicht in die Nachbarländer abwandern. Das ist ja längst der Fall. Und wir garantieren auch, dass wir ein generationsfestes Gesundheits- und Rentensystem bekommen. Übrigens: Auch bei der Pflegeversicherung kommt dieselbe Diskussion, denn wir merken ja, dass der dritte Weg, den wir vorgeschlagen haben als FDP, zunehmend auch Zustimmung findet. Die Bürgerversicherung, die die rot-grüne Seite vorschlägt, ist nichts anderes, als eine Zwangskasse. Und man löst kein Problem dadurch, dass man noch mehr Menschen zwingt, in ein marodes System einzuzahlen. Auf der anderen Seite ist das, was von der Union vorgeschlagen wird, auch bürokratisch und beantwortet ebenfalls nicht die demografische Frage. Wir hingegen sagen: Wir wollen, dass die Arbeitgeberanteile ausgezahlt werden an jeden Arbeitnehmer und dass dann die Arbeitnehmer sich versichern müssen gegen das Krankheitsrisiko. Aber wie sie das tun, bei wem, zu welchen Tarifen, mit welcher Tarifgestaltung, das soll ihnen selbst und ihrer Verantwortung überantwortet werden. Das schafft den Wettbewerb in einer sehr monopolartigen Gesundheits- und Krankenkassenlandschaft.

    Steinhage: Lassen Sie uns noch einen Moment bei den Parteienkonstellationen bleiben. Bei SPD und den Grünen sind die Gewinn- und Verlustrechnungen meist in etwa ein Nullsummenspiel nach dem Motto: Die SPD verliert und das geht dann zu den Grünen. Bei der bürgerlichen Opposition klappt das aber nicht so. Die Union hat zuletzt, von der Spitze her betrachtet, über zehn Prozent in Umfragen abgegeben, aber die FDP hat keineswegs zehn Prozent, sondern nur einen Bruchteil dessen dazu gewonnen. Wie erklären Sie sich das?

    Westerwelle: Die FDP ist ja nicht eine Art Wurmfortsatz von irgendeiner anderen Partei. Wir sind doch nicht die Partei, die davon lebt, dass andere Brosamen abgeben, sondern ich bin sehr stolz darauf, dass im letzten Jahr, als die Union in den Umfragen noch bei einer absoluten Mehrheit lag, die FDP das beste Europawahlergebnis erreichen konnte, das wir jemals bei einer Europawahl erreicht haben. Und nach zehnjähriger Abwesenheit sind wir endlich wieder im Europaparlament dabei mit Silvana Koch-Mehrin und einer sehr überzeugenden Politik jetzt. Also, wenn die FDP eine Partei ist, die sich als eine Alternative zu allen anderen Parteien versteht, auch wenn unser wichtiges strategisches Ziel ist, Rot-Grün abzulösen und wir dafür Bündnispartner brauchen, was ich weiß, was jeder weiß, - wenn wir aber als eigenständige unabhängige Partei Wahlkampf machen, dann kann es ja nicht so sein: Die Union ist stark, dann ist die FDP schwach - die Union ist schwach, dann ist die FDP stark. Das soll man einmal zu Ende denken. Das würde ja bedeuten, dass die FDP nichts anderes wäre als eine Art Mehrheitsbeschaffer für die große Partei. Das sind wir nicht. Wir haben ein eigenes Programm. Das ist klar konturiert und das überzeugt ja auch immer mehr Menschen. Wir haben bei den Wahlen so dazu gewonnen, dass wir mit Fug und Recht behaupten können – unabhängig von der Meinungsumfragenlandschaft im letzten Jahr, von den Stimmungen – es wird die Anhängerschaft der FDP größer, und zwar in allen Altersgruppen. Was mich besonders freut, ist, dass auch gerade die ganz Jungen - und da bin ich sicher, freut auch gerade das die Älteren -, dass die ganz Jungen sich der FDP wieder zuwenden, was ja jahrelang überhaupt nicht der Fall gewesen ist. Denn eine Partei ohne Nachwuchs hat keine Zukunft.

