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Westminster Palace
Renovierungsbedürftige Wiege der Demokratie

Bröckelnde Fassaden, Asbest und Feuergefahr - der Zustand in vielen Räumen des britischen Parlaments lässt Sicherheitsexperten die Haare zu Berge stehen. Unterhaus und Oberhaus haben nun einer Renovierung zugestimmt. Eine vorläufige Schätzung der Kosten beläuft sich auf vier Milliarden Euro.

Von Friedbert Meurer |
    London: Palace of Westminster mit Big Ben (03.06.2014)
    Westminster Palace (picture alliance / Daniel Kalker)
    Es ist 12 Uhr in Westminster, aber Big Ben schweigt. Der Turm, der zum Parlament gehört, wird seit letztem Sommer renoviert. Die Arbeiter sollen keine Gehörschäden davon tragen, wenn sie in der Nähe der gewaltigen Glocke arbeiten.
    Um die Ecke ist der Besuchereingang. Zunächst betritt man die einem Kirchenschiff ähnliche Westminster Hall aus dem Jahr 1097. Die Hall war Teil des königlichen Palasts und dann Parlaments, das hier stand und 1834 abbrannte. 1840 wurde ein neues monumentales Gebäude im neogotischen Stil errichtet.
    "Wenn da nichts gemacht wird, bröckelt bald die Decke herunter"
    "Die Westminster Hall ist der Haupteingang zu den Kammern des Parlaments", erklärt Architekt Adam Watrobski und deutet auf die ergrauten alten Steinwände. "Sie wurden im 19. Jahrhundert durch den Schwefel angegriffen, der bei der Verbrennung von Kohle entstand. Das Dach ist 500 Jahre alt und undicht. Wenn der Schwefel aber feucht wird, wird daraus Säure, und die zerstört den Stein."
    Ein paar Stufen hoch geht es in einen prächtigen Gang, links und rechts Ölgemälde und Skulpturen, die Wände sind kunstvoll holzvertäfelt. "Wir sind jetzt in der Hauptlobby, dem Zentrum des Parlaments. Von hier aus sehen sie beide Kammern, das Unter- und Oberhaus", erläutert Mel Barlex, der für das Gebäude zuständige Direktor des Parlaments. "Wenn da nichts gemacht wird, bröckelt bald die Decke herunter. Aber jetzt ist noch alles sicher."
    Elektroleitungen sind ein Sicherheitsrisiko
    Sicherheit ist ein großes Thema. Letztes Jahr hat es sieben Mal im Parlament gebrannt, weil die Elektroleitungen veraltet sind. Ständig sind Toiletten gesperrt und unbenutzbar. Das Gemäuer wird mit heißem Dampf beheizt, die Feuchtigkeit schadet den wertvollen Hölzern und Fenstern. Mark Collins, ein Historiker, führt durch das House of Lords, in dem eigens ein Thron für die Queen steht.
    "Wir stehen jetzt im House of Lords, es ist glamourös und wunderschön. Die Fenster müssen repariert werden, damit kein Wasser mehr hereinkommt. Die wertvollen Holzvertäfelungen trocknen aus, weil sich die Heizung und Luftfeuchte nicht gut regeln lassen."
    Umzug für einige unvorstellbar
    In der entscheidenden Unterhaussitzung fiel es vielen, vor allem konservativen Abgeordneten schwer, sich den Auszug vorzustellen. Ian Paisley, ein Abgeordneter der nordirischen DUP, ging es so. Er ist der Sohn des gleichnamigen früheren nordirischen Unionisten-Predigers.
    "Die Bodenplatten wurden von den Nachkommen Wilhelms des Eroberers gelegt. Oliver Cromwell marschierte hier mit seiner Armee auf. Das Echo der Reden William Wilberforce` gegen die Sklaverei hallt noch von den Wänden. Und in den Korridoren riechen wir den Geruch der Zigarren Winston Churchills."
    In etwa sechs Jahren soll das Unterhaus unweit in das Gebäude des Gesundheitsministeriums umziehen, das House of Lords in ein nahegelegenes Konferenzzentrum. Pete Wishart von der Schottischen Nationalpartei konnte während der Debatte seine Schadenfreude nicht unterdrücken.
    "Traurige Metapher für Großbritannien und den Brexit"
    "Das Gebäude ist eine traurige Metapher für Großbritannien und den Brexit. Es ist baufällig, im Allgemeinen unbeliebt. Es fordert Zuwendung und Unterstützung. Es steht sinnbildlich für diese Nation."
    Dann riet der schottische Politiker etwas boshaft, das Parlament nur noch touristisch zu nutzen. Er will hier nicht mehr zurück, sondern in ein unabhängiges schottisches Parlament. Das alles aber kann noch dauern - der Brexit, der eigene Staat der Schotten, wenn er denn je kommt. Vorher, ab dem Jahr 2023, wird Big Ben wieder schlagen - und die Abgeordneten, schottische wie englische, zu ihrer Pflicht rufen.