Archiv


Westliche Modernisierung zerstört indigene Traditionen in Afrika

In vielen afrikanischen Ländern gibt es im Zuge westlicher Modernisierung keine Sensibilität mehr für den Reichtum der ureigenen Kultur. Damit stirbt auch auch eine Wurzel der modernen, zivilisierten schwarzafrikanischen Kultur. Denn Wissen, Riten und Traditionen gehen Stück für Stück verloren.

Von Dagmar Wittek |
    Hoch oben im Norden Namibias. Ein nur mit einem Lendenschurz bekleidete junger Mann hütet Rinder.

    "Das Schönste für mich ist, wenn eine Kuh kalbt, denn dann weiß ich, dass sich meine Herde vergrößert."

    Nichts anderes wünscht sich Ludo, dessen Körper ist mit rotem Lehm, als eine Art natürlicher Sonnenschutz, beschmiert ist, für seine Zukunft.

    "Ich war nie in der Schule, die Stadt ist nix für mich. Ich will mich nur um meine Rinder kümmern."

    Kalehepa, die Tochter des Dorfobersten stimmt zu, während sie ihren Säugling stillt.

    "Ich werde meinen Sohn auch nicht in die Schule schicken. Von dort kehrt er nur nie zurück. Wer soll sich dann um das Vieh kümmern? Und ohne unsere Rinder, gäb´ es uns und unsere Art zu leben nicht mehr. Ich bin so wie es ist sehr zufrieden."

    Namibias Regierung jedoch sagt nein zum Status Quo. Die letzten Nomaden des südlichen Afrika, die Himba, müssten integriert werden, sie seien Teil der namibischen Nation und müssten wie alle anderen behandelt werden, so Dudu Murorwa, der Gouverneur der Kunene Region.

    "Ich halte Bildung für das Allerwichtigste und diese haben wir den Himba wegen ihres Nomadenlebens bislang vorenthalten. Doch jetzt haben wir mobile Schulen in ihr Gebiet geschickt, damit auch sie sich weiterentwickeln können."

    Selbst die einzige Vertreterin der Himba im Parlament, Angelika Muerukwa vertritt die Haltung, dass die Himba zu ihrem Glück gezwungen werden müssen.

    "Wir hängen weit hinterher in puncto Bildung. Egal, was sie da oben sagen, dass sie keine Veränderung und Entwicklung haben wollen - das ist nicht wahr. Weil meine eigenen Eltern diese Dinge ablehnten, leiden wir heute. Wenn ich von Bildung und Entwicklung spreche, geht es um Überlebensstrategien und Wirtschaftsförderung."
    Die Frage ist nur, inwiefern werden die Stimmen all jener Himba wahrgenommen, die wie Ludo und Kalehepa Stadtleben und Zivilisation ein wenig kennengelernt haben und ablehnen. Die einzige parlamentarische Stimme der Himba wird von den Indigenen selbst als bevormundend wahr genommen. Der Gedanke taucht gar nicht auf, dass die moderne, zivilisierte namibische Gesellschaft auch etwas von den Himba lernen könnte und dass sie die noch lebendigen Wurzeln der eigenen Kultur darstellen. Stimmen, wie die der Anthropologin Margarete Jacobsohn, gibt es nur wenige.
    "Die Himba sind nicht konservative Menschen, die sich nicht verändern wollen. Ihre Lebensweise ist so erfolgreich, dass sie sich bislang nicht haben verändern müssen. Sie ziehen mit ihrem Vieh der Jahreszeit und den Wasserständen entsprechend durchs Land, haben meist für sich und Tiere genug zu essen; jagen und sammeln sodass Tier- und Pflanzenbestände erhalten bleiben, schaffen es alle herkömmlichen Krankheiten selber mit einheimischen Pflanzen und Kräutern zu kurieren und jeder spielt eine tragende und mit Verantwortung belegte Rolle in der Gesellschaft der Himba."

    Auch im Nachbarland Botswana gibt es keine Sensibilität für den Reichtum der ureigenen Kultur. Genozid und ethnische Säuberung sind die Begriffe, die die britische Nichtregierungsorganisation Survival International benutzt für den Umgang der botswanischen Regierung mit den Buschmann-San, oder wie sie in Botswana abfällig genannt werden, den Basarwa - was so viel heißt wie Zwerge. Survival behauptet, dass die Regierung 3500 San wegen Diamantenfunden und daraus folgenden wirtschaftlichen Interessen aus dem Central Kalahari Game Reserve zwangsumsiedelt und somit ihrer Tradition und Lebensgrundlage beraubt hat. Regierungssprecher Clifford Maribe bestreitet die Vorwürfe vehement.

    "Die Umsiedlung zerstört überhaupt nicht ihre Kultur. Die haben doch ohnehin kein traditionelles Leben mehr wie Nomaden geführt. Sie benutzten Pferde und Gewehre, statt zu Fuß und mit Pfeil und Bogen zu jagen. Außerdem hatten sich feste Siedlungen gebildet. Dieser neue Lebensstil mitten in einem Tierschutzgebiet gefährdet den Wildbestand. Außerdem hat jeder Botswaner ein Anrecht auf freien Zugang zu Trinkwasser, Schulen und Kliniken. Im Park können wir das nicht erbringen – schon gar nicht, weil dort zwecks Artenschutz keine dauerhaften Siedlungen erlaubt sind."
    Fazit: die San müssen raus aus dem Park, zivilisiert und weiterentwickelt werden, um dann irgendwann mit dem Durchschnitt in Botswana aufzuholen. Dass das Leben als Nomaden und Jäger und Sammler auch in Afrika fast unmöglich geworden ist, ist klar. Die Frage ist hier nur – ähnlich wie in Namibia - wie menschenwürdig und nachsichtig geht eine Regierung mit Minderheiten wie den San und den Himba um? Gibt es überhaupt Hochachtung für die ureigene Kultur? Inwiefern könnte es gelingen, die San und Himba schonend, unter Bewahrung ihrer Kultur und vor allem unter Einbindung der Betroffenen selber, am modernen, demokratischen Staatswesen teilhaben zu lassen?

    Der Blick der Regierungen derzeit ist jedoch von oben herab - als ob es sich um eine minderwertige, ohnehin vom Aussterben bedrohte Spezies handelt. Die Folge wird sein, dass Wissen, Sprachen, Gesänge, Riten und Traditionen verloren gehen werden. Und damit stirbt auch eine Wurzel der modernen, zivilisierten schwarz-afrikanischen Kultur.

    Serie im Überblick:
    "Clash of Cultures" - Neue Kulturkonflikte