    Steinhage: Ein ganz anderes, aber sehr aktuelles Thema: Die Nebeneinkünfte von Parlamentariern. Bundestagspräsident Thierse will im Dialog mit den Fraktionen des hohen Hauses klären, ob und gegebenenfalls welche Änderungen der Verhaltensregeln für die Abgeordneten nötig sein könnten. Welche Empfehlung würden Sie ihm da geben?

    Westerwelle: Ich bin der Überzeugung, dass wir auf der Bundesebene im ganz Wesentlichen im Kernbereich gute Regeln haben. Alles, was es an Nebeneinkünften gibt, muss auch dem Bundestagspräsidenten gemeldet werden. Und jeder, der will, kann im Internet nachsehen, wer als Abgeordneter zu wem noch in welchen Geschäftsbeziehungen steht. Dass es schwarze Schafe gibt, das haben wir mitbekommen. Das hat und muss auch zu Konsequenzen führen. Aber daraus den Schluss zu ziehen, weil sich einige nicht richtig verhalten, müsse das ganze System verändert werden, davon bin ich nicht überzeugt. Ich möchte, dass es ausdrücklich auch künftig Abgeordnete gibt, die wissen, was in der Wirtschaft vor sich geht, denn ich möchte, dass wir repräsentativ besetzte Parlamente haben. Deswegen bin ich auch strikt gegen den Vorschlag, Nebeneinkünfte faktisch zu verbieten. Übrigens kommt man da nur auf die Idee, wenn es sich um große Firmen handelt. Warum ist es eigentlich kein Thema, dass es zahllose Abgeordnete gibt, die noch auf der Gehaltsliste als Gewerkschaftsfunktionäre stehen. Das scheint ja kein Thema zu sein. Ich glaube, das ist sehr einseitig diskutiert in diesem Lande. Ich möchte, dass auch Freiberufler, Selbständige, Mittelständler, Handwerkerinnen und Handwerker, dass die auch in der Politik im Mandat eine Chance haben.

    Steinhage: Im nordrhein-westfälischen Landtag will man nun verankern, dass Abgeordnete nicht nur - wie das im Bundestag üblich ist - angeben müssen, ob sie Nebeneinkünfte haben, sondern auch, wie hoch diese Einkünfte sind. Ist das eine gute Idee?

    Westerwelle: Ja, wie wollen Sie das machen? Soll dann der Rechtsanwalt auch seine Mandantenbeziehungen auflisten oder der Handwerksmeister seine Auftraggeber? Damit meldet er sich doch aus dem Wettbewerb ab, ganz abgesehen davon, dass zum Beispiel ein Rechtsanwalt und ein Arzt das gar nicht darf. Das ist per Gesetz verboten. Er würde Patientenverrat oder Mandantenverrat begehen, wenn er dann auch noch veröffentlicht: Folgendes Mandat habe ich mit folgendem Auftraggeber. Das ist alles sehr einfach gesagt. Aber es ist in der Praxis dann lediglich ein Beitrag zur Verbeamtung des Deutschen Bundestages. Und ich möchte, dass wir im Deutschen Bundestag nicht nur Vertreter von Gewerkschaften und vom Öffentlichen Dienst haben, sondern ich möchte, dass da auch andere Gruppen unserer Gesellschaft dabei sind. Ich glaube übrigens, dass die Politikerversorgung in einem ganz anderen Bereich das eigentliche Thema ist, und das ist nämlich die Bezahlung und die Überversorgung nach dem Ausscheiden aus dem Amt. Mein Vorschlag ist, dass beim Bundespräsidenten eine Kommission angesiedelt wird. Die soll Vorschläge machen über die Höhe und Art und Weise der Politikerbezahlung. Die sollen dann auch gelten. Dann hört auch bei jeder Diätenerhöhung der Vorwurf der Selbstbedienung auf. Und dann sollen Abgeordnete von dem, was sie bekommen, auch selbst fürs Alter vorsorgen, so wie jeder Freiberufler auch. Ich glaube, wenn man von den Bürgern mehr Eigenverantwortung in der Rente verlangt, dann sollte man als Politiker sich davor nicht drücken.

