"Jede Entscheidung für oder gegen Kinder kann heutzutage auf andere wie eine fundamentale Kritik wirken."
Kinderlose und Menschen mit Kindern seien in Deutschland inzwischen nahezu inkompatibel. Diese steile Eingangsthese ihres Buches "Der tiefe Riss" belegen Garsoffky und Sembach mit einer Reihe von medialen Äußerungen, in denen vor allem Kinderlose darüber ablästern, wie Eltern heutzutage um ihren Nachwuchs herumtanzen wie um das Goldene Kalb.
Susanne Garsoffky und Britta Sembach konzedieren Kinderlosen, an mindestens einer Stelle zu Recht über die Folgen kinderfreundlicher Politik zu jammern: Während Eltern sich das Vorrecht der Teilzeit herausnähmen, werde die liegen bleibende Arbeit unter immer mehr Kinderlosen aufgeteilt.
"Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird in vielen Unternehmen auf dem Rücken derjenigen ausgetragen, die keine Kinder haben.
Die Autorinnen geben sich Mühe, sich nicht angreifbar zu machen.
"In diesem Buch wird es kein böses Wort über Kinderlose geben. Warum auch. Das Einzige, was wir feststellen, ist, dass wir kaum noch Berührungspunkte mit Kinderlosen haben. Schon kurz nach der Geburt [...] trennen sich die Welten."
Diesen Aspekt strapazieren Garsoffky und Sembach allerdings zu sehr. Das gegenseitige Unverständnis ist bei Lichte betrachtet nur ein ständiges Rechtfertigen des eigenen Lebensentwurfes - etwas, das Garsoffky selbst in einem Zeitungsinterview als - Zitat - "fast exhibitionistischen Drang zur Selbstthematisierung" entlarvt.
Die gesellschaftliche Realität
Dabei trennen sich die Sphären von Familien und Kinderlosen tatsächlich unweigerlich, denn:
"Nur noch weniger als die Hälfte der Menschen in Deutschland leben in einer Familie."
Nicht immer gewollt: Doch auch, wo das nicht der Fall ist, passt es perfekt zu unserem Gesellschaftsentwurf.
"Ungebunden und kinderlos zu sein ist in diesem Wettbewerb ein Vorteil - und hat in den vergangenen Jahren an Attraktivität enorm gewonnen."
Es ist eines der beiden Anliegen dieses Buches, zu zeigen, dass im gleichen Maße wie die Arbeit zu Hause abgewertet, die außer Haus aufgewertet worden ist.
Die Autorinnen erwähnen es, dass die Aufwertung der Frauenerwerbsarbeit von Unternehmen befeuert und gesteuert wurde; indem Arbeit außerhalb der eigenen vier Wände immer mehr mit Sinn aufgeladen und als Selbstverwirklichung "verkauft" worden sei.
Die Folgen dessen, dass Frauen Berufstätigkeit der Sorge für andere vorzögen, könne man in den USA besichtigen:
"Wir werden Teil einer so genannten 'Care-Chain'. Einer langen Kette also von neu verteilten Sonderaufgaben: Die Mutter mit gutem Job - den sie braucht, um Hilfe überhaupt bezahlen zu können - stellt eine andere Frau dafür an, sich um das Kind / die Kinder und den Haushalt zu kümmern. Diese andere Frau ist aber vielleicht selbst Mutter und braucht nun wiederum Betreuung für ihre eigenen Kinder. Außerdem fällt sie als Tochter aus, die sich um ihre Eltern kümmert. Auch diese Lücke muss wieder gefüllt werden."
Das bedingungslose Grundeinkommen als mögliche Lösung
Das gibt zu denken, führt die Autorinnen, beide durchaus frauenbewegt und emanzipatorisch unterwegs, aber in den ewigen Widerspruch: Wenn sie für eine Art Müttereinkommen eintreten, ziehen sie ungewollt am gleichen Strang wie die ewig Konservativen, die ihrem Familienbild noch immer nachtrauern.
