Roberto Di Martino hat es gewöhnlich mit größeren Fischen zu tun. Der Staatsanwalt aus Cremona ist Spezialist für Terrorismus-Prozesse. Er leitete auch den ersten Prozess gegen islamistische Attentäter in Italien. 2002 war das.
In den letzten Jahren ist er aber zum Wettbetrugsspezialisten geworden. Die Ermittlungen zu den Manipulationen im italienischen Fußball hat er auf den Weg gebracht. Und auch zu Wettbetrug im Tennis ermittelt er. Seiner Erfahrung nach sind Manipulationen im Tennis sogar leichter zu bewerkstelligen als im Fußball.
"Im Tennis sind Betrügereien leider sehr einfach. Es reicht ein Ball ins Netz oder neben die Linie. Und solche Fehler zwei, drei Mal hintereinander - und schon hat man ein Spiel verloren."
Vom Fußball gerät die gelbe Filzkugel in den Fokus
Das hatte Magnetwirkung für Leute, die auch Fußballspiele verschoben. Sie warfen ein Auge auf den Sport mit der Filzkugel. Di Martino erzählt: Bei der Auswertung von Chats der Verdächtigen der beschlagnahmten Computer und Mobiltelefone stießen die Ermittler auf Chats von Verdächtigen, in denen auch von Manipulationen im Tennis die Rede war.
"Alles beginnt im Juli 2007 mit einem Chat. In ihm offerieren Goretti und Bruni dem Tennisspieler Bracciali, der sich auf einem Turnier in Newport befand, 50.000 Euro. Er soll verlieren. Sie geben ihm die 50.000 Euro aber nur, wenn er den ersten Satz gewinnt."
Die Gesprächspartner in diesem Chat waren der frühere Davis Cup-Spieler Daniele Bracciali, der bestochen werden sollte. Und auf der Seite der Manipulatoren waren der Sportdirektor des Serie B-Vereins AC Perugia, Roberto Goretti, und Manlio Bruni, Berater des in den Fußballskandal verwickelten früheren Torschützenkönigs der Serie A, Giuseppe Signori.
Fest verabredete Betrugsmuster im weißen Sport
Dass sie Bracciali vorschlagen, den ersten Satz zu gewinnen, das Match aber zu verlieren, hat einen einfachen Hintergrund: Höhere Wettgewinne beim Betrug. Denn gewinnt ein Spieler den ersten Satz, fallen dessen Quoten auf einen Sieg des gesamten Matchs. Die Quoten für seinen Gegner steigen aber. Weil dessen Sieg ja vorab vereinbart ist, winkt also auch noch eine höhere Gewinnsumme. Ein perfektes Szenario.
Und laut Di Martino ein verbreitetes Betrugsmuster im weißen Sport. Ein weiterer Betrugs-fördernder Aspekt ist die Vielzahl der Turniere. "Mir haben einige Angeklagte erzählt, dass manche Tennisspieler es gar nicht schaffen, bei allen Turnieren in guter physischer Verfassung zu sein. Es sind einfach zu viele Turniere. Und wenn sie wissen, dass sie es nicht schaffen, dass sie eine Pause brauchen, dann verlieren sie gleich das erste Spiel."
Im Geheimsprech der Wettbetrüger wurde dann von großen oder kleinen Cremes gesprochen. "Große Creme" bedeutete, die Absprache ist sehr sicher. Bei "kleinen Cremes" war die Absprache möglich, aber noch nicht sicher erreicht.
Auch deutsche Spieler unter den Manipulatoren?
In den Chats ging es auch um deutsche Tennisspieler. Sie wurden als betrugsanfällig eingeschätzt. Ermittlungen dazu konnte Di Martino nicht anstellen. Er verhörte nur italienische Tennisprofis und deren Geldgeber. Er sagt, dass Ermittler aus Deutschland keinen Kontakt zu ihm aufnahmen. Sollte das zutreffen, wäre es mutmaßlich eine verpasste Gelegenheit zum Aufräumen.
Etwa 20 Top-Spieler unterschiedlicher Nationen werden in den Chats genannt. Einige von ihnen tauchten auch auf der Verdachtsliste der Tennis Integrity Unit (TIU) aus dem Jahre 2011 auf. Entschlossen ermittelt wurde damals aber nicht. Erst im Zuge des Skandals bei den Australian Open in diesem Jahr kam die Liste ans Licht.
Jetzt immerhin senden TIU und der Welttennisverband ITF Vertreter zum Prozess in Cremona.
Luca Genesi, Anwalt für die ITF: "Sie haben sich beide als Nebenkläger eintragen lassen wegen des Imageschadens, den sie als Kontrollorgane des Tennissports erlitten haben. Sie klagen auf Entschädigung. Und sie folgen dem Prozess, um die disziplinarischen Konsequenzen zu ermessen."
Hätten TIU und ITF zuvor intensiver mit ihren eigenen Verdachtslisten gearbeitet, hätten sie sicher Schaden verhindern können. Immerhin scheinen sie jetzt erwacht zu sein.
Spielsystem ändern
Vielleicht nehmen sie dann auch diesen Vorschlag von Staatsanwalt Di Martino auf. "Im Punktsystem der großen Turniere, der ATP, sollten meiner Ansicht nach Punkte nicht nur für die gewonnenen Matchs vergeben werden, sondern auch dafür, wenn jemand ohne Satzverlust gewinnt."
Das könnte ein Anreiz gegen das gängigste Betrugsmuster sein. Bisher müssen Spieler, die aus Motiven des Wettbetrugs den ersten Satz abgeben, das gesamte Match aber verabredungsgemäß gewinnen, keine Punkteinbußen fürchten. Denn Punkte werden für das Erreichen der nächsten Runde vergeben, unabhängig davon, ob der Sieger einen oder zwei Sätze abgab. Die Verbände sind jetzt gefragt.