    Steinhage: Kurz noch zu dem Thema: Wie wäre es denn mit dem Vorschlag, unter bestimmten Voraussetzungen Nebenverdienste mit Diäten zu verrechnen?

    Westerwelle: Wie soll das gehen? Soll man dann die Abgeordneten, die sich einen lauen Lenz machen, dadurch belohnen, dass sie alles weiter bekommen wie bisher und der Abgeordnete, der vielleicht nebenher noch ein Buch schreibt und damit einen Erfolg hat, der bekommt dann die Diäten reduziert? Ich glaube, langsam langt's. Ich meine wirklich, dass die, die ein Interesse daran haben, dass die Politiker, die im Deutschen Bundestag sind, es nicht als erstes und wichtigstes Ziel ansehen müssen, Abgeordnete zu werden, weil das ein Jackpot ist. Wenn jemand vielleicht aus dem Öffentlichen Dienst kommt oder Beamter ist - wir brauchen Öffentlichen Dienst und wir brauchen Beamte auch in der Repräsentation –, dann sieht das anders aus. Wenn jemand von Hause aus selbständig ist, eine Firma hat und versucht, die am Leben zu erhalten, oder vielleicht sogar seine Kanzlei dann erst mal schließen muss, um sie nach seiner politischen Karriere wieder vollständig eröffnen zu müssen, dann sieht die Sache schon etwas anders aus. Ich beteilige mich an diesen Diskussionen ausdrücklich nicht. Ich glaube, dass diese Diskussionen auch ein Beitrag zum Qualitätsverlust der deutschen Politik sind, weil die Parlamente immer weniger repräsentativ sind, was ausdrücklich mich nicht daran hindert, dass die schwarzen Schafe zur Verantwortung gezogen werden.

    Steinhage: Der FDP ist seit langem auch aus den eigenen Reihen - Leutheusser-Schnarrenberger und andere - vorgeworfen worden, das Thema Bürgerrechte zu vernachlässigen und damit eine einstige Domäne der Liberalen preisgegeben zu haben. Ist mein Eindruck, Herr Westerwelle, zutreffend, dass Sie sich nun anschicken, auf diesem Feld wieder ganz massiv zu punkten, konkret unter dem Stichwort 'Innere Liberalität'?

    Westerwelle: Ich glaube, dass die FDP beim Thema 'Innere Liberalität', beim Thema 'Bürgerrechte' eine sehr gute Arbeit in den letzten sechs Jahren im Deutschen Bundestag in unserer Oppositionszeit geleistet hat. Aber ich muss auch selbstkritisch anmerken, das ist nicht immer hinreichend deutlich geworden. Und deswegen ist es richtig, dass die FDP sich vorgenommen hat, gerade in der Auseinandersetzung mit den Grünen, auch die Kompetenz beim Thema Bürgerrechte noch deutlicher zu machen. Denn alles, was es an Abbau von Freiheitsrechten gegeben hat, dass vollbesetzte Passagierflugzeuge mittlerweile gesetzlich abgeschossen werden können in bestimmten Lagen, als ob man das Leben von Unschuldigen gegeneinander abwägen könnte, dass die Telefonabhörungen zunehmen, ohne dass es einen Sicherheitsgewinn gegeben hat, dass das Bankgeheimnis zum 1.4. faktisch aufgehoben wird - das wissen ja viele Bürger überhaupt noch gar nicht. Die meinen immer, das sei nur ein Thema, wenn sie Steuern hinterziehen würden. Das betrifft jeden Bürger. All das haben die Grünen beschlossen als Abbau von Bürgerrechten. Und da ist die FDP die einzige Partei gewesen, die dieser riesengroßen Koalition - beim Abbau von Bürgerrechten - aus SPD, Grünen und CDU/CSU widerstanden hat. Und das deutlicher zu machen haben wir uns vorgenommen.