Der Küstenpfad selbst ist vielleicht nicht so hoch frequentiert, aber einsam ist er trotzdem nicht. Die Cottage- und Gartenbesitzer am Wegesrand freuen sich immer über einen Plausch. Der ein oder andere scheint es regelrecht darauf anzulegen, windzerzauste Wanderer in ein Gespräch zu verwickeln. So auch dieser Brite, der in Gummistiefeln und einem Eimer Kompost über den Strand läuft. Die Küchenabfälle hat er wohl vergessen, hinter'm Gartentor abzustellen, in seiner Begeisterung über den unerwarteten Besuch.
Lachend hält er den Eimer hoch: "You don't need this?" Nein, Kompost brauchen wir nicht. Aber ein Tässchen Tee wäre schön.
"Where is home for you?" "Germany."
"Lissen I wanted to stay in! I'm an Europaen. I live here, but I'm an European."
"A cornisch European." Er wollte in der EU bleiben, fühlt sich als Europäer ein cornischer Europäer.
"I was happy to stay in europe."
Wanderthema Brexit
Dass soll uns Wanderern vom Kontinent noch oft passieren, während unsere zweiwöchigen Reise: das klare Bekenntnis zur EU. Doch wer hat für den Brexit gestimmt? Unser Gartenbesitzer findet auch keine Erklärung. Da fragt er doch lieber noch nach dem Weg, wo wollen denn die Deutschen noch so hin?
"From St. Agnes, to Zennar, to Lands End and...."
"Exzellent!"
Mit den besten Wünschen für die Weiterreise und der exakten Wegbeschreibung zum nächsten Pub - wandern macht schließlich durstig - ziehen wir weiter.
Egal,wie klein das Dorf ist: eine Kirche und einen Pub haben sie alle. Und der Pub ist weit mehr als eine Versorgungsstation mit alkoholischen Getränken: Hinter alten Steinmauern aus dem 16. Jahrhundert kommen auch heute noch alle zusammen, Farmer, Fischer, die Pferdezüchterin, Schüler warten vor dem Tresen bis sie ein Nachbar mitnimmt und müde Wandere bleiben hier, bis der nette Gastwirt nach mehreren Telefonaten eine Übernachtungsmöglichkeit für die Besucher gefunden hat.
Die Zahl der Zimmer an Cornwalls Küsten ist begrenzt, aber die Hilfsbereitschaft der Einheimischen scheint grenzenlos! So lernen wir also Jane Wilston kennen, die ihr schönes Herrenhaus bei Portreath mit Gästen teilt: "Oh, wir haben hier viele Wanderer, die den Küstenpfad nehmen. Ich erinnere mich an ein Pärchen, das vor kurzem hier war, sie wollten eigentlich wandern, aber es war so ein ungemütliches Wetter: Wind und starker Regen. Und sie riefen mich an und fragten, ab wann sie denn ihr Zimmer beziehen können, Ich sagte sofort und so nahmen sie den Bus, von Newquai bis hier hin bezogen das Zimmer und ich habe sie für den Rest des Tages nicht mehr gesehen."
Alte Eichen hinter Trockenmauern
Die liebliche Landschaft Cornwalls, mit sanften heidebewachsenen Hügeln, alten Eichen hinter Trockenmauern und Gutshöfen, die als Kulisse für Rosamunde-Pilcher-Filme dienen, lassen fast vergessen, dass Cornwall zum Königreich gehört, zum südlichen Teil, aber zu England. Und das bedeutet, ein wenig mehr Regen, als auf dem Kontinent und wenn ein Sturm kommt, dann weht er über die Insel, vor allem hier an der Küste noch ein bisschen kräftiger als beispielsweise der norddeutschen Tiefebene. Jane Wilston nimmt das mit britischer oder besser "cornischer" Gelassenheit:
"Als der Sturm Frank kam, der wirklich nicht sehr angenehm war, hatte ich ein Pärchen zu Gast, dass nur eine Nacht außerhalb ihres Zeltes verbringen wollte, um sich und die Kleidung mal wieder zu waschen. Nun, am nächsten Tag wollten sie tatsächlich weiter. Und es war kurz vor Weihnachten und ich dachte noch, was für unerfreuliche Umstände um Weihnachten zu verbringen, aber sie wollten weiter wandern. Aber ich sagte noch: ihr müsst weg von der Küste mit Eurem Zelt, sonst weht ihr einfach ins Meer. Ich hoffe, sie haben es geschafft."