Sembach und Garsoffky versuchen, sich aus dieser Zwickmühle zu befreien, indem sie für ein bedingungsloses Grundeinkommen plädieren - ergänzt um einen individuellen Einkommensanspruch durch Erwerbsarbeit. Das ist weniger abstrus, als es klingt: Die Aussicht, dass in naher Zukunft durch Automatisierung und Digitalisierung viel mehr Jobs wegfallen könnten, als wir uns je vorstellen konnten, gibt der Idee eines Grundeinkommens Rückenwind.
Ähnlich akut, aber ungleich tabuisierter als die Frage, wie man Fürsorge-Arbeit aufwerten könnte, ist die Frage, wie man Eltern bei der Rente gerechter behandeln kann. Garsoffky und Sembach zitieren den Ökonomen Martin Werding:
"Wir benutzen die Kinder anderer, um im Alter einen Lebensstandard erreichen und erhalten zu können, den wir uns eigentlich gar nicht leisten könnten. Weil wir immer noch nicht begriffen haben, dass wir mit unseren Rentenbeiträgen die Rente der jetzigen Rentnergeneration zahlen - und die Kinder unsere Renten zahlen müssen."
Wenn aber immer weniger Menschen Kinder kriegen, funktioniert dieser Generationenvertrag nicht mehr. Die endlose Debatte um private Vorsorge hat diesen Kernkonflikt nur verschleiert. Es ist das eigentliche Verdienst der Autorinnen, dieses heiße Eisen anzupacken.
"In gut 20 Jahren werden wir 40 Prozent mehr Rentner in Deutschland haben als heute, während die Zahl der Erwerbstätigen um ein Viertel schrumpft."
Aber jeder, der keine Kinder hat, profitiere, so die Autorinnen, von der Fürsorgeleistung von Eltern, die die Rentenzahler von morgen aufziehen. Das Gegenargument Kinderloser, sie würden mit ihren - häufig höheren - Steuern ja auch ungefragt Schulen und Kindergärten mitfinanzieren, kontern Sembach und Garsoffky: Diese Rechnung gehe für die Gegenwart auf, in die Zukunft des Systems aber investierten Familien deutlich mehr.
"Wie erklären wir Eltern, dass [...] es ökonomisch vernünftiger ist, keine Kinder zu haben und durch die Kinder anderer abgesichert zu sein, weil wir den Wert von Kindern sozialisiert, die Kosten für sie aber privatisiert haben [...]?"
Die Autorinnen bleiben auf ihrer "Seite"
An diesem Argument ist viel Wahres. Allerdings nährt das Buch, indem es immer aus einer Mittelschicht-Perspektive argumentiert, in der Menschen ohne Kinder hemmungslos in ihre Karriere investieren können, ein Klischee: Dass die Kinderlosen automatisch die Wohlhabenden sind. Dem steht eine Realität mit vielen wohlhabenden Doppelverdiener-Eltern und vielen Kinderlosen im Niedriglohnbereich entgegen. Ist es also nicht ungerecht, Kinderlose pauschal stärker zur Kasse zu bitten?
Die Autorinnen legen sich nicht eindeutig auf eine Lösung fest. Aber aus ihrer umfassenden Darstellung schimmert viel Sympathie dafür durch, eine umlagefinanzierte Basisrente um eine zusätzliche Rente zu ergänzen, die von der Zahl der Kinder abhängt.
Elternzeit, Elterngeld und Teilzeit verbuchen die Autorinnen vorwiegend als Versuch der Familienpolitiker, die Müttererwerbsquote zu steigern; alles nur mit dem Ziel, den Fachkräftemangel zu lindern.
Dem muss man nicht zustimmen. Mit den beiden anderen großen Thesen ihres Buches aber treffen die Autorinnen in Schwarze: Das Rentensystem muss dringend umgebaut, Fürsorgearbeit muss dringend aufgewertet werden. Die Lösungen, die sie mitliefern, sind zwar nur grobe Skizzen. Doch das Buch stellt schon mal die richtigen Fragen.
Susanne Garsoffky, Britta Sembach: Der tiefe Riss. Wie Politik und Wirtschaft Eltern und Kinderlose gegeneinander ausspielen.
Pantheon Verlag, 256 Seiten, 15 Euro.
Pantheon Verlag, 256 Seiten, 15 Euro.