Und wenn nur bis zum nächsten Pub, denn hier ist es nicht nur warm, sondern auch sehr gemütlich.
Einmal in der Woche kommen auch in dem kleinen Küstenort Cadwith, ebenfalls als Filmkulisse für Rosamunde Pilcher Romane bekannt, alle Bewohner der Gegend zusammen, um gemeinsam zu singen.
Hummer abends im Pub
Viele Männer fahren noch heute mit ihren kleinen Booten raus, um im kalten, aber glasklaren Wasser vor der Küste Cornwalls Fische und Hummer zu fangen. Serviert werden sie abends im Pub. Der Weg vom Hafen bis zur Gaststube beträgt 20 Meter. Regionaler kann die Küche kaum sein. Auch die Lieder erzählen von den Sorgen vor Ort: "....cornish men are fishermen, and cornish men are miners two..."
"Cornisch Men" sind Fischer und Bergarbeiter, aber wenn Fische und Minen weg sind, was bleibt den Männer in Cornwall dann noch?
Über drei Jahrhunderte haben die Bergmänner erzhaltige Mineralien - oft Zinn - aus dem Berg gekratzt. Die Minen lagen direkt an der Küste und oft sehr weit unter dem Meeresspiegel, was die Todesgefahr in den Stollen noch zusätzlich erhöhte. Heute stehen die alten Bergwerke unter Denkmalschutz. Ihre Ruinen, prägen die Landschaft an der Küste und geben ihr etwas mystisches. Dass sie vielen Bergleuten den Tod brachten, lässt sich heute nur noch erahnen.
Mit der Schließung der Zinn- und Kupferminen, versiegte aber auch eine der wichtigsten Einkommensquellen, indem sonst Strukturschwachen Landstrich. Für die Wanderer ist das schön: keine Industrie, im sauberen Meer schwimmen, Seehunde und kein Fabrikgebäude stört die Heidelandschaft. Doch wovon leben die Menschen in Cornwall heute? Ein Teil profitiert vom Tourismus. Gelegenheitsjobs bieten auch die Statistenrollen bei den Rosamunde Pilcher Filmen, aber davon kann doch keiner leben, meint John.
Er ist Farmer, hat den Hof von seinem Vater übernommen und kommt über seinem Rührei ins Grübeln: "Nun, ich war immer Farmer, ich bin nicht viel rumgekommen. Und inzwischen kommt die Welt zu uns. Auch viele Deutsche und wissen Sie was? Wir haben mit Euch Deutschen so viel mehr gemeinsam als mit den Amerikanern, obwohl wir doch die selbe Sprache sprechen."
Harte Landarbeit auf kargen Böden
Da widerspricht John klar Oscar Wilde, der in einer seiner Novellen spottete, dass die Engländer vieles mit den Amerikanern gemein hätten, außer der Sprache. Doch John steht im Moment eh nicht der Kopf nach Literatur, er hat existentielle Sorgen:
"Die Arbeit, die Landarbeit hier ist hart, der Boden ist karg und lässt sich nur schwer bearbeiten, selbst auf alten Äckern finden wir immer noch so große Steine, die uns die Maschinen ruinieren. Aber es ist ein guter Gegend, um Milchkühe zu halten."
Das hat John sein Leben lang gemacht. "Live ist changing, to fast und quick."
In zwei Tagen werden seine Kühe abgeholt. Der Farmer muss aufgeben, gegen die Billigmilch der großen Betriebe kommt er nicht an. Doch nun, wo er nicht länger jeden Morgen um 5 Uhr zum Melken gehen muss nimmt er sich vielleicht die Zeit, um zu wandern. By the way, wohin wollen denn die deutschen Wanderer? Weiter nach Süden? Ja dann:
"Gehen Sie zu Landsend dann gehen sie links und dann ist dort ein tolles minoisches Theater."
Natürlich, wo es schön ist waren auch die Griechen.
Wir blicken von der antiken Zuschauertribüne direkt in die aufgewühlte See. Ihr Rauschen wird uns begleiten auf dem South-West-Coast-Path., wer weiß vielleicht schaffen wir es ja bis Plymouth.